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KOMPONIST des Monats, IX. Teil

****ga Frau
18.014 Beiträge
Themenersteller 
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johncoltra
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felicio_nw
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luccio
****ga Frau
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2 Stimmen für WF Bach:
masajeymas (oder Couperin)
tantrissima (oder Leopold Mozart)

1 Stimme für Zbinden:
luccio

(bearbeitet)
****ga Frau
18.014 Beiträge
Themenersteller 
Alexander Borodin
Leben

Borodins Grab in St. Petersburg
Alexander Borodin war der uneheliche Sohn des georgischen Fürsten Luka Gedewanischwili (1772–1840) und dessen 24-jähriger Mätresse Awdotja Konstantinowna Antonowa. Da der Fürst verheiratet war, ließ er das Kind als den Sohn seines Dieners Porfiri Borodin registrieren. Der Vater, ein pensionierter Leutnant der russischen Armee, führte seine Herkunft auf die Herrscherfamilie Gedewanischwili des früheren georgischen Königreichs Imeretien zurück. Kurz vor seinem Tod hat er sich zu seinem Sohn bekannt.

Borodin wuchs bei seiner Mutter in St. Petersburg auf. Dort erhielt er eine gute und umfassende Ausbildung. Er erwies sich als außerordentlich talentiert und erlernte neben den Sprachen Deutsch, Französisch, Italienisch und Englisch auch das Spiel auf dem Klavier, der Flöte und dem Cello. Mit neun Jahren komponierte er die Helenenpolka[1] und mit 14 Jahren versuchte er sich an der Komposition eines Flötenkonzerts, hatte zudem aber auch Interesse an naturwissenschaftlichen Fragestellungen.[2]

Im Jahre 1863 heiratete Borodin die Russin Jekaterina Protopopowa, eine brillante junge Pianistin. Sie lernten sich während seines Deutschlandaufenthaltes in Heidelberg kennen und verliebten sich auf einer gemeinsamen Reise nach Baden-Baden, wo sie sich auch verlobten. Sie hatten drei Töchter.

Von einer 1885 durchgemachten Cholera verblieben Konzentrationsstörungen, Schlaflosigkeit, Apathie und Herzschwäche. Der Tod seines Freundes Franz Liszt belastete ihn zusätzlich. Dennoch setzte er seine jahrzehntelang betriebene Arbeit mit dem Chor und dem Sinfonieorchester der Akademie fort. Am 27. Februar 1887 nahm er an ihrem Faschingsball teil, auf dem er gegen Mitternacht zusammenbrach und starb. Die Obduktion an Ort und Stelle ergab ein rupturiertes Herzgefäß.[1] Borodin wurde auf dem Tichwiner Friedhof des Alexander-Newski-Klosters in St. Petersburg beigesetzt.
aus WIKI
*******sima Frau
2.542 Beiträge
Der Mann mit den zwei Berufen
Borodin hatte neben der Musik ein weiteres Talent, das er zum Beruf machte: er hat ein Händchen für Naturwissenschaften, studiert zunächst Medizin und entdeckt im Zuge dessen seine Leidenschaft für die experimentelle Chemie. Er promoviert als Dr. med. über die toxikologischen Eigenschaften von Arsen-und Phosphorsäuren. Und wenn er sich nicht gerade mit Giften aller Art beschäftigt, spielt er Klavier. Um seine Studien zu vertiefen, reist er übrigens nach Heidelberg und lernt dort seine Frau kennen, macht ihr in Baden-Baden einen Heiratsantrag. Bei seinem überaus erfolgreichen und arbeitsamen Leben als Mediziner und Chemiker fragt man sich etwas, wann er überhaupt zum Komponieren gekommen ist, zumal er eine Vielzahl an Werken hinterlassen hat. Eines davon ein Klassiker im Musikunterricht zum Thema Programmmusik: „eine Steppenskizze“ muss bis heute herhalten, um Kindern die musikalische Umsetzung nicht musikalischer Programme zu erklären. Borodins eigene Erklärung für seinen musikalischen Output lautet folgendermaßen:
"Für andere ist die Komposition Aufgabe, Arbeit, Pflicht, bedeutet sie das ganze Leben; für mich ist sie Ruhe, Spaß, eine Laune, die mich von meinen offiziellen Pflichten als Professor, Wissenschaftler ablenkt.“


*******sima Frau
2.542 Beiträge
Klaviermusik
Ich habe eine Aufnahme des gesamten Klavierwerks gefunden, die ich hier einstellen möchte. Sie stammt aus dem Jahr 2008, Marco Rapetti ist der Solist, die vierhändigen Stücke spielen Daniela de Santis und Giampaolo Nuti .

Hier ist erstmals die ursprüngliche Version der weiter oben eingestellten "Steppentänze" für Klavier zu vier Händen eingespielt. Weitere Welt-Ersteinspielungen sind: Scherzo in E Dur, Alegretto in Es Dur, Helene-Polka, Adagio Patetico in As Dur.

Playliste:

00:00:00 Petite Suite: I. Au couvent. Andante religioso (1885)
00:06:03 Petite Suite: II. Intermezzo. Tempo di menuetto (1885)
00:09:33 Petite Suite: III. Mazurka No. 1, Allegro (1885)
00:12:23 Petite Suite: IV. Mazurka No. 2, Allegretto (1885)
00:16:22 Petite Suite: V. Rêverie. Andante (1885)
00:18:29 Petite Suite: VI. Sérénade. Allegretto (1885)
00:20:40 Petite Suite: VII. Nocturne. Andantino (1885)
00:23:43 Scherzo in A-Flat Major (1885)
00:27:04 Dans les steppes de l’Asie centrale, for Piano Four Hands (Arr. Borodin, 1880)
00:34:43 Paraphrases: Prélude (Arr. Borodin, 1878-79)
00:35:29 Paraphrases: Polka (1878-79)
00:36:46 Paraphrases: Marche Funèbre (1878-79)
00:38:26 Paraphrases: Valse (Arr. Borodin, 1878-79)
00:40:25 Paraphrases: Berceuse (Arr. Borodin, 1878-79)
00:42:59 Paraphrases: Galop (Arr. Borodin, 1878-79)
00:44:02 Paraphrases: Gigue (Arr. Borodin, 1878-79)
00:44:50 Paraphrases: Fughetta on B-A-C-H (Arr. Borodin, 1878-79)
00:45:30 Paraphrases: Tarantella (Arr. Borodin, 1878-79)
00:46:52 Paraphrases: Menuetto (Arr. Borodin, 1878-79)
00:47:47 Paraphrases: Valse (Arr. Borodin, 1878-79)
00:49:51 Paraphrases: Requiem (1878-79)
00:53:35 Paraphrases: Carillon (Arr. Borodin, 1878-79)
00:55:11 Paraphrases: Mazurka (Arr. Borodin, 1878-79)
00:56:39 Paraphrases: Fugue Grotesque (Arr. Borodin, 1878-79)
00:57:22 Paraphrases: Cortège Triomphal (Arr. Borodin, 1878-79)
00:59:52 Tarantella in D Major for Piano Four Hands (1862)
01:04:20 Allegretto in D-Flat Major for Piano Four Hands (1861)
01:06:04 Scherzo in E Major for Piano Four Hands (1861)
01:11:04 Adagio patetico in A-Flat Major (1849)
01:15:10 Polka Hélène in D Minor (1843)
01:17:24 À la manière de Borodine (1913)




Borodin war ein Mitglied des "Mächtigen Häufleins", einer Gruppe von fünf russischen Komponisten, der außer ihm auch Balakirev, Cui, Rimsky Korsakov und Mussorgsky angehörten, und die sich zum Ziel gesetzt hatten, eine russische Komponistenschule im Stile des Werks von Mikhail Glinka zu erschaffen.

Borodin hatte bereits in seiner Kindheit Klavierspielen gelernt, sein frühestes eigenes Klavierwerk komponierte er im Alter von neun Jahren, die "Helene-Polka".

"Paraphrasen über ein leichtes Thema" war ein Gemeinschaftswerk von Borodin, Lyadov, Rimsky-Korsakov und Cui, zu dem Liszt die Einleitung beisteuerte. Sie wurden aus einer Laune heraus nur zur eigenen Erbauung geschrieben und weisen viele witzigen musikalischen Einfälle auf.

Die "kleine Suite" ist eine Sammlung kurzer Stücke, die Borodin über mehrere Jahre hinweg komponierte, ein Beispiel hochwertiger Salonmusik - Borodin kannte seinen Kalkbrenner, Field und Hummel gut und verarbeitete dies in seiner Suite.

Das Scherzo in As-Dur von 1885 ist ein Werk, das Rachmaninov häufig als Zugabe in seinen Konzerten spielte.

Das letzte Stück der Einspielung stammt allerdings von Ravel, der Borodin sehr bewunderte, seit er als Teenager dessen Werk studiert hatte, und der kleine Walzer in der Art von Borodin ist seine Hommage an ihn.
*******sima Frau
2.542 Beiträge
Kammermusik
Kammermusik steht beim "Mächtigen Häuflein" nicht wirklich hoch im Kurs. Man spielt zwar gelegentlich selbst Quartett –als angenehme private Musikunterhaltung sozusagen. Alexander Borodin hat zu diesem Zweck sogar eigens das Cellospiel erlernt, aber als kompositorische Gattung hat das Streichquartett bei den Komponisten des "Mächtigen Häufleins" keine besondere Bedeutung. Das farbige große Orchester behandelt in der Manier von Rimski-Korsakov gilt als die eigentliche Herausforderung. Und doch finden wir auch bei den Petersburger Komponisten Streichquartette, Borodin hat ein besonders schönes geschrieben, sein zweites Quartett, über das Kollege Rimski Korsakov aber nur recht lapidar schreibt: „Borodin hat in diesem Sommer ein zweites Quartett geschrieben -ganz nett, aber nichts Umwerfendes“, so heißt es in diesem Brief aus dem Herbst 1881. Kurzum: eine kleine Unverschämtheit, denn dieses „nette Streichquartett“ ist dann doch eines der bedeutendsten russischen Quartette geworden. Erstaunlich aber durchaus, dass der Mediziner und Professor der Chemie, Alexander Borodin, sich an diese kammermusikalische Königsdisziplin gewagt hat. Und mit diesem Quartett ist ihm ein echter Wurf gelungen. Das Quartett ist heute sicher populärer als jedes der Tschaikowsky-Quartette, was besonders an dem lyrischen dritten Satz liegen dürfte, einem betörenden Notturno, mit einem unglaublichen Thema, das Borodin gewissermaßen für sich selbst geschrieben hat –es wird nämlich vom Cello vorgetragen.
(Quelle: Wolfgang Sandberger, SWR2 Musikstunde 17.1.2020, gekürzt)

Eine ausführliche Besprechung des 2. Streich-Quartetts durch den Musikwissenschaftler Peter Wieners findet sich unter
http://dr-peter-wieners.de/k … in-streichquartett-nr-2.html

Hier eine Aufnahme des Moskauer Borodin-Quartetts aus dem Jahr 2000:


*******ltra Mann
1.393 Beiträge
Hallo, liebe Tantrissima, du sorgst wieder dafür, dass sich unser Horizont erweitert und ich zum Beispiel Dinge erfahre, die ich vorher nicht wusste, Musik, die ich nicht kannte wie dieses wundervolle Streichquartett, wobei mir die Interpretation des Borodin-Quartetts ein bisschen zu ausladend ist. Aber so ist eben die russische Seele . . . *smile*
Ein Komponist namens Cui war mir überhaupt kein Begriff.
*****y53 Mann
86 Beiträge
*******sima Frau
2.542 Beiträge
Streichsextett in d moll
Ein in Deutschland kaum gespieltes Werk


*********vibus Mann
1.020 Beiträge
Die bekanntesten Melodien des KdM sind vermutlich die Polowetzer Tänze aus seiner Oper "Fürst Igor". Effektvoll und immer wieder gut anzuhören.

*******sima Frau
2.542 Beiträge
Fürst Igor
"Fürst Igor" ist die einzige Oper von Borodin, und sie war bei seinem Tod unvollendet.

Die Ursprünge von Borodins Oper liegen in einem Szenario, das der Komponist 1869 vom Kritiker und Historiker Wladimir Stassow erhielt und dem ein episches Gedicht aus dem 12. Jahrhundert - Das Lied des Igor - frei zugrunde lag. Als Antwort äußerte sich Borodin überzeugt, alles darin entspräche seinem Talent und seinem künstlerischen Naturell: «breite, epische Themen, nationale Elemente, eine große Vielfalt bei den handelnden Personen, Leidenschaft, Dramatik und die ganze Farbenpracht des Orients». Er machte sich sofort daran, ein Libretto zu entwerfen, verlor jedoch bald den Schwung und ließ die Arbeit innerhalb von einem Jahr zum Stillstand kommen. Das Problem bestand darin, dass - seinen früheren Ansichten zum Trotz - die Handlung als Bühnengeschehen an Dramatik deutlich zu wünschen übrig ließ. Erst 1874 nahm er die Arbeit wieder auf. In der Zwischenzeit hatte er Orchestermusik geschaffen: die Zweite Symphonie sowie die Ballettmusik Mlada, eine Gemeinschaftsarbeit mit Borodin, Rimski-Korsakow, Mussorgski und Cui (ironischerweise sollte ein Großteil von Borodins Beitrag zu Mlada schließlich in die Oper Fürst Igor einfließen).

Nachdem Borodin endlich zu Fürst Igor zurückkehrte, ging die Arbeit zunächst nur langsam vonstatten. Der Hauptgrund dafür bestand darin, dass der Komponist vorwiegend ein hochangesehener Chemieprofessor und Arzt war und das Komponieren als zweitrangige Beschäftigung betrachtete. Da er sich dem Komponieren am ehesten während seiner Krankenzeiten widmen konnte - so Borodin -, begrüßten ihn seine Freunde lieber mit den Worten «Hoffentlich sind Sie unwohl!» als «Hoffentlich geht es Ihnen gut!»

Seine Freunde aber - vor allem Rimski-Korsakow - ließen nicht locker und ermutigten den Komponisten, indem sie Teile der neuen Oper in verschiedenen Konzertprogrammen unterbrachten, zum Teil noch bevor Borodin die entsprechenden Sätze komponiert hatte! Als Reaktion vollendete der Komponist unter anderem die Polowetzer Tänze, die heute den Schluss des zweiten Akts bilden. Allem Anschein nach hatte er die Orchestrierung noch nicht fertiggestellt, denn Rimski-Korsakow konnte sich später an einen Abend erinnern, an dem er, Borodin und Anton Liadow den Orchestersatz fieberhaft zu Ende führte. Insbesondere - so Rimski-Korsakow - arbeitete die Dreiergruppe mit Bleistift, während Borodin die fertigen Notenblätter mit Gelatine bestrich und wie Kleidungsstücke auf einer Wäscheleine zum Trocknen aufhängte. Vielleicht sind jedoch die Erinnerungen Rimski-Korsakows nicht ganz zuverlässig, denn in der gedruckten Partitur werden die Polowetzer Tänze den Teilen zugeordnet, die Borodin selber orchestrierte.

In den folgenden Jahren diente Rimski-Korsakow dem Komponisten gewissermaßen als Adlatus (einmal bezeichnete er sich sogar als dessen «musikalischen Sekretär»), um Borodin an der weiteren Ausführung der Oper behilflich zu sein. Borodin war jedoch oft mit seinen chemischen Forschungsarbeiten oder mit musikalischen Projekten wie der Dritten Symphonie zu stark beschäftigt, um darauf einzugehen. Als unvermeidliches Ergebnis blieb ein Großteil der Oper ohne Orchestrierung, und einige Teile (vor allem im dritten Akt) wurden überhaupt nicht in ausgearbeiteter Form niedergeschrieben.

Wie konnte sich Borodin zwanzig Jahre lang einer Oper widmen, die er nie vollendete? Zum Teil liegt der Grund im vorhin erwähnten grundsätzlichen Mangel an Dramatik bezüglich der Handlung, die stattdessen durch eine Reihe von großen Tableaus ersetzt wird. Borodin war sich dieses Mangels offensichtlich allzu bewusst, denn er verbrachte viel (vielleicht sogar zuviel) Zeit damit, ein eigenes Libretto zu verfassen, was ihn als Teilzeitkomponisten sehr beanspruchte. Darüber hinaus fasste er den Plan, russische Volkslieder in die Oper mit einzubeziehen, und verbrachte einen Teil seiner Ferien damit, ländliche Ortschaften aufzusuchen, wo er von den bäuerlichen Landarbeitern Lieder sammeln konnte (aus einem solchen Volkslied - Die Spatzenhügel - erwuchs eine Reihe von Themen). In den 1870er Jahren war dies noch eine ungewöhnliche Vorgehensweise; erst dreißig bis vierzig Jahre später haben Bartók, Grainger, Vaughan Williams und andere Ähnliches, allerdings in größerem Ausmaß unternommen. Diese Arbeiten nahmen jedoch Borodins Zeit ziemlich in Anspruch, zumal seine noch verbleibende Lebenszeit knapp bemessen war: Nachdem er einige Wochen lang unter Brustschmerzen litt, brach er am 15. Februar 1887 während eines vornehmen Tanzabends im Alter von nur 53 Jahren tödlich zusammen - das Opfer eines massiven Herzinfarkts.

Dieses frühzeitige Ende hatte Borodins Freund und Schüler A. P. Dianin bereits vorausgesehen, der in weiser Voraussicht schon vorher versprach, Rimski-Korsakow über die kompositorischen Fortschritte an Fürst Igor zu informieren, damit die Freunde des Komponisten vom außergewöhnlichen Gedächtnis des jungen Alexander Glasunows Gebrauch machen konnten, während Borodin die neukomponierten Teile am Klavier vortrug. Wenigstens auf diese Weise blieben die Ouvertüre und Teile des dritten Akts - zusammen mit den ersten beiden Sätzen der Dritten Symphonie - der Nachwelt erhalten.

Was das Gedächtnis Glasunows anbelangt: Dianin erinnerte sich später, wie Glasunow einmal Borodin bat, die Ouvertüre zu Fürst Igor vorzuspielen. Der Komponist lehnte ab mit der Begründung, er sei ihrer überdrüssig geworden, woraufhin Glasunow erwiderte: «Dann werden Sie es vielleicht mir erlauben, sie vorzuspielen», und eine Aufführung darbot, die Borodin anschließend als «bis auf das letzte Detail genau» bezeichnete.

Die Vervollständigung der Oper

Die Oper Fürst Igor ist in fünf verschiedenen Stadien der Vollständigkeit überliefert worden:

– Zehn Teile wurden in Orchesterpartitur vollendet. Vorwiegend handelt es sich hierbei um diejenigen Abschnitte, die Borodin zur Aufführung bei verschiedenen Konzertanlässen notgedrungen fertigstellen musste. (Es wundert also nicht, dass diese Teile zu den beliebtesten Nummern der Oper gehören.)

– Ein Großteil des ersten, zweiten und vierten Akts wurde im Klavierauszug vollständig ausgearbeitet, wobei vieles davon unter der Leitung des Komponisten bereits von Rimski-Korsakow niedergeschrieben wurde.

– Einige Abschnitte (vor allem die Ouvertüre und ein Großteil des dritten Akts) wurden zwar vom Komponisten fertig komponiert, wurden jedoch bis auf einige Skizzen nie aufgeschrieben. Allerdings hatte Borodin die Musik seinen Freunden bei zahlreichen Anlässen vorgespielt.
– Einige Abschnitte blieben gänzlich unvertont.

– Die endgültige Reihenfolge der Szenen wurde noch nicht festgelegt.

Kurz nach dem Tod des Komponisten machten sich Rimski-Korsakow und der junge Alexander Glasunow daran, eine Aufführungsversion der Oper zu erstellen. Insbesondere erklärte sich Glasunow bereit, die Ouvertüre und den dritten Akt aus den Skizzen Borodins sowie aus den eigenen Erinnerungen an die Klaviervorträge des Komponisten wiederherzustellen. Die Ouvertüre wurde von Glasunow offenbar fast ganz aus dem Gedächtnis rekonstruiert (siehe oben!).

Die vollständige Oper erschien 1888 in Druck. Die Erlöse der frühen Aufführungen wurden dazu verwendet, ein «Borodin-Stipendium» am Petersburger Konservatorium zu stiften.

Es folgt eine Aufstellung der jeweiligen Beiträge dieser drei Komponisten, wobei die Ziffern in der linken Spalte sich auf die einzelnen Nummern im Inhaltsverzeichnis, die in der rechten Spalte hingegen auf die Seitenzahlen der Partitur beziehen. Im großen und ganzen hat Rimski-Korsakow den Klavierauszug Borodins fürs Orchester umgearbeitet, ohne viel Eigenes hinzuzufügen, während Glasunow die von ihm rekonstruierten und orchestrierten Abschnitte teilweise neukomponierte. Insgesamt haben Rimski-Korsakow und Glasunow schätzungsweise ein Sechstel der endgültigen Fassung der Oper selber komponiert.

Die Partiturteile und ihre Schöpfer:

_Ouvertüre_

Glasunow 1

1. Akt
Nr. 1 Borodin 51
1 (moderato) Rimski 74
1 (moderato) Borodin 105
2a Rimski 119
2b Borodin 130
2c Rimski 144
2d Rimski 148
2e Rimski 158
2f Rimski 162
2g Rimski 177

2. Akt
3 Rimski 190
4 Borodin 203
5 Rimski 217
6 Rimski 233
7 Rimski 1
8 Rimski 11
9 Borodin 30
10 Rimski 39
11 Borodin 52
12 Rimski 59
13 Rimski 84
14 Rimski 104
15 Borodin 115
16 Rimski 135
17 Borodin 142

3. Akt
18 Rimski 215
19 Glasunow 250
20a Glasunow 263
20b Glasunow 270
20c Glasunow 276
21 Glasunow 288
22 Glasunow 315
23 Glasunow 318
24 Glasunow 334

4. Akt
25 Borodin 366
26 Borodin 379
27 Rimski 381
28 Rimski 410
29 Rimski 446

Fast zwei Jahre dauert die Vollendung der Oper nach Borodins Tod. Glasunow nimmt den Fürsten mit in die Sommerfrische auf die Krim und wieder mit nach Hause, immer wieder sitzt er an den noch fehlenden Teilen, bringt eigenes Gedankengut ein und erinnert sich an Borodins Ideen. Glasunow schreibt in einem Brief: "Es zeigte sich, dass unsere Zusammenarbeit nicht nur ein simples Arrangement der Musik von Borodin sein konnte, sondern eine Arbeit, die abgesehen von unseren technischen Anmerkungen eine große schöpferische Anstrengung erforderte."

Anders als Mussorgskis "Boris Godunow" gibt es von "Fürst Igor" keine Urfassung des Komponisten, sondern lediglich das Manuskript der Oper in Rimskis und Glasunowas Handschrift mit der Bemerkung Rimskis: "Die Oper wurde vollendet am 12. März 1888". Anderthalb Jahre später erscheint diese einzigartige Gemeinschaftsproduktion im Belajeff-Verlag. 1890 findet dann die lang erwartete Uraufführung in St. Petersburg statt.

Der Komponist Nikolaj Tscherepnin bemerkt nach der Durchsicht der Partitur: "Es ist unmöglich festzustellen, ob diese Passage oder jene Partie von diesem oder jenem der drei Komponisten ist. Diese Oper ist wirklich eine gemeinsame Schöpfung von Borodin, Rimski-Korsakov und Glasunow". Bis heute gilt das dreistündige Mammutwerk "Fürst Igor" als ein Sittengemälde der russischen Vergangenheit. Losgelöst von der Opernbühne haben die berühmten, bereits hier im Thread vorgestellten, "Polowetzer Tänze" schnell ein Eigenleben geführt. Sie wurden schon zu Lebzeiten Borodins aufgeführt. Rimski hatte bei der Instrumentierung geholfen, der Choreograph Michail Fokin machte sie zu einem eigenständigen Ballett. Im Konzertsaal haben sie bis heute eine große Wirkung, ob, wie im Original, mit Chor oder ohne.

In den 1970er Jahren untersuchte der russische Musikwissenschaftler Pawel Lamm die Quellenlage erneut und entdeckte dabei, dass Rimski-Korsakow und Glasunow rund 1787 Takte der Borodinschen Vertonung entweder übersahen oder unterschlugen. Seitdem sind einige neue Aufführungsausgaben in Druck erschienen – vor allem 1978 in Ost-Berlin – , jedoch konnte sich bisher noch keine von ihnen durchsetzen. Eine wissenschaftlich-kritische Urtextausgabe von Fürst Igor steht noch aus.

Inhalt:

Handelnde Personen

Igor Swjatoslawitsch, Fürst von Sewersk – Bariton
Jaroslawna, seine Frau – Sopran
Wladimir Igorewitsch, sein Sohn – Tenor
Wladimir Jaroslawitsch, Fürst Galizki, Bruder Jaroslawnas – Baß
Kontschak und Gsak, Polowezer Khane – Baß
Kontschakowna, Tochter Kontschaks – Mezzo-Sopran
Owlur, ein Polowetzer – Tenor
Skula, Gudokspieler – Baß
Jeroschka, Gudokspieler – Tenor
Amme Jaroslawnas – Sopran
Polowetzer Mädchen – Sopran

Russische Fürsten und Fürstinnen, Bojaren, Bojarinnen, die Ältesten, russische Krieger, Mädchen, Volk, Polowetzer Khane, Freundinnen der Kontschakowna, Sklavinnen Kontschaks, russische Gefangene, Polowetzer Wachen.

Zeit des Geschehens: das Jahr 1185.

Zusammenfassung der Handlung
(aus: Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters, München 1986)

Prolog
Ein Platz in der Stadt Putiwl: Fürst Igor Swjatoslawitsch ruft zum Heereszug gegen die Nomaden. Im Streit gegen die Heiden versichert er sich des Beistands der Kirche. Der Himmel selbst gibt ein Zeichen: Die Sonne verfinstert sich. Das Volk und Igors Frau Jaroslawna deuten das als Warnung und bitten ihn, daheim zu bleiben. Er schlägt das Zeichen und die Warnungen aus. Doch zwei seiner Leute, die Bänkelsänger Skula und Jeroschka, entziehen sich dem Heeresdienst. Igor vertraut Jaroslawna die Herrschaft an, bittet den Schwager Galizki, der Frau beizustehen, und zieht mit dem Sohn Wladimir und einigen wenigen verbündeten Fürsten in den Krieg.
I. Akt
1. Bild, Hof bei Galizkis Haus: Jaroslawnas Bruder, Wladimir Galizki, wurde vom eigenen Vater verjagt, weil er nach dessen Thron strebte. Galizki will nun Igors Abwesenheit nutzen, um die Herrschaft in Putiwl an sich zu reißen. Er lädt den Pöbel zu Gast und gewinnt ihn für sich, darunter auch Skula und Jeroschka. Putiwler Mädchen sind dem Aufrührer als Beute willkommen. Er raubt sie auf offener Straße und gibt sie den Verwandten nicht wieder zurück.
2. Bild, Raum in Jaroslawnas Haus: Von Igor kommt keine Nachricht. Jaroslawna sorgt sich um den geliebten Mann und den fähigen Herrscher. Galizkis Untaten werden ihr bekannt. Als sie Rechenschaft von ihm fordert, verlangt er die Herrschaft über Putiwl. Jaroslawna droht, ihn dem Vater auszuliefern. Da erreicht sie die Kunde, dass Igor gefangen sei und das russische Heer vernichtet wurde. Er erhebt sich die Frage, wer nun die Stadt vor Feinden schütze. Galizki fordert den Thron. Die treuen Bojaren bekennen sich zu Jaroslawna. Bürgerkrieg droht. Sturmglocken künden den Einfall der Polowetzer.
II. Akt
Polowetzer Lager: Gesang und Tanz der Polowetzer Mädchen geben dem Lager der Krieger Glanz. Der Tag endet, alles begibt sich zur Ruhe. Des Khans Kontschak Tochter fühlt Zuneigung zu dem jungen Fürsten Wladimir. Er erwidert ihre Liebe. Auch der gefangene Igor findet keine Ruhe. Der getaufte Polowetzer Owlur ist von Jaroslawna geschickt und bietet ihm ein Pferd und damit die Möglichkeit zur Flucht. Doch Igor schlägt sie aus, weil er sein Wort gegeben hat, nicht zu fliehen. Kontschak trägt ihm an, das frühere Waffenbündnis zu erneuern. Igor lehnt ab. Um ihm die Freuden und Schönheiten des Polowetzer Lebens zu zeigen, befiehlt der Khan Tänze.
III. Akt
Ein anderer Teil des Lagers: Von einem Heereszug kehrt Khan Gsak mit seiner Horde zurück. Die Polowetzer feiern Heimkehr und Sieg. Igor erkennt, dass die Polowetzer seine Niederlage nutzen und dass er schuldig wurde am Schicksal seines Volks. Er nimmt Owlurs Hilfe nun an. Als ihm die mitgefangenen Fürsten zur Flucht raten, entschließt er sich und flieht. Wladimir zögert noch, Kontschakowna hält ihn auf. Die Flucht Igors wird entdeckt. Wladimir droht der Tod. Doch Kontschak verschont ihn, denkt er doch die eigene Macht zu festigen, wenn er den jungen russischen Fürsten mit seiner Tochter verheiratet. (Dem flüchtenden Igor zur Unterstützung flehen die russischen Gefangenen zum Don, der seine mächtigen Wasserfluten erhebt, dass Igor den Weg aus Polowetzer Landen zur russischen Heimat findet.)
IV. Akt
Das zerstörte Putiwl: Jaroslawna beklagt Igors Schicksal und das Leid in der Stadt. Da erreicht der Fürst die Heimat. Igor und Jaroslawna erkennen einander. Unkundig der Heimkehr des Fürsten, singen Skula und Jeroschka ein Spottlied auf Igor. Als sie sehen, dass dessen Zeichen Putiwl wieder schmückt, ergreift sie Angst. Sie läuten die Glocken und geben den Herbeigelaufenen Kunde von Igors Rückkehr. Nun steht die Sonne hell am Himmel: Fürst Igor ist wieder auf russischer Erde. (Epilog.)

(Quellen: http://www.repertoire-explorer.musikmph.de und Ulla Zierau, SWR2 Musikstunde v. 12.08. 2015)
*******sima Frau
2.542 Beiträge
From the Mariinsky Theatre in St. Petersburg, Russia (1998)
Kirov Opera Company & Kirov Ballet
Valery Gergiev - conductor
Yevgeny Sokovnin, Irkin Sabitov - stage direction
Soloists:
Nikolai Putilin - Igor Sviatoslavich, Prince of Severesk (Prince Igor)
Galina Gorchakova - Yaroslavna (his second wife)
Jevgenij Akimov - Vladimir Igorievich (his son by his first marriage)
Sergei Aleksashkin - Vladimir Yaroslavich
Nikolai Gassiev & Grigory Karasev - Skula & Yeroshka (two gudlock players)
Vladimir Vaneev - Konchak (Polovtsian Khan)
Olga Borodina - Konchakovna (daugther of Khan Konchak)
Valery Lebed - Ovlur (a Christian Polovtsian)
Tatiana Pavlovskaya - A Polovtsian Maiden

Alexander Porfiryevich Borodin - Prince Igor
Opera in four acts with prologue
Libretto by Alexander Porfiryevich Borodin, based on "The Song of Igor's Campaign"


*******sima Frau
2.542 Beiträge

*******sima Frau
2.542 Beiträge
Und als Kontrastprogramm hierzu noch der Link zu einer Feuilleton-Kritik über die aktuelle Inszenierung der selben Oper an der Opéra de Paris im Jahr 2019 aus der Neuen Züricher Zeitung:
https://www.nzz.ch/feuilleto … ischen-geschichte-ld.1526852
*******sima Frau
2.542 Beiträge
Hier eine Version der "Polowetzer Tänze" mit Chor in russischer Sprache (samt deutscher Texteinblendungen)

*******sima Frau
2.542 Beiträge
Die Symphonien
Drei Stück gibt es:

Sinfonie Nr. 1 Es-Dur – 1862–67
Sinfonie Nr. 2 h-Moll – 1869–76
Sinfonie Nr. 3 a-Moll – 1886/87, unvollendet

Im Jahre 1869 wurde Borodins erste Sinfonie, dirigiert von Balakirew, aufgeführt.
In den 1850er Jahren hatte sich Borodin an der deutschen Romantik orientiert, vor allem an Felix Mendelssohn-Bartholdy, doch später werden werden Michail Glinkas Werke, russische Sujets und russische Folklore prägend.

Die erste Symphonie ist Mili Balakirew gewidmet und in ihren Ecksätzen westeuropäischen Vorbildern verpflichtet (Durchführungstechnik des mittleren Beethoven, Berlioz' Instrumentation, Liszts Themenbildung).

Die Premiere seiner zweiten Symphonie, gewidmet seiner Frau, war in St. Petersburg zunächst ein Fehlschlag, aber als Franz Liszt 1880 in Baden-Baden eine weitere Aufführung unter der Leitung von Wendelin Weißheimer arrangierte, kam Borodin auch außerhalb von Russland zu einigem Ruhm. Begeistert schreibt Borodin an Weißheimer: „Herr Professor Riedel war so freundlich, mich über den Erfolg meiner Symphonie zu benachrichtigen. Den guten Erfolg habe ich ohne Zweifel der ausgezeichneten Ausführung unter Ihrer talentvollen Leitung zuzuschreiben.“

Die dritte Symphonie blieb unvollendet, es existiert lediglich der erste und zweite Satz, die ergänzt und instrumentiert wurden von Alexander Glasunow.

Es gibt viele unterschiedliche Einspielungen, meine bevorzugte ist die des Stockholmer Philharmonischen Orchesters unter Gennadi Roshdestvenski von 1993/94. das habe ich allerdings nicht als Video gefunden und stelle deshalb die Aufnahme der ersten Symphonie zwar mit diesem Dirigenten, aber mit dem Staatlichen Fernseh- und Radiosymphonieorchester der UdSSR hier ein.




Die zweite Symphonie spielt das Mariinsky Theatre Orchestra unter Valery Gergiev im Jahr 2005 in Stockholm:
I. Allegro (00:00)
II. Scherzo: Prestissimo - Trio: Allegretto (07:50)
III. Andante (13:07)
IV. Finale: Allegro (23:42)



Die dritte Symphonie ist eine Aufnahme des Orchestre de la Suisse Romande unter Ernest Ansermet:
00:00:00 - Moderato assai
00:07:18 - Scherzo: Vivo. - Trio: Moderato



Borodin hat später, 1875 bzw. 1877 seine erste und zweite Symphonie auch jeweils für Klavier zu vier Händen transkribiert. Davon konnte ich allerdings keine Aufnahmen auftreiben.
*******ltra Mann
1.393 Beiträge
Sinfonien von Borodin – wieder Neuland für mich!
Ich habe in die 2. Sinfonie mal länger reingehört. Das Gesanglich-Folkloristische dieser Musik schafft Atmosphäre und man bekommt auch ein Gefühl für die Weiten Russlands.
Der Weg zu Tschaikowsky ist aber doch noch ziemlich weit. *smile*
*******sima Frau
2.542 Beiträge
Der "Weg zu Tschaikowsky", lieber @*******ltra, war allerdings auch gar nicht beabsichtigt, ganz im Gegenteil. Borodin war ja, wie weiter oben bereits beschrieben, Mitglied des "Mächtigen Häufleins", einer Petersburger Komponistengruppe, die sich selbst die "Novatoren" nannte, und die ihren Gegenpol in einer Moskauer Komponistengruppe hatte, der u.a. auch Tschaikowski und Rubinstein angehörten.(https://de.wikipedia.org/wiki/Gruppe_der_F%C3%BCnf)

Wolfgang Sandberger hat sich in einer SWR2 Musikstunde einmal etwas näher mit dem Verhältnis beider Gruppierungen zueinander befasst, wobei er sich hauptsächlich auf eine Gegenüberstellung von Tschaikowski und Rimski Korsakow konzentriert. Die folgenden Passagen entnehme ich diesem Manuskript (SWR2 Musikstunde, 26.9.2017).

"Als Peter Tschaikowsky die musikalische Bühne betritt, ist die russische Musikszene in zwei Lager gespalten: Auf der einen Seite steht die einflussreiche Russische Musikgesellschaft mit ihrem Gründer Anton Rubinstein. Der ist akademisch-konservativ und sucht den Anschluss an die europäische Tradition. Auf der anderen Seite kämpft in St. Petersburg die nationalrussische Schule, das sogenannte Mächtige Häuflein. Diese Komponistengruppe hat sich die Idee einer durch und durch russischen Musik auf ihre Fahnen geschrieben. Tschaikowsky hat es vermieden, in diesem Streit eine eindeutige Position zu beziehen. Zwar wird er als junger Student von Anton Rubinstein protegiert, doch auch zu den Komponisten des Mächtigen Häufleins hat er Kontakte...

Genau genommen ist dieses „Häuflein“, das sich um Mili Balakirev schart, eine Art musikalische Selbsterfahrungsgruppe: alles Akademische oder Schulmäßige ist in diesem Kreis verpönt. ‚Selbst ist der Komponist‘ –so das Motto, ein Komponist, der meist zunächst ja gar keiner ist: César Cui ist ein Festungsbauingenieur im Generalsrang, Modest Mussorgsky Gardeoffizier. Ebenfalls kein Musikprofi: Alexander Borodin, er ist Arzt, mit 31 immerhin auch schon Professor für Chemie. Und Rimski-Korsakov wird Marineoffizier, ja er ist das noch, als er in Petersburg später zum Professor für Komposition und Instrumentation ernannt wird...

Tschaikowsky hat als Student am Petersburger(!) Konservatorium eine breite akademische Musikausbildung genossen. In Komposition und Instrumentation erhält er das Prädikat „exzellent“, als Organist ein „gut“, als Pianist sogar ein „sehr gut“. Nur im Dirigieren hat er ein „Befriedigend“, was wohl seiner Schüchternheit geschuldet ist. Als Abschlussarbeit hat er Schillers Ode an die Freude zu vertonen -was für eine Aufgabe! Gegen eine solche akademische Musikausbildung, die an Beethoven orientiert ist, macht das sogenannte Mächtige Häuflein Front: wozu einen Schiller-Text vertonen! In diesem Kreis plädiert man dafür, auf alle akademischen Studien und Übungen zu verzichten und seiner Inspiration freien Lauf zu lassen.

Tschaikowsky indes sieht das eher skeptisch. In einem Brief heißt es über diese junge Komponistengruppe aus Petersburg: „Alle neuen Petersburger Komponisten sind sehr begabt, aber sie zeichnen sich durch eine furchtbare Überheblichkeit aus und glauben auf ganz dilettantische Art, sie wären der übrigen Welt überlegen. Eine Ausnahme macht Rimski-Korsakov. Er ist zwar auch Autodidakt wie die übrigen, hat sich jedoch zuletzt sehr gewandelt. Rimski ist ein sehr ernster, aufrichtiger und gewissenhafter Mensch. Ganz jung geriet er in diesen Kreis, der ihn vor allem davon zu überzeugen suchte, er sei ein Genie und ein Studium der Musiktheorie wäre für ihn nicht erforderlich, da die schöpferische Kraft dadurch verkümmere und die Eingebung vernichtet werde. Anfangs glaubte er daran. Seine ersten Kompositionen verraten ein ungeheures Talent, dem jedoch jedes theoretische Wissen fehlt.“ -so also äußert sich Tschaikowsky über Rimsky Korsakov, der ihm aus dem Kreis des Mächtigen Häufleins fraglos am sympathischsten ist....

Tschaikowsky ist knapp 28, als er zum ersten Mal auf Komponisten des sogenannten Mächtigen Häufleins trifft: In der Wohnung von Mili Balakirev begegnet er –neben dem Hausherrn –auch Borodin und Rimski-Korsakov. Tschaikowskys Kontakte zu dieser jungen russischen Komponistengruppe konzentrieren sich fortan auf Balakirev und Rimski-Korsakov. Immerhin sind 36 Briefe zwischen Tschaikowsky und Rimski-Korsakov erhalten, Briefe, die von einem anregenden Austausch zeugen. Zunächst aber ist es der Kopf der Gruppe, der ältere Mili Balakirev, der Tschaikowsky anzieht. Im März 1829 dirigiert Balakirev die Sinfonische Dichtung „Fatum“ des 29-jährigen Tschaikowsky, auch wenn Balakirev doch einiges zu kritisieren hat: das Ganze klinge wie die Imitation des deutschen musikalischen Zoos! Immer wieder hagelt es von dem dominanten Balakirev Kritik, von der sich der unsichere Tschaikowsky stets erholen muss....

Das Verhältnis zwischen Tschaikowsky und dem sogenannten Mächtigen Häuflein ist ambivalent: Die einst in der sowjetischen Musikgeschichtsschreibung lange propagierte Freundschaft, bei der doch alle nur ein gemeinsames Ziel vor Augen gehabt hätten, nämlich: die russische Musik!, ist sicher nur die halbe Wahrheit. Umgekehrt wurde aus westeuropäischer Perspektive die Polarisierung zwischen Tschaikowsky und den jungen Wilden des Mächtigen Häufleins überbetont. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo in der Mitte. Am Ende seines Lebens hat sich Tschaikowsky in einem Interview für eine Petersburger Zeitschrift noch einmal recht differenziert zu diesem Thema geäußert. Dabei hebt er vor allem die Gemeinsamkeiten mit Rimski-Korsakov hervor: beide seien doch Vertreter einer neuen Zeit, beide hätten sie sich mit der Programmmusik beschäftigt, aber auch traditionelle Formen der Sinfonie verwendet. Und beide seien in der Oper von Wagner beeinflusst. Beide seien sie zudem Pädagogen und gingen hier einen gemeinsamen Weg.

Diese versöhnlichen Worte sind sicher von einer gewissen Altersweisheit diktiert, doch Tschaikowsky unterstreicht zugleich, dass das Mächtige Häuflein gar keine so geschlossene Gruppe sei, sondern dass auch hier jeder einzelne Komponist seinen individuellen Charakter in sich trage. Bescheiden betont Tschaikowsky in diesem Interview, dass es ihm eine Ehre wäre, neben den anderen russischen Komponisten „auf dem Podium“ zu stehen...".

Unverstellter äußerte er sich jedoch gegenüber seiner Gönnerin Nadeschda von Meck, einer reichen Witwe, die ihn finanziell unterstützt, in einem Brief aus San Remo am 24. Dezember 1877. Dieser ist, ebenso wie ein Brief Borodins an seine Frau vom 24. Oktober 1872, in dem er sich ebenfalls über die Gruppe und Balakirev auslässt, nachzulesen auf der privaten Webpage des freien Musikpädagogen Lorenz Kerscher unter folgendem link: http://musik.barfuss.net/inspiriert/maechtiges_haeuflein.htm
*******ltra Mann
1.393 Beiträge
Liebe Tantrissima!
Hab Dank für die aufschlussreichen Informationen über die russische Komponistenszene des 19. Jahrhunderts. Das ist sehr interessant!
Die Rivalität zwischen den beiden Komponistenlagern zeigt, wie unsinnig es ist, wenn der Musik ideologische Dinge übergestülpt werden. Und ideologische Schablonen schaden letztendlich der Musik selbst.
Tschaikowsky hat in deiner musikalischen Größe und Bedeutung alle Komponisten des „Mächtigen Häufleins” hinter sich gelassen – und so war meine Anmerkung in bezug auf Borodins Sinfonien auch gemeint. Die klingen, verglichen mit denen von Tschaikowky, doch ein wenig nach Piek einfach. *zwinker*
*******ltra Mann
1.393 Beiträge
Mal eine Frage an die Klassikgemeinde hier:

Es sind ja nun mehrere vorgstellte Musiken Borodins von Valery Gergiev dirigiert worden.
Welche Rolle spielt es für euch, dass Gergiev sich ausdrücklich zur Politik Wladimir Putins bekennt und gewissermaßen zu dessem Zirkel gehört?
Trennt ihr das Politische vom Künstlerischen?

Das soll in diesem Borodin gewidmetem Thread nur ein kleiner Exkurs sein.
**********gosto Frau
16.056 Beiträge
Mir waren die politischen Sympathien von Gergiev nicht bekannt, und so habe ich diesem Aspekt auch keine Bedeutung beigemessen.
*****y53 Mann
86 Beiträge

*******sima Frau
2.542 Beiträge
Gergiev
Zitat von *******ltra:
Es sind ja nun mehrere vorgstellte Musiken Borodins von Valery Gergiev dirigiert worden.
Welche Rolle spielt es für euch, dass Gergiev sich ausdrücklich zur Politik Wladimir Putins bekennt und gewissermaßen zu dessem Zirkel gehört?
Trennt ihr das Politische vom Künstlerischen?

Da die Musikvideos, in denen Gergiev dirigiert, von mir eingestellt wurden, will ich kurz antworten, finde allerdings gleichzeitig, dass die Frage grundsätzlich nicht in diesen KdM-Therad gehört.
Hier geht es um Borodin, und ich habe schlicht Hörbeispiele gesucht, die zu meinen jeweiligen Wortbeiträgen passen, und diese dann eingestellt, damit man die entsprechenden Musikstücke dazu auch hören kann. Punkt.

Ob Gergiev "zum Zirkel Putins gehört", kann ich nicht beurteilen. Ich habe bis jetzt nur mitbekommen, dass er von amerikanischen und europäischen Homosexuellen-Vereinigungen aufgefordert wurde, sich öffentlich gegen die Verschärfung der Anti-Homosexuellen-Gesetzgebung in Russland zu wenden, was er jedoch nicht getan hat, warum auch immer. Ähnliches habe ich über die Sopranistin Anna Netrebko gelesen, das war 2015. Sie soll sich allerdings zusätzlich öffentlich positiv über die russische Annektion der Krim geäußert und diese gut geheißen haben. Und jetzt, im Oktober 2020, hat der russische Oppositionelle Nawalny, der kürzlich einen Giftanschlag des russischen Geheimdienstes nur knapp überlebte, von der EU gefordert, gegen Gergiev ein Einreiseverbot zu verhängen, wegen seiner "Nähe zu Putin", was auch immer das genau heißen mag.

Für mich sind solche Forderungen grundsätzlich fragwürdig, da häufig diejenigen, welche solche Forderungen aufstellen, in meinen Augen andere Menschen illegitimer Weise für ihre eigenen Ziele oder politischen Auffassungen zu instrumentalisieren versuchen, was im übrigen oft kaum von gezielter Denunziation zu unterscheiden ist, solange nicht ganz konkrete Sachverhalte und negative persönliche Verstrickungen und Verfehlungen dabei aufgezeigt und nachgewiesen werden können.

Hintergrundinfo zum "Fall Gergiev" fand ich aktuell in dem hier verlinkten Artikel: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/genie-und-guenstling. Dort wird auch eine alternative mögliche Betrachtungsweisen aufgezeigt: "Seine internationale Geltung macht ihn unabhängig von Putin – auch so herum wird ein Schuh daraus."


Ja, es kann irritierend sein, wenn Künstler von Machthabern vereinnahmt werden. Es wäre meines Erachtens aber problematisch, sie an ihrer Arbeit zu hindern – genauso problematisch, wie politische Aspekte mit künstlerischen Urteilen zu vermischen. Es ist und bleibt durchaus widersprüchlich: Kunst passiert innerhalb der Gesellschaft und steht unter ihrem Einfluss, zugleich definiert sie sich nur durch sich selbst. Von der Politik – die sich nicht einzumischen hat – wird sie ermöglicht, gefördert, be- oder verhindert.
*******ltra Mann
1.393 Beiträge
Danke dir, Tantrissima!
Mit der dir eigenen Gründlichkeit hast du als Einzige hier deinen Standpunkt dargelegt.
Dass meiner davon abweicht, soll Borodin jetzt nicht weiter im Wege stehen! *smile*
***um
Wegen Überfüllung geschlossen
Dieses Thema hat die maximale Länge erreicht und wurde daher automatisch geschlossen.

*geschlossen*


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