Mehr brandheiße Inhalte
zur Gruppe
Gothic
1015 Mitglieder
Das Thema ist für dich interessant? Jetzt JOYclub entdecken

KOMPONIST des Monats, X. Teil

****ga Frau
18.014 Beiträge
Themenersteller 
2 Stimmen für Isaac Albeniz :
Freiherr
john_coltra


1 Stimme für Stanislav Moniuszko :
alabelleetoile


1 Stimme für Karl Millöcker :
ludere_linguae
*********vibus Mann
1.018 Beiträge
Jules Massenet
*******sima Frau
2.540 Beiträge
Satie
*******ack4 Mann
2.578 Beiträge
Satie

*top2*
****ga Frau
18.014 Beiträge
Themenersteller 
2 Stimmen für Isaac Albeniz :
Freiherr
john_coltra


1 Stimme für Stanislav Moniuszko :
alabelleetoile


1 Stimme für Karl Millöcker :
ludere_linguae


1 Stimme für Jules Massenet :
plusquamavibus


3 Stimmen für Eric Satie :
Tantrissima
maninblack
ananga
****ga Frau
18.014 Beiträge
Themenersteller 
wer will noch abstimmen,
was ist mit dir liebe luccio, für wen bist du ? *g*
********ador Mann
49 Beiträge
Albeniz
*******uck Mann
138 Beiträge
Schwer, aber ich tendiere zu Moniuszko *gruebel*
****ga Frau
18.014 Beiträge
Themenersteller 
3 Stimmen für Isaac Albeniz :
Freiherr
john_coltra
DoronCazador

2 Stimmen für Stanislav Moniuszko :
alabelleetoile
moonstruck


1 Stimme für Karl Millöcker :
ludere_linguae


1 Stimme für Jules Massenet :
plusquamavibus


3 Stimmen für Eric Satie :
Tantrissima
maninblack
ananga
*****der Mann
6.987 Beiträge
Ich schwenke auf Satie um
****ga Frau
18.014 Beiträge
Themenersteller 
ok dann ist Eric Satie der neue KDM
3 Stimmen für Isaac Albeniz :
Freiherr
john_coltra
DoronCazador


2 Stimmen für Stanislav Moniuszko :
alabelleetoile
moonstruck



1 Stimme für Jules Massenet :
plusquamavibus


4 Stimmen für Eric Satie :
Tantrissima
maninblack
ananga
ludere_linguae
*****der Mann
6.987 Beiträge
https://www.deutschlandfunkk … .html?dram:article_id=354267

Muss mich bei Satie auch erst mal einlesen.
*******sima Frau
2.540 Beiträge
Ein schöner Überblicksartikel zu Satie findet sich unter dem Link

https://docplayer.org/23327068-Erik-satie.html

Es ist ein PDF-Dokument, leider von viel Werbung unterbrochen, aber dennoch lohnend, da mit vielen Illustrationen versehen, die man sonst nicht so leicht findet. Alle in dem Artikel genannten Musikstücke sind außerdem bei youtube abrufbar. Es lohnt sich, die insgesamt 11 Seiten bis zum Schluss herunterzuscrollen.
*******sima Frau
2.540 Beiträge
Ebenfalls sehr informativ erscheint mir ein Vortrag von Mechtild Fuchs mit dem Titel "Erik Satie: Musikalischer Außenseiter und Neuerer", nachzulesen unter
https://docplayer.org/588844 … ag-an-der-vhs-offenburg.html
*******sima Frau
2.540 Beiträge
Manuskriptauszug Scherer (1)
Ich habe erneut ein Manuskript der SWR2 Musikstunde gefunden: "Eric Satie oder die musikalische Erfindung der Moderne", von Wolfgang Scherer. Es wurde gesendet an fünf aufeinanderfolgenden Tagen vom 21. - 25. Januar 2013.

Der erste Teil trägt den Titel: "„Ich heiße Eric Satie... wie jedermann. Erinnerungen eines Gedächtnislosen“.

Willkommen, meine Damen und Herren, zur Musikstunde, die sich in den kommenden fünf Tagen mit Erik Satie beschäftigen wird.

Dass die Große Musikgeschichte Satie lange Jahre nur als eine eher skurrile Figur am Rand wahrhaben wollte, als kompositorischen Dilettanten oder musikalischen Witzbold ohne weitreichendere Bedeutung, das hat sich inzwischen grundsätzlich geändert. Seine Musik, die so leichtfüßig und lässig, so melancholisch, so tödlich ironisch klingen kann...: sie war den Meisterdenkern der Opusmusik von Schönberg über Boulez bis zu Stockhausen zutiefst verdächtig. Die selbsternannte Avantgarde der Neuen Musik begegnete ihr bis in die 60er und 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts mit tiefstem Misstrauen. Übertroffen wurde diese Geringschätzung allenfalls von der Ablehnung, die John Cage einmal zwischen Darmstadt und Donaueschingen entgegengeschlagen war: von Scharlatanerie –ganz wie bei Satie -war damals die Kritiker-Rede. So reagieren selbstgewisse Musik-Diskurse, wenn sie dem Unerhörten begegnen. Und: noch Adorno, ganz Philosoph der Neuen Musik, konnte sich nur zu einem ziemlich galligen Lob durchringen und meinte immerhin in schönstem Jargon: „In den schnöden und albernen Klavierstücken Saties blitzen Erfahrungen auf, von denen die Schönbergschule nichts sich träumen lässt.“ Auch um diese Erfahrungen geht es in dieser Musikstundenwoche.



Steffen Schleiermacher spielte „Petite ouverture à danser“ von Erik Satie.

Natürlich war es alles andere als ein Zufall, dass die Komponisten, die sich für die Musik ihres Kollegen Satie interessierten, vor allem von jenseits des Atlantiks kamen. Sie standen gewissermaßen im Abseits der europäischen Musiktradition. Haydn, Mozart, Beethoven, Brahms, Schönberg – so buchstabierte man damals in Wien die Musikgeschichte.

Für Virgil Thomson, der Satie während eines Studienaufenthalts im Paris der 20er Jahre kennen gelernt hatte, war Satie denn auch der einzige Komponist, dessen Werke außerhalb aller Kenntnis der Musikgeschichte gewürdigt werden können. Und: seine Ästhetik sei in der europäischen Musik die einzige Ästhetik des 20. Jahrhunderts.

Das ist nun kein Wunder. Denn Satie – soviel ist heute klar – bewegte sich in Paris im Brennpunkt der ästhetischen Auseinandersetzung um die Kunst seiner Zeit. Impressionismus, Symbolismus, Futurismus, Kubismus, Dadaismus, Surrealismus, Neoklassizismus – soviel zu den diversen stilistischen Strömungen... Debussy, Ravel, Strawinsky, Picasso, Brancusi, Picabia, Man Ray, Cocteau – soviel zu ihren künstlerischen Protagonisten, mit denen Satie zu tun hatte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es vor allem Darius Milhaud, John Cage und Morton Feldman, die Saties Musik als zentralen Bezugspunkt, als Chiffre der Moderne entdeckten.

Auch diesen Entdeckungen geht die Musikstunde dieser Woche in fünf Versuchen nach. „Wir müssen nicht erst herausfinden, ob Satie ein ernstzunehmender Musiker ist“, schrieb einmal John Cage, „Er ist unentbehrlich".



Es war im Dezember 1877, meine Damen und Herren. Erik Satie war damals 11 Jahre jung und lebte, nach dem frühen Tod seiner aus Schottland stammenden Mutter, zusammen mit seinem drei Jahre jüngeren Bruder Conrad bei den Großeltern väterlicherseits im Hafenstädtchen Honfleur an der Mündung der Seine, nicht weit von Le Havre..., seit kurzem nahm er Musikstunde beim Organisten von Saint Léonard, bei Monsieur Vinot... es war also in diesem Dezember 1877, dass auf der anderen Seite des Atlantiks, im fernen Amerika, genauer: in einer Werkstatt in Menlo Park, New Jersey, ein gewisser Thomas Alva Edison buchstäblich auf den Trichter kam: Er erfand den Phonographen. Das aller erste Gerät zur Aufzeichnung, Speicherung und Wiedergabe von Schallereignissen in Echtzeit. Eine rein mechanische Maschine zunächst, auch Sprechmaschine genannt: ein technisches Wunderwerk, das die Musikkultur von Grund auf revolutionieren und das Musikleben der Alten und der Neuen Welt regelrecht auf den Kopf stellen sollte.

Plötzlich war Musik in einer Art und Weise verfügbar, wie man sich das noch wenige Jahre zuvor kaum vorstellen konnte. Eine ganze Musikindustrie entstand, für uns heute eine Selbstverständlichkeit. Grammophon, Schallplattenspieler, Tonband, CD-Player – nichts davon wäre heute denkbar ohne den Phonographen des damals schon schwerhörigen Thomas Edison. Das gilt auch für jenen Apparat der Marke Odeon, den Hermann Leopoldi besingt.



Die „größte Sensation“ - : So feiert noch in den Goldenen 20er Jahren der Schlager das technische Medium, dem er seinen weltweiten Erfolg verdankt. Ein Medium feiert sich selbst.

Längst war die Musik tatsächlich auf den Hund gekommen. Und zwar mit dem Label: „His Master ́s Voice“. Jetzt begann das Konzert der Moderne. Nicht im Wien Schönbergs – allenfalls im Wien Leopoldis -, aber auch nicht im Paris Debussys.

Dort tönte das ganze Pathos des musikalischen Fortschritts, das große Blech der Expression; hier feierten orchestrale Nebelwerfer und harmonische Weichzeichner den Triumph der Impression.

Das wirkliche Konzert der Moderne begann ganz woanders. Es begann in einem Paris, das fasziniert war von den Moden und Maschen der amerikanischen Alltagskultur, von cake-walk, rag-time und dixie; in einer Metropole, die euphorisiert war von Rhythmen, Synkopen und wilden Tänzen. Es begann im Paris der Cabarets und Varietés, der Music-Halls und der Cafés, zwischen Kino und Grammophon, zwischen transatlantischem Jazz, Revue und Chanson. Es waren die ersten Grammophon-Platten, die den Jazz nach Paris brachten: Hier eine Aufnahme mit dem Titel SENSATION JAZZ , gespielt vom All Star Trio, aufgenommen 1919 und veröffentlicht auf einer Edison Diamond Disc Schallplatte 50541-L. Sie wird abgespielt auf einem Edison A100 Phonographen. Und so klang das:



"Der Jazz“, notierte Erik Satie einmal, „der Jazz erzählt uns seinen Schmerz – und man schert sich nicht drum. Aus diesem Grund ist er... schön... und wahr...“.

Das gilt – natürlich! – ziemlich genau auch für seine eigene Musik. Aber: Erik Satie war alles andere als ein Jazz-Komponist.

Unter seinen zeitgenössischen Kollegen war er vielmehr einer der ersten, die sich den modernen Spielarten der Alltagsmusik und ihren neuen Medien nicht verweigerten. Ganz im Gegenteil. „Wir dürfen nicht vergessen“, schrieb er dazu, „was wir der Music-Hall, dem Zirkus verdanken. Von dort kommen die neuesten Erfindungen, Tendenzen und Kuriositäten des Metiers. Die Music-Hall und der Zirkus haben einen innovativen Geist.“

Zeitlebens ein Deserteur der großen Opusmusik, hat Erik Satie mit seinem Werk zu diesem urbanen Spektakel der Medien, der Moden und der Künste, mit dem sich in Paris der Vorhang des 20. Jahrhunderts öffnete, die Hintergrundmusik komponiert. Diskret, charmant, leicht. Eine Musik, die keine Grimassen schneidet. Musik ohne Sauce, ohne den Bürokratismus der Sonatensatzform, ohne die Wiener Demokratur der Zwölftonreihe. Eine Musik also, die man – wie Blaise Cendrars meinte -, „die man sich endlich anhören kann. Ohne den Kopf in die Hände zu nehmen.“
*******sima Frau
2.540 Beiträge
Manuskriptauszug Scherer (2)
Jazz, Cabaret, Chanson, Music-Hall – die Musiksorten des modernen urbanen Alltags haben sich weit und tief in Saties Werk hineingespielt.

1912 erscheint in der hochangesehenen Revue musicale der Societé Internationale de Musique ein als Fragment ausgegebener Text von Erik Satie, der seine kompositorische Ästhetik in scheinbar skurriler, absurder Weise auf den Punkt bringt. In diesen „Memoiren eines Gedächtnislosen“ heißt es unter der Überschrift: „Was ich bin“: „Jeder wird Ihnen sagen, ich sei kein Musiker. Das stimmt. Schon zu Beginn meiner Laufbahn, und dann immer weiter, habe ich mich zu den Phonometrographen, zu den Schallmessern gezählt. Meine Arbeiten sind reine phonometrische Aufzeichnungen. Ob man nun den Fils des Etoiles oder die Morceaux en forme de poire, En Habit de Cheval oder die Sarabandes nimmt: immer wird man feststellen, dass der Entstehung dieser Werke keinerlei musikalische Idee zugrunde liegt. Vielmehr dominiert ein rein wissenschaftliches Denken.

Überhaupt macht es mir mehr Spaß, einen Ton zu messen, als ihn zu hören. Mit dem Phonometer in der Hand arbeite ich frohgemut und sicher. Ich glaube sagen zu können, dass die Phonologie der Musik weit überlegen ist. Auf alle Fälle kann ein halbwegs geübter Phonometer leicht mehr Töne aufzeichnen, als es der geschickteste Komponist im gleichen Zeitraum mit gleichem Aufwand vermag.“

Soweit also Erik Satie in seinen „Erinnerungen eines Gedächtnislosen“. Ein Scherz, möchte man meinen, eine weitere Eulenspiegelei des kauzigen Meisters aus Arceuil. Dabei beschreibt Satie ziemlich genau die Arbeitsweise des Phonographen: die Schallaufzeichnung eben.

Vergessen wir dabei nicht, dass die ersten Phonographen – anders als ihr Nachfolger, das Grammophon -, eben nicht nur reproduzieren, also wiedergeben, sondern vor allem auch aufzeichnen konnten. Sie waren eigentlich Tonbandgeräte avant la lettre. Und so wurden sie von den Anhängern des damals überaus populären „phonographischen Sports“ auch eingesetzt: zahllos waren jene Ton-und Schalljäger, die sich um 1900 mit dem Phonographen auf die Jagd nach guten Aufnahmen machten. Das waren freilich nicht nur alles Amateure. Sprachforscher, Ethnologen, Musikologen, Akustiker, Physiker – längst hatte der Phonograph Eingang gefunden in die Feld-und Laborexperimente der Wissenschaften. Und längst existierten Phonogramm-Archive, in denen diese akustischen Trophäen eingelagert wurden.

Vor diesem Hintergrund erklärt sich Satie, mit spöttischem Blick auf das wissenschaftliche Denken, gleich selbst zum Phonometrographen. Und weil der, ganz anders als ein Komponist – keine Zeichen für Klänge, also Noten aufzeichnet, sondern die Bewegungen des Schalles selbst, übertrifft er sogar noch die Routine des – wie Satie sich ausdrückt – „geschicktesten Komponisten“. Ganz wie ein „Phonometrograph“ hat Satie also die Klänge und Musiksorten seines urbanen Environments aufgezeichnet.



Jean-Yves Thibaudet spielte «Le Picadilly» von Erik Satie aus dem Jahre 1904: höchstwahrscheinlich der erste cake-walk oder Rag-Time der europäischen Musik.

Kompositionen als Schallaufzeichnungen, der Komponist als „Phonometrograph“ – die Ästhetik Saties ist eine durch und durch phonographische. Dass er allen Ernstes die Arbeitsweise eines Komponisten mit der eines Phonographen gleich setzt – damit liegt er gar nicht so sehr neben den experimentalwissenschaftlichen Diskursen seiner Zeit. Es ist eben kein Spaß, wenn er die Dominanz des rein wissenschaftlichen Denkens für sich in Anspruch nimmt.

Bereits 1880 hatte der Philosoph und Dichter Jean-Marie Guyau in einem Aufsatz mit dem Titel „Gedächtnis und Phonograph“ darauf hingewiesen, der Phonograph sei das einzig treffende Modell von Gehirn oder Gedächtnis. Hier heißt es: „Wenn man in den Phonographen spricht, übertragen sich die Schwingungen der Stimme auf eine Nadel, die in eine Platte Linien eingräbt. Wahrscheinlich werden auf analoge Weise unsichtbare Linien in den Gehirnzellen gezogen, die für die Nervenströme das Bett bilden. Wenn nach einiger Zeit der Strom auf eine dieser Furchen stößt, die er schon durchlaufen hat, so schlägt er diesen Weg aufs Neue ein. Dann schwingen die Zellen, wie sie ein erstes mal geschwungen haben, und dieser ähnlichen Schwingung entspricht psychologisch ein Gefühl oder Gedanke, die dem vergessenen Gefühl oder Gedanken analog sind. Das nun wäre sehr genau das Phänomen, das beim Phonographen auftritt.“ Soweit Jean-Marie Guyau.

Ob Satie diesen Text gekannt hat, der 1880 in der Revue philosophique erschienen war? Gekannt hat er ganz bestimmt jene Reklame-Walzen oder -Platten, mit denen die Vertreter der jungen Musikindustrie, die Agenten Edisons oder Berliners, für Phonograph und Grammophon warben. Versteht sich, dass dabei die Apparate ganz für sich selbst sprachen und sich dem Zuhörer vorstellten. Hier ein Beispiel in deutscher Sprache aus dem Jahr 1901:

"Verehrte Anwesende, mein Name ist Grammophon... mein Körper besteht aus... Metall, Glas und Hartgummi..."
(Leider steht die in der Sendung an dieser Stelle ertönende akustische Aufzeichnung hier nicht zu unserer Verfügung)

Das, meine Damen und Herren, hätte so auch von Erik Satie selbst stammen können.

Zu den Werken, die er ausdrücklich als reine phonometrographische Aufzeichnungen tituliert, gehört eines seiner Meisterwerke: „Trois Morceau en forme de poire“ für Klavier zu vier Händen. Drei Stücke also, in Form einer Birne.

Was aber sind Klavierstücke in Birnenform? Dazu gleich mehr. Zunächst: es handelt sich keineswegs um drei Stücke, sondern um sieben. Es gibt eine Art Einleitung, die verlängert wird, und einen zweiteiligen Schluss: Kurz: die ganze formale Anlage ist darauf aus, Formbegriffe wie Einleitung und Schluss lächerlich zu machen. Dabei stammt das musikalische Material der sieben Stücke aus einem Zeitraum von dreizehn Jahren und verbindet die unterschiedlichsten Stilelemente. Also eine echte „phonographische“ Komposition, die Aufzeichnungen seiner Skizzenbücher aufgreift und montiert.

Was nun die Sache mit der Birne angeht: es ist oft behauptet worden, Satie habe mit dem Stück auf den Vorwurf Debussys reagiert, er achte in seiner Musik nicht genügend auf die Form. Andererseits war es ja auch Debussy, an dessen Adresse dieser Vorwurf mit schöner Regelmäßigkeit erging. Jedenfalls: es spricht viel dafür, dass sich Satie mit diesem Stück zum Fürsprecher seines langjährigen Freundes Debussy machen wollte – schließlich hatte Satie erst erwogen, das Stück mit dem Untertitel „Album für Taube“ zu publizieren...

Jedenfalls hat er das Birnenstück mit einer Empfehlung versehen. Hier heißt es: „Ich befinde mich an einem zauberhaften Wendepunkt meiner Lebensgeschichte. In diesem Werk drücke ich mein angebrachtes und natürliches Erstaunen aus. Glauben Sie mir, trotz der Anlagen. Das Bestimmte kann nicht gefrieren; das leidenschaftlich Brennende erlischt von selbst; das Cholerische hat keine Existenzberechtigung. Mehr kann ich nicht versprechen, obwohl ich mich vorsorglich verzehnfacht habe, und das entgegen allen Vorsichtsregeln. Ist das alles? Das sage ich mir. Erik Satie.“

Hier also: «Trois Morceaux en forme de poire“ ( „Drei Stücke in Form einer Birne“):



Zu diesem Titel, der sogar für Satie-Verhältnisse, ziemlich sonderbar ist, hat Ornella Volta, die so exzellente wie verdiente Satie-Forscherin übrigens kürzlich angemerkt, die Wahl des Titels könnte ja auch in der Musik selbst begründet sein, die sich obsessiv um sich selbst dreht wie ein birnenförmiger Kreisel.

Nun ja, wir werden in der Beschäftigung mit Erik Satie immer wieder auf seine rätselhaften Titel stoßen – und vielleicht ganz allmählich auch hinter das Geheimnis dieser wilden Titelei kommen. Was, zum Beispiel, bezeichnet der Titel Gnossienne? Bezieht sich das Wort nun auf die Gnosis, auf ein religiöses Geheimwissen, oder gar auf imaginäre Tänze der Bewohner des antiken Knossos? Und was hat es mit den berühmt-berüchtigten Gymnopédien auf sich, die inzwischen Karriere gemacht haben als Klangtapete für Film und Werbung? Dazu mehr in den folgenden Musikstunden.

Hier jedenfalls kommen die „Gnossiennes Nr. 5". Es spielt: Katia Lebeque.


*******sima Frau
2.540 Beiträge
Manuskriptauszug Scherer (3)
...
Erik Satie, meine Damen und Herren -: wir begegnen ihm heute morgen noch einmal in dem Hafenstädtchen Honfleur, an der Mündung der Seine.

Es war keine glückliche Kindheit, die er hier erlebt hat. Nach dem frühen Tod seiner englischen Mutter hat ihn sein Vater, ein Schiffsagent, zusammen mit seinem jüngeren Bruder Conrad, aus Paris wieder hierher zurück an den Atlantik gebracht, zu den Großeltern. Die bewegen den Sechsjährigen, der – wie seine verstorbene Mutter – anglikanisch getauft war, sofort dazu, diesem Glauben abzuschwören und die katholische Taufe zu empfangen.

Vielleicht sind es diese eher traurigen Lebensumstände, die seiner Musik jenen charakteristischen melancholischen Grundton unterlegen, der sich noch in seinen spöttischsten und humorigsten Klavierstücken findet. Gut möglich auch, dass in diesem religiösen Hin und Her der Antrieb zu finden ist für seine späteren Ausflüge in die Esoterik.

Jedenfalls genießt er bei dem Organisten von Saint Léonard in Honfleur, bei Monsieur Vinot, ersten Musikunterricht und lernt die zeitlose Schönheit der alten liturgischen Musik kennen, insbesondere den gregorianischen Choral. Es ist seine erste Begegnung mit der Klangwelt des Mittelalters.

Die diatonischen Melismen und modalen Linien des einstimmigen mittelalterlichen Gesangs, dessen Schönheit in einer Einfachheit und einer Schlichtheit gründet, die völlig frei ist von individuellem Ausdruck und persönlicher Emotion, sie üben auf den Jungen, der ja von früh an gezwungen war, seine eigene Gefühle unter Kontrolle zu halten, eine eigentümliche Faszination aus.

Stundenlang, so erzählt sein Bruder Conrad später, konnte Erik die Spitzbögen in Notre Dame betrachten. „Ogives“, Gotische Spitzbögen, so heißt denn auch der 1886 entstandene Zyklus aus vier formal identischen Stücken, der diese Betrachtungen ins Musikalische überträgt. Hier greift Satie Satztechniken auf, die eigentlich der mittelalterlichen Klangwelt der Parallelorgana - sagen wir eines Perotin – angehören. Und seltsam: bis heute klingen diese Stücke sonderbar modern, irgendwie zeitlos und abstrakt.



Reinbert de Leeuw war das mit «Quatre Ogives», vier Spitzbögen von Erik Satie.

Zurück nach Honfleur: Als dort die Großmutter stirbt, holt der Vater den Zwölfjährigen Erik und seinen vier Jahre jüngeren Bruder zu sich nach Hause, zurück nach Paris. Hier hat sich inzwischen einiges geändert. Der Vater, der sich mittlerweile als Musikverleger eingerichtet hat, ist frisch verliebt und möchte wieder heiraten. Und zwar die Klavierlehrerin Eugénie Barnetche. Die betätigt sich auch als Komponistin von Salonmusik-Stücken, die nicht nur ihr Mann verlegt.

Und auch Alfred Satie entdeckt seine musikalische Ader: während seine Frau ausschließlich für das Klavier schreibt, sind Music-Hall-Songs seine Spezialität. Keine Frage: schon Jahre bevor sich Erik Satie selbst Nacht für Nacht im Milieu der Cabarets und Varietés, der Music-Hall und der Cafés bewegen wird, hat ihn Musik aus dieser Welt erreicht. Und: geprägt.



Mady Mesplé war das mit „Chanson“ von Erik Satie.

Es war übrigens seine Stiefmutter Eugénie Satie-Barnetche, mit der sich Erik eigentlich nie so richtig anfreunden konnte, die den Jungen am 4. November 1879 im Conservatoire National de Musique et de Déclamation einschreibt. Hier legt er im Verlauf von sieben langen Jahren allerdings eine alles andere als rühmliche Karriere hin. Er glänzt durch häufige Abwesenheit und landet bald in der Klavierklasse von Georges Mathias, einem Chopinschüler, dem früheren Lehrer ausgerechnet seiner Stiefmutter. „Begabt, aber faul“, so das einhellige Urteil seiner Lehrer. Er sei eine Niete, der faulste Schüler des Konservatoriums. Sein Klavierspiel sei mittelmäßig bis schlecht, eben wertlos, er könne nicht richtig vom Blatt spielen und brauche viel zu lang, um ein Stück zu erlernen.

Was Wunder also, dass Satie die Flucht ergreift. Die unschönen Erinnerungen an seine Zeit der Klavierprüfungen am Conservatoire, in dieser – wie er später schrieb – „Haftanstalt ohne jeden Reiz“ – sie werden ihn Zeit seines Lebens begleiten. Erst 20 Jahre später wird er wieder auf die Schulbank zurückkehren, dann aber auf die Schola Cantorum, wo er im Alter von 42 Jahren sein erstes Diplom erhält.



Saties „Gnossienne Nr. 2“, gespielt von Werner Elmker.
*******sima Frau
2.540 Beiträge
Manuskriptauszug Scherer (4)
Der ungeliebten "Haftanstalt Conservatoire" folgt der verhasste Militärdienst, den Satie übrigens vorsätzlich verkürzt, indem er sich mit nacktem Oberkörper einer frostkalten Winternacht aussetzt und sich dabei die für seine Entlassung notwendige Lungenentzündung einhandelt. Endlich ist er frei.

Dem Elternhaus kehrt er nun den Rücken und sucht sich – immer auf der Flucht vor Gläubigern - eine eigene Bleibe in der Rue Cortot Nr. 6, hoch oben auf dem Montmartre: ein Bohemien. Die Haare trägt er jetzt lang wie ein Nazarener, dazu eine Levitenrobe, einen Gehrock mit Ritterkragen, einen Zylinder, einen Kneifer mit Samtkordel und eine ausgebeulte Hose: "Monsieur le Pauvre", so nennt man ihn.

Zusammen mit seinem Freund Contamin de Latour verbringt er die meisten Tage und noch mehr Nächte im "Chat Noir" (Schwarzer Kater). Hier entwerfen sie gemeinsame Werke, denken sich esoterische Sekten oder irgendwelchen Unfug aus. In dieser Zeit macht er auch die Bekanntschaft von Joséphin „Sar“ Péladan, dessen Schriften er schon während seiner Militärzeit gelesen hatte. Mit seiner bizarren Mischung aus modischer Magie, Spiritismus und Okkultismus, Gralsmystik und religiösem Kitsch übte der "Großmeister des Ordre de la Rose-Croix Catholique et esthétique du Temple et du Graal" damals einen enormen Einfluss auf die Pariser Intellektuellen aus.

Péladan verherrlichte das Mittelalter, träumte sich in den Orient, erfand sich eine babylonische Abstammung und wetterte gegen Demokratie, Militär und Versklavung des Menschen in der modernen Massengesellschaft. Rettung versprach da nur das Ritual einer Kunst mit magisch-liturgischem, gottesdienstlichem Charakter.

Satie war begeistert. Offenbar waren seine ästhetischen Ideen identisch mit denen von Péladan. Jetzt wird er eine Art „Kantor“ im Orden der Rosenkreuzer. So kommt der frischgebackenen Péladan-Jünger am 10. März 1892 wenigstens zu seiner ersten öffentlichen Aufführung. Hier kommt aus den „Sonneries de la Rose-Croix“, aus dem „Geläut des Rosenkreuzes“, die Melodie des Großmeisters, Le Sar Joséphin Péladan:



Das war die „Melodie des Großmeisters“, ursprünglich für Trompeten und Harfe, aus Erik Saties „Sonneries de la Rose Croix“. Reinbert de Leeuw spielte das heute nur noch als Klavierauszug vorhandene Stück.

Die „Sonneries“ waren sein erstes öffentlich aufgeführtes Werk – das mag erklären, wieso Satie – der so ziemlich das Gegenteil eines Wagnerianers war – dem Orden eines Gurus beitrat, der die Götterwelt Wagners ebenso sehr verehrte wie die Musik ihres Schöpfers. Daher wundert es nicht, dass der Rosenkreuzer-Spuk Saties, den seine Freunde damals nur noch "Esoterik-Satie" nannten, schnell vorbei war: Monsieur le Pauvre brach geräuschvoll - und öffentlich. Erst kündigte er die Aufführung einer Oper mit dem Titel „Tristans Bastard“ an, dann distanzierte er sich in einem respektlosen Artikel im Gil Blas, seiner bevorzugten Tageszeitung, vom Großmeister Péladan. Woraufhin der jeden Kontakt abbrach.

Dafür gründete Satie einfach eine eigene Kirche: "Die Metropolitankirche der Kunst unseres Lenkers Jesus Christus". Er selbst war ihr einziges Mitglied.



«En Habit de Cheval», «Im Reitrock» von Erik Satie. Ursprünglich für Klavier zu vier Händen geschrieben, später von Satie selbst orchestriert. Michel Plasson leitete das Orchestre du Capitol de Toulouse.

Zu diesem Stück schreibt Satie: «Ich habe zwei Chorälen und zwei Fugen den Titel ́Im Reitrock ́gegeben. Freunde haben mich oft gebeten, einige Details dieses Reitkostüms genauer darzustellen. Woraus besteht es eigentlich? Jackett? Riding-coat? Stiefel oder Reithosen? Trägt der Reiter einen Hut?“

Es ist das erste Stück, das Satie komponiert hat, nachdem er noch einmal die Schulbank gedrückt hatte. Sein Freund Debussy hatte ihn gewarnt: „Nehmen Sie sich in Acht. Sie spielen ein gefährliches Spiel. In Ihrem Alter krempelt man sich nicht mehr so einfach um.“ Aber Satie hatte sich nicht abbringen lassen: „Wenn ich scheitere“, meinte er, „ dann um so schlimmer für mich. Das bedeutete, dass nichts in mir steckt.“

Und so sprach er bei Vincent d ́Indy vor, damals Rektor der Schola Cantorum in Paris und selbst ein anerkannter Komponist, und bat darum, kostenlos am Kontrapunktunterricht teilnehmen zu können. Das wurde ihm bewilligt. Und so studierte er noch einmal drei Jahre lang bei Albert Roussel. In einem ehemaligen Kloster; an einem Institut, das sich für die Rückkehr zur gregorianischen Schule einsetzte, ganz wie sein erster Musiklehrer in Honfleur, Monsieur Vinot. Satie studierte ernsthaft. Fleißig. Und vor allem: ohne jede Ironie.

Das überraschte seine Lehrer, die ihm immer wieder bestätigten, dass er sein Handwerk beherrschte. Aber Satie, wie traumatisiert von seinen katastrophalen Misserfolgen am Conservatoire, ließ nicht locker. Er besuchte sogar als Gasthörer den Orchestrationsunterricht von Vincent d ́Indy. Und notierte sich gewissenhaft die Empfehlungen seines Lehrer: „Englischhorn und Flöte niemals gemeinsam verwenden!“ Oder: „Horn und Posaune, es bringt nichts, sie zu koppeln.“ Oder auch: „Nie mehr als zwei Trompeten. D ́Indy sagt: drei Trompeten, das ist der Weltuntergang.“

Am 15. Juni 1908 hielt er das erste Musik-Diplom seines Lebens in Händen. Darunter stand: Trés bien - Sehr gut. Ein späte Auszeichnung.



“Les Pantins dansent”, so klingt es, wenn Erik Satie die Hampelmänner tanzen lässt: Aldo Ciccolini war der Interpret.
*******sima Frau
2.540 Beiträge
Manuskriptauszug Scherer (5)
Pawlow's Dog - Musik für Hunde

Erik Satie und die Hunde, meine Damen und Herren. Zwei seiner schönsten und originellsten kurzen Klavierzyklen hat er tatsächlich Hunden gewidmet. Man war oft geneigt, diese eher absurden Zueignungen als Scherz und Ulk abzutun.

Gewiss, Erik Satie hat die Hunde geliebt. Immer wieder streunen sie durch seine Texte: „Wer mich liebt, liebt meinen Hund“, heißt es da. Oder: „Die Ergebenheit des Hundes gegenüber dem Menschen ist nur Mitleid –mehr nicht. Dem Menschen fehlt der gute Riecher, daher verliert er seinen Hund.“ Satie hat sich immer wieder dieser verlorengegangenen Hunde und Straßenköter angenommen. Laut Cocteau trug er sich sogar mit dem Plan, ein Bühnenwerk für sie zu komponieren: „Ich möchte ein Stück für Hunde schreiben“, sagte er, „und ich habe schon die Kulisse. Der Vorhang hebt sich vor einem Knochen. Arme Hunde! Es ist ihr erstes Stück. Nachher wird man ihnen schwierigere Schauspiele vorsetzen, aber immer wird man auf den Knochen zurückkommen.“

Es war die Satie-Kennerin Ornella Volta, die uns darauf aufmerksam gemacht hat, dass sich Satie mit seinem Bild vom Knochen auf den monströsen und derb-komischen Roman „Gargantua und Pantagruel“ von Francois Rabelais bezieht. Der empfiehlt seinen Lesern im Vorwort, sie mögen sich doch bei der Lektüre ein Beispiel nehmen an einem Hund, der sich vom Äußeren des Knochens auch nicht davon abhalten lässt, so lange auf ihm herum zu beißen, bis er auf das köstliche Knochenmark trifft.

So besehen sind alle unverständlichen Titel, die uns Satie vorsetzt, Knochen, auf denen wir herumbeißen dürfen, bis sich zuletzt ihr Sinn entbirgt. „Préludes Flasques (pour un chien)“, „Schlaffe Präludien (für einen Hund)“.

Satie hat also seinen Rabelais gut gelesen. Die rätselhaften Titel, die er uns vorsetzt, sind wie Knochen, die man Hunden hinwirft; und dass die sich sofort darauf stürzen und keine Mühen scheuen, um sich bis zum Mark durch zu beißen, das macht sie – schreibt jedenfalls Rabelais - zum „allerphilosophischsten Tier“.



Aber: Satie wäre nicht Satie, gäbe es da nicht auch einen direkten Bezug auf den experimentalwissenschaftlichen Diskurs seiner Zeit. Einige Jahre zuvor hatte ein gewisser Iwan Petrowitsch Pawlow den Nobelpreis erhalten. Und zwar für seine Experimente mit dem so genannten Pawlowschen Hund. Bei diesen denkwürdigen Studien zum Prinzip konditionierter Reflexe hatte er bekanntlich festgestellt, dass die Speichelsekretion eines Hundes nicht erst mit dem Fressvorgang beginnt, sondern bereits durch den Anblick der Nahrung – oder sagen wir besser: des Knochens - ausgelöst wird. Das Schauspiel für Hunde, das Satie schreiben wollte, das spielte sich also längst täglich in den Laboren der experimentellen Physiologie ab.

Und was geschieht, wenn sich vor einem Hundepublikum der Vorhang über einem Knochen hebt? Rabelais sagt: der Hund erweist sich als „allerphilosophischstes Tier“. Satie sagt mit Pawlow: er zeigt einen konditionierten Reflex. Das ist der Unterschied, meine Damen und Herren, zwischen den Hoffnungen des Humanismus und der Melancholie der Moderne. Zwischen Philosopie und PsychoPhysik.



„De l ́Enfance de Pantagruel“, „Aus der Kindheit von Pantagruel“ war das mit Katia und Marielle Lebecque, eine von drei kleinen Szenen, die Satie nach Rabelais ́Roman in Klang gesetzt hat.

Der Hund, meine Damen und Herren, dem Satie seine „Schlaffen Präludien“ und die kurz darauf entstandenen „Véritable Préludes Flasques“, die „wahrhaft schlaffen Präludien“ widmet, hat also längst als "Pawlow ́s Dog" in den Laboren der Psychophysik Karriere gemacht. Und dass er Tonhöhen weit besser als Menschen unterscheiden kann, das hat man dort längst auch festgestellt.

Aber: der Hund hört auch auf einen Namen. Er heißt nämlich Nipper, gehört dem Liverpooler Maler Francis Barraud und frisst nur, wenn ihm sein Besitzer ein bestimmtes Musikstück auf dem Grammophon vorspielt. Nur dann scheint er mit seinem Hundeleben zufrieden. Und so hat ihn Barraud denn auch gemalt: wie er mit geneigtem Kopf vor dem Trichter sitzt, ein Inbegriff hündischer Klangtreue. Ein Logo wie geschaffen für die junge Musikindustrie. 1899 kauft Emil Berliners „Gramophon Company“ das werbetaugliche Bild und gründet bald darauf das Label: „His Master ́s Voice“. So avanciert Nipper zum populären Totemtier aller Schallplattenkultur. Und so, meine Damen und Herren, kam Erik Saties Musik tatsächlich auf den Hund. Hier also die „Wahrhaft schlaffen Präludien (für einen Hund).“ Es spielt: Håkon Austbø.


*******sima Frau
2.540 Beiträge
Manuskriptauszug Scherer (6)
„Mit dem Klavier“, so notierte einmal Erik Satie, mit dem Klavier sei es wie mit dem Geld, es sei „ausschließlich dem angenehm, der es in den Händen hält“.

Ein Bonmot aus der Feder eines Mannes, der seine meisten Werke für das Klavier komponierte, der sich über viele Jahre hinweg als Klavierspieler auf dem Montmartre sein Geld verdiente, der als junger Bohemien gelegentlich Klavierunterricht erteilte, und der – wie wir gestern erfuhren – den Klavierdrill am Conservatoire National de Musique so sehr hasste, dass er die von ihm so bezeichnete „Haftanstalt“ nach sieben langen Jahren ohne irgendeinen Abschluss oder ein Diplom verließ und als der wohl berühmteste „faulste Klavierschüler aller Zeiten“ in die Annalen dieses traditionsreichen Musikinstituts einging.

Nein, meine Damen und Herren, Erik Satie hatte ein mehr als zwiespältiges Verhältnis zu jenem mechanischsten aller Instrumente, das damals ja gerade dabei war, als sogenanntes „selbstspielendes Klavier“ jeden Klavierspieler überflüssig zu machen. Das Klavier verwandelte sich in eine mechanische Musikmaschine mit eingebautem Walzenwerk.

Längst hatte das amerikanische Pianola oder Player Piano auch den europäischen Markt erreicht. Die Leipziger Firma Hupfeld zog nach und brachte das Phonola ins Rennen, das pneumatisch angetrieben wurde. Eine Art Lochstreifen steuerte die über Blasebälge erzeugte Luft im Innern der Musikmaschine an die jeweiligen Hämmerchen: wie von Zauberhand wurden dann die Tasten niedergedrückt und die Musik ertönte „ganz wie von selbst“. Bis um 1900 stellte die Leipziger Firma jährlich etwa 4,6 Millionen Meter Notenrollen her.

Dann brachte die Freiburger Firma Welte ihren technisch ausgefeilten Reproduktionsflügel auf den Markt und lud die Elite der Pianisten und Komponisten in ihr Freiburger Studio ein, ihr Klavierspiel auf Notenrollen zu verewigen. Schade, dass Satie damals nicht zu diesem erlesenen Kreis gehörte... Aus Paris reiste dafür sein Erzfeind an. Camille Saint-Saens, der sich übrigens vehement dagegen ausgesprochen hatte, dass Satie in die Académie des Beaux-Arts aufgenommen wurde. In Freiburg spielte Saint-Saens seine „Valse mignonne op. 104“. Heute klingt das so:



Camille Saint-Saens spielte „Valse mignonne“. Wir hörten eine Aufnahme mit dem Welte-Reproduktionsflügel vom Dezember 1905.

Für Phonograph und Grammophon – deren Geschichte und deren Bedeutung für Saties Musik wir bereits streiften – für die neuen technischen Musik-Medien bildeten diese mechanischen Klaviere zunächst noch eine enorme Konkurrenz. Das Klavierstück von Satie, das sowohl sein eigenes zwiespältiges Verhältnis zu diesem Instrument als auch das Phänomen der mechanischen Klaviermaschinen aufgreift, stammt noch aus der Zeit, als er als "Esoterik-Satie" in den okkulten Kreisen um Sar Péladan unterwegs war. Es ist das mittlere der drei Stücke, die er unter dem Titel "Pages Mystiques" zusammenfasst.

Sein Titel spricht Bände: „Vexations“ das heißt: Quälereien. Klavierschikanen also. Dazu Saties Spielanweisung: „Um dieses Motiv 840 mal hintereinander spielen zu können, wird es gut sein, sich im vorhinein darauf vorzubereiten, und zwar in äußerster Stille, durch absolute Bewegungslosigkeit“. So wird der Interpret zum Adepten. Und Satie inszeniert Klavierspielen als mystisches Initiationsritual in die Geheimlehre musikalischer Wiederholung.

Michael van Krücker spielt:



Genau das waren die sieben Jahre am Conservatoire: Klavierquälereien. Und zu Hause, wo seine Stiefmutter Klavierunterricht erteilte: Klavierquälereien. Aber „Vexations“ – das ist weit mehr als eine ulkige Persiflage auf die zu seiner Zeit grassierende Klavierseuche, wo aus jedem Fenster das Geklimper der unvermeidlich klavierspielenden höheren Tochter drang... „Vexations“ – das ist auch mehr als eine Erik-Satierische Hommage an den Klavierdrill der „Vierzig täglichen Studien“ eines Carl Czerny. Es ist das bis dahin längste Stück der Musikgeschichte. Und: es schlägt mit seiner Spieldauer noch jede der damals modernen Musikmaschinen. Es ist übrigens auch das erste rein repetitive Stück der Musikgeschichte, ein Vorläufer also der Minimal Music.

Erst John Cage hat seine Spielanweisung Ernst genommen. Am 9. September 1963 war die Uraufführung. Zehn Pianisten wechselten sich ab. Die Klavierquälereien dauerten 18 Stunden und vierzig Minuten.
*******sima Frau
2.540 Beiträge
Die Performance von Saties "Vexations" aus Pianistensicht
Diejenigen, die sich für die Aufführung dieser "Vexations" aus Sicht eines Pianisten interessieren, finden dazu ein interessantes Interview unter folgendem link:
http://musicweb.hmtm-hannover.de/satie/Vex-Text.pdf
*******sima Frau
2.540 Beiträge
Saties "Vexations" - Corona-aktuell
Aufmerksamkeit schaffen für die Lage von Kulturschaffenden, das wollte der Pianist Igor Levit. Der Titel des Stücks, das er sich dafür ausgesucht hat, sagt alles: "Vexations", französisch für "Quälereien".

Um auf die Notlage der Kulturschaffenden in aller Welt aufmerksam zu machen, gab der Pianist Igor Levit ein Konzert, das zeitliche und kontinentale Grenzen auflöst. Am Samstag, den 30. Mai 2020 begann er um 14 Uhr (CET) in Berlin eine der längsten Kompositionen der Musikgeschichte: Eric Saties etwa 20-stündiges Werk "Vexations".

Igor Levit: "Ich wollte schon immer die 'Vexations' von Eric Satie aufführen. Das Stück wurde Ende des 19. Jahrhunderts geschrieben. Die wenigen Noten – ein Thema und zwei Variationen – passen auf eine einzige Seite. Doch die 840 geforderten Wiederholungen greifen weit voraus in die Zukunft einer Ästhetik des Repetitiven. Es dauert etwa 20 Stunden, sie zu spielen. Diese Dauer macht die 'Vexations' für mich gerade nicht zu einem 'Ärgernis' oder einer 'Quälerei', wie der Titel suggeriert, sondern zu einem Exerzitium der Stille und der Demut. Sie sind ein einziges Standhalten. Auch deshalb fühlt es sich richtig an, die 'Vexations' jetzt zu spielen. Meine Welt und die meiner Kollegen ist seit vielen Wochen eine andere und wird es wohl auch noch lange bleiben. Die 'Vexations' sind für mich da wie ein stummer Schrei."

Igor Levit finanzierte das Projekt aus Mitteln des Gilmore-Artists-Awards, mit dem er im Januar 2018 ausgezeichnet worden ist. Der Gilmore-Artist-Award ist einer der bedeutendsten Musikpreise für Pianisten und wird alle vier Jahre vergeben.

Eine eindrückliche, berührende Schilderung eines Zuschauers/-hörers, der den Livestream davon verfolgte, über dieses Projekt und seine eigenen Reaktionen darauf findet sich hier:
https://www.merkur-zeitschri … n-einfach-von-selbst-weiter/

Eine elfminütige Kurzfassung bzw. einen Ausschnitt aus dem Livestream mit Levit gibt es bei youtube:

****oo Mann
117 Beiträge
Falls die Abstimmung für den Mai noch offen ist:

Isaac Albéniz
****ga Frau
18.014 Beiträge
Themenersteller 
Zitat von ****oo:
Falls die Abstimmung für den Mai noch offen ist:

Isaac Albéniz

wir sind schon bei Eric Satie seit einigen Tagen *g* siehe die vielen Beiträge weiter oben *g*
****oo Mann
117 Beiträge
Oh nein!!!! *xd*

Danke für die Info! *g*
Anmelden und mitreden
Du willst mitdiskutieren?
Werde kostenlos Mitglied, um mit anderen über heiße Themen zu diskutieren oder deine eigene Frage zu stellen.