Das Budo - Ding
Ihr Lieben, hier ein Aufsatz. Ich möchte eure Meinung dazu Budō und saho
Ich habe mir seit nunmehr vielen Jahren Gedanken über „Budō“ gemacht. Bu – dō, der Weg des Kriegers. Ja. Nein. Jein. Na… das träfe auch für russische und Nordvietnamesische Krieger (Soldaten) zu. Ist das so? Oder sind das alles nur normative Werte, die jeder für sich allein interpretieren und auslegen kann? Ich antworte in japanischer Manier: Vielleicht.
Vielleicht betrachten wir alle zunächst unseren Schwertgriff. Bei eingestecktem Schwert ist die äußere Seite, die, wo hinter der fuchi kein Diamant zu sehen ist: omote. Omote bedeutet, das Sichtbare, Offensichtliche. Das, was gesehen werden soll. Demnach ist die innere Seite ura: das Verborgene. Ich betrachte Budō als omote. Starke, normative Werte, die vielleicht ein Zusammenleben erleichtern. Scheinbar gründet sich „Budō“ auf den Bushidō-Kodex der Samurai. Und doch: Haben sich die Samurai immer und zu jeder Zeit daran gehalten? Das darf stark bezweifelt werden.
Wir Menschen der westlichen Welt, und somit die Vertreter westlicher Moral und Ethik, haben eines gemeinsam: Wir verstehen uns! Von Island bis Bagdad, von Kalifornien bis Südafrika. Zu Zeiten vieler Konflikte scheint das surreal, aber dennoch haben wir eine gemeinsame ethische Basis. Man sticht niemanden von hinten ab. Man schlägt keine Frauen. Man quält keine Kinder. Man schlägt nicht erneut zu, wenn jemand schon am Boden liegt. Man stoppt eine Aktion, wenn abgeschlagen wird. Man lügt nicht. Und so weiter… aber tun wir das? Wirklich?
Was, wenn deine Mutter den besten Gänsebraten gekocht hat, den sie jemals für die Familie zubereitet hat und fragt: „Schmeckt es dir, mein Junge?“
Spätestens hier entpuppt sich Budō als Krücke schwacher Geister. Natürlich müsste man der Mutter, sofern man die Werte des Budo 100%ig vertritt sagen: „Nee, Mama, das Ding ist fade und geschmacklos!“ Aber das machen wir nicht. Wir wahren unser Gesicht und das der Mutter, des Hauses und des Familienfriedens, wenn wir den Gummivogel lächelnd in uns hineinstopfen und auf dem Heimweg bei McDonalds vorbeischauen. Es gilt hier abzuwägen, was wichtiger scheint. Das Gesicht und die Zufriedenheit der Mutter, oder eine Wahrheit, die die nächsten Wochen und Monate für schlechte Laune sorgt.
Genauso ist Bushidō. Eine Sammlung genormter Richtwerte, die vollkommen idealisiert und überhöht sind. Bushidō, und in der Folge Budō, sind wie rote Ampeln in Paris: Ein Vorschlag. Man KANN das alles einhalten, jedoch bekommt man hierzulande eine Menge Probleme, lebt man die Bushidō-Regeln. Ich vermute, so haben sich auch die Samurai verhalten: Abwägend.
Ich denke, es ist viel wichtiger, die ura-Seite des Ganzen zu sehen. S A H O. Reishiki ist die Etikette. Saho ist das Benehmen. Reishiki ohne Benehmen ist eine Bedienungsanleitung, Saho ohne Etikette ist kalt und tot. Daher verbindet man beides zu: ReiHo. Hier wird offenbar, dass die Etikette das Kleid ist, das das Benehmen wärmend umhüllt.
Ich betreibe Kampfkunst, seit ich 8 Jahre alt war. Meine beiden ersten Sensei im Judō waren Bauszus Sensei und Lewicki Sensei. Es waren weise Lehrer. Sie lehrten mich saho, lange bevor ich wusste, was Budō oder Reishiki bedeutet. Auf meinem ersten Judō-Turnier versagte ich kläglich. Niemand meiner Kameraden hatte es für nötig befunden, mir zu erzählen, dass erfahrene Judōka Wochen vor einem Turnier beginnen, zu hungern und Gewicht zu verlieren. Mithin könnte der „Kollege“ ja später ein Gegner sein. Also trat ich gegen einen Berg von Kerl an. Gefühlt sah er aus, wie Hulk im Pyjama. Es dauerte auch nicht lange, und mein Leiden war beendet.
Später im Dōjō jedoch sagte Lewicki Sensei, ich hätte mich wie ein Samurai geschlagen. In aussichtsloser Position alles versucht und nicht aufgegeben. Ich war ein würdiger Verlierer. Bauszus Sensei sagte mir, das wäre viel wichtiger, als immer zu gewinnen. Wörtlich: „Entweder du gewinnst, oder du lernst. Es kommt nicht drauf an. Es ist nur wichtig, WIE du kämpfst. Ganz besonders außerhalb des shiaijō!“
Ich bin jetzt 63, aber diese Lektion hat mich mein Leben lang begleitet. Diese Traditionen weiser Sensei ist es, die den Unterschied machen. Leider braucht man manchmal viele Jahre, seine eigene Position zu bestimmen. Manchmal findet man sich dort wieder, wo man sich selbst sieht, manchmal jedoch wird offenbar, dass man noch ein Stück Weg vor sich hat.
Für mich ist saho der entscheidende Punkt. Anstand und Benehmen, auch wenn es schmerzt. Aus diesem Grund liebe ich traditionelle Kampfkünste. In Kampfkünsten wie MMA oder Krav Maga geht es nicht um Reishiki oder saho, im Gegenteil. Bei den reinen Selbstverteidigungkünsten wäre das sogar hinderlich. Und es ist auch gar nicht das Ziel.
Als ich das erste Mal auf den Norddeutschen Iaidō-Meisterschaften antrat, gab es eine für mich neue Regel: kachi-nuki. Siegen oder ausscheiden. Last man standing. Lernen durch aufeinander folgende Siege oder ausscheiden. Natürlich ist es eher unwahrscheinlich, dass ein Mudan (ohne Graduierung) einen Godan im Kampf schlägt. Aber darum geht es nicht: Es geht darum, mutig nach vorn zu schreiten, wo die Engel furchtsam weichen: Sich selbst ausprobieren. Weiter und immer weiter, bis, ja bis man in Ehren fällt. Eine der wichtigen Lektionen in meinem Leben. Beim kachi-nuki ist es nicht ausdrücklich wichtig, saho zu entwickeln, aber es ergibt sich automatisch aus der Art, wie man kämpft.
Der ura-Anteil des Budō erklärt sich viel leichter, wenn wir aufmerksam beobachten, dass das persönliche Verhalten und die ständige Aufrechterhaltung eines starken Geistes wichtiger sind, als oberflächliche Dinge wie Pokale oder blutende Gegner.
Natürlich bildet ein Training, eine Prüfung oder ein Taikai keine ernsthafte Kampfsituation ab. Dennoch gelten viele Dinge gleich. Zanshin. Metsuke. Seme. All das ist wichtig und Teil des saho. Es würde wohl niemandem einfallen, sich nach einer Iaidō-Kata umzudrehen und zum Startpunkt zu gehen. Das wäre eine Lücke im saho! Dasselbe gilt für Sumotori. Egal, was ist, sie wenden sich niemals den Rücken zu. Täte es einer doch, wäre der Kampf augenblicklich verloren! Wir müssen lernen, dass saho Teil unseres Charakters wird und niemals aufhört.