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Ulmentanz

**********gosto Frau
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Ulmentanz
Ulmentanz (1/2)

Nach dem Burnout kämpft sich die Lateinlehrerin Jorind mühsam ins Leben zurück. Der wohl schwierigste Teil ihrer Gesundung ist die Tanztherapie ...

Es war ein sonniger Samstagnachmittag. Jorind stand im Wohnzimmer, tief in Gedanken versunken. Theo war zum Fußball, seine Dorfmannschaft anfeuern. Die nächsten zwei Stunden würde sie ungestört sein. Jamie hatte sich auf ihrem Hundesessel zusammengerollt und schlief.

Welche Musik sollte sie verwenden? Sie wusste nicht, wer die Sängerin gewesen war, die zu dem Musikstück gehörte. Eine schottische oder irische Ballade, soviel war ihr noch in Erinnerung, von einer hohen Frauenstimme in langgezogenen klagenden Tönen angestimmt. Ein Lied, das den ganzen Kummer der Frauen auszudrücken schien. Wem da nicht die Tränen kamen, der war schon tot.

Jorind musste lächeln. Manche ihrer Sprüche waren ihr bisweilen selbst ein Ärgernis. Ohne Humor, so fand sie, waren die eigenen Skurrilitäten oft kaum zu ertragen. Aber wenn man schon nicht mit sich selbst auskam, wie sollte da ein erträglicher Umgang mit den Mitmenschen gelingen?

Sie ging ins Büro hinüber und durchsuchte das Wandregal nach einem passenden Musikstück. Cat Stevens vielleicht? Sein "Morning has broken" ließ niemanden unberührt. Die wunderhübsche Melodie zusammen mit der von oben herabperlenden Kaskade der Klaviertöne. Das ginge. Was noch? Ihr Lieblingssong von "Queen" vielleicht? "Save me" hieß der, ein kongenialer Anschlag auf die Seelensaiten eines jeden Hominiden.

Sie nahm beide CDs mit und legte die von Queen ein, drückte auf "Pause". Die Schritte? Sie konnte sich nur noch an eine Einzelheit erinnern: Die Tanztherapeutin war rückwärts im Kreis gegangen und hatte dazu erklärt, man könne zwar nochmal zurückschauen, wie alles gekommen war, aber nicht mehr zurückgehen in der Zeit. Nichts war mehr zu ändern. Die Zeit floss stets in der gleichen Richtung weiter.

Als Frau Lenz den Frauen in der Tanztherapie den "Ulmentanz" vorgestellt hatte, war Jorind trotz der warnenden Erläuterungen völlig unvorbereitet von der Musik gepackt worden. Nur eine Runde hatte sie mittanzen können, dann hatte der Jammer sie überwältigt. Sie hatte sich auf ihrem Stuhl zusammengekrümmt, und der Schmerz war in Wellen durch sie hindurch geflossen. Als ob sie die Tränen aller kummerbeladenen Frauen dieser Welt weinen müsse, so hatte sie sich gefühlt.

Heute war sie vorbereitet. Sie wusste genau, was sie wollte. Tagelang war sie in Gedanken alles durchgegangen. Endlich ihren Frieden finden, da wollte sie. Den Menschen gegenüber, die sie am meisten verletzt hatten, wollte sie in einem Tanz ihre Liebe und ihren Zorn ausdrücken, um danach endlich nach vorn blicken zu können in eine ungelebte Zukunft.

Da sie die Tanzfiguren nicht mehr im Gedächtnis hatte, würde sie improvisieren müssen. Zuerst ein paar Runden vorwärts im Kreis, überlegte sie, anschließend in die gedachte Kreismitte und zurück. Danach kam der prekärste Teil, das Rückwärtsschreiten, während dessen Bilder und Gefühle aus der Vergangenheit lebendig wurden. Zum Abschluss die entschlossene Drehung des Körpers nach vorn, verbunden mit einem gedanklichen Fokussieren auf die Zukunft, auf das Morgen. Ja, so könnte es gehen.

(c) luccioladagosto 28.02,2018
**********gosto Frau
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Ulmentanz
Ulmentanz (2/2)

Wer sollte den Anfang machen? Sollte sie chronologisch vorgehen? Wenn ja, in welcher Richtung? Sie konnte sich nicht entscheiden. Unschlüssig stand sie mitten in dem weitläufigen Raum und kämpfte bereits mit den Tränen. Das konnte ja heiter werden. Sie hatte noch nicht mal begonnen und heulte bereits.

Irgendwo musste sie doch anfangen. Mit dem nächstliegenden Schmerz beginnen, entschied sie. Mit dem Lieblingskollegen also. Danach weiter zurück zum Ehemann Nummer eins und den Vater zum Schluss.

Sie zog die Nase hoch, drückte auf "Play" und stellte sich auf. Die ersten Töne klangen auf, Freddie Mercury, der charismatische Sänger der Band, begleitet von Klavierakkorden. Jorind machte die ersten Bewegungen, in langsamen Schritten ging sie die Kreisrunde ab. Zunächst konnte sie die Zeilen des Textes nicht verstehen, sie konzentrierte sich auf das Bild des Freundes, wie sie ihn in Erinnerung hatte -

Groß und schlank ging er mit wiegenden Schritten durch den Flur, sie sah ihn von hinten, er stopfte sich das Hemd in die Hose und entfernte sich immer weiter, bis eine Tür hinter ihm zufiel. Jetzt verstand sie den Text, "How I love you, how I cry, ... I'll love you till I die." Das Orchester setzte ein, der Background-Chor sang: "Save me, save me ..."

Jorind krümmte sich zusammen, sie hockte am Boden, schlang die Arme um die Knie und wiegte sich vor und zurück. So ging das nicht.

So geht das nicht, dachte sie, aber aufgeben? Weiter! befahl sie sich, stand auf und schnaubte in ein überdimensioniertes Stofftaschentuch. Jorind hielt nichts von den Papierdingern, die immer gleich voll waren, für ihren Verbrauch an Taschentüchern gänzlich ungeeignet. Sie lachte keuchend auf und machte die nächsten Schritte, die zweite Runde, die dritte. Jetzt der Schwenk zur Kreismitte. Queen war beim nächsten Song angekommen, Jorind breitete die Arme aus und atmete tief ein und aus. "Find me somebody to love" sang Freddie Mercury.

Jetzt der Blick zurück. Sie drehte sich, ging rückwärts weiter. Sie dachte an die Lateinkurse, die sie mit seiner Hilfe auf der Lernplattform "Moodle" eingerichtet hatte, an die vielen Stunden, die sie mit ihren Schülern mit Projektarbeit verbracht hatten, an die Mail-Korrespondenz, die sich über Jahre hinzog.

An die Freude, die sie an "Scratch" gehabt hatten, dem kongenialen, speziell für Schüler entwickelten Programmierprogramm des MIT. Kleine Sketche und Spiele konnte man damit entwickeln, der Kreativität und Spiellust war keine Grenze gesetzt. Auch bei anderen Dingen hatte er ihr beigestanden, Ratschläge und tatkräftige Unterstützung gegeben.

Schon wieder ein Heulkrampf. An dem Punkt, wo sie sich wieder nach vorne drehen sollte, um in die Zukunft zu schauen, saß sie bereits am Boden und schluchzte keuchend. Jamie sprang von ihrem Sessel und stupste sie mit der Nase an, drückte ihren Kopf in Jorinds Armbeuge. Sie zog die Hündin an sich, ließ sich die Tränen vom Gesicht lecken, drehte den Kopf zur Seite.

"Du hast Mundgeruch", krächzte sie und lachte schon wieder. Taumelnd kam sie auf die Füße und tanzte dort weiter, wo sie abgebrochen hatte. Queen war mittlerweile zwei Lieder weiter. "We are the Champions", klang es durch den Raum.

Jorind hatte Jamie am Halsband gefasst und hüpfte mit ihr kreuz und quer durchs Zimmer, die Hündin sprang bellend an ihr hoch. Völlig außer Atem ließ sie sich schließlich in ihren Sessel fallen und knuddelte ihre alte Freundin. "Keine Tanztherapie aus dem Lehrbuch, was, altes Mädchen?" Nein, das gewiss nicht. Aber ein Anfang.
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