Cocaine Bear (2023)
Als ich gestern in meinem Schaukelstuhl saß und gerade ein Buch von T.W. Adorno zum Thema "Zeit im Refugium des Fluxkompensators" las, fiel mir auf, dass ich das Meisterwerk "Cocaine Bear" noch nicht gesehen habe. Also griff ich sofort zu Zettel, Stift und einem Glas Rotwein, um dies nachzuholen.-Eine kinematografische Reflexion über Exzess und die Natur des Menschen-
Mit "Cocaine Bear" erschafft Regisseurin Elizabeth Banks ein Werk von faszinierender Komplexität, das dem Zuschauenden zu einer tiefgehenden Auseinandersetzung mit den Themen Exzess, Instinkt und Zivilisation einlädt. Was auf den ersten Blick als blutiger, reißerischer und beinahe grotesker Ansatz erscheint, entpuppt sich bei genauer Betrachtung als subversive Parabel über das Spannungsfeld zwischen Natur und Mensch, zwischen der animalischen Triebhaftigkeit und den Grenzen, die der moderne Mensch sich selbst zu setzen versucht.
Zentral für den Film ist die Allegorie des Bären, der durch den Konsum von Kokain in eine Raserei verfällt, die ihn aus seiner natürlichen Ordnung entreißt. Hier agiert der Film als einfache aber sehr kluge Metapher: Der Bär, Sinnbild für eine ungezähmte Natur, wird zum Opfer eines künstlich erzeugten Wahnsinns, hier durch eine Droge, die von Menschenhand geschaffen wurde. Diese Umkehr der Rollen lässt "Cocaine Bear" zu einem intellektuellen Diskurs über die Abhängigkeit des Menschen von künstlichen Stimulanzien werden, die ihn selbst in eine Art animalische Triebhaftigkeit versetzen. Doch anstelle einer moralischen Anklage bleibt Banks neutral, fast schon dokumentarisch, und erlaubt es dem Zuschauenden, die Deutung selbst in die Hand zu nehmen.
Formal lässt sich Banks’ Werk nicht in die gewohnten Kategorien des Tierhorrorfilms einordnen. "Cocaine Bear" spielt bewusst mit filmischen Konventionen: Die Spannungsbögen sind radikal gebrochen, und statt eines linearen Spannungsaufbaus entfaltet sich die Handlung episodisch und wirkt dadurch sehr komplex.
Das cineastische Handwerk ist bemerkenswert. Die Kameraarbeit erfasst die Szenen in einer oft minimalistischen Bildsprache, die die Wildheit des Bären und die Hilflosigkeit der menschlichen Figuren auf beeindruckende Weise kontrastiert. Die bewusst gesetzten Bildkompositionen verleihen der Geschichte eine künstlerische Gravitas und bewahren zugleich die Absurdität der Prämisse. Genial!
Auch auf dramaturgischer Ebene zeigt sich das Werk tiefgründig. Der Bär wird zum Symbol für die Unberechenbarkeit der Natur, die sich von keiner menschlichen Vernunft und keinem Sicherheitsdenken bändigen lässt. Diese Idee wird durch die Darstellung menschlicher und tiefgründige Charaktere unterstrichen, die auf teils tragikomische Weise versuchen, den Gefahren zu trotzen, jedoch immer wieder kläglich scheitern. Ihre vergeblichen Bemühungen spiegeln die Ohnmacht des Menschen angesichts der unbezähmbaren Mächte wieder, die weit über seine Kontrolle hinausgehen.
In einer Zeit, in der Filme oft schnell konsumiert und wieder vergessen werden, hinterlässt "Cocaine Bear" jedoch eine tiefere Spur. Man verläßt den Film nicht einfach mit der Erinnerung an spektakuläre Szenen, sondern mit Fragen zur Natur des Exzesses, zur Macht des Instinkts und zur Fragilität der menschlichen Kontrolle. "Cocaine Bear" ist ein Werk, das auf den ersten Blick absurd wirken mag, aber in seiner verstörenden und faszinierenden Eigenwilligkeit ein filmisches Erlebnis bietet, das mit vielschichtiger Raffinesse glänzt.
Ein Film, der mit Sicherheit polarisiert – doch für jene, die sich auf die metaphorischen und künstlerischen Tiefen einlassen, ist "Cocaine Bear" eine überaus lohnende Reise in die Ambivalenz der Natur und die Abgründe des menschlichen Erlebens.
5 von 5 ⭐️
Scherz!
3 von 5
Trailer