Körperkontakt (1)
Es war ein sonniger Winternachmittag. Über der Ranch wölbte sich ein hoher blassblauer Himmel. Eine leichte Schneedecke bedeckte den gefrorenen Boden. Die Pferde standen aufgehalftert und angebunden an der Einzäunung ihres Auslaufs aufgereiht, über ihnen zeigten die Kerzen der Pappelallee himmelwärts. Livia und Domena hatten die Köpfe gesenkt, ein Hinterbein leicht auf die Hufkante abgestellt und genossen die Sonnenwärme auf ihrem Fell. Die Ohrmuscheln waren zur Seite gedreht und zuckten leicht, auch in der Entspannung verfolgten die beiden Stuten alles, was um sie her vor sich ging.Anna-Lena stand in ihrer gefütterten Winterjacke vor der Umzäunung und rieb sich die behandschuhten Hände warm. Sie sah Jorind zu, die dabei war, der jungen Capira die Hufe hochzuheben. Auch Jorind trug dicke Handschuhe und auf dem Kopf eine alte Wollmütze. Die schwere Reitjacke hatte sie ausgezogen und an einen Aststumpf der nächsten Pappel gehängt.
Sie stand dicht neben der Pferdeschulter, strich mit einer Hand am Vorderbein abwärts, griff in die Fesselhaare und hob den Huf an. Mit beiden Händen führte sie ihn in eine schnelle Kreisbewegung und setzte ihn wieder ab. Das wiederholte sie mit den übrigen Beinen. Danach richtete sie sich auf und streckte sich. Sie drehte sich zu dem Mädchen um, legte Capira den Arm über den Rücken und lehnte sich an sie. Die junge Stute wandte den Kopf und schnoberte an ihrer Kleidung.
"Sag mir mal zuerst, warum, glaubst du, ist es so wichtig, dass ein Pferd die Hufe gibt?"
"Naja, damit man sie auskratzen kann. Die Erde setzt sich drin fest oder ein Stein kann eingeklemmt sein. In den Furchen entsteht manchmal Huffäule, wenn das Pferd nass steht. Und wenn der Schmied kommt und die Hufe ausschneiden oder Eisen aufnageln will, muss das Pferd gelernt haben, ruhig stehenzubleiben. Für junge Pferde ist es manchmal schwierig, längere Zeit auf drei Beinen zu stehen und ihr Gleichgewicht zu halten."
Jorind warf dem Mädchen einen anerkennenden Blick zu und lächelte.
"Gib's zu, du hast mal wieder in einem Pferdebuch geschmökert."
Das Mädchen lächelte zurück, warf den Kopf in den Nacken und strich sich mit beiden Händen ihren üppigen rotblonden Pferdeschwanz glatt.
"Stimmt. Aber viel weiß ich auch schon aus Erfahrung."
"Okay. - Und alte Pferde haben manchmal Probleme mit den Hüften und wollen die Hinterbeine nicht so hoch nehmen, wie der Schmied das für seine Arbeit haben will. Jetzt komm mal rein und zeig mir, wie du die Hufe hochnimmst."
Anna-Lena suchte sich einen Hufkratzer aus dem Putzkasten, schwang sich lässig über die oberste Zaunstange und trat neben die junge Stute. Jorind machte ihr Platz. Das Mädchen klopfte dem Pferd auf Hals und Schulter, strich dann am Vorderbein entlang abwärts und umfasste das Fesselgelenk. Capira hob den Huf und schwang ihn mit kraftvollem Schwung nach vorn, um ihr Bein zu befreien, doch Anna-Lena hatte damit gerechnet und fing mit ihrem Knie das Pferdebein ab. Geschickt und energisch räumte sie den Huf aus und stellte das Bein wieder ab.
"Benissimo, cara!" Jorind war hochzufrieden. "Aber was ist mit der Hinterhand? Würdest du's dort auch so machen?"
Anna-Lena warf ihr einen entsetzten Blick zu. "Nein, sie schlägt doch!"
(c) luccioladagosto 2017