Schrei in der Stille (1990)
Die USA, irgendwann in den 1950er Jahren, irgendwo in einer einsamen ländlichen Gegend. Seth (Jeremy Cooper) ist ein fast 9-jähriger Junge, die einzige Möglichkeit sich irgendwie die Zeit zu vertreiben, ist mit seinen einzigen beiden Freunden abzuhängen und Streiche zu spielen. Die allein lebende Nachbarin Dolphin Blue (Lindsay Duncan) hält er für eine Vampirin. Dann wird plötzlich einer seiner Freunde ermordet, sein Vater begeht Selbstmord und sein heimgekehrter Bruder Cameron (Viggo Mortensen) verliebt sich ausgerechnet in Dolphin...
Um mal einen Bekannten nach der Vorführung des Filmes zu zitieren: "Ich möchte jetzt gerne was aufheiterndes sehen. Requiem For A Dream oder sowas..."
Denn fürwahr, SCHREI IN DER STILLE ist ein Film, der einen geplättet im Kinosessel zurück lässt, während der Abspann läuft versucht man das Gesehene irgendwie zu verarbeiten. Und das nicht etwa, weil die Story irgendwie hochkomplex, extrem surreal oder sonstwie verwirrend wäre. Nein. Regisseur Philip Ridley erzählt in atemberaubend schönen Bildern aus der Perspektive eines Kindes eine Geschichte über den Verlust kindlicher Unschuld und dessen fatale Folgen. Seth ist jetzt nicht gerade ein Sympathieträger, er gibt in seiner Freundesgruppe den Ton an und hat kein Problem damit, Tiere für ihre Streiche zu quälen, ist aber eben auch "nur" ein Junge, der erstmal seinen Platz im Leben finden muss. Zuhause leidet er unter einer hochneurotischen Mutter und einem rückgratlosen Vater, der sich lieber billigen Pulp-Geschichten widmet als dem Betrieb ihrer heruntergekommenen Tankstelle. Als diese dann eines Tages von einem glanzpolierten Cadillac angefahren wird, dringt etwas von der "Außenwelt" in die karge Landschaft ein, in der ansonsten die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Die Insassen, vier Rockabillies mit Lederjacken und gegelten Haaren, wirken auf Seth schon fast wie Außerirdische. Mit ihrer Ankunft passiert aber etwas, etwas nicht greifbares ist in die Gegend gelangt und endet für die meisten Personen dramatisch, obwohl sie im weiteren Verlauf der Handlung nur noch sehr selten auftauchen.
"Warum gehst du nicht mit deinen Freunden spielen?"
"Die sind alle tot."
Dabei spielt der Film durchaus mit leichten Elementen aus dem Horrorfilm, hat aber ansonsten mit dem Genre nichts zu tun. Es geht um den Verlust von Freunden und Familienmitgliedern, Mißbrauch, leben mit den fatalen Konsequenzen des eigenen Handelns. Das Tempo ist eher zurückhaltend, aber Inszenierung, Musik und Schnitt ziehen den Zuschauer in den Film hinein. Einige schräge Personen und Ereignisse geben dem ganzen etwas surreales, manche Charaktere hätten auch einem Lynch oder Coen-Brüder Film entsprungen sein können. Das Setting in der einsamen, in Braun- und Gelbtönen gehaltenen Landschaft, Jungen als Hauptpersonen und das leicht surreale erinnern ein ganz klein wenig an Guillermo Del Toros DEVIL'S BACKBONE.
Es ist lange her, dass mich ein Film so eingenommen hat. Erfreut man sich anfangs noch an den schönen Bildern und dem interessanten Handlungsaufbau, berauscht man sich an der inszenatorischen Poesie, den bedeutungsvollen Dialogen und fühlt sich am Ende aber doch wie an den Haaren gepackt und auf den Tisch gerammt. Kein Stimmungsaufheller, aber intensiv. Die schönste filmische Entdeckung, die ich dieses Jahr machen durfte!