Manuskriptauszug (14)
Ravel unterrichtete nicht besonders gern und deshalb auch nicht besonders viel. Ralph Vaughan Williams war aber zeitweilig Ravels Schüler, genauso wie einige wenige von Ravels Freunden. Und George Gershwin, der nie einen seriösen Kompositionsunterricht erhalten hatte, wäre sehr gerne bei Ravel in die Lehre gegangen, daraus wurde aber nichts. Ravels Antwort auf Gershwins Wunsch: „Sie sind ein erstklassiger Gershwin. Warum wollen Sie ein zweitklassiger Ravel werden?“
Die beiden trafen sich 1928 in New York auf einer Party anlässlich von Ravels 53. Geburtstag. Ravel tourte zu dieser Zeit – übrigens höchst erfolgreich – vier Monate lang durch Amerika. Er trat in über 20 Städten auf, darunter New York, Toronto, Vancouver, San Francisco und Chicago wo er das Chicago Symphony Orchestra an zwei aufeinanderfolgenden Abenden dirigierte, mit einem Programm seiner eigenen Werke.
Während dieser Tour stellte Ravel seine "Rapsodie Espagnole", "Daphnis et Chloe Suite Nr. 2" und "La Valse" einem breiteren Publikum vor. Darüber hinaus hatte er die Gelegenheit, eine seiner neuesten Obsessionen zu erkunden: den amerikanischen Jazz. Um ein Haar wäre die Tournee übrigens nicht zustande gekommen – unter anderem fürchtete Ravel, in Amerika die Caporal-Zigaretten nicht zu bekommen, die er ausschließlich rauchte. Schließlich fuhr er doch, unter Mitnahme von 20 Pyjamas und 50 Hemden.
Die Verehrung Gershwins für Ravel bestand umgekehrt genauso. Während seines Aufenthalts in New York besuchte Ravel Gershwins neues Musical "Funny Face" und erklärte sich für "verzaubert". Er zeigte Interesse daran, Gershwin zu treffen und ihn die "Rhapsody in Blue" und andere vom Jazz beeinflusste Werke spielen zu hören. Als Ravel vor der erwähnten Party von der Gastgeberin, der Sopranistin Eva Gauthier, gefragt wurde, ob er besondere Wünsche habe, gab er zur Antwort, Gershwin solle dort doch bitte Klavier spielen. Während der Soiree unterhielt der junge Broadway-Songwriter Ravel und die anderen Gäste mit einer spontanen Aufführung von "Rhapsody in Blue" und einer Auswahl von Songs, darunter „The Man I Love“. Die Gastgeberin schrieb später darüber: "Das, was Ravel in Erstaunen versetzte, war die Fähigkeit, mit der George die größten technischen Schwierigkeiten bewältigte, sein Genie für das Weben komplizierter Rhythmen sowie seine große Begabung für Melodieführung."
Ravel verbrachte mehrere Abende mit Gershwin und hörte Jazz im Savoy Ballroom in Harlem, wo Paare im Stil des Lindy Hop zu heißem Jazz von einigen der größten Bands der Nation tanzten. Ravel besuchte auch Connie's Inn und den nahe gelegenen Cotton Club, wo er Duke Ellington und sein Orchester hörte. Bevor Ravel New York verließ, um seine Tournee in Kansas City fortzusetzen, besuchte er noch die Liederkranz Hall , um dort den berühmten Bandleader Paul Whiteman, „The King of Jazz“, und sein Orchester in einer Aufnahmesession mit dem Jazz-Trompeter Bix Beiderbecke zu hören.
Ravel schrieb während seines Amerika-Aufenthaltes in einem Artikel für den Musical Digest: „Ich persönlich finde Jazz höchst interessant: die Rhythmen, die Art und Weise, wie mit den Melodien umgegangen wird, die Melodien selbst. Ich habe einige Werke von George Gershwin gehört und finde sie faszinierend. “
Einige spätere Werke von Ravel zeigen den Einfluss des Jazz, den er in Amerika hörte. Eines ist das Klavierkonzert für die linke Hand das 1930 fertiggestellt wurde. In dieser Arbeit werden in der Einleitung zwei Themen vorgestellt, eines davon „abgeleitet vom Jazz, mit „blauen“ Noten und Synkopierung “, bemerkt Arbie Orenstein in seinem Buch "Ravel: Mensch und Musiker".
Ein weiteres von Jazz beeinflusstes Ravel-Werk ist das Konzert für Klavier in G-Dur, das im folgenden Jahr fertiggestellt wurde. Hier ist der Einfluss von Gershwin leichter zu erkennen. Das Werk wurde lange Zeit als eine Art Hommage an Gershwin angesehen. Es finden sich dort Jazz-Harmonien, manches erinnert an Gershwins "Rhapsody in Blue", während andere Passagen baskische und spanische Klänge aufgreifen. Für einen Binnenkontrast von Mozart'scher Klarheit sorgt der zweite Satz. Über die eröffnende Melodie sagte Ravel: "Dieser fließende Ausdruck! Wie ich ihn Takt für Takt überarbeitet habe! Er brachte mich beinahe ins Grab!"