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KOMPONIST des Monats, X. Teil

*****der Mann
6.987 Beiträge
Hier die 2. von Gade


*******sima Frau
2.540 Beiträge
Manuskriptauszug (2)
Im Sommer 1838, mit 21 Jahren, hat Niels Wilhelm Gade das Bedürfnis, sich von seinem Lehrer Berggreen in Kopenhagen zu emanzipieren, das Schülerdasein endgültig zu beenden. Gade kündigt seinen Geigerposten in der königlichen Kapelle und wagt ein mutiges Experiment. Er, der Orchestergeiger, möchte testen, inwieweit sein instrumentales Talent für eine Solokarriere reicht. Und so plant der junge Mann eine Virtuosen-Tournee durch ganz Skandinavien. Ein ehrgeiziges Projekt, schließlich ist Gade als Virtuose außerhalb von Kopenhagen noch nie in Erscheinung getreten, und nun will er allein über unsichere Konzerteinnahmen die Reisekosten bestreiten. Die Reise wird in persönlicher Hinsicht wohl ein Erfolg, tatsächlich fühlt Gade, endlich aus dem Schatten seines Lehrers getreten zu sein. In anderer Hinsicht ist die Tournee eine Katastrophe. Gade bekommt nur wenige Konzerte organisiert, die Einnahmen reichen weder für Kost noch Logis unterwegs...

Der Fehlschlag führt dazu, dass Gade am Ende seiner finanziellen Ressourcen einen Brief an seine Eltern verfasst, in dem er sie bittet, ihm Geld für die Rückreise zu schicken. Er sei pleite. Zurück in Kopenhagen fürchtet Gade eine ärgerliche Reaktion seiner Eltern, aber die sind nur froh: der verlorene Geigenvirtuose ist sicher zurück. ...

Während die Tournee durch Schweden und Norwegen im Sande verläuft, definiert sich Gade als Künstler neu. Komponieren wird jetzt sein oberstes Ziel. Und Gade dokumentiert diese neue Entwicklung ausführlich in einem Kompositionstagebuch, das er von 1839 bis 1841 führt. So gut wie alle Werke aus dieser frühen Phase der Künstlerwerdung sind dabei außermusikalisch inspiriert. Mal sind es Volksballaden, die Gade seinen frühen Werken zugrundelegt, mal Märchen und Heldenlegenden, mal eigene Gedichte.

Sein erstes mehrsätziges Streichquartett konzipiert Gade auf Textzeilen aus Goethes Gedicht „Willkommen und Abschied“:Es schlug mein Herz geschwind zu Pferde! Es war getan, fast eh gedacht... Die Nacht schuf tausend Ungeheuer; doch frisch und fröhlich war mein Mut...

Eigentlich hatte Gade Zeilen aus Goethes Gedicht „Willkommen und Abschied“ auch den Schlusstakten seines frühen F Dur Quartetts zugrundelegen wollen, aber im Laufe des Stücks scheint Gade sein Programm geändert zu haben. Das Gedicht wird zugunsten anderer Einfälle beiseite gelegt. Oft in dieser frühen Schaffensphase von Gade kann man anhand der Aufzeichnungen nachvollziehen, dass er Poesie nur als Zündfunken braucht, und sich während des Komponierens vom ursprünglichen Konzept löst.

Kurz nach Gades kammermusikalischen Gehversuchen kommt dann der orchestrale Durchbruch mit Gades ebenfalls dichterisch inspirierter Ossian Ouvertüre. Die Kopenhagener Musikgesellschaft lobt 1840 einen hoch dotierten Preis aus: Die beste neu komponierte Orchesterouvertüre soll mit 20 bis 25 Dukaten belohnt werden.Die Ausschreibung klingt fast wie eine Drohung: bestenfalls annehmbare Werke sollten nicht belohnt werden. Mittelmaß finde keine Gnade.

Zunächst ist Gade wohl auch deshalb zögerlich, er reicht bis zum ersten Fristablauf nichts ein. Erst als er auf der Straße von einem Kommissionsmitglied angesprochen wird, dass man sicher von ihm eine Arbeit erwarte und wohl auch seinetwegen den Einsendeschluss verschieben könne, macht sich Gade an die Arbeit. Gades Ouvertüre „Nachklänge von Ossian“ ist die letzte aller Einsendungen, eingereicht am 16. Januar 1841, anderthalb Monate nach der Begegnung auf der Strasse. Zwei Monate später steht fest: Niels Wilhelm Gade ist der Stern der jungen dänischen Komponistengeneration, bekommt den Preis, und seine Ossian Ouvertüre bleibt bis heute ein Repertoireschlager.

Die Melodie, die am Ende von Niels Wilhelm Gades Ossian Ouvertüre ganz in der Ferne langsam verhallt, kommt 1841 möglicherweise manchem Jury Mitglied des Kopenhagener Kompositionswettbewerbs seltsam bekannt vor. Und sicher ist diese unendlich breit vorgetragene Melodie mit ihrem versteckten Wiedererkennungswert das Erfolgsgeheimnis der Ouvertüre. „Moment mal, das kenn ich doch“ – dieser Aha Effekt ist ja das Rezept so manchen Ohrwurms. Das lyrische Hauptthema der Ouvertüre ist die etwa zehnfach verlangsamte Melodie eines jahrhundertealten dänischen Volkslieds, mit dem Niels Wilhelm Gade wohl während seiner Studienzeit an der königlichen Kapelle bekannt geworden war. „Ramund wäre ein besserer Mann gewesen, wenn er bessere Kleider gehabt hätte“, heißt es im mittelalterlichen Original, das die Keimzelle der Ossian Ouvertüre bildet.

Mit der Verwendung eines mittelalterlichen Zitats horcht Gade in der Ossian Ouvertüre am romantischen Puls der neuen Zeit. Dass die der Ouvertüre zugrundeliegenden Gedichte eines keltischen Barden Ossian aus grauer Vorzeit sich später als raffinierte Fälschungen eines englischen Hauslehrers erweisen, schadet der Rezeption ebenfalls wenig. Dem gefälschten Ossian Mythos sind letztlich unzählige Erzeugnisse der europäischen Kulturgeschichte zu verdanken. Und obwohl der falsche Ossian Mythos ins keltische Schottland weist, gilt Gade auch durch die Wahl des Stoffes bald als typisch nordischer Komponist Skandinaviens. Mit dem dänischen Volkslied und der vermeintlich noch irgendwie nordischen Mythologie im Gepäck wird Gade zum ersten skandinavischen Nationalkomponisten und zum Exportartikel.
*****der Mann
6.987 Beiträge
Und die 3. von Gade


*****der Mann
6.987 Beiträge
Niels Gade Elverskud


*****der Mann
6.987 Beiträge
@*******sima danke für die ausführlichen Informationen zu Niels W. Gade
Es ist ein super Engagement
*******ltra Mann
1.393 Beiträge
das ist hier auch im Ganzen festzustellen, dass es mit dem Thread wieder aufwärts geht. *top*
*******uck Mann
138 Beiträge
@*******sima, das ist wirklich toll von dir!
Danke *top*
*******sima Frau
2.540 Beiträge
Manuskriptauszug (3)
Im fernen Leipzig wird man auf den Mann aus Dänemark aufmerksam. Der Leipziger Gewandhausdirektor Felix Mendelssohn bemerkt sofort: Gades Ossian Ouvertüre ist etwas fürs Leipziger Publikum, wo nordische Mythen gerade groß im Schwange sind. Mendelssohn beauftragt im Januar 1842 die Leipziger Erstaufführung des Stücks. Und nur ein Jahr später, im Frühjahr 1843, zeitigt das Leipziger Förderprogramm einen weiteren triumphalen Höhepunkt in Gades Karriere. Mendelssohn selbst dirigiert am Gewandhaus die Uraufführung der ersten Symphonie des gerade 26jährigen. Der sitzt derweil vermutlich geschmeichelt und gespannt in Kopenhagen und drückt aus der Ferne die Daumen für seine Symphonie. Gade hat Mendelssohn bis dahin noch nie persönlich getroffen.Die Noten hat er per Post geschickt. ...

Wieder ist es ein dänisches Lied, das für das spezifisch skandinavische Kolorit dieser ersten Symphonie von Niels Wilhelm Gade sorgt. Drei von vier Sätzen des halbstündigen symphonischen Erstlings werden dominiert von einer Melodie, die in Dänemark gesungen wird zu einer Ballade über den dänischen König Waldemar. König Waldemars Jagd ist wieder eine jener Volksweisen, die Gade während seiner Studienjahre in Dänemark für Chor gesetzt hat. Während die Melodie des Waldemar Lieds im Symphoniefinale in Dur triumphal hinausposaunt wird, steht das volkstümlich klingende Original im Satz von Gade in Moll. ...

Mit diesem alles überstrahlenden Zitat eines dänischen Liedes ist Gades erste Symphonie die bis dahin sicher ausgewiesen dänischste Großschöpfung der Musikhistorie überhaupt. Insofern wirkt es wie Ironie der Geschichte, dass Gade in den Jahren seines Durchbruchs in Dänemark sehr viel weniger Erfolge feiert als im benachbarten Deutschland. Während Mendelssohn in Leipzig über die Musik aus dem Norden Jubelhymnen verfasst, hält man in Kopenhagen die erste Symphonie Gades für zu unbedeutend, um überhaupt aufgeführt zu werden. Ein Kopenhagener Kritiker nimmt gar Bezug auf die Leipziger Erfolge und schreibt gallig, in Leipzig würde man ja häufig geschmackliche Fehlurteile fällen. Schumann sei schließlich auch ein Beispiel für Musik, die erst in den Himmel gehoben würde, um später in Vergessenheit zu geraten.

Als die erste Symphonie Gades in Kopenhagen zunächst keine Chancen einer Aufführung bekommt, in Leipzig aber riesige Erfolge zeitigt, kehrt Gade Dänemark den Rücken. Auf Mendelssohns wiederholte Bitte hin fährt der junge Däne im Herbst 1843 nach Leipzig. Immerhin bekommt er ein Kopenhagener Reisestipendium. Mit dem Kopf ist er ohnehin schon fort. Nachdem er seine erste Symphonie Felix Mendelssohn Bartholdy gewidmet hat, widmet er die zweite gleich ganz zuversichtlich dem Leipziger Gewandhausorchester. Die Uraufführung seiner zweiten Symphonie dirigiert Gade selbst. Natürlich im Leipziger Gewandhaus. Robert Schumann, im Publikum sitzend, schreibt später über die Musik, man höre in ihr die lieblichen Buchenwälder Dänemarks rauschen. In Dänemark selbst hört man davon wenig. ...

Der ehemalige Kopenhagener „Davidsbündler“ Niels Wilhelm Gade schließt kurz vor der Premiere seiner zweiten Symphonie in Leipzig ... tatsächlich Freundschaft mit seinem ehemals aus der Ferne angebeteten Idol Robert Schumann. Häufig wird er bei den Schumanns eingeladen, verbringt Nächte in Auerbachs Keller mit Robert Schumann. Und am 15. Dezember 1843, kurz vor der Premiere der „Zweiten“, erhält Gade auch die höheren kammermusikalischen Weihen. Daheim bei Schumanns musiziert er auf der Geige. Es ist ein exklusives Hauskonzert in Anwesenheit der Leipziger Musikelite. Auf dem Programm: Gades erste Violinsonate op. 6, gewidmet Clara Schumann. Die Widmungsträgerin selbst sitzt am Flügel. Robert Schumann bietet anschließend das „Du“ an. Niels Wilhelm Gade, 26 Jahre alt, scheint angekommen....






*****der Mann
6.987 Beiträge
Danke @*******sima für die ausführlichen Infos zu Niels W. Gade

Hier die 5.

*******sima Frau
2.540 Beiträge
Manuskriptauszug (4)
„Als ganz besonders ausgezeichnet müssen wir hierbei noch das Direktionstalent des Herrn Gade erwähnen. Es ist nicht nur die große Sicherheit und Umsicht allein, mit welcher er das Orchester führt, zu rühmen. Er besitzt eine eigene, seltene Gabe, ähnlich der unvergleichlichen Gabe Mendelssohns, ... ohne große und auffallende Mühe das rechte Verständnis, den rechten Geist, die poetische Stimmung ... hineinzubringen.“
Das schreibt die Allgemeine musikalische Zeitung aus Leipzig nach der Uraufführung von Gades zweiter Symphonie im Januar 1844.

In Leipzig ist man sich einig: Gade ist nicht nur ein riesiges Kompositionstalent, sondern auch ein begnadeter Dirigent. In Dänemark ist man sich dagegen kaum bewusst, wieviel Erfolg Gade in Leipzig hat. In Kopenhagen gilt Gade nach wie vor als einfacher Geiger der königlichen Kapelle, der sich in Leipzig fortbildet. Während Gade also im folgenden Frühjahr mit der Kopenhagener Musikbürokratie noch um die Verlängerung seines Reisestipendiums kämpfen muss, kommt dann auch ein verlockendes Angebot vom Gewandhaus: Gade soll zweiter Musikdirektor des Gewandhauses werden und am Leipziger Konservatorium unterrichten. Auf einen Schlag ist Gade beruflich arriviert, eine sensationell steile Karriere.

In den Jahren zwischen 1845 und 1847 übernimmt Gade die eine Hälfte der Gewandhauskonzerte, die andere dirigiert Mendelssohn. Und Mendelssohn hat unendliches Vertrauen in seinen 8 Jahre jüngeren Schützling. So dirigiert Gade beispielsweise die Uraufführung von Mendelssohns Violinkonzert, während er sich privat sicher noch Ratschläge vom weltberühmten Kollegen für seine eigene dritte Symphonie holt. ...

Dass die dritte Symphonie von Niels Wilhelm Gade eindeutig unter dem Einfluss Mendelssohns steht, bemerkt man nach der Uraufführung im Dezember 1847 zunächst in Leipzig. „So feines hat Gade in seinen früheren Werken nicht geliefert“, schreibt der Kritiker der allgemeinen musikalischen Zeitung anschließend.

Inzwischen ist die Kunde von Gades Triumph endlich auch nach Dänemark gedrungen. Und dass ein vormals als so typisch nordisch wahrgenommener Komponist jetzt ausgerechnet unter deutschen Einfluss zu geraten scheint, macht den Kopenhagenern nun doch Sorgen. „Wenn Gade nur bloß kein Germane wird“, schreibt der dänische Kollege Hartmann an einen befreundeten Komponisten. Aber tatsächlich ist Gade offenbar genau auf diesem Pfad: langfristig deutsch zu werden.

Sein weiterer kometenhafter Aufstieg ist allerdings auch einer Tragödie zu verdanken.Kurz vor der Uraufführung der dritten Symphonie in Leipzig ist Felix Mendelssohn mit nur 38 Jahren verstorben. Gade selbst hat das Gedenkkonzert dirigiert. Bald darauf übernimmt Gade die alleinige Leitung der Gewandhauskonzerte. Robert Schumann, auch im Gespräch für die Position, wird nicht berücksichtigt. ...

Wenn man Niels Wilhelm Gade übel wollte, bezeichnete man ihn schon zu seinen Lebzeiten als Mendelssohn Epigonen. Aber möglicherweise klingt Gades Oktett von 1848 auch deshalb so mendelssohnartig, weil Gade das Cliché vom nordischen Komponisten in seinen 30er Jahren offenbar abstreifen will. Die Bemühungen Gades, eine Karriere als Künstler in der Leipziger Tradition zu machen, bekommen allerdings bereits kurz nach Mendelssohns Tod Gegenwind. Zunächst sind es wohl Eifersüchteleien von national gesinnten Kritikern, die in Leipzig lieber keinen Dänen auf dem Chefposten sehen würden, sondern beispielsweise Robert Schumann. Aber dann bricht der erste deutsch dänische Krieg um den Status von Schleswig und Holstein im März 1848 aus.

Dänen werden in den Ländern des deutschen Bundes plötzlich als Feinde betrachtet. In Leipzig häufen sich dänenfeindliche Affronts, Freunde beobachten, dass Gade zunehmend verunsichert erscheint. Indes kommen aus Kopenhagen nun plötzlich Angebote für einen beruflichen Neuanfang in Dänemark. Gade plant wohl schon im Frühjahr seine Ausreise, doch muss er noch eine letzte Leipziger Demütigung ertragen: Im Juni wird er formell zum Dienst in der Leipziger Bürgerwehr berufen. Falls er sich weigere, persönlich vor dem Kommunalgarden Ausschuss den Handschlag für die deutsche Sache zu leisten, werde er zwangsrekrutiert...Das ist nun zu viel für Gade. Er geht zurück nach Kopenhagen, und nachdem er als musikalischer Prophet lange nichts galt im eigenen Land, beginnt damit sein Aufstieg zum wichtigsten Mann der dänischen Musikszene seiner Zeit.
*******ltra Mann
1.393 Beiträge
sehr interessant im Hinblick auf Gade, was in Leipzig stattgefunden hat zu den Zeiten Mendelssohns und Schumanns! *top*
*******sima Frau
2.540 Beiträge
Gade - ein Mendelsohn-Epigone?
Der Aspekt, inwieweit Gade ein Mendelsohn-Epigone sei, wurde auch in einer SWR2-Musikstunde am 23. April 2020 beleuchtet, und zwar am Beispiel "Streicher-Oktett". Der folgende Text ist dem Manuskript von Christian Möller entnommen und ich habe dazu passende Musikvideos herausgesucht. Teilweise inhaltliche Überschneidungen mit dem vorhergegangenen Manuskriptauszug (4) habe ich dabei in Kauf genommen, um die beiden Ursprungs-Texte nicht unzulässig zu verfälschen.

Aufdringliche Frage zu Beginn: Was haben Sie so mit sechzehn gemacht? Wissen Sie das noch? Ins Schwimmbad gefahren? Erste Freundin, erster Freund? Schülerband? Kino? Vielleicht mal mit der Fußballmannschaft den Pokal geholt? Ich weiß noch, ich hab Praktikum bei der Lokalzeitung gemacht. Alles nicht schlecht. Aber es gibt einen Jugendlichen, der hat mit sechzehn sowas hier gemacht:



Ich neige nicht zu Superlativen, aber dieses Stück hier, das steht für mich auf ewig in den Top 3 meiner Lieblingsstücke. Das Oktett für Streicher von Felix Mendelssohn Bartholdy.

Premiere hat dieses Stück bei einer Veranstaltung, die vor rund 200 Jahren bei der intellektuellen und künstlerischen Elite Berlins total angesagt ist. Bei den Sonntagsmusiken der Familie Mendelssohn. In der Leipziger Straße Nummer 3, da, wo heute übrigens der Bundesrat tagt, da steht damals das Anwesen der Mendelssohns, und in deren Musiksaal finden am Sonntag regelmäßig Konzerte statt, zu denen kommen bis zu 300(!) Leute. Und da wird dieses Stück aus der Taufe gehoben. Mendelssohns Lehrer Karl Friedrich Zelter schreibt darüber an Johann Wolfgang von Goethe und sagt, das Oktett von Felix habe „Hand und Fuß".

Das ist reichlich untertrieben, und das meine ich nicht nur als Fan dieses Stücks. Mendelssohn erfindet damit nämlich quasi im Alleingang eine ganze musikalische Gattung. Oktette gab es zwar vorher auch schon, aber in gemischter Besetzung, für Streicher und Bläser. Bei Felix Mendelssohn Bartholdy nun also für Streicher allein. Sprich: Vier Violinen, zwei Violen, zwei Violoncelli. Damit löst der junge Komponist so einiges aus. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert werden eine ganze Reihe von Oktetten komponiert. ...

1835, also mit gerade mal 25, geht Felix Mendelssohn nach Leipzig, da wird er Gewandhauskapellmeister, und er gründet etwas später auch das Konservatorium, die älteste Musikhochschule Deutschlands. Schon im 19. Jahrhundert wirkt sie aber weit über die Grenzen Deutschlands hinaus. Ein Student, der aus Kopenhagen nach Leipzig reist, um dort seine Ausbildung als Komponist zu vervollkommnen, ist der Däne Niels Wilhelm Gade. Mendelssohn wird zu seinem Mentor, mit seiner Hilfe wird Gades Musik bald vom Gewandhausorchester gespielt. Bald steht er bei denen auch am Dirigentenpult, er teilt sich erst die Leitung mit Mendelssohn, nach dessen Tod hat er sie dann allein.

Der junge Däne ist also in Deutschland sehr erfolgreich. Aber als 1848 der Deutsch-Dänische Krieg ausbricht, geht Gade trotzdem zurück nach Kopenhagen, da wird er dann Leiter des Musikvereins, Hofkapellmeister und überhaupt eine der prägenden Gestalten des skandinavischen Musiklebens. Den „nordischen Ton“ heben die Zeitgenossen an Gades Musik hervor. An seinem Oktett für Streicher vermissen sie ihn etwas. Vielleicht kein Wunder, das Stück entsteht unter dem Eindruck des Todes Mendelssohns. Und Mendelssohns Einfluss ist hier teilweise auch herauszuhören.





Dass Gade bewusst in die Fußstapfen Felix Mendelssohns tritt, hört man also nicht nur der dritten Symphonie an. Auch Gades mitreißendes Oktett für Streicher ist nach meinem Dafürhalten eine bewusste tiefe Verbeugung vor dem verstorbenen Förderer und Freund, vollendet kurz nach dessen Tod. Kein Grabstein, eher eine Feier der Mendelssohnschen Eleganz. Ähnlichkeiten mit Mendelssohns berühmtem Oktett sind daher weder zufällig, noch unbeabsichtigt. Aber reicht das alleine schon aus, ihn als "Epigonen" abzutun, also "jemand, der in seinen Werken schon vorhandene Vorbilder verwendet oder im Stil nachahmt, ohne selbst schöpferisch, stilbildend zu sein"?

Wie seht Ihr das, geschätzte MitforistInnen?
*****der Mann
6.987 Beiträge
Heute die 6. von Gade

*******ltra Mann
1.393 Beiträge
Leider muss ich in bezug auf Gade an dieser Stelle Wasser in den Wein gießen. Ob man ihn nun als Epigone Mendelssohns bezeichnet oder nicht – die Frage ist ja bei meinem Gang zu den CD-Regalen bei Dussmann in Berlin, ob ich zu Mendelssohn oder Gade greifen würde.
In jedem Fall zu Mendelssohn – klar. Mit anderen Worten: Warum sollte ich Gade hören, wenn es einen Mendelssohn gibt, einen Schumann.
Das ist bei aller Kunst Gades seine Tragik wie auch die aller ein kleines bisschen weniger genialen Komponisten, die Genies zu Zeitgenossen haben, ob sie nun Wagenseil, Burgsmüller oder sonstwie heißen.
Schafft man es, Gade beim Hören als eingenständigen Komponisten wahrzunehmen, mag auch er seinen großen Reiz entfalten. Immerhin ist ja zum Beispiel eine Sinfonie mit Klavierbegleitung eine schöne Idee.
Ich schaffe diese losgelöste Wahrnehmung allerdings nicht.
*********vibus Mann
1.019 Beiträge
Zitat von *******sima:
Gade - ein Mendelsohn-Epigone?
(...) Aber reicht das alleine schon aus, ihn als "Epigonen" abzutun, also "jemand, der in seinen Werken schon vorhandene Vorbilder verwendet oder im Stil nachahmt, ohne selbst schöpferisch, stilbildend zu sein"?
Wie seht Ihr das, geschätzte MitforistInnen?
Ich kenne von Gade zu wenig, um das zu beurteilen. Mein Eindruck ist: Eher nein. Es ist nicht verwunderlich, dass Gade im Stile seiner Zeit komponiert. Das reicht nicht, um ihn als bloßen Nachahmer zu bezeichnen.

Beim Oktett halte ich den Einfluss Mendelssohns für offenkundig. Auf den „Volkston“, den Gades Ossian-Ouvertüre und die erste Sinfonie noch prägen, hat er hier zu Gunsten eines einheitlicheren „eleganteren“ Klangbilds verzichtet. Trotzdem scheint mir selbst beim Oktett der „Epigonen“-Vorwurf nicht gerechtfertigt.

Bei den beiden Oktetten überstrahlt der 1. Satz von Mendelssohn nach meiner Meinung alles andere. Er ist "ein großer Wurf", hat "Drive" und Originalität. Weder Gade noch die weiteren Sätze Mendelssohns reichen da heran. Im Vergleich der langsamen Sätze gefällt mir der lyrische Ton bei Gade gut. Mendelssohns 2. Satz wirkt für mich recht konventionell. Der Scherzo-Satz von Mendelssohn dagegen hat Charme und Witz, die ich bei dem blasseren Gade-Scherzo vermisse. Bei den Schlusssätzen gefällt mir bei Mendelssohn der Gegensatz zu den vorangegangenen Sätzen, die Geschwindigkeit und das Feuer, das der Satz hat. Bei Gade wechseln schnellere und getragene Passagen, wobei mir auch hier die ruhigen stimmungsvollen Teile des Satzes gut gefallen.

Was ich bei Gade hauptsächlich vermisse, sind mitreißende melodische Einfälle. Da offenbart sich meines Erachtens ein Klassenunterschied zu Mendelssohn. Deswegen kann ich john_coltra ohne weiteres zustimmen.
*****der Mann
6.987 Beiträge
Ich würde Gade auch nicht als Mendelssohn Epigone bezeichnen.
Viele Komponisten hatten Vorbilder, sind aber keine Nachahmer.
Ich bin erst durch diese Beiträge hier auf Gade gestoßen. Kannte bisher nur die Fantasiestücke, die ich mal in ein Konzertprogramm eingebaut habe.
Mir persönlich gefallen die Kompositionen gut.
Klar ist Mendelssohn mein persönlicher Favorit, schon alleine der Oratorien wegen.
*******uck Mann
138 Beiträge
Gade als bloßer 'Nachahmer', das ist mir auch zu wenig. Es ist wohl das Schicksal in allen Zeiten, im Schatten der großem Genies zu verschwinden. Und unsere Konzertprogramme haben letztlich doch immer wieder die selben Werke der selben Komponisten und die immer gleichen Solisten auf dem Programm.
Diese braucht mal auch, um das Publikum zu bekommen, für uns Musiker, weil es einfach gut tut, diese großartigen Werke zu spielen. Aber wir spielen einfach zu wenig, überhaupt. Bei 8 Konzerten in der Reihe im Jahr bleibt nicht viel Spielraum und die regelmäßig wechselnden Chefs wollen ihr Repertoire aufbauen und ausprobieren. Viel Platz bleibt da leider nicht. Da ist dann nur noch das Radio und so sehr ich es liebe, dabeisein vor Ort, die Füße im Raum, kann es leider auch nicht ersetzen.
Am Beginn meiner beruflichen Laufbahn dachte ich, Beethovens 9. wäre ein fester jährlicher Bestandteil des Berufsbildes. In 40 Jahren war sie fünf mal auf dem Programm, davon blieb eine einzige Aufführung in Erinnerung. Es bleibt leider dann für Gade wenig Platz. Schade!
*******sima Frau
2.540 Beiträge
Gades Vierte Symphonie - international erfolgreich
Gades „Vierte“ ist seine erste Symphonie, die nicht in Leipzig, sondern in Kopenhagen uraufgeführt wird. ...



Am 16. November 1850 wird Niels Wilhelm Gades vierte Symphonie in Kopenhagen uraufgeführt, bei seiner ersten symphonischen Dänemark Premiere steht Gade natürlich selbst am Pult.

In Leipzig beginnt man indes schon kurz nach Kriegsende offenbar, Gade zu vermissen. Bis 1860 werden immer wieder Angebote aus Leipzig kommen, um den geflohenen Gade zurück zu gewinnen. Der macht allerdings zunächst einen Bogen um Leipzig. Die Wertschätzung, die Gade trotzdem nach dem Kriegsende wieder in der Mendelssohn Stadt genießt, zeigt sich auch in einer einfachen Statistik. In den folgenden Jahren wird Gades 4. Symphonie in Leipzig immerhin vier mal so häufig aufs Programm gesetzt, wie in Kopenhagen, und das, obwohl Gade seit seiner Rückkehr zum Chef der wichtigsten Kopenhagener Musikinstitution aufgestiegen ist: des Musikvereins. Bis zum Ende seines Lebens wird Gade diesen Posten behalten und damit die dänische Musikszene wie kein anderer im 19. Jahrhundert prägen.

Im Frühjahr 2015 ergab eine statistische Auswertung, dass die vierte Sinfonie Gades zwischen 1850 und 1890 sogar die meistgespielte Sinfonie eines lebenden Komponisten weltweit(!) war. Sie wurde pro Woche durchschnittlich einmal aufs Programm gesetzt. Keine Symphonie seiner Zeitgenossen, die heute das Repertoire dominieren - Brahms, Bruckner, Dvorák oder Tschaikowsky - hatte auch nur annähernd den Erfolg Gades. Damit liegt er also weit vor seinen Zeitgenossen!
*******sima Frau
2.540 Beiträge
Manuskriptauszug (5)
Nach seiner Rückkehr nach Dänemark kümmert sich Gade als Dirigent zunächst um die Arbeit an der Basis: da das Kopenhagener Orchester in keinster Weise mit dem Leipziger Niveau mithalten kann, probt er akribisch jede einzelne Stimme mit jenen Musikern, die teilweise schon Probleme mit dem Notenlesen haben. Auch vor drakonischen Maßnahmen schreckt er nicht zurück. Er schlägt vor, schlechte Spieler auch schlechter zu bezahlen. Ausländische Beobachter der Kopenhagener Szene bemerken jedenfalls, wie sich das musikalische Niveau des Musikvereins innerhalb kürzester Zeit vervielfacht.

Nebenbei hat Gade offenbar noch Zeit übrig. Er wird 1851 Organist an der Kopenhagener Garnisonskirche. Damit tritt er in traditionsschwere Fußstapfen: Einer von Gades Organistenvorgängern ist der Komponist Johann Peter Emilius Hartmann, 12 Jahre älter als Gade und, anders als der 34jährige Gade, kein Emporkömmling in der dänischen Musikszene. Hartmann stammt aus einer alten deutschstämmigen Musikerfamilie und bekleidet bei Gades Dienstantritt schon mehrere Jahrzehnte lang wichtige Posten im Kopenhagener Kulturleben. Als Kind schon soll Hartmann mit den Kindern der Königsfamilie im Garten gespielt haben. Dementsprechend sicher ist seine Position in der Kopenhagener Gesellschaft. Dass 10 Jahre vorher die Uraufführung von Gades erster Symphonie nicht in Kopenhagen stattgefunden hatte, lag auch daran, dass der mächtige Musikfunktionär Hartmann sich letztlich kaum für Gade eingesetzt hatte.

Inzwischen scheint sich Hartmanns Verhältnis zu Gade geändert zu haben. Aus dem kleinen Talent Gade ist ein großer Komponist geworden. Und so darf Gade, der Tischlersohn, es sich 1851 tatsächlich erlauben, bei Hartmann um die Hand von dessen Tochter Sophie anzuhalten. Hartmann erkennt sicher die Perspektiven des ehrgeizigen Gade, er stimmt zu. Am 27. April 1852 findet die Hochzeit in der Garnisonskirche statt.

Als Verlobungsgeschenk hatte Sophie vorher von ihrem Bräutigam eine wunderschöne Frühlingsfantasie für 4 Sänger, Klavier und Orchester erhalten:
„Nun hebt und belebt sich die zagende Brust in neuer Lust, denn die Liebe, die Liebe ist da! Sie kam mit dem Frühling und hat mich beglückt. Ich fühl sie im Herzen und sing es entzückt: ihr Reich, nun schloss sie mir ́s auf.“, so heißt es im Text von Edmund Lobedanz, den Gade für seine Sophie vertont hat.


*******sima Frau
2.540 Beiträge
Manuskriptauszug (6)
Mit Sophie fährt Gade auch 1853 wieder einmal nach Leipzig, wo man ihn zuletzt doch überredet hat, noch einmal eine halbe Spielzeit am Gewandhaus zu dirigieren, trotz der Demütigungen während des Krieges fünf Jahre zuvor. Einmal mehr dirigiert Gade in Leipzig seine neueste Schöpfung: die fünfte Symphonie (bereits weiter oben eingestellt von @*********nguae: KLASSIK: KOMPONIST des Monats, X. Teil ).
Stolz schreibt die frisch verliebte Sophie aus Leipzig an ihren Vater, wie sehr die Leute in Deutschland Augen machten, wenn sie Musik ihres Gatten Niels hörten. ...

Am 20. Mai 1855, zurück in Kopenhagen, schenkt Sophie den Zwillingen Felix und Emma das Leben. Gade komponiert 8 Tage später noch ein Geburtstagslied für die ermattete Sophie und ein Wiegenlied für die Kinder, aber Sophie hat sich noch nicht von den Strapazen der Zwillingsgeburt erholt. Sie stirbt drei Wochen später, auch die neugeborene Zwillingsschwester überlebt den ersten Sommer nicht. Gade ist monatelang unfähig, zu komponieren. ...

Das letzte große Werk aus den Ehejahren mit Sophie ist "Elverskud", eine schon vorher fertig gestellte Kantate über die Ballade von Herrn Oluf, der auf dem Weg zu seiner Hochzeit mit der Elfenkönigin den Todesreigen tanzt (ebenfalls bereits weiter oben eingestellt von @*********nguae: KLASSIK: KOMPONIST des Monats, X. Teil).

Die Ballade ist in fünf Abschnitte unterteilt, einen Prolog, drei "Akte" und einen Epilog. Der Prolog setzt die Szene in Szene: Sir Oluf wurde von einigen Elfenmädchen verführt. Der erste Teil beginnt mit dem Refrain, der besagt, dass Sir Oluf heiraten soll, aber die Situation geht schief, als Oluf zum Erstaunen seiner Mutter eines Nachts ausreiten will. Er erklärt, wie er zwischen seiner goldhaarigen und blauäugigen zukünftigen Braut und der schwarzhaarigen, mutigen und gewagten Tochter des Elfenkönigs (Erlkönig / Elverskud) hin und her gerissen ist. Trotz der Warnungen seiner Mutter reitet Oluf weg. Der zweite Teil beginnt mit Olufs vorsichtiger Fahrt durch den dunklen und bedrohlichen Wald, wo er die Elfenmädchen trifft. Die Tochter des Elfenkönigs drängt ihn zu bleiben, aber er lehnt ab. Sie verflucht ihn, aber er entkommt und reitet nach Hause. Teil 3: Der Chor singt "I østen stiger solen op" ("Im Osten geht die Sonne auf") und die Mutter ist besorgt, weiß aber noch nicht, was passiert ist. Als Oluf ankommt, ist es mit dem Tod als Begleiter. Epilog: Der Chor singt die kurze Moral, dass man sich von Elverhøj (Erlenhöhe) fernhalten sollte:

"Drum rat’ ich jedem Jüngling an
Der reiten will im Haine
Er reite nicht nach der Erlenhöh’
Zu schlummern im Mondenscheine.
Hüt’ dich, o hüt’ dich vor Erlenhöh’
Wo Erlenjungfrauen singen!"

... Bis heute ist Niels Wilhelm Gades Vertonung der Ballade von Herrn Oluf und Erlkönigs Tochter, die ihm im Tanz den Tod bringt, eine Art dänischer Nationalkantate. Wohl auch deshalb, weil Gade hier wiederum zu den Wurzeln seines Erfolgs zurückkehrt, viele Melodien in "Elverskud" basieren auf alten Volksliedüberlieferungen, der Stoff ist erneut eine nordische Legende. "Elverskud" hat sich als eines der beliebtesten Werke von Gade erwiesen. Laut der dänischen Musikwissenschaftlerin Inger Sørensen wurde es mindestens 184 Mal zu Gades Lebzeiten aufgeführt, ein Erfolg, der von anderen dänischen Komponisten nicht erreicht wurde. Das Werk ist bis heute beliebt, und zwei der Songs "I østen stiger solen op" und "Så tit jeg rider mig under ø" werden oft als Einzelstücke gespielt, auch im dänischen Rundfunk.

Im deutschen Sprachraum war Gades Vertonung dieses Stoffs zu seinen Lebzeiten ebenfalls sehr bekannt und beliebt, nachdem es eine eigens angefertigte deutsche Version des Textes gab, die das Konzertstück populär machten. Heute allerdings ist es bei uns weitgehend unbekannt. ... Im Gegensatz dazu kennt man hier vor allem Carl Loewes Vertonung von Herders Ballade "Herr Oluf" bzw. die Schubert-Vertonung von Goethes Erlkönig-Gedicht: "Wer reitet so spät durch Nacht und Wind...".
*****der Mann
6.987 Beiträge
Niels W. Gade 8. Sinfonie
Auch wenn sie nicht ganz die Individualität und außergewöhnliche Durchschlagskraft der Ossian-Ouvertüre und der ersten Sinfonie besitzen, sind die nächsten Orchesterwerke Gades - die zweite Sinfonie und die schottische Ouvertüre Im Hochland - doch nicht weniger reizvoll in Thematik und Anlage und keineswegs weniger gekonnt gearbeitet. Gewiß sind in der 1844 vom Komponisten mit dem Leipziger Gewandhausorchester uraufgeführten E-Dur-Sinfonie Einflüsse von Schumann und Mendelssohn spürbar, doch wahrt Gade immer seinen eigenen Tonfall. Auch seine fast dreißig Jahre später entstandene achte und letzte Sinfonie, die in manchem eine Rückbesinnung auf Gades sinfonische Anfänge darstellt, hat durchaus ihre persönliche Note. Die vorliegende Veröffentlichung enthält auch das ursprünglich als langsamer Satz vorgesehene Allegretto, das Gade durch ein eindringliches Andantino ersetzte. Christopher Hogwood gestaltet differenziert und läßt Gades Musik erheblich mehr Einfühlung zuteil werden als seinerzeit Neeme Järvi, obwohl dieser ein klanglich ausgewogeneres Orchester zur Verfügung hatte.

Peter T. Köster † [01.06.2001


*******uck Mann
138 Beiträge
Hier lerne ich Stücke kennen, die immer durch das gleiche Raster fallen. Und natürlich ist es immr schwierig eine ausgewogene Mischung zwischen bekannten und weniger bekannten Werken zu finden.
Bei 8 Konzerten, die Theaterorchester etwa im Durchschnitt so spielen, ist das alles nicht wirklich unterzubringen.
Umso schöner hier über Werke zu 'stolpern', die ich kaum gehört hätte. Und ehrlicherweise ist nach üben, Proben und Aufführungen Stille willkommen.
Hier eine Aufnahme von Gades Violinkonzert op 56, d-moll aus dem Jahr 1880. Leider nie auf dem Programm gewesen.

*******uck Mann
138 Beiträge
Es ist das vollständige Konzert, nicht nur der 2. Satz
*******sima Frau
2.540 Beiträge
Manuskriptauszug (7)
Nach dem Tod seiner Ehefrau Sophie vollendet Gade fast 2 Jahre lang kein größeres Werk, bis zum Jahresanfang 1857.

Das Jahr beginnt mit der grotesken Falschmeldung einer deutschen Zeitung, Gade habe sich neu verlobt, mit Clara Schumann. Tatsächlich wird Niels Wilhelm Gade sich sogar noch 1857 neu verheiraten, aber nicht mit Clara Schumann. Neue Frau Gade wird wiederum eine Tochter aus bestem musikalischen Hause: Mathilde, Stieftochter des einflussreichen Verlegers Emil Erslev.

Und im März 1857 kommt es im Kopenhagener Musikverein zur Aufführung des Stücks, mit dem Gade sich aus der Lebenskrise geschrieben hat: der sechsten Symphonie (KLASSIK: KOMPONIST des Monats, X. Teil). ...

Im Mai des Jahres 1860 wird Niels Wilhelm Gade von seiner zweiten Ehefrau Mathilde ein weiterer Sohn geboren: Axel Wilhelm Gade. Axel Gade wird später selbst Komponist und Geiger werden. Patenonkel des Knaben wird der Vater von Gades verstorbener erster Frau, Johann Peter Emilius Hartmann. Der frühere Schwiegervater ist in seiner Wichtigkeit für die dänische Musikszene längst von Niels Wilhlem Gade überholt worden. Gade gilt nicht nur als erfolgreicherer Komponist, sondern auch als weitaus besserer Dirigent. Die Qualitätsverbesserung, die Gade mit dem aus Laien und Profis zusammengesetzten Orchester des Musikvereins erreicht hat, ist ein Quantensprung, und auch das Kopenhagener Publikum wird als Teil einer Musikvermittlungsinitiative in den Blick genommen: Gade versucht, mit kanonisch angelegten Programmen den vergleichsweise wenig verwöhnten Kopenhagenern einen Gesamtüberblick über die wichtigsten Werke der Musikgeschichte zu verschaffen. Er führt in sogenannten historischen Konzerten Bach und Händel auf, wie er es in Leipzig bei Mendelssohn abgeschaut hat, spielt aber auch sogenannte „Neudeutsche“ wie Wagner und Liszt. Tatsächlich führen Gades Initiativen dazu, dass der deutsche Kapellmeister Hans von Bülow während eines Besuchs sich explizit über die hervorragende musikalische Bildung des Kopenhagener Publikums äußert. Aus deutscher Sicht ist das Kompliment verständlich.

Insgesamt spielt Gade vor allem deutsche Komponisten, was ihm viel Kritik einträgt, er engagiere sich zu wenig für junge skandinavische Komponisten. Ein Leipziger Korrespondent schreibt gar in der allgemeinen musikalischen Zeitung, die Kopenhagener Musikszene sei unter Gade deutscher geworden, als die Deutschen selbst. ...

Als ein Beispiel dafür könnten die Fantasiestücke op. 43 für Klavier und Klarinette dienen, die bereits weiter oben von moonstruck eingestellt wurden KLASSIK: KOMPONIST des Monats, X. Teil

Wo Gade nicht nach Mendelssohn klingt, da klingt er umso mehr nach Schumann, könnte man böswillig formulieren, angesichts dieses Fantasiestücks, das in jeder Hinsicht, besetzungstechnisch, formal, musikalisch, vor allem eben an Gades Schumannverehrung denken lässt. Geschrieben hat Gade die Fantasiestücke op. 43 Mitte der sechziger Jahre, genau zu jenem Zeitpunkt, da er endgültig die Kopenhagener Musikszene nach dem bei Schumann und Mendelssohn erlernten Leipziger Vorbild modellieren soll.
*******sima Frau
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Manuskriptauszug (8)
1867 wird Niels Wilhelm Gade erster Direktor des gerade neugegründeten Kopenhagener Konservatoriums. Der Fächerkanon, den Gründungsrektor Niels Wilhelm Gade für die Studenten entwirft, entspricht dem Modell, das Gade in Leipzig kennen gelernt hatte.Und nicht wenigen besonders begabten Studenten empfiehlt Gade sogar neben der Kopenhagener Ausbildung weitere Studien in Leipzig. Letztlich zieht das Leipziger Konservatorium auch deshalb skandinavische Komponisten wie Edward Grieg oder Christian Sinding an, weil Gade in Dänemark beständig für das Leipziger Modell wirbt.

Die überwiegende Zahl von Gades Kopenhagener Schülern berichtet dabei von einem sehr inspirierenden Unterrichtsklima, was ein wenig verwundert, denn andere Studenten erinnern sich vor allem an ermüdend unzusammenhängende Monologe des Lehrers über Philosophie und Weltgeschichte. Ansonsten legt Gade bei seinen Eleven vor allem Wert auf Disziplin, Fleiß und Ordnung. Seine feine Ironie im Unterricht ist bei Studenten berüchtigt, aber Gade kann auch herrisch und unwirsch auftreten. Gades erster Biograf bringt die Ausbrüche auf den Punkt: Gade konnte grob wie ein Ochse werden...



1884, anlässlich des 200sten Geburtstages des norwegisch dänischen Dichters Ludvig Holberg, schreibt Niels Gade eine Orchestersuite, die Holbergiana, die heute bei weitem nicht so populär ist, wie die Holberg Suite, die Edvard Grieg aus gleichem Anlass geschrieben hat. Grieg kritisiert an Gade das, was viele junge Skandinavier am mächtigsten Mann der dänischen Musik kritisieren: er sei hoffnungslos konservativ, und er habe durch die Anbiederung an die Leipziger Schule seine spezifisch dänischen Wurzeln verloren.

Gade selbst äußert dazu weitsichtig am Ende seines Lebens, dass er aus der Nationalen Idee einfach nichts mehr herauspressen könne. Er behält formell seine wichtigen Positionen in der Kopenhagener Musik bis zu seinem Tod 1890. Aber sein Nachruhm bleibt so problematisch, wie es sich in zwei Punkten zusammen fassen lässt: vielen Dänen war er zu deutsch, vielen Deutschen zu dänisch. Und so findet man in vielen Nachrufen die leise Unterstellung, Gade sei ein etwas zu provinzielles Genie gewesen, welches es beinahe von Leipzig aus zu Weltruhm gebracht hätte. ...

(Ende des Lengsfeld-Manuskripts)
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