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Briefwechsel mit dem Jenseits

**********gosto Frau
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Briefwechsel mit dem Jenseits
(1/8)

Lieber Werner (1) Sonntag, 8. April 2012
Jetzt bist du schon zehn Tage tot, und ich kann es immer noch nicht glauben, dass du nie mehr mit mir frühstücken wirst, nie mehr Bundesliga gucken, nie mehr mich liebhalten. Dein Körper ist längst zu einem Aschehäufchen verbrannt, aber ob wir in vier Tagen deine Asche in der Urne begraben werden oder irgendeine andere, das werden wir nie erfahren. Es ist wohl mehr eine symbolische Geste, wenn wir uns auf dem Friedhof versammeln, um uns von dir zu verabschieden.

Gleich am ersten Tag nach deinem Tod habe ich deine Klamotten aus dem Wohnzimmer geräumt und in blaue Plastiksäcke gestopft. Wie hätte ich es ertragen sollen, deine Jeans über der Stuhllehne hängen zu sehen und darunter deine Jacken? Deine Schuhe musste ich aus dem Flur ins alte Männerklo stellen, inzwischen habe ich ungefähr die Hälfte schon verbrannt.

Fast dreißig Jahre waren wir zusammen, es ist kaum zu glauben, wie schnell die Zeit vergangen ist. Unsere Kinder haben längst eigene Kinder, die uns Oma und Opa genannt haben. Trotzdem sind wir in unseren Herzen jung geblieben, waren zornig oder unbeschwert, fröhlich oder traurig, wie in alten Tagen. Ein wenig gelassener und toleranter sind wir, glaube ich, geworden im Laufe der Jahre, haben versucht, Andersdenkende zu verstehen und niemanden vorschnell zu verurteilen.

Alle paar Jahre habe ich mich frisch verliebt, und du hast es mir nie krumm genommen, wenn ich mich mal wieder in einen Anderen verguckt hatte. Es blieb ja stets im grünen Bereich, und meine romantischen Schwärmereien hast du mir von Herzen gegönnt. Wir beide blieben uns immer die Hauptperson, ich dir und du mir. Du warst mein "alter Ego", und wenn du jetzt auf deiner Wolke sitzt und mir beim Schreiben und Heulen zusiehst, dann wirst du wissen, dass du immer den Ehrenplatz in meinem Herzen innehaben wirst.

Die ersten Jahre hast du es nicht leicht gehabt mit mir. Ich war enttäuscht und mißtrauisch durch meine erste Ehe, hatte ein Alkoholproblem und eine Tochter, die dich nicht leiden konnte. Du hattest ein Faible für Partnertausch und Swingerparties, und das hat unsere Beziehung auf eine harte Probe gestellt. Aber dann ging mein größter Wunsch in Erfüllung, und ich konnte mein Abitur nachholen und studieren. So habe ich dir die schönsten Jahre zu verdanken. Dass ich mit dem Lehramt nur schwer zurande kam, ist nicht deine Schuld. Ich hätte es nie anfangen sollen. Lieber alles studieren, was mich interessierte, auch wenn es keinen Brotberuf dazu gab.

Man kann zwar zurückschauen, wie alles gekommen ist, aber nicht zurückgehen in der Zeit. Nichts lässt sich ändern. Das ist mir spätestens beim "Ulmentanz" klar geworden, und nicht nur bewusst im Kopf, sondern ich habe es mit dem ganzen Körper erfahren. Und ich werde noch viele "Ulmentänze" tanzen müssen.

Hast auch du Fehler gemacht, die du später bereut hast? Vielleicht die Scheidung deiner ersten Ehe? Du hast mir nie viel davon erzählt, aber ich kann mir vorstellen, dass ihr beide sehr jung wart und nicht viel Geduld miteinander hattet. Zu deinem Sohn hast du jedenfalls immer ein gutes Verhältnis gehabt.

Ich höre jetzt auf und schreibe ein andermal weiter. Erst mal einen Tee trinken. Bis bald.

Deine Jutta

Liebe Jutta! (1) Montag, 9. April 2012
Vielen Dank für deinen lieben Brief! Das kann ich gut verstehen, dass du meine Sachen gleich wegräumen musstest. Mir wäre es bestimmt genau so gegangen. Für mich wäre das leere Bett neben meinem das Schlimmste gewesen. Ich glaube, ich hätte mir gleich ein anderes Bett besorgt, oder hätte im Büro auf der Couch geschlafen. Es tut mir Leid, dass du jetzt erstmal ein paar stressige Wochen hast, bis du dich mit allem auskennst, was ich so gemacht habe.

Wenn ich gewusst hätte, dass ich so überraschend gehen müsste, dann hätte ich dich besser eingearbeitet. Aber mein plötzlicher Abgang kam auch für mich völlig unerwartet. Naja, fast. Ein wenig konnte ich mir schon denken, dass mein Herz nicht mehr lange mitmacht, aber du weißt ja: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Bei dem Bundesliga-Talk am Sonntag müsste ich jetzt drei Euro ins Phrasenschwein zahlen, oder?

Stell dir vor, ich habe hier meine Brüder wieder getroffen! Sie standen direkt am Eingang und haben auf mich gewartet. Irgendwer muss ihnen gesteckt haben, dass ich unterwegs bin. Das war ein Hallo! - Pack mal schnell die Mozartkugeln weg, du wirst noch kugelrund, wenn du so weiter naschst!

Ja, ich kann dich sehen! Das glaubst du nicht, stimmt's? Ist aber wahr. Allerdings bin ich nicht immer am Ausguck, hab ja was Besseres zu tun als meine Frau zu beobachten, was sie so treibt. Bin doch kein Spanner!

Aber mal im Ernst: Schaff dir am besten bald einen Freund an, dann brauchst du nicht soviel Schokolade zu mampfen, das ist total ungesund. Und du weißt ja, ich gönne dir dein lebhaftes Liebesleben auf deine alten Tage von Herzen! Das hält jung und fit und macht dich nicht so griesgrämig und depressiv.

Entschuldigung, das Wort wollte ich eigentlich vermeiden, aber mal ehrlich: Wie willst du das mit meinem Abgang eigentlich verarbeiten, wenn du schon vorher - naja, Depressionen hattest? Hast du dir darüber schon Gedanken gemacht? Nein? Solltest du aber.

Mir geht's hier oben blendend, also kümmere dich lieber darum, wie's mit dir weiter geht. Übrigens war ich ziemlich beeindruckt, wie gut du bisher zurecht gekommen bist. Ehrlich! War richtig stolz auf meinen Schatz. Zum Beispiel die Heizöllieferung.

Das hat keine fünf Minuten gedauert, bis du rausgekriegt hast, welchen Tank du füllen musst. Habe gestaunt, wie du mit deinen guten Klamotten zwischen den Öltanks rumgekrochen bist und den Einfüllstutzen gesucht hast. Auf den ersten Blick hast du den alten Lappen entdeckt, der oben auf dem ersten Tank liegt. Damit kein Dreck reinfällt, deshalb habe ich den dort platziert.

Clever, was? Da siehst du's mal wieder: Nicht nur du hast gute Ideen! Und völlig ohne Aufwand. Deine waren ja manchmal recht kostspielig, du erinnerst dich?

Zum Beispiel als du unbedingt ein drittes Pferd haben wolltest. Als wenn die beiden anderen nicht genügt hätten. Aber du wolltest ums Verrecken mal wieder ein junges Pferd ausbilden. Und was war das Ende vom Lied? Dein teures neues Spielzeug hat gleich mal zwei von deinen Reitmädels abgeworfen. Und jetzt kannst du von vorne anfangen mit dem Einreiten.

Aber was rege ich mich auf?! Ist ja dein Job. Ich muss jetzt zum Skat. Endlich habe ich genug Zeit dafür! Bis bald!

Dein Werner

(c) luccioladagosto 2012/2018
******f63 Mann
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Heho
*hutab*
****i54 Mann
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Ich schreibbe zwar keine Briefe ins jenseits
Ich weis aber was für ein gefühl das ist. vor ca 10Jahren ist mein bester Freund durch ein Motorad unfall gestorben *biker*
**********gosto Frau
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Briefwechsel mit dem Jenseits (2/9)
Lieber Werner (2) Mittwoch, 11.04.2012
Da hast du mir ja was eingebrockt! Hast du eine blasse Ahnung davon, was ich hier alles um die Ohren habe, seit du weg bist? Hättest doch wenigstens bei den Vorbereitungen zu deiner Beerdigung helfen können! Kleiner Scherz. Ich hatte ja große Hilfe. Silvia und Laila haben mit mir Kuchen und Torten gebacken, und Silvia kommt abends immer her zum Füttern und gibt den Kühen Heu. Sie schleppt auch die Riesenklötzer von Kaminholz von draußen rein, geht mir mir Einkaufen und spricht alles mit mir durch, was mir so auf der Seele liegt oder unter den Nägeln brennt.

Morgen also ist der große Tag. Ich fürchte, das halbe Dorf kommt, um sich von dir zu verabschieden. Ich hoffe, dass du um 15.00 Uhr am Ausguck bist und siehst, wie viele Leute hier dich gemocht und geschätzt haben, deinen Humor, deine Schlagfertigkeit, deinen scharfen Verstand, auch deine Hilfsbereitschaft und Umgänglichkeit. Nicht zu vergessen deine profunden Kenntnisse im Fußball und Skat, im Häuserbau und ganz allgemein in geschäftlichen Dingen.

Heute könnte ich zum Beispiel deinen Rat gut gebrauchen. 1&1 hat mir eine Zahlungsaufforderung geschickt, beziehungsweise die Eintreiberfirma, die damit beauftragt wurde. Habe da Ende letzten Jahres mal so ein Zusatzangebot bei web.de angeklickt, das sollte vier Wochen kostenlos sein zum Ausprobieren. Und als ich nach dem Monat das Ganze kündigen wollte, habe ich keine Anlaufstelle dafür gefunden. Habe schließlich an eine Kontaktadresse per Mail geschrieben, dass ich das Angebot kündigen wollte bzw. nicht länger in Anspruch nehmen.

Die Antwort kam ebenfalls per Mail, mit dem Hinweis, dass Kündigungen per Mail nichtr wirksam wären, ich sollte doch schriftlich kündigen. Aber wohin? Ich dachte dann, wenn ich diese Mailadresse nicht meht nutze, würde sich das Ganze von selbst erledigen. War aber nicht das Fall. Ich konnte dann zwar nicht mehr auf diese Seite gelangen, aber damit auch nicht die Rechnungen einsehen, die sie angeblich an mich geschickt haben. Und jetzt wollen sie also einen Batzen Geld von mir, die reinste Abzocke!

Ich weiß jetzt nicht, soll ich dieses Schreiben einfach ignorieren, oder ist es besser, eine kleine Ratenzahlung anzubieten? Aber damit bestätige ich ja bereits die Rechtmäßigkeit ihrer Forderung. Hör dir das mal an: 15 Euro für einen Monat, 15 für einen weiteren Monat, 5 Euro Säumniszuschlag und 45 (!) Euro Gebühren! Ist das nicht eine himmelschreiende Schweinerei?!

Das sind alles so Sachen, wo du mir immer geholfen hast. Du hattest zwar auch immer eine recht salbungsvolle Art, mir deine Überlegenheit in Geschäftsdingen unter die Nase zu reiben, aber im Allgemeinen hast du ja recht gehabt.

Komisch, heute muss ich nicht beim Schreiben heulen wie ein Schlosshund. Habe ich mich mit deinem Tod schon abgefunden? Mich an den Gedanken gewöhnt, dass ich jetzt ohne dich zurecht kommen muss? Ach doch, heute Morgen habe ich gleich zwischen Aufstehen und Frühstück eine Runde geweint. Das reicht eigentlich für den Tag, oder was meinst du?

Silvia Greim-Asam war ziemlich schockiert, dass ich meinem Töchti nicht Bescheid gesagt hatte wegen deiner Beerdigung. Ich kam überhaupt nicht auf den Gedanken, ihr das zu sagen, weil ich als selbstverständlich angenommen hatte, dass sie nicht kommen würde und durch meine Einladung höchstens in die Verlegenheit kommen würde, eine gute Ausrede fürs Nichtkommen zu finden. Ich weiß ja, wie ungern sie so weite Wege mit dem Zug macht, und dann, wohin mit den Kindern? Mitbringen oder zuhause lassen? Wahrscheinlich hätte sie eine Lösung gefunden, wenn sie den Termin rechtzeitig erfahren hätte.

Und jetzt eben hat auch noch Volker angerufen und gesagt, dass Helga nicht mitkommt, weil sie ihren Elmar nicht allein lassen will, aber auch nicht mirbringen kann. So wäre sogar noch freier Platz in seinem Auto gewesen. Außerdem, habe ich schließlich überlegt, wäre das doch für sie eine schöne Gelegenheit gewesen, meine Geschwister und deren Partner, überhaupt meine ganze Sippschaftt kennenzulernen. Ich glaube, der Gedanke, eine große Verwandschaft zu haben, hätte ihr Freude gemacht. Also noch eine Sache, die ich wieder gutmachen muss. Vor lauter Schuldgefühlen ist mir schon ganz schlecht.

...Ich kann dir auch noch nicht darüber berichten, wie du gestorben bist. Du hast das nicht mehr mitgekriegt, du warst schon ohne Bewußtsein, deshalb werde ich dir bei Gelegenheit erzählen, wie ich diese schlimme Nacht erlebt habe. Aber nicht heute. Jetzt brauche ich doch noch ein Taschentuch! Oh Gott, es tut so weh, dass du so weit weg bist! Es ist auch kein Trost, dass ich jetzt nicht mehr zum Heulen ins Bad muss, um dich nicht zu stören. Mach's gut! Und grüß mir deine Brüder!

Deine Jutta

Liebe Jutta (2) Freitag, 13.04.2012
Das tut mir Leid, dass du jetzt so viel zu tun hast, ich kann es aber nicht ändern. Musst dich einfach Zug um Zug einarbeiten. Du schaffst das schon! Denk doch einfach mal daran zurück, wie selbstständig du warst, als wir uns kennengelernt haben. Und so nach und nach hast du mir Vieles überlassen, weil ich mehr Zeit hatte als du, und weil du mit der Schule schon reichlich zu tun hattest. Aber im Grunde kannst du das alles, was ich für uns beide gemacht habe, mit ein paar Ausnahmen vielleicht, was handwerkliche Sachen betrifft. Was ich dir wegen der Zahlungsaufforderung von 1&1 raten soll, weiß ich auch nicht. Da müsste ich die Einzelheiten kennen. Normalerweise gehe ich davon aus, dass ich erstmal nicht zahlen würde. Vielleicht ist die Forderung ja eine illegale und völlig unberechtigte Abzocke. Aber du hast ja auch deine Emailadresse bei dem Verein, nicht dass die dir das blockieren, wenn du nicht zahlst. Vielleicht findest du noch jemand anderen, der sich damit auskennst? Volker zum Beispiel, frag doch den mal!

Traktorfahren und so was ist wirklich kein Problem, glaub mir, du hast das doch schon vor Jahrzehnten auf dem Reiterhof Geißler gemacht, richtig? Also lass dir von Eisi die Batterie einbauen, die ist echt zu schwer für eine Frau, und fahr mal ein paar Runden auf der Agnes herum. Du wirst sehen, in ein paar Wochen fährst du den Wasserwagen auf die Weide, als wenn du nie was anderes gemacht hättest. Zu deiner Heulerei kann ich nur sagen, ein paar Tränen sind ja ganz gesund, Trauerarbeit und so, aber übertreib`s nicht. Nicht dass sich deine groß D, kleine epressionen verschlimmern, OK?

Hab mir vorgenommen, deinen Brief Punkt für Punkt zu beantworten, gar nicht so einfach für mich, bin so nicht gerade der große Schreiber. Also der nächste Punkt: Meine Beerdigung war nicht schlecht, natürlich war ich neugierig, wie viel Leute kommen würden und was der Trauerredner schwafeln würde. Deshalb war ich auch pünktlich am Ausguck. Deine Geschwister waren ja vollzählig, Helga konnte nicht kommen, bestimmt wegen Elmar. Und unsere Mieter waren alle da, bis auf die alte Frau Lohr, aber so weit wollte sie bestimmt nicht laufen quer durchs Dorf, von einem Ende zum anderen. Und die ganzen Jungs, die früher in die Kneipe gekommen sind oder die ich vom Fußball kannte. Da habe ich mich echt gefreut! Dass du deine Tochter einladen willst zu deinem Sechzigsten, finde ich gut. Sie freut sich bestimmt über die große Familie, zu der sie doch auch gehört. Ich finde das sowieso gut, dass ihr euch so gut versteht und immer Emails schreibt.

Hab gestaunt, wie tapfer und gefasst du warst. Aber wenn die Helga dabei gewesen wäre, die hätte dich bestimmt zum Heulen gebracht. Wenn die zu schluchzen anfängt, da bleibt kein Auge trocken! Musst mir mal erzählen, wie du das gemacht hast. Oder warst du gedopt mit Beruhigungsmitteln? Wie ich gestorben bin, will ich natürlich wissen, das kannst du mir gern erzählen. Sobald du das fertig bringst, ohne größere Heulerei dabei.

Uff, das war der letzte Punkt, geschafft! Also eins kann ich dir sagen, lange mach ich das nicht mit mit dem Briefeschreiben. Das ist mir echt zuviel Arbeit. Heute habe ich zum Beispiel ein Fußballspiel verpasst, weil der Brief so lange gedauert hat. Aber wenn`s dir hilft ...

Soviel für heute.

liebe Grüße

Dein Werner

P.S. Grüß alle von mir, die mich kennen! Oder halt, lieber doch nicht. Die glauben sonst, du wärst übergeschnappt, diesmal richtig, und wollen dich einliefern.
******f63 Mann
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Hallo
*hutab*
**********gosto Frau
16.056 Beiträge
Themenersteller 
Briefwechsel mit dem Jenseits (3/8)
Lieber Werner (3) Sonntag, 15.04.2012
Heute kann ich dir viel erzählen. Hoffentlich fällt mir auch alles wieder ein. Ich habe nämlich Probleme mit dem Erinnern. Wenn mich jemand fragt, was ich gestern gemacht habe, muss ich lange nachdenken, und oft fallen mir nur bruchstückhaft die Dinge ein, das macht mir etwas Sorge, ob mit meinem Gehirn alles stimmt. Vorläufig nehme ich vorzugsweise an, dass durch die Depressionen plus Trauerarbeit einige Bereiche im Kopf blockiert sind und mit der Zeit schon wieder normal arbeiten werden. Nur keine Panik jetzt! Das ist das Letzte, was ich in meiner Situation gebrauchen kann.

Morgen früh werden mich die Therapeuten auf jeden Fall nach meinem Wochenende fragen. Also kann es nicht schaden, wenn ich schon mal ein wenig übe.

Da fängt es schon an: Was habe ich gestern gemacht? Gestrichen, und zwar das Hoftor, das du schon angefangen hattest. Habe erst noch den ganzen Rost abgebürstet und - geschmirgelt und anschließend mit dem Streichen begonnen. Bestimmt über zwei Stunden war ich zugange, und anschließend hatte ich Schmerzen im linken Daumen, du weißt schon, der ist noch vom Volleyballspielen damals lädiert. Die gesamte Zeit über - beim Streichen - habe ich den Farbtopf in der linken Hand gehalten, und das hat dem Daumen überhaupt nicht gefallen. Aber ich war zum Schluss richtig stolz auf meine Leistung. Morgen hole ich mir Hilfe zum Umdrehen und streiche noch die Rückseite.

Außerdem habe ich Wäsche gewaschen und aufgehängt, Blumen gegossen, Silvia war da, und wir haben Chili con Carne gekocht und zu Mittag gegessen. Abends habe ich die Tiere gefüttert, da war Silvia auch dabei, und abends, das weiß ich nicht mehr genau, wahrscheinlich Gitarre gespielt und gelesen. Lisa hat mir bei ihrem Besuch in der Tagesklinik den letzten der Harry Potter Bände mitgebracht, und das war genau die richtige Lektüre für mich zu diesem Zeitpunkt.

Heute war ich schon früh auf den Beinen, hab schon um sieben gefrühstückt und noch vor acht auf der Ranch alles durchgefüttert. Um zehn war ich mit Silvia verabredet zum Pferdeputzen, und vorher haben wir noch gemütlich Tee getrunken - Ingwer-Limone, du hättest es ausgespuckt, so scharf war das - und über alles Mögliche geklönt. Silvia hilft mir mit der Trauerarbeit, und ich bilde mir ein, ich komme gut voran.

Jetzt bin ich doch unsicher geworden; ich glaube, das Kochen war heute, nicht gestern, aber egal, jedenfalls gab's Chili con Carne, davon habe ich heute Abend noch gegessen. Vor dem abendlichen Füttern war wieder Teezeit, diesmal Apfel, mmh, lecker, und Silvia hat mir geraten, aufzuschreiben, was ich alles kann und wer ich bin. Sie hat dann auch gleich angefangen mit einem Fremdbild, hat also aus ihrer Sicht alles notiert, was ich kann und bin.

Dieses Thema war aufgekommen, weil ich mich so schwer von der Lehrerrolle lösen kann. "Ich bin da auch richtig reingewachsen", habe ich zu Silvia gesagt, "und hoffe immer noch, irgendwann und irgendwo die passende Schule für mich zu finden." Auf der anderen Seite möchte ich auch wieder anfangen, mich "breiter aufzustellen", wie mir das der Therapeut schon letztes Jahr in der Reha geraten hatte.

Eigentlich brauche ich dir das doch gar nicht alles berichten, du kannst doch vom Ausguck herunter mich beobachten? Andererseits nehme ich nicht an, dass du ständig dort hockst und mir zusiehst. Du hast ja geschrieben, dass du viel Zeit mit deinen Brüdern verbringst, dass du zum Fußball und zum Skat gehst. Ich finde es aber doch sehr ungerecht, wenn nur ich trauern muss, und du dir dort oben eine schöne Zeit machst! Das musste ich noch loswerden.

Liebe Grüße an alle, die mich kennen!

Deine Jutta

Liebe Jutta (3) Montag, 16.04.2012
So, da hast du also Samstag das Hoftor weiter gestrichen, das ich angefangen hatte. Wolltest wohl allen Nachbarn zeigen, dass du alles in meinem Sinne weitermachen willst? Das ist tapfer von dir, aber eigentlich unnötig. Du kannst doch Micha oder Peter beauftragen, die haben noch jüngere Hände als du und keine Schmerzen im Daumen. Aber ich glaube, du hattest einfach das Bedürfnis, eine von mir begonnene Arbeit weiter zu machen, um mir irgendwie nahe zu sein.

Das kann ich gut verstehen. Ich hätte im umgekehrten Falle wohl auch mal die Pferde gestriegelt oder mit dem Hund einen langen Spaziergang gemacht, um mit diesem Tun dir nahe zu kommen. Wein doch nicht, mein Schatz, das tut mir jetzt Leid, ich wollte dich nicht zum Weinen bringen. Aber wein dich nur aus, stell dir vor, dass ich dich in den Arm nehme und dich tröste.

Du hast aber auch ein Pech: Früher hast du geweint, weil du es in der Schule schwer hattest und oft nicht mehr weiter wusstest; jetzt weinst du, weil ich nicht mehr bei dir sein kann, weil du allein in der großen Wohnung bist, weil du den leeren Fernsehsessel vor Augen hast und das leere Bett. Irgendwie scheint es immer einen triftigen Grund zum traurig sein zu geben.

Ich kann dir aber versichern, dass auch wieder hellere Tage kommen werden, dass du dieses Tal der Trauer durchwandern musst, um auf der anderen Seite die Freude und das Glück für dich wieder zu entdecken und dankbar dafür zu sein. Und einen Anfang hast du doch schon gemacht. In deinen Bildern kann ich es erkennen, die Hoffnung, die Aufbruchsstimmung, die Ahnung einer neuen Freiheit.

Du weißt ja, dass wir beide zusammengewachsen waren wie zwei Bäume, deren Äste sich umeinander schlingen. Da entsteht zunächst eine große Leere und Einsamkeit, wenn einer von ihnen gefällt wird, und der übrig gebliebene fühlt die erste Zeit nur den schmerzhaften Verlust. Aber im Laufe der Tage, Wochen und Monate entsteht auch ein Gefühl für neue Möglichkeiten, für neues Wachstum an der leeren Seite.

Bin heute richtig philosophisch aufgelegt, hast du das bemerkt? Ja, auch ich kann über Gott und die Welt philosophieren. Dabei wollte ich eigentlich nur deinen letzten Brief beantworten, gewissenhaft Punkt für Punkt, wie ich mir das vorgenommen habe. Heute ist Harfenspiel und Hosiannasingen auf dem Plan, da kann ich schon mal fehlen, ist mir sowieso zu langweilig.

Dass dir deine Freundin Silvia zur Seite steht, finde ich gut, habe auch nichts anderes erwartet. Ich kann mir genau vorstellen, wie ihr über einer Kanne Apfeltee Träume deutet und Selbstbilder verfasst. Sie ist genau die Richtige, um dich aufzubauen, wenn du am Boden bist, und dir den Kopf zu waschen, wenn du Maß und Ziel verlierst.

Über deine mentalen Defizite (der Begriff stammt von dir!) mach dir mal keine Sorgen, ich glaube auch, dass sich das mit der Zeit wieder verliert. Ist einfach ein bißchen viel auf einmal, was du verarbeiten sollst. Da kann man schon mal an Gedächtnislücken und Konzentrationsmängeln leiden.

Übrigens bin ich auch deiner Tochter im Traum erschienen, hat sie dir das erzählt? Genau genommen war es nur meine Stimme am Telefon, ich wollte ihr sagen, dass sie auf dich achten soll. Obwohl, wenn ich es recht bedenke, wie soll sie das wohl machen auf die Entfernung? Aber ihr werdet das schon auf die Reihe kriegen, euch Emails schreiben zum Beispiel.

Da kommen die Kumpels vom Harfenspiel zurück, hoffentlich ist niemandem aufgefallen, dass ich nicht da war. Das gibt nämlich gleich Ausgucksperre und Skatverbot. Raue Sitten hier oben, das kann ich dir sagen. Ich muss Schluss machen.

Liebe Grüße

Dein Werner
******f63 Mann
52 Beiträge
Mut
Hast du!!! Finde ich schon die ganze Zeit. Ahoi Seewolf
**********gosto Frau
16.056 Beiträge
Themenersteller 
Briefwechsel mit dem Jenseits (4/8)
Lieber Werner (4) Mittwoch, 18.04.2012
Weißt du eigentlich, dass du mich jetzt mehr beschäftigst als früher? Ich meine garnicht die Arbeit mir den Tieren und dem übrigen Kram. Aber in den Gedanken bin ich noch viel öfter und intensiver mit dir befasst als zu deinen Lebzeiten, wenn ich das mal so sagen darf. Heute morgen kam mir gleich mit dem Aufstehen das Lied von Reinhard Mey in den Sinn. Es heißt "Wie vor Jahr und Tag" und geht so:

Wie vor Jahr und Tag liebe ich dich doch,
vielleicht weiser nur und bewusster noch,
und noch immerfort ist ein Tag ohne dich
ein verlor'ner Tag, verlorne Zeit für mich.
Wie vor Jahr und Tag ist noch immerfort
das Glück und dein Name das selbe Wort,
[...]

Zu Anfang hatte ich mir gedacht, ich könnte die Trauerarbeit so nebenbei zuhause erledigen: Gitarre spielen und dabei an dich denken, diese Briefe an dich schreiben und deine Antworten darauf,- und dann hat mir der gestrige Tag deutlich vor Augen geführt, dass ich in dieser Angelegenheit nicht zu bestimmen habe, dass dies von anderer Seite - aber welcher? - entschieden wird, wann, auf welche Weise, wie lange und in welcher Intensität ich um dich trauern muss.

Diese Erkenntnis ist alles andere als erfreulich für mich. Kaum war ich gestern in der Tagesklinik angekommen, hat mich ein heftiger Weinkrampf so unerwartet erfasst, dass ich mich nur noch flugs in den Rückzugsraum verziehen konnte. Ohne Frühstück! Das war nicht lustig!

Ich konnte den ganzen Tag über nichts anderes machen als weinen. Keine Therapie, schon gar keine Ergo, was ja immer noch das Schönste ist, nicht nur für mich, auch für die anderen.

Nachmittags hatte ich dann meinen Termin bei der Patientenseelsorge, den Frau Graupner für mich abgemacht hatte. Da habe ich eine sehr sympathische Frau Dr. Hauskeller kennengelernt. Bei ihr ging's mit dem Heulen weiter, ich habe ihr alles erzählt von dieser schlimmen Nacht, als du gestorben bist und ich nichts tun konnte, Dass ich mir vorwerfen muss, dir nicht rechtzeitig geholfen zu haben, weil ich dachte, du machst Spaß, als du so geröchelt hast. Vielleicht hätte dich der Notarzt wiederbeleben können, wenn ich rechtzeitig reagiert hätte. So warst du ein für alle mal tot, als der Rettungswagen ankam, und das lässt mir jetzt keine Ruhe mehr.

Auch meine Gefühle für dich sind jetzt anders, viel intensiver als früher, so als hätte ich dich früher gar nicht richtig geliebt, sondern erst jetzt, nachdem ich dich verloren habe. Oder müsste ich sonst den ganzen Tag mit diesem Liebeslied im Kopf herumlaufen? Als du noch gelebt hast, konnte ich sogar an andere Männer denken, das kam mir nicht unrecht oder unmoralisch vor, sondern ganz normal. Jetzt ist mein Kopf nur noch voll von dir.

Eigentlich sollten diese Wochen in der Tagesklinik für meine Therapie sein und mir Klarheit verschaffen, wie das nun beruflich mit mir weitergehen soll. Stattdessen hast du mich regelrecht okkupiert, die Trauer um dich hat alles andere in den Hintergrund gedrängt. Und das macht mich auch richtig zornig! Ich nehme dir das übel, dass du's nur weißt!

Deine wütende Witwe


Liebe Jutta (4) Freitag, 20.04.2012
Dein Brief hat mich sehr berührt, und deine intensiven Gefühle für mich stimmen mich froh und traurig zugleich. Froh, weil ich erkenne, wie viel ich dir bedeute, traurig, weil ich deine Trauer wahrnehme, dir aber wenig helfen kann. Der Schmerz über den Verlust eines geliebten Menschen ist ein ganz persönliches Gefühl, das du allein empfindest und auch allein bewältigen musst.

Sicher hilft es dir, wenn du mit deiner Freundin Eva redest, die auch kürzlich ihren Mann verloren hat. Aber die Leere in deinem Leben, die durch meinen Weggang entstanden ist, kann niemand schönreden oder wegzaubern. Ich muss dich auch davor warnen, allzu schnell eine neue Bindung einzugehen, weil du glaubst, ein neuer Lebensgefährte sei die Lösung deiner Probleme und die Antwort auf alle Fragen, die auf deinem weiteren Weg auf dich warten.

Lass dir Zeit mit allem, was du tust. Nimm dir Zeit für alles, was du vorhast oder andere an dich herantragen. Sei nachsichtig mit dir, wenn nicht alles auf Anhieb so klappt wie du dir das gewünscht hast. Sei auch nachsichtig mit deinen Mitmenschen, die dir helfen wollen und vielleicht ein Zuviel oder Zuwenig anbieten.

So wie du in der Tagesklinik, mit deinen Mitpatienten zusammen, einen Wochenrückblick vornimmst und einen Ausblick auf das bevorstehende Wochenende und die kommende Woche, so solltest du auch in allem, was du für die Häuser und Mieter, die Ranch und ihre Tiere unternimmst, von Zeit zu Zeit ein paar Schritte zurücktreten, die unternommenen Schritte noch einmal überprüfen und alle Vorhaben nach Vor- und Nachteilen abwägen.

Ich möchte dir auch den Vorschlag machen, wichtige Entscheidungen, die weitreichende Folgen haben, mit Volker zu besprechen, nicht nur, weil er mich beerben wird, sondern auch, weil er meinen Geschäftssinn besitzt.

Eigentlich will ich aber weniger über Geschäfte und Finanzen reden und mehr über deine Gefühle, so wie du sie mir in deinem Brief geschildert hast. Ich weiß doch, dass du mich sehr liebhast und dass ich der wichtigste Mensch in deinem Leben war und bin. Ich weiß aber auch, dass du in deinem großen Herzen auch Platz für andere Männer hast. Deinen Lieblingskollegen zum Beispiel hast du mit deiner Zuneigung regelrecht verfolgt, ihn dadurch verschreckt und zuletzt seine Freundschaft verloren. Dass er dich abgewiesen und sich von dir abgewandt hat, kannst du nur schwer ertragen, und wahrscheinlich wirst du auf die eine oder andere Art dich rächen und ihn bestrafen wollen.

Ich vermute nämlich, dass dies der eigentliche Antrieb ist, der hinter deinem neuerlichen Entschluss steht, den Romanentwurf wiederum zu ändern und Jorinds Frivolitäten doch wieder als Romangeschehen und nicht als Fantasien deiner Heldin darzustellen. Du denkst, wenn er nicht mehr dein Freund sein will, brauchst du auch keine Rücksicht auf seine Gefühle zu nehmen und strafst ihn sozusagen dadurch ab, dass du den "Lieblingskollegen" als heimlichen Liebhaber deiner Heldin erscheinen lässt. Ich möchte dir hier nicht reinreden, sondern nur zu bedenken geben, dass Gemeinheiten, die du aus Rachsucht begehst, auch Folgen für dich haben könnten, die die Genugtuung, die du empfinden magst, mehr als aufwiegen.

Soviel für heute. Ich will morgen noch weiter schreiben und dir einiges zu deinen Schuldgefühlen sagen und zu deiner Wut. Liebe "wütende Witwe": bis morgen!


Liebe "wütende Witwe" Sonntag, 22.04.2012
Hier bin ich wieder! Das hat nun doch länger gedauert als ich dachte! Ich wollte ja eigentlich schon gestern den Brief fertig schreiben, aber dann habe ich gemerkt, dass ich noch ein wenig Zeit brauche, um alles gründlich zu überlegen, was ich dir antworten will. Ich möchte nämlich vermeiden, etwas auf die Schnelle zu schreiben, was du falsch auffassen könntest oder womit ich dich verletzen oder noch trauriger machen würde.

Offenbar machst du dir Vorwürfe, dass du nicht schnell genug reagiert hast bei meinem Herzinfarkt? Ich weiß ja nun nicht genau, wie alles abgelaufen ist, kann mich nur noch bruchstückhaft erinnern, dass ich nach dem Fußballspiel Bayern gegen Marseille ins Bett gegangen bin. Du hast, glaube ich, gesagt, du würdest gleich nachkommen, wolltest nur noch deine Emails checken.

Das Nächste, an das ich mich erinnere, ist eine Art Schweben. Ich habe mich selbst im Bett liegen sehen, und du ranntest panisch in der Wohnung herum, hast die Polizei angerufen, dann den Rettungswagen, danach bist du aus dem Vordereingang gelaufen, hast auf den Stufen zur Straße gestanden und laut geweint und dabei immer gerufen: "Oh Gott, oh Gott!"

Dann bist du zum hinteren Eingang, hast die Tür aufgerissen und hinausgesehen, und wieder zurück zum Haupteingang, so ging das die ganze Zeit, bis der Rettungswagen kam, und die ganze Zeit hast du laut geweint, wie ich noch nie jemanden habe weinen sehen, du hast schnell und keuchend geatmet, warst völlig unter Schock.

Ich wüsste nicht, was du hättest anders machen können, das musst du mir nochmal genauer erklären, warum du denkst, du hättest etwas falsch gemacht. Schreib mir doch bitte in deinem nächsten Brief ganz genau, was nacheinander passiert ist, von dem Zeitpunkt an, wo ich ins Bett bin. Vielleicht kann ich dann etwas klarer sehen.

Dass du wütend bist, weil du trauern musst und mich vermisst, während ich mir hier oben "eine schöne Zeit mache", wie du schreibst, kann ich gut nachfühlen, aber daran ist nun mal nichts zu ändern. Manche Dinge muss man einfach hinnehmen, wie sie kommen. Man muss sie durchleben und daran reifen, und das wird auch dir gelingen, da bin ich ganz sicher. Gib acht, dass die Verzweiflung nicht zu groß wird und du vielleicht etwas Unüberlegtes tust, wie das manchmal deine Art ist. Nimm alle Hilfe an, die du kriegen kannst, rede mit allen, die dir zuhören wollen, und nimm ihre Teilnahme und ihr Mitgefühl an.

Wenn du dich vor ein Auto wirfst oder auf andere Weise allem Schmerz ein Ende machen willst, ist damit nichts gewonnen und niemandem geholfen. Du würdest damit nur den vielen Menschen, die dich lieben und schätzen, ein großes Leid antun, und das willst du doch nicht, oder?

Du siehst, ich kenne dich sehr genau, ist ja auch kein Wunder, nach der langen Zeit, die wir zusammen verbracht haben. Also Kopf hoch und lass den Schmerz heraus, wein dich aus, aber lass dich nicht von Verzweiflung überwältigen. Wenn du merkst, es wird dir alles zuviel, dann sprich in der Tagesklinik mit jemandem, der dir helfen kann. Versprochen?

Bis demnächst also und mach's gut!

Dein Werner

P.S. Da fällt mir noch ein: Ich kann mal hier an der Information nachfragen, es gibt Hilfen für Hinterbliebene, z.B. Schutzengel. Mal sehen, was ich für dich tun kann.
**********gosto Frau
16.056 Beiträge
Themenersteller 
Briefwechsel mit dem Jenseits (5/8)
Lieber Klugscheißer (Werner) (5) Mittwoch, 25.04.2012

Das macht Spaß, was? Anderen Ratschläge geben und selber fein raus sein und zusehen, wie sie sich hier unten rumquälen! Aber lass uns mal deine Ratschläge nacheinander durchsprechen.

Ratschlag Nr. 1: "Ich muss dich auch davor warnen, allzu schnell eine neue Bindung einzugehen [...]"

Also, das lass mal getrost meine Sorge sein, wann und wie ich deinen Nachfolger in Amt und Würden einsetze. Traust du mir so wenig gesunden Menschenverstand zu, dass du annimmst, ich würde Hals über Kopf mich jemandem an den Hals werfen, nur weil ich gelegentlich ein paar Streicheleinheiten vermisse? Im Gegenteil, ich habe mir schon überlegt - der Gedanke kam mir heute im Laufe des Tages und ich fand ihn ganz witzig - dass ich, um meiner lebhaften Libido einen Dämpfer zu versetzen, nächstens einen Text schreiben werde über eine Szene, in der Jorind heimlich einen jungen Mann oder ein Liebespaar o.ä. beim Nackbaden plus minus weiteren Aktivitäten beobachtet. Titel: Die lüsterne Greisin" - in Abwandlung des berühmten Gemäldes "Susanna im Bade oder Die lüsternen Greise". Das dürfte doch als Abkühlung genügen, oder nicht?Soviel dazu!

Ratschlag Nr. 2: "Lass dir Zeit mit allem, wa du tust [...]"

Tja, mein Lieber, da versteht sich doch von selbst. Falls ich aber mal Lust verspüren sollte, einen raschen Entschluss zu fassen, so werde ich das tun, und keiner soll mich hindern, du schon gar nicht! Wäre mir ein Vergnügen, dich dort oben am Ausguck mal so richtig in Rage zu bringen, weil ich was mache, wa dir nicht passt!

Ratschlag Nr. 3: "Nimm dir Zeit für alles, wa du vorhast [...]"

Siehe oben, kann ich da nur sagen. Vermutlich hat du dich hier ein paar Mal wiederholt, um mir deinen Rat so richtig dick unter die Nase zu reiben.

Ratschlag Nr. 4: " ... so solltest du [...] die unternommenen Schritte noch einmal überprüfen [...]"

Das ist ja eine tolle Idee, hinterher zu schauen, wie blöde ich gehandelt habe! Das mache ich doch vorher schon!

Ratschlag Nr. 5: "Ich möchte dir auch den Vorschlag machen, wichtige Entscheidungen [...] mit Volker zu besprechen [...]"

Da würde dir so passen, noch posthum allen Beteiligten deinen Willen aufzuzwingen! Da wäre ich ja nie im Leben drauf gekommen, etwas mit Volker zu besprechen! Stell dir vor, das habe ich sogar schon gemacht! Und ganz ohne dass mir jemand dazu raten musste.

Ratschlag Nr. 6: "möchte -

Muss morgen weiterschreiben, hab jetzt keine Zeit mehr! Bis denne!


Dienstag, 01.05.2012

Hier bin ich wieder! Also weiter:

Ratschlag Nr. 6: "möchte [...] nur zu bedenken geben, dass Gemeinheiten, die du aus Rachsucht begehst, auch Folgen für dich haben können [...]"

Also, das ist doch der Gipfel der Klugscheißerei! Ein für allemal: Wie ich den Roman konzipiere, ist ja wohl meine Sache, da darfst du dich ruhig raushalten! Ich glaube fast, du hast dort oben zu viel Freizeit und denkst dir aus lauter Langeweile Verhaltensregeln für mich aus. Ich werde Jorinds Beziehung zu ihrem Lieblingskollegen aus literaturtechnischen und werkimmanenten Gesichtspunkten heraus anlegen, und wie genau das schließlich aussehen wird, weiß ich selbst noch nicht.

Deinen Wunsch, dir genau zu schildern, wie das in dieser schlimmen Nacht abgelaufen ist, kann ich dir noch nicht erfüllen. Da liegen noch zu viele Emotionen drin, Schuldgefühle vor allem, die mir in der vergangenen Woche zweimal in der Tagesklinik den ganzen Tag mit Weinkrämpfen und Therapeutengeprächen gefüllt haben. Ich bin jetzt noch ganz erledigt, wenn ich nur daran denke. Also gib mir noch etwas Zeit.

Übrigens habe ich bei Wikipedia über die "Phasen der Trauer" nachgelesen und weiß jetzt, das ich einen ganz normalen Prozess durchlaufe mit meiner Trauerarbeit. Dieses Wissen macht es mir möglich, mehr Geduld mit mir zu haben, wenn ich das Gefühl habe, in meiner Therapie nicht richtig weiter zu kommen. Herr Mätzchen, mein Therapeut, - übrigens ein hübscher kleiner Knackarsch - meint, dass diese Trauerarbeit sich als nützlich erweisen wird, auch für die Bearbeitung der anderen Themen, also keine Verzögerung oder gar verlorene Zeit bedeutet.

Um nochmal auf das Buch zurückzukommen ... Mein Therapeut und ich haben uns Gedanken darüber gemacht, ob Jorinds Theo jetzt auch sterben wird, weil du im richtigen Leben gestorben bist, und wie die Geschichte dann ausgehen könnte. Ich habe da heute beim Zaunreparieren - du liest ganz richtig: Ich habe heute die Sommerweide startklar gemacht, ganz alleine! - jedenfalls habe ich eine wunderbare Idee gehabt und bin sicher, dass das Buch dadurch einen tröstlichen und harmonischen Schluss bekommen wird. Dir wird es vielleicht nicht ganz so gefallen, wenn ich dir sage, dass Jorind und ihr Lieblingskollege sich "kriegen" sollen, und zwar wird es so ausgehen, dass Theo an einem Herzinfarkt stirbt (wie originell!), Jorind ganz dolle trauert, und der Lieblingskollege schließlich zu der Einsicht gelangt, dass sie nicht nur eine wunderbare Gespielin war, sondern genau die richtige Frau für den Rest seines Lebens ist. Wenigstens im Roman soll es mal wunschgemäß zugehen!

Aber das Wichtigste habe ich noch gar nicht erwähnt: Ich habe mich entschieden, zu meinem Sechzigsten im Sommer nicht nur ein großes Familienfest mit allen Geschwistern und deren Kindern zu feiern, sondern auch in Rente zu gehen und nicht, wie du gehofft hattest, bis fünfundsechzig zu arbeiten. Kannst du dir vorstellen, wie herrlich ich mich gefühlt habe, als ich diesen Entschluss gefasst habe? Mir war plötzlich so leicht, es hat sich angefühlt, als ob ich gleich abheben und fliegen würde! Du wirst sehen, dass das doch die einzig richtige Entscheidung ist. Selbst wenn es in der Umsetzung immer wieder mal ein paar Tränen und viel Trennungsschmerz geben wird, z.B. wenn ich meine ganzen Sachen aus der Schule holen werde oder mich von den Kollegen verabschieden muss - vielleicht gibt es sogar einen Blumenstrauß von der Chefin?

Trösten wird mich dabei der Gedanke, das ich ja jederzeit der Schule einen Besuch abstatten kann, falls ich überhaupt den Drang danach haben sollte. Noch eher vermute ich aber, dass ich mich in dem neuen Leben so wohl fühlen werde, dass sich das Heimweh nach dem Lehrerjob in Grenzen halten wird.Heute z.B. habe ich mir bereits ausgemalt, wie mein "neues Leben" aussehen könnte. Beim Zaunreparieren liegen solche Gedanken ja nahe. Die Ranch bekam einen schönen Hundezwinger und Jamie einen jungen Gefährten (genau wie Jorind), damit ich nicht mehr darauf angewiesen bin, einen Hundesitter für sie zu finden.

Hoffentlich habe ich dich jetzt nicht vor den Kopf gestoßen mit meinen Zukunftsträumereien. Sie helfen mir eben, mich in diesem "Leben ohne dich" zurechtzufinden.

In Liebe

Deine Jutta


Liebe Zukunftsträumerin (Jutta)! (5)

Dass du mich als Klugscheißer betitelst, hat mir ein herzhaftes Lachen beschert. Immer noch ganz du selbst! Dennoch mache ich mir Sorgen um dich. Weil ich mal "live" erleben wollte, wie du so zurechtkommst, habe ich gestern einen ganzen Tag am Ausguck verbracht. Wollte mich vergewissern, ob auch alles so zutrifft, wie du das immer so forsch berichtest.

Und da habe ich eben nicht nur die tapfere Jutta gesehen, die alles meistert, was der Alltag ihr so abverlangt, sondern auch eine unsichere, ratlose und tieftraurige, die mich so sehr vermisst, dass ich alles dafür gegeben hätte, wenn ich nur wieder bei dir sein könnte! Auch wie du dich mit dem Grünfutter abplagst, wenn es nass und der Bigpack dann viel zu schwer für dich ist. Oder wie du mit einem Fliedersträußchen über den Friedhof wanderst, am Rosenhain in die Hocke gehst und dich lange weinend hin und her wiegst.

Ich habe beobachtet, wie du heulend am PC sitzt und einen Brief an mich schreibst oder meine Antwort darauf. Habe auch mitbekommen, dass du nur widerwillig die Hilfe der Mieter annimmst, weil du dich nicht ihnen verpflichtet fühlen willst und Angst hast, sie könnten eine Gegenleistung verlangen, die du nicht zu geben bereit bist. Vor allem dass Andreas und Peter um dich herumschleichen wie Kater um den heißen Brei und wie widerlich du das findest.

Ja, das ist eine ganz schwierige Situation für dich, und ich verstehe, dass du manchmal am liebsten alles hinschmeißen und flüchten würdest, wohin auch immer. Alles besser als so zu leben, denkst du oft, aber die Gespräche mit den Therapeuten lassen dich immer wieder Hoffnung schöpfen, dass das Leben vielleicht eines Tages doch wieder leichter werden könnte. Ein Hoch auf diese Schutzengel! Du hast richtig gelesen, als ich mich nämlich gestern bei der Information hier oben erkundigen wollte, ob man dir einen Schutzengel schicken könne, habe ich erfahren, dass du bereits mit dem kompletten Hilfspacket versorgt worden bist.

Also Kopf hoch, mein Schatz, es wird alles dafür getan, um dich vor anderen und vor dir selbst zu schützen. Übrigens gehört auch deine Freundin Silvia zu dieser Hilfstruppe, obwohl sie eigentlich genug mit sich selbst zu tun hat. Aber sie hatte sich freiwillig gemeldet, und man wollte sie nicht durch eine Absage kränken. Sie neigt leider dazu, sich zu engagiert einzubringen und sich zu hohe Maßstäbe zu setzen, bis sie schließlich an ihre Grenzen stößt und selber Hilfe braucht.

Deine Geschwister gehören ebenfalls dazu, was du vermutlich selbst schon gemerkt hast, und auch diese erstaunliche Frau Dr. Hauskeller, deren Ruf schon zu ihren Lebzeiten bis nach hier oben gedrungen ist. Und - aber psst! Das ist noch ein Geheimnis! - dein neuer Gefährte ist schon in die Spur gesetzt worden, um dir eines Tage zu begegnen. Aber wann, wo und wie, das darf ich nun wirklich nicht verraten. Ich finde übrigens, dass man hier eine gute Wahl getroffen hat, und du wirst mir bestimmt beipflichten, wenn es soweit ist. Also: Lauf nicht länger jemandem hinterher, der nichts von dir wissen will und sowieso nicht zu dir passt! Geh mit offenen Augen durch die Welt und du wirst ihn erkennen.

Soviel für heute. Ich hoffe, dass ich dich ein bisschen trösten und ermutigen konnte. Das ist ja schließlich der Sinn dieser Briefe, und wenn es dir so viel bedeutet, können es noch viel mehr werden.

In Liebe

Dein "Klugscheißer" Werner
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