Briefwechsel mit dem Jenseits
(1/8)Lieber Werner (1) Sonntag, 8. April 2012
Jetzt bist du schon zehn Tage tot, und ich kann es immer noch nicht glauben, dass du nie mehr mit mir frühstücken wirst, nie mehr Bundesliga gucken, nie mehr mich liebhalten. Dein Körper ist längst zu einem Aschehäufchen verbrannt, aber ob wir in vier Tagen deine Asche in der Urne begraben werden oder irgendeine andere, das werden wir nie erfahren. Es ist wohl mehr eine symbolische Geste, wenn wir uns auf dem Friedhof versammeln, um uns von dir zu verabschieden.
Gleich am ersten Tag nach deinem Tod habe ich deine Klamotten aus dem Wohnzimmer geräumt und in blaue Plastiksäcke gestopft. Wie hätte ich es ertragen sollen, deine Jeans über der Stuhllehne hängen zu sehen und darunter deine Jacken? Deine Schuhe musste ich aus dem Flur ins alte Männerklo stellen, inzwischen habe ich ungefähr die Hälfte schon verbrannt.
Fast dreißig Jahre waren wir zusammen, es ist kaum zu glauben, wie schnell die Zeit vergangen ist. Unsere Kinder haben längst eigene Kinder, die uns Oma und Opa genannt haben. Trotzdem sind wir in unseren Herzen jung geblieben, waren zornig oder unbeschwert, fröhlich oder traurig, wie in alten Tagen. Ein wenig gelassener und toleranter sind wir, glaube ich, geworden im Laufe der Jahre, haben versucht, Andersdenkende zu verstehen und niemanden vorschnell zu verurteilen.
Alle paar Jahre habe ich mich frisch verliebt, und du hast es mir nie krumm genommen, wenn ich mich mal wieder in einen Anderen verguckt hatte. Es blieb ja stets im grünen Bereich, und meine romantischen Schwärmereien hast du mir von Herzen gegönnt. Wir beide blieben uns immer die Hauptperson, ich dir und du mir. Du warst mein "alter Ego", und wenn du jetzt auf deiner Wolke sitzt und mir beim Schreiben und Heulen zusiehst, dann wirst du wissen, dass du immer den Ehrenplatz in meinem Herzen innehaben wirst.
Die ersten Jahre hast du es nicht leicht gehabt mit mir. Ich war enttäuscht und mißtrauisch durch meine erste Ehe, hatte ein Alkoholproblem und eine Tochter, die dich nicht leiden konnte. Du hattest ein Faible für Partnertausch und Swingerparties, und das hat unsere Beziehung auf eine harte Probe gestellt. Aber dann ging mein größter Wunsch in Erfüllung, und ich konnte mein Abitur nachholen und studieren. So habe ich dir die schönsten Jahre zu verdanken. Dass ich mit dem Lehramt nur schwer zurande kam, ist nicht deine Schuld. Ich hätte es nie anfangen sollen. Lieber alles studieren, was mich interessierte, auch wenn es keinen Brotberuf dazu gab.
Man kann zwar zurückschauen, wie alles gekommen ist, aber nicht zurückgehen in der Zeit. Nichts lässt sich ändern. Das ist mir spätestens beim "Ulmentanz" klar geworden, und nicht nur bewusst im Kopf, sondern ich habe es mit dem ganzen Körper erfahren. Und ich werde noch viele "Ulmentänze" tanzen müssen.
Hast auch du Fehler gemacht, die du später bereut hast? Vielleicht die Scheidung deiner ersten Ehe? Du hast mir nie viel davon erzählt, aber ich kann mir vorstellen, dass ihr beide sehr jung wart und nicht viel Geduld miteinander hattet. Zu deinem Sohn hast du jedenfalls immer ein gutes Verhältnis gehabt.
Ich höre jetzt auf und schreibe ein andermal weiter. Erst mal einen Tee trinken. Bis bald.
Deine Jutta
Liebe Jutta! (1) Montag, 9. April 2012
Vielen Dank für deinen lieben Brief! Das kann ich gut verstehen, dass du meine Sachen gleich wegräumen musstest. Mir wäre es bestimmt genau so gegangen. Für mich wäre das leere Bett neben meinem das Schlimmste gewesen. Ich glaube, ich hätte mir gleich ein anderes Bett besorgt, oder hätte im Büro auf der Couch geschlafen. Es tut mir Leid, dass du jetzt erstmal ein paar stressige Wochen hast, bis du dich mit allem auskennst, was ich so gemacht habe.
Wenn ich gewusst hätte, dass ich so überraschend gehen müsste, dann hätte ich dich besser eingearbeitet. Aber mein plötzlicher Abgang kam auch für mich völlig unerwartet. Naja, fast. Ein wenig konnte ich mir schon denken, dass mein Herz nicht mehr lange mitmacht, aber du weißt ja: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Bei dem Bundesliga-Talk am Sonntag müsste ich jetzt drei Euro ins Phrasenschwein zahlen, oder?
Stell dir vor, ich habe hier meine Brüder wieder getroffen! Sie standen direkt am Eingang und haben auf mich gewartet. Irgendwer muss ihnen gesteckt haben, dass ich unterwegs bin. Das war ein Hallo! - Pack mal schnell die Mozartkugeln weg, du wirst noch kugelrund, wenn du so weiter naschst!
Ja, ich kann dich sehen! Das glaubst du nicht, stimmt's? Ist aber wahr. Allerdings bin ich nicht immer am Ausguck, hab ja was Besseres zu tun als meine Frau zu beobachten, was sie so treibt. Bin doch kein Spanner!
Aber mal im Ernst: Schaff dir am besten bald einen Freund an, dann brauchst du nicht soviel Schokolade zu mampfen, das ist total ungesund. Und du weißt ja, ich gönne dir dein lebhaftes Liebesleben auf deine alten Tage von Herzen! Das hält jung und fit und macht dich nicht so griesgrämig und depressiv.
Entschuldigung, das Wort wollte ich eigentlich vermeiden, aber mal ehrlich: Wie willst du das mit meinem Abgang eigentlich verarbeiten, wenn du schon vorher - naja, Depressionen hattest? Hast du dir darüber schon Gedanken gemacht? Nein? Solltest du aber.
Mir geht's hier oben blendend, also kümmere dich lieber darum, wie's mit dir weiter geht. Übrigens war ich ziemlich beeindruckt, wie gut du bisher zurecht gekommen bist. Ehrlich! War richtig stolz auf meinen Schatz. Zum Beispiel die Heizöllieferung.
Das hat keine fünf Minuten gedauert, bis du rausgekriegt hast, welchen Tank du füllen musst. Habe gestaunt, wie du mit deinen guten Klamotten zwischen den Öltanks rumgekrochen bist und den Einfüllstutzen gesucht hast. Auf den ersten Blick hast du den alten Lappen entdeckt, der oben auf dem ersten Tank liegt. Damit kein Dreck reinfällt, deshalb habe ich den dort platziert.
Clever, was? Da siehst du's mal wieder: Nicht nur du hast gute Ideen! Und völlig ohne Aufwand. Deine waren ja manchmal recht kostspielig, du erinnerst dich?
Zum Beispiel als du unbedingt ein drittes Pferd haben wolltest. Als wenn die beiden anderen nicht genügt hätten. Aber du wolltest ums Verrecken mal wieder ein junges Pferd ausbilden. Und was war das Ende vom Lied? Dein teures neues Spielzeug hat gleich mal zwei von deinen Reitmädels abgeworfen. Und jetzt kannst du von vorne anfangen mit dem Einreiten.
Aber was rege ich mich auf?! Ist ja dein Job. Ich muss jetzt zum Skat. Endlich habe ich genug Zeit dafür! Bis bald!
Dein Werner
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