Meine neue Leidenschaft: Tristan
Wie ich schon vor einiger Zeit angedeutet habe, gilt meine aktuelle Leidenschaft, meine gegenwärtige Leidenschaft, meine Sehnsucht und mein musikbezogenes Denken Richard Wagner. Seit einem halben oder Dreivierteljahr geht das schon so. Auslöser war weniger meine Vorliebe für die Oper - ich bin von klein auf eher ein Opernvermeider und Liebhaber von Klaviermusik und Symphonien (oder symphonischen Dichtungen).
Irgendwann dilettierte ich aber an Liszts Opernphantasien 'rum - der Einstieg war mit der wunderschönen Rienzi-Phantasie gemacht. Natürlich wollte ich wissen, wie das "Original" klingt, also hörte ich in Rienzi hinein, ohne ihn bislang am Stück (weder auf CD, noch auf Platte, noch auf DVD oder gar live) gehört zu haben, da war es dann vor allem die Ouvertüre dieser ersten und letzten Grande Opera von Wagner, die mich einfach neugierig werden ließ.
Lohengrin kannte ich schon - war als Kind vielleicht neben der Zauberflöte meine Lieblingsoper.
Aber nun stellte ich mir beim Lohengrin neue Fragen - wofür steht der Schwanenritter? Wie viel inzestuöse Sehnsucht steckt in dem Werk? Und ich spürte intensiver, wie sehr ich beim Hören das Gefühl für Zeit und Raum verliere, vor allem im ersten Akt von Vorspiel bis zum Erscheinen des Gralsritters. Ich spielte weiter fleißig einige Liszt-Phantasien zu Lohengrin - vor allem "Elsas Traum" - und probierte verschiedene Klaviertranskriptionen des wunderbar-luziden, sanft schimmernden Vorspiels aus. Allein das Lohengrin-Vorspiel ist beispielhaft für das, was dieser Giftmischer so alles konnte.
Um die Meistersinger machte ich eh immer einen Bogen. Schon das Vorspiel fand ich "teutonisch platt", die Figur des Sixtus Beckmesser war natürlich AUCH eine antisemitische Karikatur und am Ende passiert das, was nie passieren sollte: Der Meister kommentiert selbst sein Werk. Wer anders als Richard Wagner ist denn gemeint, wenn Hans Sachs (der Nürnberger Selfmade-Reformator, als den sich Wagner selbst gern porträtieren ließ) am Ende eine große Rede hält (auch eine Vorliebe des Barrikaden-Dirigenten aus Dresden) und die Zuhörer dazu ermahnt, die "deutschen Meister" zu ehren und alles "Welsche" zu verachten. Aber dann hörte ich und sah ich im Kino die Bayreuth-Aufführung in diesem Jahr und war verblüfft: Die Ouvertüre war gar nicht mehr "teutonisch schwer", sondern wurde von Orchester und Dirigent fast operettenhaft leicht aufgenommen - und die Handlung ließ der Regisseur im Haus Wagner / Wahnfried selbst spielen, wodurch Wagner mit Wagner konfrontiert, bespiegelt wurde und kritische Nachfragen an die Rezeptionsgeschichte ihren dramatisch-theatralischen Platz fanden. Unbedingt sehenswert.
Auch einen Bogen machte ich lange Zeit um den Ring. Nicht um einzelne symphonische Stücke - "Siegfrieds Tod", "Wotans Abschied und Feuerzauber", natürlich der "Walkürenritt" und dieses wunderbar düster-untergrund-hafte Vorspiel zu "Siegfried", das alles fand ich natürlich immer ziemlich "geil". Aber der Ring als ganzes schüchterte mich irgendwie ein - bis ich auf Youtube eine 3sat-Reihe entdeckte, mit Elke Heidenreich, Christian Thielemann und anderen. Die machten mir vieles erklärbarer und nach einigen Abenden hatte ich einen Überblick, mit dem ich mir a) meine erste Gesamtaufnahme besorgte, b) mir eine Karte für die Götterdämmerung in der Dresdener Semperoper besorgte und c) mir wiederum einige Klaviernoten zum Selberspielen besorgte ("Feuerzauber", "Siegfrieds Tod", der gesamte Klavierauszug zur "Walküre"). Und ich dachte: Ja, der Lohengrin hat mich vor einiger Zeit begeistert - aber der Ring zieht mich doch noch viel mehr mit, in Abgründe, politisch-psychologische Diskurse, Erotik, Leidenschaft, Aufgabe von Erotik und Leidenschaft, Selbst-Aufgabe durch Erotik und Leidenschaft, Überwindung von Erotik und Leidenschaft - was der "Lohengrin" doch so noch gar nicht kannte. Wie konnte ich mich so vom Lohengrin in Besitz nehmen lassen, wusste ich nicht, dass es einen Ring gibt??!?
Auch einen Bogen machte ich lange Zeit um "Tristan". Ja, mir war seit der Schulzeit klar, wie großartig revolutionär dieses Werk ist. Aber die Harmonik kam mir am Anfang etwas sperrig und die gesamte Handlung ziemlich konstruiert vor. Nunja. Und nun höre ich - neben Ausgewähltem von Beethoven und Mahler und Bruckner - seit ein paar Wochen gar nichts anderes mehr als diesen "Tristan". Von den harmoniekundlichen Debatten zum Ursprung des Tristan-Akkordes verstehe ich nur die Hälfte. Aber ich spüre, dass es von Anfang bis Ende, vom Vorspiel bis zum Liebestod um eine sich selbst verzehrende Liebe geht, wie sie musikalisch nicht verzehrender, sehnsuchtsvoller und zugleich wehvoller und destruktiver komponiert hätte werden können.
Und da mein Klaviermentor sich von mir immer "Isoldens Liebestod" in der Fassung von Franz Liszt gewünscht hat, und ich dadurch aktiv in diese Ton-Welt eintauchen konnte, liegen diese Noten mal auf meinem Pult, mal auf meinem Klavier und mal auf meinem Nachttisch. Daher hört ihr nun zunächst eine klitzekleine Einführung in Tristan mit Klavier und Orchester und Opernsängern und Stephen Fry und danach suche ich mir eine gute Aufnahme der Ouvertüre für Euch aus.