Hab dazu grad einen interessanten Artikel gefunden:
Von der Angst davor, „zu nett“ zu sein
Nett zu sein ist heutzutage fast eine Beleidigung. Doch dass Freundlichkeit ein Problem ist, liegt an veralteten Geschlechtervorstellungen. Zu nett. Zwei Worte, deren Kombination, nüchtern betrachtet, beunruhigend ist. Umso älter man wird, desto mehr scheint es zu einem gesellschaftlichen No-Go geworden zu sein, für andere mitzudenken, empathisch, liebevoll, hilfsbereit, respektvoll zu sein. Und definieren sich mehr Durchsetzungsvermögen und Selbstbestimmung wirklich durch die Abwesenheit von Freundlichkeit? Ja, was wollen wir eigentlich sagen, wenn wir sagen, jemand ist „zu nett“?
Nimm mich ernst … oder in den Arm
Ein Teil in mir ist einfach gerne nett, unabsichtlich aufmerksam. Doch der andere ärgert sich regelmäßig über das eigene gute Herz. Denn im beruflichen Kontext wird Freundlichkeit schnell mit einem Push-Over, zu Deutsch Fußabtreter, verwechselt. Und das passt genauso wenig in das Bild der Erfolgreichen, der Souveränen, dem Bild, dem man irgendwann in seinen Zwanzigern genauso entsprechen möchte wie dem eines guten Menschen, der sich vegan ernährt, sich für Geflüchtete engagiert, nur noch Fahrrad fährt. Das wusste auch schon Bertold Brecht vor mehr als 50 Jahren: „Gute Taten bedeuten Ruin“, lässt er einen seinen Protagonisten in „Der gute Mensch von Sezuan“ seufzen. In einem Karriere-Coaching für das weibliche Geschlecht wurde mir gesagt, dass Frauen oftmals knallharte Argumente bringen und scharfe Kritik äußern – um am Ende dem Gesagten jegliches Fundament zu rauben. Das tun sie mit winzigen Handlungen: ein schiefer Kopf, ein Blick von unten, lächeln. Es ist eine kurze, intuitive Bewegung, die Frauen nicht mehr kompetent, sondern süß wirken lässt, ein „nimm mich ernst“ wird binnen Sekunden in ein „nimm mich in den Arm“ verwandelt. Und auch mich überfällt die verinnerlichte Pose am Ende eines Fachvortrags immer wieder. Wer zu nett scheint, verabschiedet sich vermeintlich von seiner Souveränität.
Freundlichkeit wird mit Flirten verwechselt
Auch im Privaten scheint zu viel Nettigkeit bisweilen problematisch. Gerade zwischen Männern und Frauen kommt es zu Missverständnissen. Es scheint, als würde Freundlichkeit einen in eine devotere und damit schlechtere Position versetzen. Männer haben es in dieser Hinsicht noch schwieriger als Frauen, den Mittelweg zwischen Gentleman und Schoßhund zu treffen. Doch geschlechtsunabhängig gilt auch, dass derjenige, der zuerst, zu schnell, zu viel schreibt, auch als zu anhänglich und damit zu wenig interessant verurteilt wird. Man könnte etwa das Problem des ewigen Wartens so einfach lösen, indem man sich an seine Erziehung erinnert und daran, wie unhöflich es ist, jemanden absichtlich hinzuhalten. Stattdessen lassen wir uns auf die andere Seite ziehen, werden gefühlskalt. Hut ab.
Schlimmer ist in diesem Kontext nur, dass eigentlich jede der Frauen in meinem Bekanntenkreis eine Geschichte davon erzählen kann, dass Freundlichkeit gerne von Männern als Flirtversuch überbewertet werden. Manchmal sogar als Einladung gefährlich fehlinterpretiert. Zu viele nette Gesten werden damit verwechselt, dass es keine Grenzen gibt. Aber jeder Mensch hat Grenzen, wenn diese auch anders liegen, anders zu durchbrechen sind. Doch – und das ist das eigentliche Problem – gerade bei sexueller Gewalt geht es um das Überschreiten von persönlichem Freiraum und damit um Macht und nicht darum „offene Türen einzurennen“.
Where is the poop?
Auch in gleichgeschlechtlichen Bekanntschaften scheint zu viel Freundlichkeit fehl am Platz zu sein. Mit Misstrauen werden „zu liebe“ Mädels beäugt, und wehe sie sind dann auch noch hübsch und intelligent. Da zwängt sich Robins Frage aus How I Met Your Mother gerade nur so auf: „Where ist the poop?“
Die Ambivalenz im Alltag ist schwer auszuhalten. Eigentlich werden wir zu Nettigkeit erzogen, lernen als Kinder, sehr früh vermeintlich gutes Verhalten, um dann als Erwachsene feststellen zu müssen, dass es im wahrsten Sinne zu viel des Guten gibt. Irgendwie undankbar. Doch nicht nur, dass wir so erzogen wurden: Man möchte es kaum glauben, aber es gibt auch Menschen, die einfach auch gerne nett sind, lächeln, an ihre Mitmenschen denken, weniger nachtragend sind, es lieben´, zu helfen.
Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.
Das Problem liegt daran, dass jede Eigenschaft nicht nur für sich steht, sondern diese wiederum beurteilt wird: gut oder schlecht, akzeptiert oder seltsam, männlich oder weiblich. Und auf dieser Metaebene müssen wir auch Bewertungen wie „zu nett“ lesen. Freundlichkeit und jede damit verbundene Geste – vom verständnisvollen Nicken bis zum Vortrag mit Strahlelächeln – ist erstrebenswert UND weiblich. Deshalb werden Männer plötzlich als unsexy verurteilt, sobald sie „zu nett“ sind. Deshalb wird das Mehr an evozierter Weiblichkeit als Konkurrenz wahrgenommen. Deshalb passt zu viel Freundlichkeit nicht in eine kalte, rationale Karrierewelt und wird mit Statusverlust bestraft. Es ist ein veraltetes und doch beständiges Stereotyp, dass Intelligenz nicht mit zu Emotionalität passt. Umgekehrt werden Egoismus und Narzissmus so zu den Gewinnereigenschaften auf den Bühnen unserer Welt.
Das Dilemma zu lösen ist keine einfache Aufgabe. Denn selbst, wenn man sich bewusst fürs Gutsein entscheidet, bedeutet es nicht, dass die Welt sich plötzlich ändert. Doch man selbst setzt sich für seine eigenen Ideale und Vorstellungen ein, für Neudefinitionen von Gender. Und deswegen glaube ich, dass Authentizität – denn der Mensch ist nach meinem Verständnis eben kein Wolf – auf lange Sicht zu mehr Selbstliebe, Größe führt als jedes gespielte Arschloch-Image. Wie schon Erich Kästner sagte: es gibt nichts Gutes, außer man tut es.
Quelle: https://www.zeitjung.de/auth … llschaft-nett/?cn-reloaded=1
Von der Angst davor, „zu nett“ zu sein
Nett zu sein ist heutzutage fast eine Beleidigung. Doch dass Freundlichkeit ein Problem ist, liegt an veralteten Geschlechtervorstellungen. Zu nett. Zwei Worte, deren Kombination, nüchtern betrachtet, beunruhigend ist. Umso älter man wird, desto mehr scheint es zu einem gesellschaftlichen No-Go geworden zu sein, für andere mitzudenken, empathisch, liebevoll, hilfsbereit, respektvoll zu sein. Und definieren sich mehr Durchsetzungsvermögen und Selbstbestimmung wirklich durch die Abwesenheit von Freundlichkeit? Ja, was wollen wir eigentlich sagen, wenn wir sagen, jemand ist „zu nett“?
Nimm mich ernst … oder in den Arm
Ein Teil in mir ist einfach gerne nett, unabsichtlich aufmerksam. Doch der andere ärgert sich regelmäßig über das eigene gute Herz. Denn im beruflichen Kontext wird Freundlichkeit schnell mit einem Push-Over, zu Deutsch Fußabtreter, verwechselt. Und das passt genauso wenig in das Bild der Erfolgreichen, der Souveränen, dem Bild, dem man irgendwann in seinen Zwanzigern genauso entsprechen möchte wie dem eines guten Menschen, der sich vegan ernährt, sich für Geflüchtete engagiert, nur noch Fahrrad fährt. Das wusste auch schon Bertold Brecht vor mehr als 50 Jahren: „Gute Taten bedeuten Ruin“, lässt er einen seinen Protagonisten in „Der gute Mensch von Sezuan“ seufzen. In einem Karriere-Coaching für das weibliche Geschlecht wurde mir gesagt, dass Frauen oftmals knallharte Argumente bringen und scharfe Kritik äußern – um am Ende dem Gesagten jegliches Fundament zu rauben. Das tun sie mit winzigen Handlungen: ein schiefer Kopf, ein Blick von unten, lächeln. Es ist eine kurze, intuitive Bewegung, die Frauen nicht mehr kompetent, sondern süß wirken lässt, ein „nimm mich ernst“ wird binnen Sekunden in ein „nimm mich in den Arm“ verwandelt. Und auch mich überfällt die verinnerlichte Pose am Ende eines Fachvortrags immer wieder. Wer zu nett scheint, verabschiedet sich vermeintlich von seiner Souveränität.
Freundlichkeit wird mit Flirten verwechselt
Auch im Privaten scheint zu viel Nettigkeit bisweilen problematisch. Gerade zwischen Männern und Frauen kommt es zu Missverständnissen. Es scheint, als würde Freundlichkeit einen in eine devotere und damit schlechtere Position versetzen. Männer haben es in dieser Hinsicht noch schwieriger als Frauen, den Mittelweg zwischen Gentleman und Schoßhund zu treffen. Doch geschlechtsunabhängig gilt auch, dass derjenige, der zuerst, zu schnell, zu viel schreibt, auch als zu anhänglich und damit zu wenig interessant verurteilt wird. Man könnte etwa das Problem des ewigen Wartens so einfach lösen, indem man sich an seine Erziehung erinnert und daran, wie unhöflich es ist, jemanden absichtlich hinzuhalten. Stattdessen lassen wir uns auf die andere Seite ziehen, werden gefühlskalt. Hut ab.
Schlimmer ist in diesem Kontext nur, dass eigentlich jede der Frauen in meinem Bekanntenkreis eine Geschichte davon erzählen kann, dass Freundlichkeit gerne von Männern als Flirtversuch überbewertet werden. Manchmal sogar als Einladung gefährlich fehlinterpretiert. Zu viele nette Gesten werden damit verwechselt, dass es keine Grenzen gibt. Aber jeder Mensch hat Grenzen, wenn diese auch anders liegen, anders zu durchbrechen sind. Doch – und das ist das eigentliche Problem – gerade bei sexueller Gewalt geht es um das Überschreiten von persönlichem Freiraum und damit um Macht und nicht darum „offene Türen einzurennen“.
Where is the poop?
Auch in gleichgeschlechtlichen Bekanntschaften scheint zu viel Freundlichkeit fehl am Platz zu sein. Mit Misstrauen werden „zu liebe“ Mädels beäugt, und wehe sie sind dann auch noch hübsch und intelligent. Da zwängt sich Robins Frage aus How I Met Your Mother gerade nur so auf: „Where ist the poop?“
Die Ambivalenz im Alltag ist schwer auszuhalten. Eigentlich werden wir zu Nettigkeit erzogen, lernen als Kinder, sehr früh vermeintlich gutes Verhalten, um dann als Erwachsene feststellen zu müssen, dass es im wahrsten Sinne zu viel des Guten gibt. Irgendwie undankbar. Doch nicht nur, dass wir so erzogen wurden: Man möchte es kaum glauben, aber es gibt auch Menschen, die einfach auch gerne nett sind, lächeln, an ihre Mitmenschen denken, weniger nachtragend sind, es lieben´, zu helfen.
Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.
Das Problem liegt daran, dass jede Eigenschaft nicht nur für sich steht, sondern diese wiederum beurteilt wird: gut oder schlecht, akzeptiert oder seltsam, männlich oder weiblich. Und auf dieser Metaebene müssen wir auch Bewertungen wie „zu nett“ lesen. Freundlichkeit und jede damit verbundene Geste – vom verständnisvollen Nicken bis zum Vortrag mit Strahlelächeln – ist erstrebenswert UND weiblich. Deshalb werden Männer plötzlich als unsexy verurteilt, sobald sie „zu nett“ sind. Deshalb wird das Mehr an evozierter Weiblichkeit als Konkurrenz wahrgenommen. Deshalb passt zu viel Freundlichkeit nicht in eine kalte, rationale Karrierewelt und wird mit Statusverlust bestraft. Es ist ein veraltetes und doch beständiges Stereotyp, dass Intelligenz nicht mit zu Emotionalität passt. Umgekehrt werden Egoismus und Narzissmus so zu den Gewinnereigenschaften auf den Bühnen unserer Welt.
Das Dilemma zu lösen ist keine einfache Aufgabe. Denn selbst, wenn man sich bewusst fürs Gutsein entscheidet, bedeutet es nicht, dass die Welt sich plötzlich ändert. Doch man selbst setzt sich für seine eigenen Ideale und Vorstellungen ein, für Neudefinitionen von Gender. Und deswegen glaube ich, dass Authentizität – denn der Mensch ist nach meinem Verständnis eben kein Wolf – auf lange Sicht zu mehr Selbstliebe, Größe führt als jedes gespielte Arschloch-Image. Wie schon Erich Kästner sagte: es gibt nichts Gutes, außer man tut es.
Quelle: https://www.zeitjung.de/auth … llschaft-nett/?cn-reloaded=1