Der Junge und der Reiher (2023)
Bereits mehrmals verkündete Hayao Miyazaki das Ende seiner Karriere, nur um später ein weiteres langjähriges Herzensprojekt zu realisieren. 10 Jahre nach seinem letzten "letzten" Film, bleibt sich der Altmeister des Anime weiterhin treu und kehrt mit "Der Junge und der Reiher" aus dem Ruhestand zurück. Die Macher vertrauten auf die Vorfreude und die Neugierde des japanischen Publikums und verzichteten daher auf Trailer und Promobilder vor der japanischen Veröffentlichung im Juli 2023, sodass wir auch in der westlichen Welt lange Zeit überhaupt nicht wussten, wovon der neue Ghibli-Film überhaupt handelt. Ich möchte es ihnen gleichtun und werde daher auf eine Inhaltsangabe verzichten. Nur soviel sei gesagt: narrativ befinden wir uns nach dem geerdeten "Wie der Wind sich hebt" wieder im Bereich von "Chihiros Reise ins Zauberland" und "Mein Nachbar Totoro" - also mehr im Fantastischen, in einer von Symboliken geprägten metaphorischen Seelen- und Gedankenwelt eines Kindes.
Miyazaki erschafft wieder traumhaft und malerisch schöne Bilder, wobei er sich diesmal besonders bei den Hintergründen von den Gemälden von Arnold Böcklins hat inspirieren lassen, die von teils skurrilen, teils emotionalen, aber nie eindimensionalen Figuren bevölkert werden. Typisch für ihn haben wir bspw. wieder keinen klaren Antagonisten, in Miyazakis Traumwelten gibt es nun mal keine rein bösen Kräfte. Jeder hat seine Motivation, jeder seine Existenzberechtigung und genau hierin legt er auch die zentrale Aussage seiner Adaption eines Jugendbuchs, das man eigentlich mit "Wie willst du leben?" übersetzt und was auch der passendere japanische Filmtitel ist.
Aus diesem Grund liebe ich die Filme von Ghibli seit meiner Kindheit, weil sie mir nicht nur eine vorgelogene Flucht vor der Realität mit Musicaleinlagen bieten wollen, sondern mich sowohl als Kind, als auch als Erwachsener mit realen und komplexen Problematiken auseinandersetzen lassen. Es sind Filme, die dem Zuschauer, egal welchen Alters, emotional und geistig etwas zumuten.
Müsste ich eine Schwäche des Films benennen, dann ist es lediglich mein Gefühl, dass sich "Der Junge und der Reiher" wie ein Rückschritt zum inhaltlich etwas eigentümlichen aber auch reiferen "Wie der Wind sich hebt" anfühlt. Zwar bewegen wir uns in einem gleichgelagerten Setting, das jedoch mit den typischen Stilelementen seiner fantastischeren Filme angereichert wird. Als hätte man ein kleines Miyazaki Best-Of-Medley, was in mir ein kleines Gefühl von fehlender Eigenständigkeit und Überraschungsarmut auslöste. Dieses Gefühl verging jedoch zum Glück während des Sehens im Rausch der Bilder und dem Klang der Musik von Joe Hisaishi. Und glücklicherweise hat Miyazaki ja bereits angekündigt noch einen Film machen zu wollen... er kann es nun mal nicht lassen! Zum Glück, denn solche Filme bekommen wir heutzutage nicht mehr oft neu im Kino zu sehen. Und so denke ich mit Wehmut bereits an die Zukunft, wenn er dann doch irgendwann kommt, der unvermeidliche Tag und wir ihn haben... den letzten Film von Hayao Miyazaki.
Fazit: Auch im hohen Alter schafft Miyazaki ein Kunstwerk, das sich nahtlos in sein Gesamtwerk einreiht und damit zeigt, warum er zu Recht einer der größten Regisseure und Geschichtenerzähler aller Zeiten ist.
Deutscher Kinostart ist der 4.1.2024.