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KOMPONIST des Monats, X. Teil

****ga Frau
18.014 Beiträge
Themenersteller 
einfach *top2* vielen Dank tantrissima *danke*
*******sima Frau
2.540 Beiträge
Manuskriptuszug (13)
... Es war nach einer Aufführung von Maurice Ravels berühmtem Bolero. Man erzählte dem Komponisten, hinterher habe eine Dame im Publikum fassungslos gerufen: „Er ist verrückt!“ Darauf Ravel lächelnd: „Sie hat das Stück verstanden.“

Wie zu fast all seinen Werken hatte Ravel auch zu seinem Bolero ein eher distanziertes Verhältnis. Zu seinem Komponisten-Kollegen Arthur Honegger sagte er mit leichter Ironie: „Ich habe nur ein Meisterwerk gemacht, das ist der Bolero; leider enthält er keine Musik.“

Wahr am Begriff Meisterwerk ist, dass es sich beim Bolero seit der Uraufführung im November 1928 um das mit Abstand erfolgreichste Stück Ravels handelt. Ravel hatte seiner alten Freundin, der Tänzerin Ida Rubinstein, ein Ballett versprochen. Ursprünglich wollte er nur einige Stücke aus Isaac Albéniz' Zyklus „Iberia“ orchestrieren. Dann entschied er sich doch für ein neues Werk. Eines Morgens spielte er einem Freund eine Melodie vor. „Glauben Sie nicht,“ fragte er, „dass dieses Thema eine insistierende Kraft besitzt? Ich werde versuchen, es verschiedene Male ohne jede Entwicklung zu wiederholen und allmählich mein Orchester... einer Klimax zuzuführen.“

Genau dies ist das Kompositionsprinzip des Bolero: 169 mal wird das Thema ohne grundsätzliche Veränderungen wiederholt, es wird lediglich immer lauter. Auch das Tempo ändert sich nicht, es bleibt immer gleich schnell. Nur: Wie schnell, darüber gingen die Meinungen ziemlich weit auseinander. Zumindest die Meinungen von Ravel, der es ja eigentlich wissen musste, und von Arturo Toscanini, der den Bolero im Frühjahr 1930 in der Pariser Oper aufführte. Ravel war dabei und er schrieb wenig später an eine Freundin: „Wenn man mich in der Oper gesehen hat, so war es, weil ich wusste, dass Toscanini im Bolero ein lächerliches Tempo nimmt und ich es ihm sagen wollte.“

Das tat Ravel dann auch, es muss zu einer heftigen Auseinandersetzung gekommen sein. „Das entspricht nicht meiner Tempobezeichnung“, ereiferte sich Ravel. „Wenn ich Ihr Tempo spiele, hat es überhaupt keine Wirkung“, giftete Toscanini zurück. Ein Wort ergab das andere, bis Toscanini schließlich den gewagten Satz sagte: „Sie haben keine Ahnung von Ihrer Musik.“

Wir Nachgeborenen haben Glück, sowohl Ravel als auch Toscanini haben Plattenaufnahmen des Bolero hinterlassen, wir können also heute aus sicherem zeitlichen Abstand diesen Streit des Jahres 1930 entscheiden. Hier zunächst die Aufnahme unter Ravel:


Und nun die Aufnahme unter Toscanini:


Im Internet finden sich außer diesen beiden noch unzählige weitere Aufnahmen, die man bei Bedarf zum Vergleich ebenfalls heranziehen kann. Und ein recht amüsanter von unzähligen Kommentaren und Erklärungen zu diesem legendären Stück findet sich als WDR-Podcast unter https://www1.wdr.de/mediathe … aurice-ravel-bolero-100.html
*******ltra Mann
1.393 Beiträge
Damit Tantrissima hier nicht alles allein machen muss, erwähne ich mal ein weiteres kompositorisches Highlight von Ravel. Es ist sein Klavierkonzert für die linke Hand, das er für den Bruder des berühmten Philosophen Ludwig Wittgenstein, dem Pianisten Paul Wittgenstein, geschrieben hat.
Offenbar war es dem Pianisten zu schwer, was man ja auch nachvollziehen kann, wenn man das im Konzert oder auch in der nachfolgenden youtube-Aufnahme mit Jean-Efflam Bavouzet hört und sieht.
Wittgenstein veränderte eigenmächtig in offenbar erheblichem Umfang die Noten, um es spielen zu können, was Ravel erzürnte.
Es kam zu Bruch darüber, ob ein Interpret in den Notentext eingreifen darf oder nicht.
(Natürlich darf der Interpret das nicht, auch wenn das Werk für ihn geschrieben wurde).
Auch hier, wie im Bolero, verteidigte Ravel seine Kunst recht streitbar.


*******sima Frau
2.540 Beiträge
Danke, lieber @*******ltra! Ich habe dazu noch folgende Anekdote gefunden:

Bei einer Privataufführung für Wittgenstein stellte sich heraus, dass dieses Konzert Ravels pianistische Möglichkeiten deutlich überstieg; er musste die rechte Hand zu Hilfe nehmen. „Er war kein überragender Pianist,“ schrieb Wittgenstein, „und ich war von der Komposition nicht überwältigt... Erst viel später, nachdem ich das Konzert monatelang studiert hatte, wurde ich davon fasziniert und merkte, um was für ein großes Werk es sich handelte.“
*********vibus Mann
1.019 Beiträge
Apropos Paul Wittgenstein und "off topic": Im Roman "Wittgensteins Neffe" hat Thomas Bernhard seinem Freund Paul ein Denkmal gesetzt. Für mich ist es eines seiner schönsten Werke und besonders für Bernhard-Erstleser zu empfehlen. Ich liebe diese quasi musikalisch gestaltete Prosa sehr. Aber sie ist zweifellos Geschmackssache.
*******sima Frau
2.540 Beiträge
Der Boléro - ein Refrain für die Welt
Leider erst heute entdeckt: Film-Doku in der arte-mediathek über den Bolero, morgen, 18.3., letzter Tag, aber vielleicht schafft es noch jemand....

Ankündigungstext von arte:
1928 machte Maurice Ravel mit dem sinnlichen Orchesterstück "Boléro" Furore. Der "Boléro" wurde im Laufe der Zeit zum Klassik-Hit schlechthin. Kaum ein zweites Werk wurde weltweit so häufig adaptiert, variiert und sublimiert. Woher kommen die Sogwirkung und die Inspirationskraft des "Boléro"? Wieso ist sein Zauber bis heute ungebrochen?

Der „Boléro“ ist ein Wirbel, der alles auf seinem Weg mitreißt. Mit ihm schrieb Maurice Ravel 1928 Musikgeschichte. Er schuf ein Meisterwerk, das künstlerische Grenzen sprengte, Konventionen über Bord warf und die Welt eroberte. Das Stück wurde zum Hit, zum pulsierenden, sich ständig erneuernden Soundtrack, ob in Paris, Tokio, Johannesburg oder Berlin. Woher kommt die Sogwirkung des Stücks? Wie konnte er Künstler weltweit inspirieren, und warum ist sein Zauber bis heute ungebrochen? Die Dokumentation widmet sich dem Eroberungszug des scheinbar so schlichten und doch so facettenreichen „Boléro“, der Künstler unterschiedlichster Sparten beeinflusste, darunter den Regisseur Claude Lelouch, die Startänzerin Marie-Agnès Gillot, die Pianistinnen Katia & Marielle Labèque, den Musiker Rufus Wainwright, die Electro-Päpste Carl Craig und Moritz von Oswald, die beninisch-französische Sängerin Angélique Kidjo und den koreanischen Filmemacher Jee-woon Kim. Der „Boléro“ wurde bis heute so häufig adaptiert, variiert und sublimiert, dass er inzwischen zur Popkultur gehört.

Dokumentation von Anne-Solen Douguet und Damien Cabrespines (Frankreich 2019, 53 Min)

► Auf Youtube verfügbar bis zum 18/03/2021


*******uck Mann
138 Beiträge
Ich möchte mich hier gerne @****ga anschließen.
Großen Dank für deine unermüdliche Arbeit! *bravo*
*******sima Frau
2.540 Beiträge
Manuskriptauszug (14)
Ravel unterrichtete nicht besonders gern und deshalb auch nicht besonders viel. Ralph Vaughan Williams war aber zeitweilig Ravels Schüler, genauso wie einige wenige von Ravels Freunden. Und George Gershwin, der nie einen seriösen Kompositionsunterricht erhalten hatte, wäre sehr gerne bei Ravel in die Lehre gegangen, daraus wurde aber nichts. Ravels Antwort auf Gershwins Wunsch: „Sie sind ein erstklassiger Gershwin. Warum wollen Sie ein zweitklassiger Ravel werden?“

Die beiden trafen sich 1928 in New York auf einer Party anlässlich von Ravels 53. Geburtstag. Ravel tourte zu dieser Zeit – übrigens höchst erfolgreich – vier Monate lang durch Amerika. Er trat in über 20 Städten auf, darunter New York, Toronto, Vancouver, San Francisco und Chicago wo er das Chicago Symphony Orchestra an zwei aufeinanderfolgenden Abenden dirigierte, mit einem Programm seiner eigenen Werke.

Während dieser Tour stellte Ravel seine "Rapsodie Espagnole", "Daphnis et Chloe Suite Nr. 2" und "La Valse" einem breiteren Publikum vor. Darüber hinaus hatte er die Gelegenheit, eine seiner neuesten Obsessionen zu erkunden: den amerikanischen Jazz. Um ein Haar wäre die Tournee übrigens nicht zustande gekommen – unter anderem fürchtete Ravel, in Amerika die Caporal-Zigaretten nicht zu bekommen, die er ausschließlich rauchte. Schließlich fuhr er doch, unter Mitnahme von 20 Pyjamas und 50 Hemden.

Die Verehrung Gershwins für Ravel bestand umgekehrt genauso. Während seines Aufenthalts in New York besuchte Ravel Gershwins neues Musical "Funny Face" und erklärte sich für "verzaubert". Er zeigte Interesse daran, Gershwin zu treffen und ihn die "Rhapsody in Blue" und andere vom Jazz beeinflusste Werke spielen zu hören. Als Ravel vor der erwähnten Party von der Gastgeberin, der Sopranistin Eva Gauthier, gefragt wurde, ob er besondere Wünsche habe, gab er zur Antwort, Gershwin solle dort doch bitte Klavier spielen. Während der Soiree unterhielt der junge Broadway-Songwriter Ravel und die anderen Gäste mit einer spontanen Aufführung von "Rhapsody in Blue" und einer Auswahl von Songs, darunter „The Man I Love“. Die Gastgeberin schrieb später darüber: "Das, was Ravel in Erstaunen versetzte, war die Fähigkeit, mit der George die größten technischen Schwierigkeiten bewältigte, sein Genie für das Weben komplizierter Rhythmen sowie seine große Begabung für Melodieführung."

Ravel verbrachte mehrere Abende mit Gershwin und hörte Jazz im Savoy Ballroom in Harlem, wo Paare im Stil des Lindy Hop zu heißem Jazz von einigen der größten Bands der Nation tanzten. Ravel besuchte auch Connie's Inn und den nahe gelegenen Cotton Club, wo er Duke Ellington und sein Orchester hörte. Bevor Ravel New York verließ, um seine Tournee in Kansas City fortzusetzen, besuchte er noch die Liederkranz Hall , um dort den berühmten Bandleader Paul Whiteman, „The King of Jazz“, und sein Orchester in einer Aufnahmesession mit dem Jazz-Trompeter Bix Beiderbecke zu hören.

Ravel schrieb während seines Amerika-Aufenthaltes in einem Artikel für den Musical Digest: „Ich persönlich finde Jazz höchst interessant: die Rhythmen, die Art und Weise, wie mit den Melodien umgegangen wird, die Melodien selbst. Ich habe einige Werke von George Gershwin gehört und finde sie faszinierend. “

Einige spätere Werke von Ravel zeigen den Einfluss des Jazz, den er in Amerika hörte. Eines ist das Klavierkonzert für die linke Hand das 1930 fertiggestellt wurde. In dieser Arbeit werden in der Einleitung zwei Themen vorgestellt, eines davon „abgeleitet vom Jazz, mit „blauen“ Noten und Synkopierung “, bemerkt Arbie Orenstein in seinem Buch "Ravel: Mensch und Musiker".

Ein weiteres von Jazz beeinflusstes Ravel-Werk ist das Konzert für Klavier in G-Dur, das im folgenden Jahr fertiggestellt wurde. Hier ist der Einfluss von Gershwin leichter zu erkennen. Das Werk wurde lange Zeit als eine Art Hommage an Gershwin angesehen. Es finden sich dort Jazz-Harmonien, manches erinnert an Gershwins "Rhapsody in Blue", während andere Passagen baskische und spanische Klänge aufgreifen. Für einen Binnenkontrast von Mozart'scher Klarheit sorgt der zweite Satz. Über die eröffnende Melodie sagte Ravel: "Dieser fließende Ausdruck! Wie ich ihn Takt für Takt überarbeitet habe! Er brachte mich beinahe ins Grab!"


*******sima Frau
2.540 Beiträge
Manuskriptauszug (15) - Schluß
Im Oktober 1932 stieg Ravel in Paris in ein Taxi, das kurz darauf in einen Unfall verwickelt war. Ravel verletzte sich dabei am Kopf, verlor ein paar Zähne und hatte eine Gehirnerschütterung. Alles nichts beunruhigendes, glaubten die Ärzte, er konnte ja noch musizieren wie früher.

Heute wissen wir, dass Ravel von diesem Unfall ab keine einzige Komposition mehr vollendete, es gab nur hier und da noch Skizzen und Pläne. ... Einer der behandelnden Ärzte beschrieb Ravels Symptome: „Er fühlt sich nervös, überfordert. Erstes Anzeichen von Apraxie, was bedeutet: Verwechslung der Bewegungen, eine Geste statt einer anderen auszuführen.“

Mit einer Freundin war Ravel im Sommer 1933 an den Strand gegangen. Er wollte ihr zeigen, wie man einen Stein auf der Wasseroberfläche springen lassen kann. Doch der Arm folgte den Befehlen des Gehirns nicht, mit dem Stein traf Ravel nicht das Wasser, sondern die Freundin. Auch Schreiben geht jetzt nur mit größter Mühe, Ravel weiß die Form mancher Buchstaben einfach nicht mehr. Ein Arzt diagnostiziert „Schlaflosigkeit, Gedächtnistrübung, Müdigkeit, Mangel an Konzentration, Angstzustände, orthographische Fehler. Weiß nicht mehr, wie man gewisse Buchstaben schreibt. Er ist starr. Die Angst spielt eine große Rolle in seinem Unbehagen.“ Dann wieder bessert sich Ravels Zustand unvermittelt, an seinen Bruder Edouard schrieb er, der vorher kaum noch etwas schreiben konnte, einen langen Brief. Manchmal sprach er, als sei er völlig gesund.

Die Ärzte waren ratlos und empfahlen, wohl eher aus Verlegenheit, Luftveränderung und Ablenkung – natürlich ohne ernsthafte Verbesserung des Krankheitsbildes. Anfang 1936 besuchte Ravel Colette, die Librettistin seiner Oper „L'Enfant et les sortilèges“, sie hat diese Begegnung beschrieben: „Als er mich sah, sagte er in natürlichem Tonfall: 'Tiens, Colette'. Aber er gab sich kaum noch die Mühe zu sprechen, und wie er so zwischen uns saß, hatte er doch das Aussehen eines Wesens, das jeden Moment in Gefahr ist sich aufzulösen... ich glaube, an diesem Tag hat Ravel meinen Namen zum letzten Mal ausgesprochen.“

So sind die drei Lieder mit dem Titel „Don Quichotte à Dulcinée“ die letzten vollendeten Kompositionen Ravels. Eine Filmgesellschaft war an Ravel herangetreten, er möge doch bitte für einen geplanten Don Quichotte-Film die Musik schreiben. Das Projekt, bei dem Fjodor Schaljapin die Titelrolle spielen sollte, entpuppte sich schließlich als ein einziger Schwindel. Übrig blieben die drei Lieder, die der Film-Don Quichotte als Huldigung an Dulcinea singen sollte.



Da Ravels Zustand immer bedrohlicher wurde, entschlossen sich die Ärzte, die sich keinen Rat mehr wussten, einen namhaften Hirnchirurgen hinzu zu ziehen. Dieser empfahl eine Operation; sie fand am 19. Dezember 1937 statt. Kurz nach der Operation erwachte Ravel und rief nach seinem Bruder, zu dem er immer schon eine intensive Beziehung gehabt hatte. Danach schlief er ein. Er lebte noch acht Tage lang, ohne noch einmal zu erwachen. Am 28. Dezember 1937 starb Maurice Ravel. Einige Monate zuvor hatte ihn eine Freundin besucht und ihn gefragt, was er so mache. Er saß still auf dem Balkon seines Hauses und antwortete: „Ich warte“.
@*******sima

Erschütternd.
*******sima Frau
2.540 Beiträge
Ja, @*****err.

Um der größtmöglichen Faktengenauigkeit ausreichend Genüge zu tun, sollte ich vielleicht an der Stelle noch darauf hinweisen, dass der in meinem Post vom 1.3. (KLASSIK: KOMPONIST des Monats, X. Teil) zitierte Verfasser des Artikels über Ravels bis heute äußerst selten vorkommende degenerative Hirn-Erkrankung, die sogenannte Pick'sche Krankheit, deren Ausbruch bzw. die Beobachtung diverser Symptome, die mit dieser Erkrankung einhergehen, bereits früher datiert, nämlich eventuell schon 1918, spätestens aber 1927, während der Autor des von mir hier überwiegend zitierten Manuskripts den Eindruck erweckt, als sei der Autounfall im Oktober 1932 der auslösender Faktor gewesen. Möglicherweise war der Unfall jedoch der Anlass dafür, dass die Krankheitssymptome wesentlich stärker und die dadurch bestehenden Beeinträchtigungen auffälliger wurden und mit zunehmenden praktischen Einschränkungen für Ravel einhergingen, der sich 1933 einmal darüber beklagte, "im Nebel zu leben". So wird es auch in dem im selben Post ersten zitierten Artikel aus dem Programmheft der Berliner Festwochen gesehen.
****ga Frau
18.014 Beiträge
Themenersteller 
etwas traurig von unserem KDM Ravel

*******sima Frau
2.540 Beiträge
Tzigane - das starke Stück
Sie gehört zu den späten Werken von Maurice Ravel: die Konzert-Rhapsodie "Tzigane" aus dem Jahr 1924. Inspiriert wurde der Komponist zu diesem virtuosen Stück durch die ungarische Geigerin Jelly d'Arányi. Die Großnichte des Geigers Joseph Joachim hatte Ravels G-Dur-Sonate 1922 bei einer privaten Musikveranstaltung in London gespielt. Der dabei anwesende Ravel war so fasziniert, dass er die Geigerin im Anschluss an das Konzert bat, für ihn einige Zigeunerweisen zu spielen und zu improvisieren.

Auf SR2 wurde die Konzertrhapsodie am 13. Februar dieses Jahres in der Reihe "Das starke Stück" gespielt und von dem Redakteur Ulrich Möller-Arnsberg zusammen mit der Geigerin Arabella Steinbacher folgendermaßen vorgestellt:

Anders als die virtuosen Stücke Pablo Sarasates – seine "Zigeunerweisen" oder seine "Carmenfantasie" – ist Maurice Ravels "Tzigane" eigentlich kein Stück, das den Interpreten mit eingängigen Melodien lockt. Eher ist es ein Stück über das Virtuosentum, das es wie aus der Distanz zu reflektieren scheint. Eine Hintergründigkeit, die gerade den einen oder anderen Interpreten neugierig macht. Wie etwa die Münchner Violinistin Arabella Steinbacher: "Das Stück hat viele dunkle Seiten, weil es so zigeunerisch geschrieben ist. Zwar ist alles ausgeschrieben, aber trotzdem kann man es doch sehr improvisiert spielen. Und das hat man ja nicht so oft im klassischen Repertoire. Das fand ich toll, dass es so etwas gibt. Und ich spiele die 'Tzigane' auch jetzt noch wahnsinnig gerne."
...
Nach einem Konzert der ungarischen Violinistin Jelly d'Arányi im Jahr 1922, bei dem Ravel anwesend war, bat er sie, für ihn über Zigeunerweisen zu improvisieren. So erinnerte sich deren Klavierbegleiterin Gaby Casadesus: "Nachdem Mademoiselle d' Arányi dem Wunsch nachgekommen war, bat Ravel um ein weiteres Stück. Und dann um noch eins. Bis um fünf Uhr früh ging es mit den Zigeunerweisen weiter, und alle waren erschöpft. Aber die Geigerin und der Komponist waren es nicht." Von der Virtuosität begeistert und durch die Melodien inspiriert, schrieb Ravel der Ungarin das Stück auf den Leib. Womit er an Liszts "Ungarische Rhapsodien" und Paganinis "Violin-Capricen" anknüpfte. Voller Zweifel schrieb Ravel vor der Uraufführung am 26. April 1924 an die Geigerin: "Einige Passagen könnten eine großartige Wirkung erzielen, vorausgesetzt sie sind spielbar – worüber ich mir nicht völlig sicher bin."
...
Ravels Bedenken erwiesen sich als unbegründet. Ein halbes Jahr nach der Uraufführung erklang das vom Publikum gefeierte Bravourstück in einer Fassung für Violine und Luthéal, einem Instrument, das dem ungarischen Zimbal ähnelt, was den Klang noch exotischer machte. Schließlich folgte eine weitere Fassung für Violine und Orchester. "Die Stellen, die so schwierig klingen, sind oft nicht so schwierig, wie das Publikum denkt", verrät Geigerin Arabella Steinbacher. Und die Stretta am Schluss, das Tempo, das immer mehr anzieht? Nein, sagt Arabella Steinbacher. Der Schluss lässt sich gut spielen. "Am Schluss, da wird's ja immer lustiger. Das ist nicht so schwer, das klingt bloß schwer."

Mich hat der Hinweis auf die Fassung für Geige und Lutheal neugierig gemacht, zumal mir der Begriff "Lutheal" bisher unbekannt war (wem noch?). Dazu fand ich bei Wikipedia folgende Erklärung:
Das Luthéal ist eine zusätzliche mechanische Ausrüstung für Konzertflügel. Es wurde 1919 von dem Belgier George Cloetens entwickelt und hat den Zweck „die Klangfarbe von Saiteninstrumenten, die über eine Tastatur oder von Hand gespielt werden, zu verändern.“... Das einzig noch vorhandene Luthéal, im Musikinstrumenten-Museum Brüssel, kann in jeden Konzertflügel eingesetzt werden. Es hat vier Registerknöpfe, je zwei für den Bass bzw. Diskant. Mit ihnen kann der Klang so geändert werden, dass er dem eines Cimbalons oder dem des Lautenregisters eines Cembalos ähnlich ist. Maurice Ravel schrieb 1924 die Rhapsodie Tzigane für Luthéal und Violine – das heute meistens mit dem Klavier gespielt wird – um ihm einen folkloristischen Klang ähnlich dem des ungarischen Hackbretts zu verleihen. Ebenfalls Ravel benutzte das Luthéal auch in der lyrischen Fantasie L’enfant et les sortilèges.

Das Lutheal wollte ich gerne mal hören und fand auch eine entsprechende Aufnahme, die ich jetzt hier einstelle:


*******sima Frau
2.540 Beiträge
Noch ein "starkes Stück" von Ravel
In der selben Rundfunk-Reihe wurde davor auch bereits ein anderes starkes Ravel-Stück vorgestellt und besprochen, das ich in einem früheren Beitrag (KLASSIK: KOMPONIST des Monats, X. Teil) nur kurz gestreift habe:
"Miroirs" (Spiegelbilder) für Klavier solo.

Maurice Ravel war bereits ein angesehener Komponist, als er fast 30-jährig seine "Miroirs" schrieb - die "Spiegelbilder" für Klavier solo. Bald darauf geriet Ravel in die Kritik als angeblicher Plagiator Debussys.

Eine reiche und neue Harmonik attestierte der Komponist Maurice Ravel selbst seinen Klavierstücken "Miroirs" - den sogenannten "Spiegelbildern" - die er 1905 für Klavier solo fertigstellte. Die Stücke hätten auch diejenigen Musiker aus der Fassung gebracht, die bis dahin an seine Art zu komponieren gewöhnt waren, meinte Ravel, und spielte damit auf den Kreis der "Apachen" an. Das waren Musiker, Kritiker und Komponisten, wie Paul Sordes, Maurice Delages, Manuel de Falla, Michel-Dimitri Calvocoressi und Ricardo Vines, die sich häufig trafen und neue Werke vorspielten, diskutierten oder einfach lärmend durch das nächtliche Paris zogen. Deswegen bezeichneten sie sich auch als "Noctuelles- als Nachtschwärmer", und vielleicht liegt hier eine weitere Analogie zu dem Titel "Noctuelles", dem ersten Stück der Miroirs vor. Den Apachen widmete Ravel die "Miroirs" auch.

Inspiration durch Debussy

Apachenmitglied und Freund Ricardo Vines hatte Ravel von Debussys Arbeit an einem Klavierwerk erzählt, das in seinem formalen Aufbau so frei sei, dass es improvisatorisch wirke. Ravel war begeistert von der Idee Debussys, und so wurde das "Cahier d'esquisses", das er später selbst für Debussy uraufführen sollte, zur Inspiration für Ravel.

Von daher rührt auch die Radikalität der Form und Harmonik in den "Miroirs", allen voran im zweiten Stück, den "Oiseaux tristes": "Es sind einsame Vögel, die verloren sind, in der Beklemmung eines dunklen Waldes," schrieb Ravel selbst über diesen Satz.

Impressionistische Schilderungen

Nach der Beklemmung des zweiten Stückes entführt Ravel den Hörer in einer Barke auf die hohe See. Bewegtes Wasser, auf dem sich gleißend das Licht bricht, Wellenberge, Wellentäler - eine eindeutige impressionistische Schilderung ist "Barque sur l´océan".

Die Deutung von "Alborada del gracioso" - "dem Morgenlied des Spaßmachers", das vierte Stück der Miroirs ist für den Interpreten, wie für den Hörer zweischneidig. Das empfindet auch Herbert Schuch so: "Ravel hat dieses spanische Lebensgefühl unglaublich wiedergeben können, obwohl er selber kein Spanier war. Ich empfinde bei diesem Stück überhaupt keine witzigen Elemente, ich finde eher, das ist so ein typisch südländischer Todernst, der aber durch dieses Feuer, und das ständige Wachsein und dieses Ausbrüche, wird das natürlich sehr stark beleuchtet und es wird nie irgendwie flach."

Glocken im Klangnebel

Seine Spiegelbilder beschließt Maurice Ravel mit dem traumähnlichen Stück "Vallée des cloches" - "Tal der Glocken", das in einer Tradition von Glockenstücken Ravels steht. In Liszts Art hat er sein Stück auf drei Systemen notiert. Zu einem Klangnebel der rechten Hand, sehr sanft und ohne Akzentuierung, wie es sich der Komponist wünscht, erklingen zahlreiche unterschiedlich klingende Glocken.

28.11.2009 von Aurelia Weiser


****ga Frau
18.014 Beiträge
Themenersteller 
oh dieses Stück Miroirs kannte ich noch gar nicht *top2*

*danke*
*******uck Mann
138 Beiträge
Liebe Tantissima,
vielen Dank für deine Mühe. Ich würde dich sofort als Professorin für Musikgeschichte anstellen.
Es muss nicht alles auf eigenem Mist gewachsen sein, aber du verstehst es die rechte Auswahl zu treffen und so die Begeisterung für das Sujet zu wecken. *danke*
@*******uck

Stimme Dir bei. Gruß.
****ga Frau
18.014 Beiträge
Themenersteller 
ja ich stimme dir auch zu @*******uck *top*
*danke*
*******sima Frau
2.540 Beiträge
Oh, herzlichen Dank für die Blumen!

Mir hat das diesen Monat auch wirklich Spaß gemacht und viel gebracht, d.h. ich habe viel über Ravel gelernt und seine Musik gehört, die ich bisher eben kaum kannte. Ich nehme halt den KdM jeweils als aktuellen Aufhänger für meine eigene Weiterbildung, die ich ohne diesen Anlass eben nicht gleichermaßen in dieser konzentrierten Form wahrnehmen würde, und wenn ich dabei auf in meinen Augen spannende Artikel und sonstige Infos stoße, ist es keine besondere zusätzliche Mühe, diese dann auch mit ein paar weiteren Klicks hier einzustellen, damit andere ebenfalls davon profitieren können.

Es würde mir allerdings gut gefallen, wenn sich daran auch noch mehrere Andere mehr oder weniger regelmäßig beteiligen würden. Die Beiträge etwa von @*******uck, @*******ltra, @*********vibus oder @*********nguae haben in meiner Wahrnehmung die Sache inhaltlich belebt und bereichert und davon würde ich gerne noch häufiger lesen! Den Part als "Quasi-Alleinunterhalterin" möchte ich hier jedenfalls nicht dauerhaft übernehmen, ich hoffe, das könnt Ihr auch verstehen.

Natürlich werden die monatlichen Auswahllisten immer anspruchsvoller, in dem Sinn, dass wir in der Gruppe die Mehrzahl der "Komponistenpromis" inzwischen bereits durch haben. Und nicht zu jedem der noch verbleibenden KomponistInnen findet man so viel und so leicht Infos im Netz wie es jetzt grade für Ravel (oder auch Gade) der Fall war. Umso mehr kann es aber meines Erachtens doch auch nicht sein, dass man sich hier überwiegend nur berieseln lässt, ohne selbst auch mal was nachzuforschen und das Ergebnis - oder selbstverständlich auch subjektive eigene Erlebnisse mit einem Musikstück eines gegebenen Komponisten - dann vollends hier im Gruppenforum auch den anderen zur Verfügung zu stellen bzw. zu teilen.

Wie seht Ihr anderen Gruppenmitglieder das denn, bzw. Frage an diejenigen, die hier zwar lesen aber selbst nicht schreiben: was hält Euch ab, was bräuchtet Ihr, damit Ihr Euch hier ebenfalls aktiver einbringen könntet/würdet? Welche Themen würden Euch hinterm Ofen hervorlocken? Was hält Euch ab, die hier selbst einzubringen?

Ich bin momentan ziemlich ratlos und auch unschlüssig, wie ich mich hier verhalten soll. Einerseits ist diese Gruppe mir über die Jahre einfach sehr ans Herz gewachsen, interessanter Gruppengegenstand, grundsätzlich gute Mischung aus ProfimusikerInnen und Laien, man geht überwiegend pfleglich, offen und freundlich miteinander um, ich habe hier vieles erfahren und Musik kennengelernt und/oder neu gehört, die sonst wahrscheinlich nicht den Weg zu mir gefunden hätte, ich selbst bin hier so aktiv wie in keiner meiner anderen JC-Gruppen. Andererseits .... - okay, muss ich jetzt nicht nochmals wiederholen.

Das war jetzt ein von mir nicht geplanter Exkurs auf die Metaebene, ist allerdings in meinen Augen dennoch auch hier nicht gänzlich "Off Topic". Ich will den Kdm-Thread damit natürlich weder kapern noch shreddern. Aber ernsthafte inhaltliche Rückmeldung zu meinen Überlegungen und zu meinen formulierten Fragen wäre schon schön!

Und falls noch jemand was zu Ravel schreiben möchte, nur zu - der Monat ist noch nicht rum!!!
*****der Mann
6.987 Beiträge
Ich gelobe Besserung. Bin zur Zeit in Vorbereitungen für einen Liederabend Livestream.
*********vibus Mann
1.019 Beiträge
@*******sima Ich schätze die Arbeit sehr, die Du leistest, und bedaure, dass mir oft die Zeit fehlt, alles zu lesen oder mich intensiver mit den Schätzen zu beschäftigen, die Du präsentierst. Von den Ravel-Manuskripten habe ich bisher nicht einmal die Hälfte gelesen. Ich werde weiterhin etwas beitragen, wenn es mir von Interesse erscheint, aber oft auch nur "stiller Genießer" sein (können).
********ador Mann
49 Beiträge
Ich habe nichts zu Ravel geschrieben, weil ich ihn (noch) nicht höre. Ich habe aber sehr aufmerksam gelesen und freue mich, wenn das mit diesem "Format" so weiter geht!
*******ack4 Mann
2.578 Beiträge
Aaalso,
liebe Tantrissima, auch von mir, wie immer, meinen *herz*lichsten Dank für deine kompetenten und engagierten Beiträge, die ich immer sehr schätze! Ravel ist nicht so wirklich ein Komponist für mich.
Zum Thema Beteiligung hatte ich mich hier schon mehrfach geäußert und möchte mich jetzt nicht wiederholen; kommentarlos gepostete Youtube-Videos finde ich nicht sehr kreativ und ich habe ebenfalls keine Lust, den Alleinunterhalter zu spielen und halte mich deswegen inzwischen hier eher zurück.
Im Augenblick arbeite ich an diversen Vorbereitungen für Audio-Gottesdienste an der Orgel und habe etwas weniger zeitlichen Spielraum.
*******sima Frau
2.540 Beiträge
Ravel heute
In der Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie (ZGMTH) erschien 2008 ein Beitrag von Theo Hirsbrunner unter der Überschrift "Ravel heute":

Acht schweizerische und französische Komponisten, die zwischen 1939 und 1975 geboren sind, wurden auf die Bedeutung der Musik Ravels für ihr eigenes Komponieren befragt (Marc-André Dalbavie, Walter Feldmann Allain Gaussin, Christian Henking, Jean-Luc Hervé, Philippe Manou-ry, Roger Tessier und Stefan Wirth). Ihre Einschätzungen reichen vom Vorwurf der Glätte und ästhetischen Rückwärtsgewandtheit über die Anerkennung einer zeitlosen Gültigkeit bis hin zur Auffassung, dass Ravels seinerzeit einsamer Ansatz heute universell geworden sei bzw. gerade für das beginnende 21. Jahrhundert aktuell sei.

Der gesamte Artikel ist nachzulesen unter https://storage.gmth.de/zgmth/pdf/275
*******ltra Mann
1.393 Beiträge
Für mich bedeutet Ravel in vielen seiner Musiken Glanz, Licht und Zauber.
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