Nachruf auf Heath Ledger
Unlängst (am 22.1.) verstarb der talentierte und hochsympathische Schauspieler Heath Ledger viel zu früh und hinterließ eine nachhaltig geschockte Filmwelt. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen und ihm einen kleinen Nachruf widmen.Beginnen möchte ich mit einer Kritik seines wohl wichtigsten Filmes:
Originaltitel: Brokeback Mountain
Produktionsjahr: 2005
Regie: Ang Lee
Darsteller: Heath Ledger, Jake Gyllenhaal, Randy Quaid, Anne Hathaway, Michelle Williams, Anna Faris, Linda Cardellini u.a.
--------------------- Inhalt -----------------------
Sommer 1963 in Wyoming. Ein Schafherdenbesitzer sucht nach Schaftreibern, die seine Herde sowohl zu den Weideplätzen führen als auch die Herde intensiv bewachen. Zu viele Tiere wurden ihm in der letzten Saison gerissen. Es melden sich zwei Cowboys. Ennis Del Mare und Jack Twist. Die Anweisungen des Schafsbesitzers, der verlangt, dass einer der Beiden ständig in einem Basislager bleibt, wo er fürs Kochen der Mahlzeiten und dergleichen verantwortlich ist, während der Andere direkt bei der Herde leben soll, sind illegal, werden aber freilich von den beiden erfüllt, winkt doch gutes Geld. Sie treiben die Herde zu den Weidegründen rund um den Brokeback Mountain und leben, wie es ihnen vorgeschrieben wurde. Ennis sorgt für das leibliche Wohl, während Jack den Schafen beim Fressen zuschauen darf. In den gemeinsamen Momenten, wenn Jack zu Ennis reitet, um da die Verpflegung aufzunehmen, kommen sich die beiden grundverschiedenen Charaktere näher und insbesondere der ruhige Ennis beginnt aufzublühen und redet soviel "wie im letzten Jahr insgesamt". Zwischen den beiden ist etwas und insbesondere Jacks Wunsch Ennis näher zu sein, kommt in flüchtigen Blicken immer mehr zum Ausdruck. Eines Abends hat Ennis zu viel getrunken und es passiert das Unvermeidliche ...
Am Morgen danach einigt man sich darauf, dass dies ein einmaliges Vorkommnis gewesen sei und niemand davon erfahren dürfe. Doch schon kurze Zeit später kann man wieder nicht voneinander lassen. Aufgrund einer anrückenden Sturmfront bricht der Viehbesitzer den Viehtrieb entlang des Brokeback Mountain vorzeitig ab und die Wege von Ennis und Jack trennen sich. Ennis heiratet kurze Zeit später und zeugt zwei Kinder. Auch Jack findet eine Lebensgefährtin, die er bald ehelicht und mit der er ein Kind haben wird. Jack geht es aufgrund der Ehe recht gut, sind doch seine Frau und vor allem deren Eltern gut situiert, was auch ihm einen einträglichen Job sichert. Ennis dagegen lebt immer am Existenzminimum, ist an sich aber zufrieden ...
Da findet er vier Jahre später in der Post eine Karte von Jack! Er komme in Ennis Stadt und plötzlich scheint Ennis aufzublühen wie nie zuvor. Die Begrüßung von Jack erfolgt demzufolge auch ein wenig überschwänglich und so bekommt Ennis Frau unbemerkt mit, wie die beiden Männer sich innig küssen. Doch das ist nicht alles. Jack wird regelmäßig wiederkommen und ihr Mann wird ihr noch mehr entgleiten. Und was auf den gemeinsamen "Angelausflügen" der beiden Männer passiert, kann sie sich nur zu lebhaft ausmalen. Die Ehe geht in die Brüche und Jack drängt Ennis mit ihm zusammen zu leben. Doch Ennis hat Angst. Er hat Angst vor den Reaktionen seiner puritanischen Umwelt. Und das nicht ohne Grund, wie Jack bald erfahren muss ...
-------------------------- Kritik --------------------------
Ang Lee, Regisseur von Brokeback Mountain, widmete sich mit dem Film einem Sujet, das ihm nicht fremd ist. Schon in seinem Streifen "Das Hochzeitsbankett" stand eine schwule Hauptfigur und ihre Angst, sich gegenüber der Familie zu outen, im Mittelpunkt. Auch das Westerngenre, in dem Lee seine neue Auseinandersetzung mit einem schwulen Thema ansiedelte, ist ihm dank "Ride with the Devil" wohlbekannt. Und alleine für die Idee ein schwules Drama in dem amerikanischsten und machoverseuchtesten aller Genres anzulegen, verdient Lee höchsten Respekt. Doch wenn man sich Lees bisherige Filmographie anschaut, kam für diesen Film eben auch niemand außer Lee als Regisseur in Frage, denn Brokeback Mountain transportiert hinter seiner Geschichte um zwei schwule Cowboys vor allem Ang Lees liebstes Motiv: Unerfüllte Begehrlichkeiten und unter der Oberfläche brodelnde Gefühle ... beides eine Spezialität des Taiwanesen. Er liebt Figuren, die im Grunde genau wissen, was sie wollen, sich aber aufgrund vorherrschender gesellschaftlicher Konventionen niemals trauen würden, aus sich heraus zu gehen, die also in einem ewigen Spannungsfeld aus Tradition und Selbstbehauptung leben und die auf ihre Weise (bei Lee ist dies eben meist eine sehr stille) gegen die vorherrschenden Konventionen rebellieren. Schon sein erster großer Erfolg transportierte dies trefflich: In "Das Hochzeitsbankett" beobachten wir Wai Tung, der seit Jahren in den USA in einer schwulen Beziehung lebt und dies auch nicht versteckt. Außer vor seiner in Taiwan lebenden Familie, die von Tungs Homosexualität NIEMALS erfahren darf, da insbesondere die Mutter von Tung sehr darauf bedacht ist, wie andere von ihrer Familie reden und denken. Als seine Familie von ihm verlangt, er möge doch endlich heiraten, schließt er mit einer mittellosen Künstlerin eine Scheinehe und erst am Ende diverser turbulenter Hochzeitsvorbereitungen schafft er es, sich seinen Eltern anzuvertrauen.
"Sinn und Sinnlichkeit" handelte dann von einer Gesellschaft, in der nicht die Liebe das Maß der Dinge ist, sondern das finanzielle Kalkül der oberen Gesellschaftsschichten. Dementsprechend werden Hochzeiten arrangiert, die Traditionen fortsetzen und neue Erben sichern sollen. Eine Tradition gegen die die Figuren Eleanor und Marianne rebellieren, um ihre einzig wahre Liebe zu finden. Im "Eissturm" will eine Frau im Connecticut des Jahres 1973 aus den Grenzen, die ihr der bürgerliche Moralkodex aufzwingt, ausbrechen. Die Mutterrolle und das Beglucken der Familie ist nichts für sie, sie will leben. In dem Western "Ride With The Devil" ist es ein Schwarzer namens Holt, der aus Loyalität zu seinem Herrn für die Südstaaten(!!!) kämpft und über den Kampf seine Freiheit erlangt und sich eben nicht einfach nur seinem vorgeschriebenen Schicksal überlässt. Am eindruckvollsten setzte Lee den Kampf zwischen Tradition und Selbstbestimmung allerdings freilich in seinem Eastern "Tiger and Dragon" um. Hier vor allem in der Figur der Jen, die allen Standesdünkeln zum Trotz so gerne eine Kämpferin wäre, ihrem zugeteilten Ehemann entkommen will, frei sein will und sich in einen Räuber von niedrigstem Stande verliebt. Und sogar filmisch kann Ang Lee hier sein Motiv brillant umsetzen. So sind alle Dialogszenen seltsam statisch, ruhig und innovationslos gefilmt. Warum? Nun, hier werden eben genau die Inhalte transportiert, die mit den Zuständen zu tun haben, aus denen die Figuren eigentlich ausbrechen wollen und die sie lähmen! In den Kampfszenen explodiert der Film dann geradezu vor Kinetik und Ideen! Und warum? Weil die Figuren von Tiger and Dragon niemals so sehr sie selbst sind, wie in den Kämpfen! Die Kämpfe sind ihre Möglichkeit aus den Konventionen auszubrechen. Dass sie dabei sogar die Grenzen der Schwerkraft durchbrechen, erscheint dann nur logisch. Dass sich Lee danach dem Hulk zuwenden würde, war, wenn man sich diese Auflistung anschaut, eigentlich nur ein logischer Schluss. Welche Figur, wenn nicht die des grünen Wüterichs, ist eine klarere Absage an unsere Gesellschaft, unsere Ordnung und unsere Vorstellungen von geregelten Verhältnissen, die er fein säuberlich auseinander nimmt?
In Brokeback Mountain ist klar abgesteckt, was die Liebe der beiden Cowboys behindert: Es ist die puritanische Gesellschaft in der die beiden leben. Wir erfahren, dass hier ein Schwuler mit seinem Genital an ein Lattenkreuz gebunden wurde, dieses wurde an einem Auto befestigt ... der Schwule wurde dann an seinem Genital solange hinter dem Wagen hergeschliffen, bis sein Genital abriss und er elendig verblutete! Kein Wunder, dass sich vor allem Ennis, der vermutet, dass sein Vater an diesem Akt der Barbarei beteiligt war, niemals vollends trauen wird, seiner Liebe zu Jack nachzugeben. Außerdem hat er eine Familie zu ernähren ... zumindest solange, bis sie ihn verlässt. Doch auch dann ist er nicht mutig genug, Jacks Drängen nachzugeben. Die Ausflüge in den Brokeback Mountain sind Ennis Form der Rebellion und freilich auch die von Jack, der seinen Neigungen auch nicht wagt nachzugeben, zumindest nicht ohne Ennis. Nur hier sind die beiden glücklich und leben das einzige Leben, das sie glücklich machen könnte: ein gemeinsames Leben ... ohne einander darben beide nur vor sich hin, sind ein Schatten ihrer selbst und obwohl sie das selber wissen, finden sie keinen Weg frei zu sein ... Ein Umstand der vor allem Jack über die gemeinsamen 20 Jahre hinweg, in denen man sich monatlich zu treffen versucht, innerlich aufreibt und der Jack bald Zuflucht bei anderen Männern suchen lässt ... Einschränkungen und Rebellion, Tradition und der Kampf dagegen ... Ang Lee at it's best und eine anrührende, behutsame, wunderschöne, liebevolle und glaubwürdige, wahrhaftige Liebesgeschichte zwischen zwei Männern, die zu Herzen geht und gleichzeitig traurig und wütend macht ob der Intoleranz bestimmter Bevölkerungsschichten.
Getragen wird der Film von den beeindruckend und fabelhaft aufspielenden Darstellern Heath Ledger und Jake Gyllenhaal, die in ihren mutigen Rollen vollkommen aufgehen und jenseits aller Schwulenklischees immer glaubhaft agieren! Wenn man insbesondere die Leistung von Heath Ledger sieht, muss Phillip Seymour Hoffman in "Capote" absolut genial sein, anders wäre das Übergehen von Heath bei den diesjährigen Oscars nicht zu erklären. Denn vor allem Ledgers Ennis ist eine der grandiosesten Figuren überhaupt: Bindungsunfähig, verschlossen, unglaublich passiv auf der einen, der offen gelebten, Seite und jungenhaft lächelnd, aufbrausend und geradezu vor Lebensenergie überlaufend auf der anderen, der heimlichen, Seite. Der Rest des Castes überrascht mit einem beeindruckenden Jungdarstellerinnenaufgebot. Michelle Williams (Dawsons Creek - sehr gut, in ihrer rollenbedingten Beschränktheit auf den sauertöpfischen Blick aber unterfordert), Anne Hathaway (Plötzlich Prinzessin), Anna Faris (Scary Movie) und Linda Cardellini (Emergency Room) können aber nicht in einem Moment gegen die beiden Hauptfiguren anspielen und haben vor allem auch viel zu wenig Screentime, um in Erinnerung zu bleiben. Der Film ist vollkommen auf die beiden Hauptfiguren ausgerichtet und das ist auch gut so. Ein weiterer wichtiger Nebendarsteller ist der Brokeback Mountain. Hier gelingen Bilder von unendlicher Schönheit. Seien es Naturpanoramen oder Schaftrecks, der Film atmet eine vollkommene Westernromantik, untermalt von einem immer trefflichen, countrygeprägten Soundtrack. Wunderschön.
------------------------ Fazit -------------------------
Was man dem Film ankreiden könnte, ist dass er ein wenig zu lang geraten ist (Insbesondere im Mittelteil hätten dem Film einige Straffungen durchaus gut getan, langweilig wird der Film deswegen allerdings zu keiner Minute) und seinen Fokus nach den Ereignissen auf dem Berg ein wenig zu sehr auf Ledgers Ennis richtet, weswegen vor allem Jacks Ehe mit einigen befremdlich wirkenden Einlagen im Zusammenhang mit seinen Schwiegereltern, ziemlich in der Luft hängt. Aber das sind eher kleine Mängel eines ansonsten rundum gelungenen, wunderschönen Filmes, der mit einem Fingerwischen die Machomythen eines festgefahrenen Genres hinwegfegt und eine große kleine Liebesgeschichte ganz auf Ang Lee Art erzählt.
Macht 8/10 küssenden Cowboys
In diesem Sinne:
freeman
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