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KOMPONIST des Monats, X. Teil

*******sima Frau
2.540 Beiträge
Manuskriptauszug Struck-Schloen (2)
Wahrscheinlich wäre Jacob nie in Köln geboren worden, wenn nicht im Jahr 1798 die Franzosen in die Stadt eingerückt wären und damit die rheinische und letztlich auch die Weltgeschichte verändert hätten.

Davor herrschten in Köln noch mittelalterliche Verhältnisse, u.a. durften sich seit mehr als 370 Jahren keine Juden mehr in der Stadt ansiedeln. Das Verbot wurde durch die Franzosen aufgehoben, Juden und Protestanten konnten das Bürgerrecht beantragen ‒ und überhaupt entwickelte sich die Stadt durch die Einführung von Hausnummern, die Auflösung der Zünfte und die Verweltlichung der Kirchen und Klöster allmählich in Richtung Moderne.

Nach dem Untergang Napoleons fiel das Rheinland an die Preußen, die auf Drängen der Einwohner die französischen Gesetze übernahmen ‒ die Familie Offenbach nutzte die Chance und zog 1816, drei Jahre vor Jacobs Geburt, ins Kölner Stadtgebiet.

Dabei gehörte Isaac Offenbach zeitlebens zu den armen Juden in Köln ‒ ganz im Gegensatz etwa zum Bankier Salomon Oppenheim, der von hier aus sein Finanzimperium aufbaute. Isaac arbeitete zuerst als Musiklehrer für Gitarre, Flöte und Geige. Später wurde er an der Synagoge als Chasan angestellt, und wenn seine Söhn Jacques und Jules aus Paris zu Besuch kamen, halfen sie selbstverständlich beim Gottesdienst mit.

Aber der hochmusikalische Jacob lernte in Köln natürlich nicht nur die Religion, sondern auch die lokaltypischen Volksvergnügen kennen, Stichwort: Kölner Karneval. Den Straßenkarneval hatte Napoleon aus Angst vor Massenansammlungen verboten, aber unter den Preußen bekam er einen bürokratischen Apparat, das Festkomitee, und konnte sich wieder als Straßenkarneval austoben. Bis heute wird heiß darüber diskutiert, ob Offenbachs Opéras-bouffes mit ihrem kollektiven Blödsinn, der Persiflagen klassischer Stoffe und ihrer aufmüpfigen Haltung zur Macht ihren Ursprung auch im Kölner Karneval haben.

Immerhin gibt es ein paar musikalische Hinweise. Eine ist der in Köln sehr beliebte Walzer "O Jerum" vom Kölner Domkapellmeister Carl Leibl. Offenbachs Cellolehrer Bernhard Breuer kannte die Melodie sehr gut und hat sie in sein Singspiel "Die Kölner in Paris" eingebaut ‒ für Offenbachs eigene Karriere sicher ein prophetischer Titel. Hier der Karnevalswalzer in Leibls Orchesterfassung.

(Auch diese Einspielung steht hier leider nicht zur Verfügung: Bernhard Breuer/Carl Leibl:
Die Kölner in Paris, Ouvertüre
WDR Funkhausorchester
Leitung: Helmuth Froschauer)


Der Kölner Karnevalswalzer "O Jerum" aus dem Singspiel "Die Kölner in Paris". Bernhard Breuer, der Cellolehrer von Jacques Offenbach, hat es aus beliebten Melodien zusammengestellt.

Ein Jahr vor seiner Übersiedlung nach Paris wird Offenbach das Stück in Köln sicher gehört haben. Zwanzig Jahre später jedenfalls klingt der Walzer in einem Lied aus seiner musikalischen Posse Tromb-al-Cazar nach, die in den Bouffes-Parisiens die Pariser begeisterte.

Jacques Offenbach
2‘01
Tromb-al-Cazar (T: Dupeuty/Bourget)<ab 19’52-21‘53>
Lied der Gigolette
Claudine Granger (Sopran) Orchestre de Chambre de la BRTF Ltg. Alfred Walter(TLP Records 35003, LC 32964)

Aufnahme nicht verfügbar!


Als der turbulente Einakter "Tromb-al-Cazar" in Offenbachs eigenem Theater, den "Bouffes-Parisiens", herauskam, weilte der Komponist schon 23 Jahre in Paris. Gegen den Willen der Mutter hatte Vater Isaac Offenbach seine beiden Söhne Jacob und Juda nach Paris gebracht. Die Gründe dafür wurden nirgendwo explizit ausgesprochen, liegen aber auf der Hand: Die Ausbildungsmöglichkeiten für den hochbegabten Jacob, damals 14 Jahre alt, waren in Paris wesentlich günstiger. Und Isaac schaffte es, den angehenden Cellisten am berühmten Pariser Konservatorium unterzubringen ‒ obwohl eigentlich Ausländer nicht zugelassen waren.

Dazu kam, dass trotz der preußischen Emanzipationsgesetze die Aufstiegschancen für Juden in Köln doch sehr begrenzt waren. Die Weltstadt Paris bot hier vielfältige Möglichkeiten ‒ nicht nur an den zahlreichen Synagogen, wo Offenbach kurzzeitig als Chorleiter beschäftigt war.

Paris war eine regelrechte Einwandererstadt, in der nach der Revolution von 1848 etwa 80.000 Deutsche wohnten ‒ von der Dienstmagd bis zur Intelligenz, wenn man an Heinrich Heine, Ludwig Börne oder Karl Marx denkt. Auch musikalisch waren die Anregungen enorm: Der junge Richard Wagner suchte hier sein Glück, die Opernmeister Meyerbeer, Rossini, Verdi oder Halévy hatten es schon gefunden. Im Orchester der Opéra-Comique, in dem Offenbach einige Jahre lang als Cellist angestellt war, lernte er das Repertoire kennen, aus dem er später schöpfen konnte ‒ und das er nicht selten in seinen komischen Werken auf die Schippe nahm.
**********gosto Frau
16.056 Beiträge
Die Operette Ba-Ta-Clan (auch Bataclan oder Ba Ta Clan geschrieben) stammt wie Les deux Aveugles aus dem Jahr 1855. Offenbach und sein Librettist nannten sie eine Chinoiserie Musicale. Sie parodiert den Militarismus und die Zustände im Zweiten Kaiserreich. (Quelle: Wikipedia)

Hier eine szenische Aufführung aus Buenos Aires, die mir sehr gefällt. *fernglas*


*********vibus Mann
1.020 Beiträge
Nicht nur von Offenbachs Oper „Hoffmanns Erzählungen“ im Ganzen gibt es unterschiedliche Fassungen, sondern auch von einzelnen Arien. (https://de.wikipedia.org/wiki/Hoffmanns_Erz%C3%A4hlungen gibt einen kleinen Überblick über das editorische Chaos, das Offenbach hinterlassen hat.) Die berühmte „Spiegel-Arie“ ist in moderneren Fassungen oft gar nicht mehr enthalten. In meiner Erinnerung sehr präsent ist eine Version, die ich als Kind gehört habe. Ich habe sie auf Youtube gefunden, gesungen von Hermann Prey auf Deutsch, so wie es früher üblich war. Der deutsche Text erklärt den Namen der Arie.



Im französischen Original ist der Spiegel ein Diamant. Eine moderne, auf Französisch gesungene Fassung präsentiert z.B. Bryn Terfel:



Welche Fassung ist schöner?
*******sima Frau
2.540 Beiträge
Offenbachs Geheimnis
1996 entstand auch der biographisch orientierte Film "Offenbachs Geheimnis":

Biopic | Deutschland/Ungarn 1996 | 96 Minuten

Regie: István Szabó

In seinem aus zwei Handlungssträngen bestehenden Film zeigt der mit dem Oscar ausgezeichnete Regisseur István Szabó einerseits die komplette Inszenierung der beiden Operetten „Ritter Eisenfraß“ und „Die beiden Blinden“, andererseits die Ereignisse, die sich während der Aufführungen im Hintergrund abspielen. Offenbach hatte das Théâtre des Bouffes-Parisiens 1855 gegründet und in dieser höchst schöpferischen Phase zahllose Werke komponiert. In „Offenbachs Geheimnis“ bekommt er von seinem Gönner, Graf de Morny, Anweisungen, mit provokanten Anspielungen die Honoratioren Frankreichs, der Türkei und Preußens zu reizen. Als de Morny selbst ins Visier der Akteure auf der Bühne gerät, stellt er den Komponisten wütend zur Rede, doch dieser lächelt nur – das ist sein Geheimnis…

Für den Zuschauer entfaltet der Film die Atmosphäre der legendären Opera Buffa und er gewinnt – gekrönt von Offenbachs exzellenter Musik, eine Einsicht in die politische Satire des 19. Jahrhunderts.


*******sima Frau
2.540 Beiträge
Wer war Jacques Offenbach?
Das ist der Titel einer Veranstaltung der Kölner-Offenbach-Gesellschaft e.V. am 7. März 2019, im Rahmen des Jubiläumsjahrs zum 200. Geburtstag, unter der Moderation von Michael Struck-Schloen, aus dessen Manuskript ich hier jm Thread laufend zitiere.

Die Aufzeichnung der 72-minütigen Veranstaltung findet sich unter folgendem link:


**********gosto Frau
16.056 Beiträge
Das ist ja toll! Dankeschön, liebe @*******sima, für soviel unterhaltsamen und informativen Input!

Den Film „Offenbachs Geheimnis“ werde ich mir gleich mal zu Gemüte führen. Hab gleich mal geschaut: Hier nicht, aber auf YouTube ist er zu sehen ... *fernglas*
*******sima Frau
2.540 Beiträge
Apropos Youtube - soweit ich bisher sagen kann, gibt es kaum Videoclips mit Musik von Offenbach, abgesehen von seinen populären "Wunschkonzert-Knallern", also ausgewählten "Nummern" aus "Hoffmanns Erzählungen", "Orpheus in der Unterwelt", und einige ganz wenige weitere. Da ist es auch kein Wunder, wenn die meisten von uns ihn spontan abtun als oberflächlichen Komponisten der oft abschätzig so genannten "leichten Muse". Wir kennen offenbar zu wenig von ihm; das bestätigt sich auch am Ende des oben eingestellten Beitrags aus Köln, wo darauf hingewiesen wird, dass noch ganz viele Originalkompositionen in den unterschiedlichsten Archiven verstreut sind und einer (Wieder-) Entdeckung harren.

Einiges befand sich wohl im Kölner Stadtarchiv, das aber vor ein paar Jahren ja in einem Erdloch versank. Es wird noch Jahre dauern, bis die dortigen Partituren restauriert sein und wieder zur Bearbeitung zur Verfügung stehen werden.

Einige Tonaufnahmen weniger bekannter Stücke liegen offenkundig auch bei den verschiedenen Rundfunkanstalten in den Archiven, sind allerdings für Außenstehende nicht ohne weiteres zugänglich. Daher müssen die hier im Thread aus dem SWR-Musikstundenmanuskript von Michael Struck-Schloen zitierten Text-Passagen diesmal leider auch weitgehend ohne die entsprechenden Musikaufnahmen auskommen, die in der ursprünglichen Radiosendung jeweils eingespielt wurden - ich bitte um Eure Nachsicht!
*******sima Frau
2.540 Beiträge
Manuskriptauszug Struck-Schloen (3)
In den ersten beiden Jahrzehnten von Offenbachs Aufenthalt in Paris war an eigene Bühnenwerke kaum zu denken ‒ Paris war ein beinhart umkämpfter Markt, auf dem jeder Komponist und jedes Theater eifersüchtig das eigene Terrain verteidigten.

Also verlegte sich der junge Musiker, der sich bald „Jacques“ nannte, auf das, was er in Köln und dann am Pariser Conservatoire so perfekt erlernt hatte: das Violoncello. Den „Franz Liszt des Cellos“ hat man ihn genannt, bevor er als Theatermann zum „Mozart der Champs-Élysées“ wurde.

Wenn er allein oder mit seinem Freund, dem späteren Opernkomponisten Friedrich von Flotow, im Salon auftrat, blieb kein Auge trocken. Dabei war nicht nur das Spiel, sondern auch die Performance ganz auf Effekt berechnet ‒ wie sich ein Zeitgenosse erinnert: „Von einem großen Kreise älterer und jüngerer Damen umgeben, spielte er eine seiner schmachtenden Piècen, als die außerordentlich magere und zierliche Gestalt plötzlich zusammenklappte und in eine malerische Ohnmacht fiel. Nun entstand ein wahrer Aufruhr unter der Damenwelt, und die feinsten glacébehandschuhten Händchen und modernsten Odeurs streichelten und umfächelten seinen interessanten Künstlerkopf.“

Jacques Offenbach, Grand Concerto „militaire“ für Violoncello & Orchester, 3) Allegretto (Schluss)



Edgar Moreau war der Solist in diesem höllisch schwierigen Cellokonzert des 28-jährigen Jacques Offenbach ‒ und weil die kleine Trommel hier fast die zweite Hauptrolle spielt, hat man das Stück auch „Concerto militaire“ getauft. (...)

Als Offenbach das Konzert im Oktober 1848 in Köln aufführte, hatte das Militärische schon einen bitteren Beigeschmack. Vor der Februarrevolution in Paris, die zum Sturz des „Bürgerkönigs“ Louis-Philippe führte, war Offenbach nach Köln geflohen ‒ mit seiner Familie, denn einige Jahre vorher hatte er die spanische Generalstocher Herminie d’Alcain geheiratet und dafür den katholischen Glauben angenommen. Als er mit Herminie und der gemeinsamen Tochter in Köln anlangte, war die Stimmung auch am Rhein geladen. Eine Bürgerwehr gründete sich, Offenbach schrieb patriotische Lieder, hatte bedeutende Erfolge als Cellist ‒ und überlegte, sich dauerhaft wieder in Köln niederzulassen.

Gleichzeitig aber wurdesich Offenbach bewusst, dass er ein Wanderer zwischen den Welten und Nationen war. Seine Opernpläne interessierten den Kölner Musikdirektor nicht, die Aufführung eine Opéra-comique im Kölner Stadttheater wurde ein Reinfall. Enttäuscht wandte sich Offenbach Anfang 1849 wieder nach Paris, wo mittlerweile die Revolution gewonnen hatte und der Aufstieg des späteren Kaisers Napoleon III. begann ‒ morgen wird davon in der SWR 2 Musikstunde die Rede sein.
*********vibus Mann
1.020 Beiträge
Zitat von *******sima:
Da ist es auch kein Wunder, wenn die meisten von uns ihn spontan abtun als oberflächlichen Komponisten der oft abschätzig so genannten "leichten Muse".
Ist das so? Ich hoffe doch auf ein differenzierteres Urteil derer, die sich für klassische Musik interessieren. Ich kenne zugegebenermaßen nicht viel von Offenbach, denke aber, dass es Einiges gibt, was die Beschreibung "leichte Muse" rechtfertigt, während seine "Evergreens" zumeist ein anderes Niveau haben.
Zitat von *******sima:
Wir kennen offenbar zu wenig von ihm; das bestätigt sich auch am Ende des oben eingestellten Beitrags aus Köln, wo darauf hingewiesen wird, dass noch ganz viele Originalkompositionen in den unterschiedlichsten Archiven verstreut sind und einer (Wieder-) Entdeckung harren.
An diesem Punkt bin ich weniger optimistisch. Ich befürchte eher, dass es (musikalische) Gründe gibt, warum vieles von Offenbach "in der Versenkung verschwunden" ist. Das schließt natürlich nicht aus, dass manches Kleinod zu entdecken ist. Aber große Hoffnungen auf weitere brillante Kompositionen habe ich nicht. Ich vermute, die "leichte Muse" hatte oft den Sinn, (auch) den satirischen Elementen seiner Bühnenwerke zu dienen. Wenn man solche Werke heute als "absolute Musik" hört, stellt man Ansprüche, denen sie nicht genügen können, weil sie nicht zu diesem Zweck geschaffen wurden.
Zitat von *******sima:
Einige Tonaufnahmen weniger bekannter Stücke liegen offenkundig auch bei den verschiedenen Rundfunkanstalten in den Archiven, sind allerdings für Außenstehende nicht ohne weiteres zugänglich. Daher müssen die hier im Thread aus dem SWR-Musikstundenmanuskript von Michael Struck-Schloen zitierten Text-Passagen diesmal leider auch weitgehend ohne die entsprechenden Musikaufnahmen auskommen, die in der ursprünglichen Radiosendung jeweils eingespielt wurden - ich bitte um Eure Nachsicht!
Ich hoffe, hier für Alle zu schreiben: Wir wissen Deine informativen Beiträge sehr zu schätzen und erwarten ganz sicher nichts Unmögliches!
**********gosto Frau
16.056 Beiträge
Le Violoneux (Die Zaubergeige) ist ebenfalls 1855 entstanden.

Schauplatz der Handlung ist ein typischer Dorfplatz eines kleinen Dorfes in Süddeutschland.

Peter soll zum Militär, und seine einzige Chance, dem zu entgehen, wäre, einen Stellvertreter zu benennen. Das kostet aber 500 Gulden, die sein reicher und geiziger Onkel nicht hergeben will.

Als Peter Rose davon erzählt, gibt sie ihm den Rat, ihren Vormund, den Dorfgeiger Martin zu fragen. Das traut sich Peter aber nicht, da er diesen wegen seiner Geigenkünste für einen Zauberer hält.

Der letzte Ausweg, der Peter damit bleibt, wäre eine Heirat mit Rose. Als Rose dies ihrem Vormund erzählt, gibt der zu bedenken, dass im schlimmsten Fall Rose dann ihrem Peter als Marketenderin in den Krieg folgen müsse.

In Kürze hat Martin ein Engagement auf dem Schloss, zur Hochzeit des gnädigen Fräuleins. Das will er nutzen, um dort für sein Mündel und deren Bräutigam zu bitten.

Rose sitzt in der Stube und betrachtet nachdenklich das Instrument. Da allein mit dieser Geige ihr Lebensunterhalt und der ihres Vormunds gesichert ist, küsst sie die Geige in spontaner Dankbarkeit.

In diesem Moment kommt Peter dazu, entreißt ihr abergläubisch die Geige und zerschlägt sie. Als Martin wenig später ohne Hoffnung zurückkommt, findet er beim Aufräumen in den Trümmern seiner Geige einen Brief.

Es ist das verschollene Testament seines Bruders und Vaters von Rose, der seiner Tochter 5000 Gulden vermacht. So kann sich Peter von den Soldaten freikaufen und seine Rose heiraten. (Quelle: Wikipedia)

Hier ein kleiner Appetithappen... *fernglas*


*******sima Frau
2.540 Beiträge
Manuskriptauszug Struck-Schloen (4)
Offenbachs Verhältnis zu seiner Geburtsstadt hat sich nach den Enttäuschungen des Jahres 1849 nie wieder eingerenkt. Zur Familie hatte der Komponist meist guten Kontakt und ist auch immer wieder nach Köln geflohen, wenn es in Paris politisch brenzlig wurde oder er in einer finanziellen Misere steckte. Aber seine Werke hat er nur ungern an den Rhein gegeben ‒ nicht einmal sein größtes Erfolgsstück, "Orpheus in der Unterwelt".

„Die Einwohner von Cologne“ schrieb er seinem deutschen Verleger, „haben für ihre Compatrioten, die sich erworben haben la gloire, so wenig übrig, und es ist vorzuziehen, sie in Ruhe ihren Schoppen trinken zu lassen.“

Zu Lebzeiten war die Stadt am Rhein für ihren berühmtesten musikalischen Sohn ein Ärgernis ‒ aber eben auch eine Sehnsucht. Und nur wer die Sehnsucht nicht kennt, wird sich wundern, dass Offenbach einen hymnischen Gesang auf den Rhein anstimmte ‒ ein echtes „Vaterlandslied“, das er in seine erste Oper Die Rheinnixen übernahm und das die Heimat überraschend gefühlig feiert:

„Wer sollte Dich nicht ehren,
Nicht Deinen Ruhm begehren,
O Heimath, hold und traut!
Wo stolze Burgen thronen,
Wo treue Menschen wohnen,
Wo Sangeslust so laut:
Da muß am schönen grünen Rhein,
Ein Leben voller Wonne sein.“

Jacques Offenbach, Die Rheinnixen, 1. Akt: Vaterlandslied



Adriana Kohútková sang das „Vaterlandslied“ aus Jacques Offenbachs Oper Die Rheinnixen.

Eine überraschend patriotische Nummer ist dieses deutsche Lied, das zum ersten Mal bei der Uraufführung der "Rheinnixen" 1864 an der Hofoper in Wien erklang ‒ übrigens im Beisein von Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth. In gewisser Weise wurde Wien zum Ersatz für die undankbar Geburtsstadt Köln, die nie sonderlich viel für den Komponisten Offenbach übrig hatte.

Pikant war die Aufführung der Rheinnixen in Wien auch deshalb, weil eigentlich Richard Wagners Tristan und Isolde auf dem Programm stand, dann aber nach etlichen schwierigen Proben zugunsten von Offenbachs Oper abgeblasen wurde. Natürlich schäumte Wagner und sah sich ein weiteres Mal in seinem musikalischen Antisemitismus bestätigt. „Unsre ganze europäische Zivilisation und Kunst“, schrieb er in seinem berüchtigten Essay 'Das Judenthum in der Musik', „ist für den Juden eine fremde Sprache geblieben. In dieser Sprache, dieser Kunst kann der Jude nur nachsprechen, nachkünsteln, nicht wirklich Kunstwerke schaffen.“ Das war natürlich horrender Blödsinn, hatte aber große Resonanz bei denjenigen, die Offenbach ohnehin für überschätzt hielten.

Der wusste natürlich von Wagners Antipathien ‒ und wehrte sich auf seine Art. „Wagner und seine Adepten vertreten, so sagt man uns, die »Zukunftsmusik«. Welche Dauer geben sie dieser Zukunft?“, fragte Offenbach in einem Zeitungsartikel. „Wo ist ihre Nachkommenschaft? Ich kenne eine Anzahl von Komponisten, die er verwirrt hat ‒ aber keinen, den er inspirierte.“ Auch diese These ist musikgeschichtlich anfechtbar ‒ denn natürlich gab es sowohl in Deutschland als auch in Frankreich eine militante Wagner-Nachfolge. Aber Offenbach wollte nicht politisch korrekt sein, sondern Wagner bei seinem übertriebenen Sendungsbewusstsein packen.

Politisch inkorrekt ist deshalb auch die tönende Satire, mit der Offenbach den Sachsen in Paris lächerlich machte. "Symphonie de l’avenir" ‒ Sinfonie der Zukunft überschrieb er eine karnevalistische Szene, in der der selbsternannte Zukunftsmusiker Wagner unvermittelt auf den Champs-Élysées auftaucht. Nachdem er angekündigt hat, dass er alle seine Kollegen vernichten werde durch seine Nicht-Musik, präsentiert er einen Hochzeitsmarsch, in dem eine aufgeblasen moderne Musik durch eine furchtbar banale Geschichte konterkariert wird. Und natürlich verwendet Offenbach zahlreiche bekannte Zitate, die am Ende in die Musik eines anderen bekannten Komponisten münden: in die von Offenbach selbst.



Die Sinfonie der Zukunft ‒ eine derbe Parodie von Jacques Offenbach auf den Konkurrenten Richard Wagner, der hier im Grunde nur heiße Luft produziert; den wild gewordenen Wagner sprach Laurent Naouri.

"Offenbach besitzt die Wärme des Misthaufens, in dem sich die Schweine Europas suhlen“, soll Wagner über seinen Zeitgenossen gesagt haben. Offenbach konnte darüber nur lachen. Er fühlte sich in Paris durch seine Erfolge geschützt ‒ bis er, der schon französische Staatsbürger war, auch dort den Chauvinismus und Antisemitismus der Franzosen zu spüren bekam.

Als 1870 ein Krieg zwischen Frankreich und mehreren deutschen Staaten unter Führung von Preußen ausbrach, platzte die Wunde der Identität erneut auf. „Ach, was für schreckliche Menschen doch diese Preußen sind“, schrieb er an seine Librettisten, „und was für eine niederschmetternde Vorstellung für mich, an den Ufern des Rheins geboren zu sein und mit diesen entsetzlichen Wilden verwandt zu sein. Ach, mein armes, liebes Frankreich, wie dankbar ich doch bin, dass du mich unter deine Kinder aufgenommen hast! Ich bedauere die armen kleinen Kollegen, die glauben, mir wegen meiner großen Erfolge schaden zu können, indem sie sagen, ich sei Deutscher, obgleich sie sehr gut wissen, dass ich bis aufs Mark Franzose bin.“

Mit solchen Sätzen konnte Offenbach zwar sich selbst beruhigen, nicht aber die gegnerischen Parteien, denn plötzlich war er zwischen die Fronten geraten: In Deutschland war er verschrien als der frivole Franzose; in Frankreich hielt man ihn für eine Spion Bismarcks, der durch seine lockeren Amüsements den französischen Geist geschwächt habe. Natürlich waren das haltlose Argumente und Worthülsen ‒ dennoch haben sie Offenbach bis heute geschadet.

Während des Krieges irrte der Komponist ziellos durch Europa; nur von Ferne erlebte er, wie die Preußen bis kurz vor Paris vorrückten und der Aufstand der „Commune“ blutig niedergeschlagen wurde. Und weil die Dritte Republik, die auf Napoleon III. folgt, mit Offenbachs verrückten Amüsierstücken weniger anfangen konnte, änderte er einfach seinen Stil, wurde romantischer, legte mehr Wert auf opulente Dekorationen als auf Satire und ließ die Puppen tanzen.

Dieser Offenbach der 1870er Jahre ist eigentlich noch wiederzuentdecken ‒ zum Beispiel die zweite Fassung des Orpheus in der Unterwelt, die endlich auch das hatte, was der ersten Version fehlte: eine echte Ouvertüre.



Ein Potpourri der schönsten Melodien aus Orpheus in der Unterwelt ‒ das ist die Ouvertüre, die Offenbach für die erweiterte Fassung des Orphée von 1874 nachkomponiert hat.

Morgen werde ich mich in der SWR 2 Musikstunde mit Offenbachs erfolgreichster Phase im Zweiten Kaiserreich von Napoleon III. befassen.
**********gosto Frau
16.056 Beiträge
Jules Vernes Roman „Von der Erde zum Mond“ inspirierte Offenbach zu seiner Operette „Le voyage dans la lune“ (1875).

Von ihr habe ich eine szenische Aufführung gefunden, die auch von historischem Interesse ist, eine DDR-Verfilmung von 1982 ... seht und hört selbst! *fernglas*


*******sima Frau
2.540 Beiträge
Manuskriptauszug Struck-Schloen (5)
2. Offenbach und Paris

(...)

Dass Paris etwas Besonderes ist, bekamen und bekommen nicht nur die Leute aus der Provinz zu spüren ‒ und in Frankreich ist alles außer Paris Provinz ‒, sondern auch die Zugereisten. Jacob Offenbach hat seinen deutsch-jüdischen Namen an der Seine bald zu Jacques „Offänback“ geändert. Dass er es dennoch in seinen ersten Pariser Jahren als Cellist in den Salons und im Orchester der Opéra-Comique schwer hatte, habe ich gestern in der Musikstunde beleuchtet.

Ins Rampenlicht kam Offenbach erst, als er sich weniger um sein Violoncello als um das Musiktheater kümmerte ‒ nicht um das ernsthafte, staatstragende, das mit Riesenaufwand an der Opéra gepflegt wurde, sondern um die freche und hochaktuelle Opéra-bouffe. Offenbach hat sie zur wichtigsten Gattung im so genannten „Zweiten Kaiserreich“ gezüchtet. Und selbst wenn die Kontakte zwischen dem Komponisten und Kaiser „Napoléon trois“, dem Neffen von Napoleon Bonaparte, minimal blieben, war die Glanzzeit des Kaisers auch die Blüte der Buffo-Oper à la française.



Die Wiener Symphoniker mit dem Dirigenten Bruno Weil spielte die Ouvertüre zu Offenbachs Opéra-bouffe "Barbe-bleue", einer modernen und ziemlich bissigen Variante des Märchens vom Frauenmörder Blaubart.

Musik, die 1866 erstmals im Théâtre des Variétés in Paris erklang. Noch heute gibt es das Theater am Boulevard Montmartre; seine Fassade wirkt mit ihren klassischen Säulen, den Balustraden und altmodischen Laternen wie der Eingang zu einer Akademie oder einem 5-Sterne-Hotel. Innen läuft man über rote Teppiche, der Saal prunkt in Gold und umhüllt einen mit dem Plüsch vergangener Tage. In den 1990er Jahren war Jean-Paul Belmondo Besitzer des Théâtre des Variétés und ist dort in Boulevardstücken aufgetreten. Heute ist es das Pariser Theater, das trotz aller Umbauten dem Originalzustand der Offenbach-Zeit am nächsten kommt.

Vor dem Eingangsgitter treffe ich mich mit dem Dirigenten und Musikwissenschaftler Jean-Christophe Keck. Im Offenbach-Jubiläumsjahr ist er ein gefragter Mann, denn seit zwanzig Jahren legt er in der „Offenbach Edition Keck“ beim Verlag Boosey & Hawkes bekannte und vor allem unbekannte Offenbach-Werke in kritischen Ausgaben vor. Offenbach ist so zu sagen das zweite Leben des Jean-Christophe Keck, der die Noten des Meisters genauso intim kennt wie seine Briefe ‒ wenn sie denn überhaupt zugänglich sind und nicht immer noch von den Mitgliedern der weitverzweigten Nachkommenschaft von Offenbach unter Verschluss gehalten werden. Um daranzukommen, braucht es Fingerspitzengefühl, gute Beziehungen, Chuzpe und auch eine Portion Glück.

Daneben weiß Keck um jeden Schritt, den Offenbach in Paris gemacht hat: von der ersten Wohnung in der Rue des Martyrs über die Theater, wo er als Cellist oder Intendant gewirkt hat, bis zum Sterbehaus am Boulevard des Capucines, nahe der heutigen Oper. Obwohl das Theater der Bouffes-Parisiens heute bekannter ist, hatte Offenbach im Théâtre des Variétés einige seiner größten Erfolge: Die schöne Helena, Blaubart, La Périchole, Die Banditen oder Die Großherzogin von Gerolstein. Das lag nicht nur an seinen frechen Stoffen, sondern vor allem an der Operetten-Diva Hortense Schneider, die damals für Offenbach sang ‒ Jean-Christophe Keck entdeckt im Foyer des Theaters ihr Porträt als Großherzogin mit Reitpeitsche, Schoßhündchen und aufreizendem Blick. Die Schneider war ein Teufelsweib auf der Bühne und der Schwarm von Bürgern und Königen. Und die applaudierten besonders enthusiastisch, wenn die Sängerin an den Grundfesten des Staates kratze ‒ zum Beispiel am Militär.

„Ah, que j’aime le militaire ‒ Wie sehr ich das Militär liebe“, singt die Großherzogin von Gerolstein in ihrer ersten Arie. Wobei sie gleich klar macht, dass ihr Sieg oder Niederlage herzlich egal sind, wenn nur die Krieger gut gebaut sind.



Tom Erik Lie sang die Arie der Großherzogin von Gerolstein aus Jacques Offenbachs gleichnamiger Opéra-bouffe: Fazit: „Der Krieg? Keine Ahnung, was das ist ‒ ich weiß nur, dass ich die Soldaten liebe!“

Die Großherzogin nimmt sich, was sie will ‒ und wenn sie dafür den attraktiven Gefreiten Fritz zum General machen und im Gegenzug den affigen General Boum degradieren muss. Bei Offenbach bestimmt die Frau selbst ihr Leben und lässt sich darin nicht von gesellschaftlichen Konventionen aufhalten. Das Publikum liebte diese Großherzogin, die 1867 im Théâtre des Variétés herauskam. Selbst der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck genoss eine Aufführung, applaudierte der Diva Hortense Schneider, verließ aber das Theater nach dem zweiten Akt, zündete sich eine Zigarre an und wanderte über den Boulevard zu seinem Hotel. Vier Jahre später demütigte er die Grande Nation, indem er im Spiegelsaal von Versailles das Deutsche Reich gründen ließ...
Natürlich kennt auch der Offenbach-Kenner Jean-Christophe Keck die Anekdote über den späteren „Eisernen Kanzler“.
**********gosto Frau
16.056 Beiträge
Von „Ein Ehemann vor der Tür“ (Un mari a la porte) von 1859 habe ich eine ganz aktuelle szenische Aufführung gefunden, bei der mir die Künstler*innen und ihr Sinn für Situationskomik sehr gefallen haben. Aber seht und hört selbst … *fernglas*


**********gosto Frau
16.056 Beiträge
Le Papillon (1860) ist eine Ballett-Pantomime in zwei Akten von Marie Taglioni (Choreografie) und Vernoy de Saint Georges (Libretto). Jacques Offenbach komponierte die Musik.

Die Handlung ist recht verwickelt. Farfalla, die Tochter des Emirs, wurde von der bösen Fee Hamza entführt und muss ihr nun als Zofe dienen.

Prinz Djalma befreit sie und am Schluss gibt es ein Happy End. Zunächst aber wird Farfalla in einen Schmetterling verwandelt und von einem ganzen Schwarm von Schmetterlingen begleitet.

Eine wichtige Rolle spielt der Zauberstab der bösen Fee, der mehrmals den Besitzer wechselt und für Komplikationen sorgt.

Hier eine Aufführung aus Kuba aus dem Jahr 2010. Viel Vergnügen! *tanz*


*******sima Frau
2.540 Beiträge
Manuskriptauszug Struck-Schloen (6)
1867, das Uraufführungsjahr der "Großherzogin von Gerolstein", markierte schon die Endphase des französischen Kaiserreichs und von Offenbachs Glanzzeit. Wir aber wollen uns jetzt dem Beginn dieser Erfolgsstory widmen ‒ und der fand nicht im Zentrum von Paris statt, sondern weit draußen an den Champs-Élysées. Dafür nehmen wir die Métro bis zur Station „Roosevelt“. Zwischen dem Grand Palais und dem Elysee-Palast befindet sich das Théâtre Marigny.

Um 1855 war hier noch nicht viel los, bemerkt Keck über den auffälligen Rundbau, wo damals ein Zauberkünstler sein Publikum unterhielt. Die Gegend war verrucht, erst langsam wandelten sich die Champs-Élysées zur modischen Flaniermeile. Jacques Offenbach aber wusste, dass die Zeit der leichten Damen und dunklen Geschäfte bald vorbei sein würde. 1855 entstanden hier zwischen Seine und Champs-Élysées die Pavillons für die erste Pariser Weltausstellung, das Théâtre Marigny befand sich gleich gegenüber vom riesigen Industriepalast. Wenn er seine Pforten schloss, dann wollte das Publikum aus Nah und Fern etwas erleben. Und weil nicht jeder die Droschke in die Innenstadt nehmen wollte, bot Offenbach gleich vor Ort kleine musikalische Komödien mit wenigen Personen und einem kleinen Orchester.

Sein erster großer Erfolg war "Les deux aveugles", Die beiden Blinden, eine Posse über zwei Bettler, die sich auf einer Brücke gegenseitig das Geschäft vermasseln wollen. Um die Machtverhältnisse zu klären, spielt man am Ende um den Standort ‒ wobei natürlich schnell klar wird, dass keiner von beiden wirklich blind ist. Der Streit geht unentschieden aus, am Ende singen beide die Zugnummer des Stücks, einen spanischen Bolero.

@**********gosto hat es weiter oben bereits eingestellt: KLASSIK: KOMPONIST des Monats, X. Teil

Man bekommt doch mit, dass die beiden Blinden auf der Brücke eine Art Vorläufer der Bettler in der Dreigroschenoper von Bert Brecht und Kurt Weill sind: Der Kapitalismus bestimmt mit seinen Regeln auch diejenigen, die eigentlich unter ihm leiden.

Am 5. Juli 1855 hatten "Die beiden Blinden" unter den Bedingungen Premiere, die die kaiserliche Theateraufsicht den kleinen Häusern zugestand: Erlaubt waren zwei bis drei singende Personen, ein kleines Instrumentalensemble und eine einaktige Handlung ‒ eine Beschränkung zugunsten der großen staatlichen Opernhäuser, die der Privatunternehmer Offenbach als Zumutung empfand. Einmal hat er deshalb eine zusätzliche stumme Person eingefügt, der man angeblich die Zunge herausgeschnitten hatte und die ihren Part auf Tafeln ins Publikum hielt ‒ eine Lachnummer, über die sich die staatliche Zensur natürlich ärgerte.

Und weil man Offenbach zuerst nicht an die große Oper oder die Opéra-Comique heranließ, schuf er sein eigenes Genre ‒ ob allein oder parallel zu seinem Hauptkonkurrenten Hervé, darüber streiten sich die Experten. Offenbachs Plan: Er wollte den Franzosen eine anspruchsvolle Musikkomödie geben, die, so schrieb er, „sowohl dem gebildeteren als auch dem breiten Publikum gefallen soll: Harlekinaden und Pantomimen, kleine Opern mit gesprochenen Dialogen, Schwänke, Tänze, Ballette, „Lebende Bilder“ mit Darstellungen der schönsten Werke der Kunstgeschichte usw.“

Das war eine ziemlich große Wundertüte, aus der dann am Ende die „Opéra-bouffe à la française“ heraussprang: eine sehr Pariserische Variante der italienischen Commedia dell’arte, weniger derb als das Vorstadttheater ‒ und vor allem mit einer überraschend anspruchsvollen Musik. Die frivolen Geschichten stellten ihm seine Meisterlibrettisten Henri Meilhac und Ludovic Halévy in gemeinsamer Fleiß- und Fließbandarbeit her. Kriselnde Ehen, Partnertausch, Parodien klassischer Dramen, skurrile Exoten, betrunkene Ritter, starke Frauen ‒ das war das Repertoire.

Bald galt Offenbach als „Mozart der Champs-Élysées“, aber musikalisch war er wohl eher ein „Rossini der Champs-Élysées“: Die durchdrehende Mechanik des industriellen Zeitalters versetzte alle in einen Taumel ‒ schon im ersten Stück, mit dem er Ende 1855 sein neues Theater, die „Bouffes-Parisiens“ in der Innenstadt von Paris eröffnete. Die „musikalische Chinoiserie Ba-ta-clan" spielt, wie es im Libretto heißt, in einem „kleinen Staat, in dem Chinesisch gesprochen wird“. Dieses Chinesisch ist allerdings eine klischeehafte Fantasiesprache ‒ und überhaupt entpuppen sich die Hauptpersonen mit den urchinesischen Namen Fé-ni-han, Ké-ki-ka-ko, Ko-ko-ri-ko und Fé-an-nich-ton als waschechte Pariser, die ihre Lebensart auch in der Ferne nicht verleugnen.

Auch dieses Stück wurde hier von @**********gosto bereits eingestellt: KLASSIK: KOMPONIST des Monats, X. Teil

Die Uraufführung fand allerdings nicht im heutigen Bataclan-Theater statt, das erst nach dem Siegeszug des Stücks erbaut wurde und vor einigen Jahren durch einen islamistischen Terroranschlag traurige Berühmtheit erlangte. Offenbachs „musikalische Chinoiserie“ war das erste Stück für das Theater der Bouffes-Parisiens in der Passage Choiseul zwischen Opéra und Palais-Royal.

Für den Offenbach-Forscher Jean-Christophe Keck sind die Bouffes-Parisiens, wo noch heute Theater gespielt wird, natürlich eine Pflichtstation auf unserer Offenbach-Route durch Paris. Die Concierge öffnet uns den Haupteingang, der heute nicht mehr zur Passage, sondern zur Rue Monsigny führt. Im oberen Teil der Fassade wölbt sich eine seltsame Blechverkleidung über den Gehweg ‒ hier hat Offenbach das Haus erweitert, um mehr Raum für das zahlende Publikum zu schaffen. Im Zuschauersaal röhrt noch der Staubsauger, im nüchternen Arbeitslicht hängen die Logen wie Girlanden in den Saal; im Parkett sind die Reihen eng, kaum 30 Musiker passen in den Orchestergraben. Bis 1855 gab es hier ein Kinder-und Jugendtheater, das unter Missbrauchsvorwürfen schließen musste – offenbar nicht erst ein Phänomen unserer Tage. Offenbach nutzte die Gunst der Stunde und übernahm das Theater, dessen Mauern noch heute im Besitz der Familie Offenbach sind.

(Wer sich ein Bild des heutigen Zustands machen möchte, findet Fotos auf der aktuellen Webpage des Theaters: https://www.bouffesparisiens.com/fr_FR/)
*******sima Frau
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Manuskriptauszug Struck-Schloen (7)
In den Bouffes-Parisiens hat Offenbach peu à peu aus den einaktigen Farcen sein ureigenes Theater entwickelt: die Offenbachiaden. Das erste Beispiel dafür ist zugleich das berühmteste: 1858, nachdem die amtlichen Beschränkungen gelockert worden waren, kommt "Orphée aux enfers", Orpheus in der Unterwelt, auf die Bühne.

Offenbach und seine Librettisten Hector Crémieux und Ludovic Halévy haben sich ausgerechnet den Urmythos der Musik für ihr Meisterwerk ausgesucht, mit dem einst die Oper ihre Geschichte begann. Aber in diesem Orpheus in der Unterwelt ist alles auf den Kopf gestellt: Der Titelheld, ein abgehalfterter Geigenlehrer, liebt seine Eurydike nicht mehr ‒ und sie ihn auch nicht. Deshalb sind eigentlich beide ganz froh, dass sie in die Unterwelt entführt wird. Dabei hat Orpheus aber nicht mit der „öffentlichen Meinung“ gerechnet, die Offenbach genialer Weise mit einer Altstimme besetzt. Sie zwingt Orphée, seine Ehefrau wieder auf die Erde zu holen. Also sucht er Hilfe bei den schon arg gelangweilten Göttern, die ihrerseits das Abenteuer wittern und gemeinsam zur Hölle fahren.

Mit seinen mythologischen Anspielungen ist "Orphée" ein Stück für gebildete Leute. Aber man kann auch einfach so seinen Spaß daran haben, darauf haben die Macher geachtet. Und wenn sich der Berufslüstling Jupiter der schönen Eurydike als Stubenfliege nähert, dann ist das nicht nur eine Parodie auf die amourösen Metamorphosen des Göttervaters, sondern auch eine Anspielung auf die Bienen im Wappen von Napoleon III. Und wie Jupiter soll auch der Kaiser verführt haben, was ihm gerade über den Weg lief ...



Kaiser Napoleon III. verführt als Fliege das französische Bürgertum in der Gestalt der schönen Eurydike, die sich ihm willig unterwirft ‒ eine wahrhaft brillante Karikatur der Zeit im „Fliegen-Duett“ aus Jacques Offenbachs Orpheus in der Unterwelt. (...)

Wie aber war überhaupt das Verhältnis von Offenbach zum französischen Herrscher, der nach der Revolution von 1848 als Staatspräsident angetreten war, sich aber bald schon zum Kaiser krönen ließ? Sonderlich oft haben sich Napoleon III. und seine Gattin Eugénie nicht in Offenbachs Musiktheater blicken lassen. Aber wenn man den Offenbach-Herausgeber Jean-Christophe Keck nach Offenbach und der Macht fragt, dann gab es doch sehr viel deutlichere Sympathien des Komponisten für das Kaiserreich als für die nachfolgende Republik. Außerdem hatte Offenbach beste Beziehungen zum Herzog von Morny, dem Paten seines einzigen Sohnes Auguste. Morny war der Halbbruder des Kaisers und als Innenminister und Präsident der gesetzgebenden Versammlung eine Schlüsselfigur im Kaiserreich. Und Offenbach wusste, wie er den Herzog, der überdies Chef der Zensurbehörde war, auf seine Seite zog ‒ einmal, indem er sogar ein Libretto des Politikers vertont hat.

In Istvan Szabos Film "Offenbachs Geheimnis", den ich bereits weiter oben erwähnt habe, ist Morny die zentrale Figur neben Offenbach selbst. Ich werde an anderer Stelle noch etwas näher auf den Umgang Offenbachs mit den politischen Umständen eingehen, möchte aber hier den Verlauf des Manuskripts nicht unterbrechen

Im Übrigen war Offenbach ein Bewunderer der baulichen Veränderungen, die in Paris vorgingen und die Hauptstadt bald zum Vorbild für ganz Europa machte. Den mittelalterlichen und barocken Stadtgrundriss verwandelte der Präfekt Baron Haussmann in die „Ville lumiére“, die Stadt des Lichtes. Durch große Sichtachsen, Boulevards und Parks als imposante Kulisse der Macht inszeniert ‒ immerhin eine mit Kanalisation und Schienennetz. Prachtvolle Bahnhöfe wurden gebaut, und auch bei Offenbach ist die Eisenbahn Tagesthema ‒ zum Beispiel seiner Opéra-bouffe "Die schöne Helena": Hier findet der Königssohn Paris in einem Rätselwettbewerb der Griechen die überraschende Lösung:"Locomotive!" ‒ 4000 Jahre vor Erfindung der Eisenbahn.



Hier die Präsentation der Könige aus derselben Inszenierung:


(...)

Und in "Pariser Leben" beginnt gleich das Vorspiel zum ersten Akt mit einem "Chor der Bahnbediensteten". Die Eisenbahn als letzter Schrei im Zweiten Kaiserreich ‒ auch in Offenbachs Musiktheater.

Ein schwedischer Baron und seine Frau kommen während der Welt-Ausstellung 1866 nach Paris, um die Freuden der Hauptstadt zu genießen. Als sie am Bahnhof ankommen, stoßen sie auf den Vicomte von Gardefeu, der ein mögliches Abenteuer spürt, sich als Führer ausgibt und verspricht, sie durch die Stadt der Lichter zu führen…..



"La vie parisienne", die 1866 kurz vor der zweiten Pariser Weltausstellung auf die Bühne kam, war Offenbachs erste Operette, in der er nicht mehr die Antike oder die Mythologie parodiert hat, sondern seine eigene Gegenwart.
*******sima Frau
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Manuskriptauszug Struck-Schloen (8)
Damals war Offenbach der Star der Pariser Operettenszene. Die Bouffes-Parisiens hatte er schon wieder aufgegeben, aber alle Theater der Stadt wollten seine komischen Werke spielen; von den Einnahmen des "Orphée aus enfers" konnte er für seine Familie ein Haus in Étretat an der Küste der Normandie kaufen, das er natürlich „Villa Orphée“ nannte. Seit einigen Jahren war der Komponist französischer Staatsbürger und Ritter der Ehrenlegion ‒ und damit, wie Jean-Christophe Keck es nennt, „der französischste unter den deutschen Komponisten seiner Zeit“.

Aber Keck weiß auch, dass sich Offenbach seine Erfolge hart verdienen musste ‒ über geschäftliche Zusammenbrüche und Wiederanfänge, durch ständige Betteleien bei Geldgebern und einflussreichen Politikern, vor allem durch unentwegte Arbeit. Es gibt Erinnerungen der Zeitgenossen, nach denen Offenbach auch bei seinen morgendlichen Empfängen in seiner Wohnung in der Rue Laffitte während der Gespräche an seinen Partituren weitergearbeitet hat; in seiner Kutsche, die ihn zum Theater brachte, hatte er ein Klapptischchen, um keine Zeit zu verlieren.

Und wenn es ein Schlagloch gab, rutschte ihm schonmal die Feder aus ‒ bis heute ist das in manchen Noten zu erkennen. Offenbach war workaholic ‒ und manchmal klingt auch seine Musik danach.



Das London Symphony Orchestra spielte unter Leitung von Richard Bonynge einen Marsch aus dem zweiten Akt aus dem Ballett "Le papillon", Der Schmetterling, von Jacques Offenbach. Ein Video der gesamten Ballett-Aufführung wurde von @**********gosto bereits etwas weiter oben eingestellt.

1860 flattert der "Schmetterling" durch die Pariser Oper in der Rue Le Peletier ‒ einen Bau, der einige Jahre später ein Raub der Flammen und durch das heutige Palais Garnier ("Opéra Garnier") ersetzt wurde. Liebend gern hätte Offenbach auch für die kaiserliche Oper mehr Werke komponiert ‒ aber die Arroganz der Pariser Gesellschaft und der Komponisten-Konkurrenz machte ihm immer wieder einen Strich durch die Rechnung.

Mittlerweile bin ich mit Jean-Christophe Keck auf unserer Offenbach-Tour durch Paris vor der imposanten Fassade der Opéra-Comique angelangt. Es ist schon der dritte Bau, der diesen Namen trägt, erbaut erst nach Offenbachs Tod. Aber auch in der alten Opéra-Comique war man, wie in der Opéra, reserviert gegenüber dem Komponisten, der als Tanzmeister des Zweiten Kaiserreichs, nicht aber als ernstzunehmender Komponist galt. Für Keck und seine Kollegen in der Offenbach-Forschung steht fest: In der Hierarchie der Theater standen die Bouffes-Parisiens oder das Théâtre des Variétés unten, die Opéra-Comique und die Opéra oben. Jedes Theater hatte sein Publikum mit bestimmten Erwartungen an die Musik und die Handlung ‒ ein Wechseln von einem Genre ins andere war nicht vorgesehen.

„Warum dieses Stück an der Opéra-Comique spielen vor einem Publikum, das auf dieses spezielle Genre nicht vorbereitet ist und davon nur abgeschreckt werden konnte?“ schrieb ungnädig der Kollege Hector Berlioz, als es Offenbach dann doch mit einem Werk an die Opéra-Comique schaffte. Dieser turbulente "Barkouf", in dem sinnigerweise ein Hund Regierungsgeschäfte übernimmt, wurde von der Presse so niedergemacht, dass das musikalisch hochambitionierte Stück lange Zeit einfach verschwunden war und erst im letzten Jahr in Straßburg wiederaufgeführt wurde.

https://www.arte.tv/de/video … ouf-wiedergeburt-einer-oper/

Aber Offenbach war lernfähig und passte sich mit seinen Stoffen und der Musik der Tradition des Hauses an, in der nicht die großen Historienschinken wie in der Opéra und schon gar nicht die frechen Komödien der Bouffes-Parisiens angesagt waren. Lyrische, private Stoffe aus dem adligen oder bürgerlichen Leben kamen hier gut an ‒ so wie das Mädchenpensionat in Offenbachs Vert-Vert, in der eine Horde jünger Mädchen die richtigen Partner sucht, darunter auch Mimi.



Thora Einarsdottir sang die Romanze der Mimi aus dem ersten Akt der opéra-comique "Vert-Vert" von Jacques Offenbach, den man hinter dieser sanften Musik wohl kaum vermutet hätte.

Zu solchen Vorurteilen kann der Offenbach-Verehrer Jean-Christophe Keck natürlich nur lächeln: Für ihn besteht Offenbachs Genie eben nicht nur in Cancans, Champagnerchören und singenden Stubenfliegen, sondern in der ganzen Vielfalt, die man bei Offenbach findet ‒ von der schlichten Romanze bis zum komplexen Opernfinale wie im letzten Werk Hoffmanns Erzählungen.

Für Paris und Offenbach endete das Zweite Kaiserreich im Jahr 1870 mit dem Ausbruch des deutsch-französischen Krieges. Damit ging die erfolgreichste Phase einer Komponistenkarriere zu Ende ‒ auch wenn Offenbach nach dem Krieg wieder Theater gründete, neue Genres erfand und fieberhaft weiterkomponierte. Nur tat er das vor einem republikanischen Umfeld, das für seinen Humor, seinen Biss und seine Parodien nicht mehr ganz soviel Sinn hatte wie die Gesellschaft im Zweiten Kaiserreich. Ich werde später darauf zurückkommen.(...)

Schließen möchte ich heute mit einem Liedchen, das sich der Schauspieler, Intendant und Gelegenheitssänger Gustaf Gründgens nach einer Vorlage aus Offenbachs Opéra-bouffe " Les bandits", Die Banditen, geschrieben hat ‒ im Jahr 1932. Und es beschreibt durchaus treffend die Lage, in der sich Offenbach zeit seines Lebens befand: immer hart am Puls der Zeit, immer auf Risiko spielend, oft gewinnend, manchmal abstürzend. Aber selbst in den heikelsten Lagen gilt, was Gründgens empfiehlt: „Bitte nur nicht gleich den Mut verlieren.“


**********gosto Frau
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Die „Opera-Comique“ „Fantasio“, von Jacques Offenbach 1872 komponiert, hat in den letzten Jahren einige beachtenswerte Aufführungen erlebt, sowohl konzertante als auch szenische.

Das Werk ist über drei Stunden lang, und die Handlung denkbar verwickelt und turbulent. Kurz gesagt geht es um den „ewigen Studenten“ Fantasio, der sich in die bayerische Königstochter verliebt und sie vor der geplanten Hochzeit mit dem Herzog von Mantua bewahren will.

Daneben - oder eigentlich vor allem - ist das Stück ein Loblied auf das Narrentum und die Welt der Komödianten.

Hier ein kleiner Appetithappen. Wer aber Zeit für eine abendfüllende Aufführung hat, sollte sich dieses Erlebnis unbedingt gönnen! *fernglas*


**********gosto Frau
16.056 Beiträge
Drei Jahre nach „Fantasio“ wird die turbulente Operette „La Creole“ uraufgeführt.

Offenbach hat über die äußerst verwickelte schwankhafte Handlung eine Fülle witziger Musik und beschwingter Tänze ausgestreut. (Quelle: Wikipedia)

Leider habe ich keine schöne Inszenierung gefunden. Deshalb hier die Ouvertüre in konzertanter Form.


*******sima Frau
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Manuskriptauszug Struck-Schloen (9)
3. Grillfleisch und Champagner ‒ Offenbach bittet zu Tisch

Wer im Rheinland aufgewachsen ist und die meiste Zeit seines Lebens in Frankreich verbracht hat, war selten Abstinenzler oder Kostverächter. Jacques Offenbach war so ein Grenzgänger zwischen Rheinwein und Champagner, zwischen kölnischer Blutwurst und Bœuf bourguignon. In seinem Leben spielte das Zelebrieren der Speisen und Getränke eine zentrale Rolle: zuhause, im Restaurant ‒ vor allem aber in seinen komischen Opern. Fast ständig wird hier zu Noten gebrutzelt, gefuttert, übers Essen philosophiert und beim Essen verführt. Und weil man erst nach einem Schlückchen Wein oder Bier so richtig in Stimmung kommt, gibt es nur weniger Offenbach-Werke ohne Trinklied. (...)

1864 hatten "Die Rheinnixen", Offenbachs erster Ausflug in die Welt der großen Oper, in Wien Premiere ‒ leider nur mit mäßigem Erfolg. Und man kann Offenbach nicht verdenken, dass er das schmissige Trinklied des ersten Aktes am Ende seines Lebens in der Oper Hoffmanns Erzählungen noch einmal verwendet hat ‒ wo es dann im Munde des alkoholisierten Zynikers Hoffmann endgültig berühmt wurde.

Der Treibstoff Alkohol also: Er gehörte genauso zum Leben der Bohème wie zu den Partys der Pariser Hautevolee. Und wenn Bismarck behauptete, dass der Deutsche erst nach einer halben Flasche Wein seine „natürliche Höhe“ erreichte, so übernahm diese Funktion bei den Franzosen der Champagner. Offenbach selbst war kein exzessiver Trinker ‒ er hatte ein anderes „schreckliches, unausrottbares Laster“, wie er einmal in einem Brief an die Zeitung Le Figaro gestand. Und das war: „arbeiten, stets und ständig arbeiten“. „Ich bedaure dies“, so fuhr er fort, „um jener willen, die meine Musik nicht lieben. Denn ich werde bestimmt sterben mit einer Melodie an der Spitze meiner Feder.“

Womit er ‒ zum Ärger seiner Gegner ‒ recht behielt. Im Oktober 1880 starb Offenbach während der Proben an seiner Oper "Les contes d’Hoffmann", Hoffmanns Erzählungen. Die Titelfigur, für die der in Frankreich äußerst beliebte Dichter E.T.A. Hoffmann Pate stand, hat tatsächlich ein gravierendes Alkoholproblem.

„Er ist Dichter und Musiker ‒ und er trinkt kein Wasser“, so bringt es seine ständige Begleiterin, die Muse, auf den Punkt. Die zentrale Frage der Oper aber ist nicht: Wie komme ich von der Flasche los?, sondern: Wie entsteht große Kunst? Sicher hat sich auch Offenbach diese Frage immer wieder gestellt, egal ob in der leichten Muse oder in seinen ambitionierten Werken für große Pariser Häuser. Hoffmann jedenfalls wird ständig von seiner eigentlichen Aufgabe, dem Schaffen, abgelenkt: durch die falschen Frauen, die sein Gefühlsleben ruinieren ‒ und durch den Alkohol, der seine Gesundheit zerstört. Wenn er am Ende vor dem Scherbenhaufen seiner Existenz steht, zieht die Muse ihre Bilanz: Hoffmann musste an sich selbst und der Gesellschaft leiden, um zuletzt die wahre Kunst zu schaffen. Fürwahr, ein sehr romantisches Bild vom Künstler!

Was Offenbach nicht daran hindert, die Geister des Bieres und des Weines auch ganz spielerisch durch seine Musik tänzeln zu lassen. Gleich zu Beginn der Oper steigen sie in der Berliner Kneipe von Lutter & Wegner aus großen Fässern auf und besingen mit ihrem „glou glou“ die sanft benebelnde Wirkung des Alkohols. Aus dem größten Fass klettert die Muse hervor und verkündet im mystischen Mondlicht, dass sie alles daransetzen werde, Hoffmann von den Ketten seiner Gefühle zu befreien.

(...) Ein Gasthaus voller Fässer, wo sich Studenten besaufen und selbst die Wein-und Biergeister eine Stimme bekommen: das ist der Hauptschauplatz der Oper Hoffmanns Erzählungen von Jacques Offenbach.

Mit seinem Hoffmann zog Offenbach kurz vor seinem Tod das Fazit einer romantischen Künstlerexistenz zwischen dem bürgerlichen Leben mit all seinen Verlockungen und Widerwärtigkeiten ‒ und einer Kunst, die sich über dieses Leben hinwegsetzt und damit unsterblich wird. Ein vergleichsweise ernstes und abgehobenes Thema für einen Komponisten, der sich in den meisten seiner Stücke fürs Musiktheater eher down to earth bewegt. Offenbach war nichts Menschliches fremd ‒ vor allem nicht die leiblichen Genüsse.

Das genaue Gegenteil zur niederdrückenden Atmosphäre im Berliner Wirtshaus, wo sich Hoffmann aus Kummer betrinkt, erleben wir in der Opéra-bouffe "La vie parisienne". Das Pariser Leben, das Offenbachs Lieblingslibrettisten Henri Meilhac und Ludovic Halévy auf die Bühne bringen, ist eine einzige Folge von Champagnergelagen und wechselndem Partnertausch, so dass selbst der Direktor am freizügigen Theater des Palais-Royal vor der Premiere kalte Füße bekam ‒ schließlich sollte das Stück zur Pariser Weltausstellung 1867 die Kassen füllen.

Dass dann der Erfolg alle Erwartungen übertraf, lag vor allem an zwei Tricks der Macher. Der erste ist, dass hier alle Klischees vom weltläufigen und vergnügungssüchtigen Paris vorgeführt werden, mit denen damals die Weltausstellungsbesucher aus aller Welt anreisten: ausschweifende Soupers, adlige Lebensart oder Kurtisanen, die zu allem bereit sind. Der zweite Trick ist, dass all diese Klischee-Situationen gar nicht echt sind. Sie werden nur vorgetäuscht von einer Gruppe Einheimischer, die weder reich noch mondän sind, sondern einfach nur gewitzt. Stubenmädchen, Schuster und Hoteldiener schlüpfen da in die Kleider der hohen Herrschaften; die echten Pariser und Pariserinnen hauen die Touristen gnadenlos übers Ohr ‒ und verbünden sich am Ende doch mit ihnen: So sind wir eben, und ihr seid eingeladen, unser Wesen mit uns zu feiern.

Die übliche Art, diese große Verbrüderung zu begehen, ist das gemeinsame Champagner-Besäufnis, in dem die meisten Akte der "Vie parisienne" ertrinken. Denn alle wollen diesen wunderbaren Zustand erleben, „gris“, nämlich angeschwipst, zu sein. Und wenn es noch toller kommt, dann dreht sich alles im Kreis. „Tout tourne, tout danse“, das Finale des 3. Akts.



"Ausgelassener Tanz, wenn der Vorhang fällt“, so heißt die Regieanweisung zu diesem wilden Galopp am Ende des 3. Akts von Offenbachs Vie parisienne ‒ dem Hymnus auf die Schlauheit der Pariser Bevölkerung, die den amüsierwütigen Touristen bei der Weltausstellung von 1867 so manchen Streich spielt.

Der Alkohol entfaltete bei Offenbach so manche enthemmende Wirkung ‒allerdings nicht nur auf der Bühne, sondern auch zuhause bei seinen legendären Freitagabend-Salons. Dazu lud Offenbach etliche Freunde in seine Wohnung in der Rue Laffitte ein ‒ das Haus gibt es heute nicht mehr: es musste einer der Prachtstraßen auf dem neuen Stadtplan von Baron Haussmann Platz machen. Als es noch existierte, gab es dort bei Offenbachs die tollsten Verkleidungspartys ‒ und auch hier tanzte man mit Vorliebe die übermütigen Cancans und Galopps, die durch viele von Offenbachs Operetten hindurchstürmen.

Durch die Reihen der Gäste zwängten sich dann Offenbach, seine Frau Herminie oder die Diener, um die Gäste mit allem zu bewirten, was die Speisekammer hergab. Dazu musste man sie am Morgen erst einmal füllen ‒ sprich: auf dem Markt gehen, am besten in die Hallen von Paris, dem legendären Bauch von Paris, wie sie Émile Zola in seinem Roman genannt hat. Offenbachs „opérette-bouffe“ Mesdames de la Halle ‒ Die Damen auf dem Markt ‒ spielt allerdings nicht in seiner Gegenwart, sondern in der Zeit vor der Französischen Revolution. Und ein bisschen altmodisch wirken auch die Marktschreier am Beginn der Operette, die ihre Produkte anpreisen: Zwiebeln, Karotten, Rüben, Fleisch, aber auch Sonnenschirme und Kleidung. Und wie in der Barockoper, wo solche Szene schon beliebt waren, schreit alles durcheinander.



Wenn sich die Hausdame von Monsieur und Madame Offenbach morgens auf dem Markt mit Fleisch, Gemüse, Kräutern sonstigen Lebensmitteln versorgt hatte, konnten die verrückten Freitagabende in der Rue Laffitte stattfinden. Dabei gab es so einige Tollheiten, wie sich ein Zeitgenosse erinnert: „Wenn man sich nicht zu den improvisierten »Hopsereien« kostümierte, spielte man Komödie, veranstaltete pantomimische Rätselspiele oder führte burleske Dramen und Parodien großer Opern auf. Nach Mitternacht stürzten alle in die Küche zur stets gefüllten Speisekammer und fielen über die hartgekochten Eier, den Schinken, die Hammelkeule, über die Salate und das Obst her. Überall wurden ein paar Tische aufgestellt, manchmal sogar draußen auf dem Treppenabsatz. Stapel von Tellern türmten sich, Flaschen wurden entkorkt, und unter übermütigem Gelächter gab man sich unbeschwerter Freude hin bis zur Stunde des Aufbruchs.“Und wenn es am Ende alles aufgegessen war, dann mussten man in der hinteren Ecke der Speisekammer schauen, ob nicht doch noch etwas geblieben war - vielleicht eine deutsche Leberwurst oder ein Stück französischer Schinken?



In dem eben gehörten Lied, der Zugnummer der einaktigen komischen Operette
"Tromb-al-ca-zar", geht es um den feinen Schinken aus Bayonne, der hier kollektiv besungen wird. Wobei Offenbach mit Genuss einen schieren Blödeltext vertont: „Eh bon, bon, bon! avec le jambon de pif, paf, pif, pouf, de Bayonne!

Schinken statt Leberwurst also. Und wenn etwas im Speiseplan von Offenbachs ausgelassenen Freitagabenden und seinen komischen Opern der hausgemachten Leberwurst nahekam, dann war es „le pâté“, die Fleischpastete im Teigmantel ‒ wahlweise aus Kalb, Wild, Geflügel, Gänseleber etc. Und Offenbach wäre nicht der Gourmet des französischen Musiktheaters, wenn er nicht auch die Pastete in seine Partituren eingebacken hätte.

1856 kam "Geneviève de Brabant" auf die Bühne der Bouffes-Parisiens ‒ eine sehr freie Variante des Märchens von der Herzogin Genoveva von Brabant, die in Abwesenheit ihres Mannes von einem bösen, machtgeilen Höfling in den Wald verbannt wird. Daraus haben Offenbach und seine Librettisten den üblichen Overkill an Gags und Parodien destilliert: Der Herzog von Brabant ist impotent, seine Frau Geneviève trifft heimlich den attraktivsten Bäcker am Ort ‒ aber als es herauskommt, muss der Herzog glücklicherweise mit einigen Kreuzrittern den Zug nach Palästina besteigen.

Um den Herrscher wieder zeugungsfähig zu machen, veranstalten die verzweifelten Ratsherren der Fantasiestadt Curaçao in Brabant einen Wettbewerb um das potenzsteigernde Mittel. Da meldet sich ausgerechnet der Liebhaber der Herzogin Geneviève mit einer magischen Fleischpastete ‒ kräftigend für alle Körperteile, ein Viagra für alle ermüdeten Ehemänner, das mit jedem Bissen fünf Jahre jünger macht.



Das war das „Rondo du pâté“, das Fleischpasteten-Rondo aus Jacques Offenbachs Opéra-bouffe "Geneviève de Brabant" ‒ ein Stück, das der Komponist offenbar mehr geliebt hat als das Publikum: In drei verschiedenen Bearbeitungen hat er die Herzogin Genoveva von Brabant und ihre mehr oder weniger trotteligen Männer auf die Bühne gebracht.

Das lag wohl auch daran, dass Offenbach eine Schwäche für starke Frauen hatte: Sie marschieren als Genoveva, Schöne Helena, Großherzogin von Gerolstein oder als resolutes Bauernmädchen Boulotte durch seine Stücke und behalten am Ende die Oberhand ‒ während die Männer trotz aller gemeinen Intrigen unterliegen.Natürlich ist die aphrodisierende Fleischpastete, die der Bäcker Drogan dem Herzog von Brabant anpreist, nur ein Trick, um mit der Herzogin ins Bett zu gehen. Und dass gutes Essen die Liebe und die Lebensfreude animiert: davon war Jacques Offenbach genauso überzeugt wie alle Pariser und Pariserinnen. Der Komponist selbst wusste die Esskultur seines Gastlandes zu schätzen, ohne sich der Völlerei hinzugeben.
*******sima Frau
2.540 Beiträge
Manuskriptauszug Struck-Schloen (10)
Offenbach war eher mager und fror häufig, so dass er auch in wärmeren Jahreszeiten einen Pelz anlegte. Wenn er ihn zum Essen ablegte, dann am liebsten im Café Riche am Boulevard des Italiens ‒ einem alteingesessenen Pariser Etablissement, dass vom glorreichen Louis Bignon in eines der bekanntesten Luxusrestaurant von Paris verwandelt wurde. Gustave Flaubert, Charles Baudelaire, Alexandre Dumas oder Iwan Turgenjew haben hier getafelt. Und häufig sah man mittags den Komponisten Jacques Offenbach, wie er sein karges Leibgericht verspeiste: ein Rührei auf zwei Weißbrotscheiben, ein zartes Lammkotelett und zum Schluss etwas Obst. Seine Frau oder seine Kinder waren nie dabei ‒ sie wurden zuhause, wenige Meter vom Café Riche entfernt, von der eigenen Köchin versorgt.

Das Café Riche wurde während des Ersten Weltkriegs geschlossen; heute sitzt eine Bank in den ehrwürdigen Hallen. Wer aber noch ein wenig vom Geist des Ortes und der Epoche erleben will, der kann im Ableger des Nobelrestaurants speisen: dem „Petit Riche“ in der Rue Le Peletier, wo zu Offenbachs Zeiten noch die alte Oper stand. Hier, im Hinterhof der prächtigen Boulevards, aßen die einfachen Leute; heute kann man hier anspruchsvoll, aber ohne Chichi speisen, der Weinkeller ist bestens sortiert und das Ambiente echt pariserisch. Wie wäre es also mit einem nahrhaften Hauptgang von der Speisekarte des „Petit Riche“: Entenbrust in Sesam-Honig-Sauce, Kalbskopf mit seinem Hirn mit Sauce Gribiche ‒ oder vielleicht ein gegrilltes Kalbskotelett mit Kartoffelpüree? Die passende Musik dazu gibt es jetzt: das „Trio du grill“ aus Offenbachs Operette Pomme d’api.



Auf diese Idee muss man erst mal kommen: Weil der ältliche Rabastens hoffnungslos in sein neues Dienstmädchen verknallt ist, verbietet er ihm, in der kalten, zugigen Küche seiner Wohnung zu stehen und holt den Grill für die Koteletts in den Salon. Die Liebe stellt eben alles auf den Kopf ‒ selbst die Essgewohnheiten der Pariser Bürger. Ein bisschen anarchisch ist also auch die kleine Operette "Pomme d’api" ‒ das ist der Spitzname der Dienstmagd, die natürlich verkleidet ist und einen Liebhaber hat, der eben im „Trio du grill“ auch mitsingen durfte.

Um Jacques Offenbach und die leiblichen Genüsse im Restaurant und auf der Bühne geht es heute in der SWR 2 Musikstunde mit Michael Struck-Schloen. Und wer zum gegrillten Kotelett im „Petit Riche“ eine Flasche vom vorzüglichen Loire-Rotwein getrunken hat, der könnte ‒ Aperitifs und Weinbegleitung der Vorspeisen eingerechnet ‒ schon die Wirkung des Alkohols verspüren. Und während der Magen schon auf Hochtouren arbeitet, um all die Fette zu spalten und die Kohlehydrate zu verdauen, die man ihm in kommunikativer oder liebestoller Laune zugeführt und obendrein mit Wein begossen hat ‒: in diesem körperlichen Ausnahmezustand wird der Mensch allmählich unberechenbar. Es sind die Momente, auf welche die Operette konsequent zusteuert: Momente des Überschwangs und des Vergessens, wer man in Wirklichkeit ist.

La Périchole, die Titelfigur von Offenbachs Opéra-bouffe aus dem Jahr 1868, ist eine Straßensängerin. Aber weil sie sehr schön ist, hat sie der Vizekönig von Peru zu seiner Ehrendame gemacht. Beim Diner im Palast kann sie sich einmal richtig satt essen. Und weil es auch viel Wein dazu gibt, hat sich Périchole einen ordentlichen Schwips eingefangen. Die so genannte „Griserie-Ariette“, die sie im selig torkelnden Zustand zu singen hat, gehört heute zu den Paradenummern vieler Operettendiven. Da gilt es, die geschmackvolle Mitte zu finden zwischen kokettem Gesang und echter Komik. Die Russin Klaudia Novikova hat in ihrer Aufnahme von 1939 auch gesungen ‒ aber vor allem hat sie gekichert, gegluckst und gelallt. Das Leben: eine einzige Lachnummer.
(Bitte vorspulen bis 3:05!)

https://ok.ru/video/1947993356

Die Straßensängerin als große, champagnerbeschwipste Dame: das war die russische Operndiva Klaudia Novakova; die sich hier durch die Schwips-Arie der Périchole aus Jacques Offenbachs Opéra-bouffe gegluckst und gelacht hat. Eine historische Aufnahme von 1939.

Champagner, Bier, Wein, sogar Tee und Wasser, Suppen, Pasteten, Grillkoteletts, Roastbeef, Trüffel, Schokolade ‒ alles spielt in Offenbachs Musiktheater eine zuweilen tragende, meist aber im wahrsten Sinne umwerfende Rolle. Und nicht nur Geflügel, Fische und Weidevieh werden hier als Delikatesse gepriesen, sondern auch, jetzt halten Sie sich fest: das Menschenfleisch. Auch das führte bei der Pariser Uraufführung des "Robinson Crusoe" im Jahr 1867 nicht zu Protesten. Denn natürlich waren die Kannibalen, die sich im berühmten Couplet über die kulinarischen Vorzüge junger Liebespaare und die zähe Konsistenz gebratener Christen auslassen, gar keine echten Menschenfresser, sondern Menschen wie du und ich mit Abneigungen und Vorlieben.

Lachen kann man darüber auch heute noch. Dennoch stößt dieser Robinson Crusoe mittlerweile in ein dickes Wespennest von politischen Inkorrektheiten. Die Diskussion über kulturelle Identität, über weiße Arroganz und schwarze Freiheitsbestrebungen hat nach Offenbachs Tod mit dem Kolonialismus der Europäer und der Postkolonialismus-Debatte neue Dimensionen bekommen, von denen Offenbachs Humor noch keine Ahnung hatte. Aber erweist die Anarchie in den Werken des Operettenkönigs nicht gerade damit ihre unmittelbare Aktualität?

„In einem Topf voller Brühe ist der Mann noch was wert“ ‒ das lakonische Fazit der Kannibalen aus Jacques Offenbachs Opéra-comique "Robinson Crusoe".

(Die in der Originlausstrahlung an dieser Stelle eingefügte Aufnahme des "Couplets der Menschenfresser" ist uns leider nicht zugänglich.)

Und wenn man das gekochte Männerfleisch mithilfe eines kräftigen Schnapses verdaut hat, dann ist in unserer Speisenfolge nach Rezepten von Offenbach Zeit für einen Kaffee und ein Dessert ‒ wobei wir auf den Käse ausnahmsweise wegen Überfüllung verzichten. In einer seiner letzten Opéras-bouffes hat Offenbach ein Loblied der Schokolade gesungen: Maître Peronilla ist ein Chocolatier aus Madrid und hat drei Akte lang alle Hände damit zu tun, die Heirat seiner hübschen Tochter zu arrangieren. Aber natürlich schwebt über dem dabei entstehenden Wirrwarr und den spanischen Tänzen, die man auf die Bretter legt, der herb-süße Duft der Schokolade ‒ und ist die Liebe letztlich nicht auch eine herb-süße Nascherei?

Hier ist die Ouvertüre zu Maître Péronilla, gespielt vom Philharmonia Orchestra unter Leitungvon Antonio de Almeida.


*******uck Mann
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ja danke euch allen
Zeit für das nichtzahlende Mitglied Danke zu sagen!
Danke luccioladagosto *bussi*
Danke Tantrissima *bussi*
und Danke an alle, die den fred am Leben erhalten *danke*

ja auch von mir ein Grosses DANKESCHÖN *danke*

*diegroessten*
*******sima Frau
2.540 Beiträge
Manuskriptauszug Struck-Schloen (11)
4. Offenbachs Reisen

Am Mikrofon ist Michael Struck-Schloen, herzlich willkommen zur 4. und letzten Folge über Jacques Offenbach, den Kölner in Paris.

Vom Großen Griechenmarkt in Köln bis zum Boulevard des Capucines in Paris verlief die Lebensreise des Jacob Offenbach. Fast 48 Jahren lang war Paris das Hauptquartier seiner Musiktheater-Neuerungen, er selbst eine stadtbekannte Figur, die man einmal so beschrieben hat: „Wenn Sie am Horizont eine gelbe Hose mit farblich abgestimmter Weste aufblitzen sehen, darüber ein himmelblauer, samtener Sakko, dazu perlgraue Handschuhe und ein grüner Hut, geschmückt mit einer Pfauenfeder, dies alles gekrönt von einem knallroten Sonnenschirm mit langem Stiel ‒ dann können Sie sicher sein, den Schöpfer von Orpheus in der Unterwelt vor sich zu haben.“

Offenbach war eine Pariser Institution. Aber als unruhiger Geist ist er immer wieder in ferne Länder aufgebrochen: nach London, Wien, Spanien, New York oder in die feinen, kleinen Kurbäder, wo sich die Hautevolee der Zeit traf. Nicht immer waren diese Reisen freiwillig, oft war er auf der Flucht vor seinen Gläubigern in Paris. Aber oft kam er auch mit viel Geld wieder zurück. Diesen Reisen ‒ bis hin zur letzten Reise in die Unsterblichkeit ‒ will ich mich heute widmen.

Am Beginn steht die weiteste Reise, die Offenbach zu Lebzeiten gemacht hat: und die ging bis zum Mond (vgl. dazu @**********gosto KLASSIK: KOMPONIST des Monats, X. Teil).

"Le voyage dans la lune", die Reise zum Mond, wirbelt Motive des Abenteuerschriftstellers Jules Verne drunter und drüber: Liebespaare werden über den Mond gejagt, Partner getauscht, am Schluss bricht noch ein Vulkan aus. Dabei wundert schon nicht mehr, dass es bei Offenbach auf dem Mond auch Schneeflocken fallen. Und die tanzen dann gleich ein zauberhaftes lunares Ballett.

Bitte bis 6:50 vorspulen:

Act III - Ballet des flocons de neige 06:55-18:30
i. Introduction et les hirondelles bleues
ii. Le bonhomme de neige les flocons animes
iii. Polka
iv. Mazurka
v. Variations
vi. Galop final.



Da kann man sich die großen und kleinen Ballettratten lebhaft vorstellen, wie sie über die Bühne des Théâtre de la Gaîtée in Paris trippeln und sich auf Spitze drehen. Das waren sechs Nummern aus dem Ballett der Schneeflocken, einer Einlage für Jacques Offenbachs Reise zum Mond; Antonio de Almeida leitete das Philharmonia Orchestra.

Man wundert sich schon, dass neben Riesenkanonen und anderem technischen Schnickschnack, den sich der Schriftsteller Jules Verne für seinen Roman "Von der Erde zum Mond" ausgedacht hat, auch ein Schneesturm auf dem Mond wütet. Aber in einer „Opéra féerie“ (Märchenoper) ist eben alles möglich.

Das war eine Neuerfindung von Offenbach, mit der er sich nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 und dem Untergang des Kaiserreichs in Frankreich quasi neu erfunden hat. In der „Opéra-féerie“ kam es nicht auf Logik an, sondern auf das, was Richard Wagner einmal bissig „Effekt ohne Ursache“ genannt hat: auf den allergrößten Aufwand, selbst wenn die Handlung gerade am allerunwahrscheinlichsten war.

In diesem Sinn hat Offenbach neue Werke geschaffen, aber auch viele frühere Erfolgsstücke überarbeitet und aufgeplustert zu gigantischen Ausstattungsoperetten. Die meisten kamen am prachtvollen "Théâtre de la Gaîtée" heraus, das Offenbach kurze Zeit auch als Theaterleiter führte ‒ bis er Bankrott machte.

In seiner Opéra-bouffe-féerie "König Karotte" gab es beispielsweise ganze Orgien von Gemüse und exotischen Szenerien; in der "Reise zum Mond" leistete sich Offenbach mehr als 650 Kostüme und 24 große Bühnenbilder, die u.a. das Pariser Observatorium, einen gläsernen Palast und einen Vulkan zeigten; hinzu kam ein echtes Dromedar aus dem Jardin d’Acclimatation, das während der Belagerung von Paris nicht, wie andere Tiere des Zoos, im Kochtopf gelandet war. Nichts war dem Theaterleiter Offenbach teuer und spektakulär genug; und natürlich trat als verwöhnter Prinz Caprice Offenbachs Lieblingssängerin Zulmar Bouffar auf ‒ eine Allround-Darstellerin, die Offenbach in seiner Jugend in einer kölnischen Kneipe kennengelernt hatte.

Um die Reisen des Jacques Offenbach geht es heute in der SWR 2 Musikstunde, in der wir Offenbachs 200. Geburtstag feiern. Sicherlich waren auch die Theaterunternehmen des Komponisten in der Dritten Französischen Republik seit 1870 echte Abenteuerreisen, die oft mit Schiffbruch oder Untergang endeten. Die Reisen, auf die ich Sie mitnehmen will, beginnen allerdings schon in den 1850er Jahren. Eine ging nach Neapel und führte direkt in das erotische Lotterleben der Handwerker, Musikanten und Apotheker ‒ es ist das wiederauferstandene Personal der neapolitanischen Commedia dell’arte. Am Ende des Liebeskarussells genehmigen sich alle einen Teller Makkaroni, die aber aus Versehen mit einem Gift aus der Apotheke „gewürzt“ wurden. Im Angesicht des Todes kommt die ganze Wahrheit über die gegenseitigen Verführungskünste heraus ‒ aber da in der Opéra-comique selten jemand stirbt, kann man sich schon vorstellen, wie die Geschichte vom Straßensänger Coscoletto ausgeht.



Die Aussicht auf einen Teller Makkaroni lässt alle neuen Mut schöpfen ‒ obwohl sich kurz vorher doch jeder schon vergiftet wähnte. Aber so ist das in den komischen Opern von Offenbach: der Tod ist hier nur ein Schreckgespenst, das es durch gesteigerte Lebenslust zu überwinden gilt. Wir hörten das Finale der Opéra-comique "Coscoletto oder Der Lazzarone", die neapolitanische Bezeichnung für den charmanten Nichtsnutz. Mojca Erdmann sang den Taugenichts Coscoletto, Helmuth Froschauer leitete das WDR-Funkhausorchester.

Coscoletto spielt in Neapel ‒ das war für derartige Possen nichts Außergewöhnliches, denn schon damals galt Neapel als Stadt der lustvollen Chaoten. Bemerkenswert aber ist, dass Coscoletto nicht in Paris, sondern in Ems an der Lahn uraufgeführt wurde ‒ einem Badeort in der deutschen Provinz, der bei den Franzosen enorm chic geworden war.

Überhaupt hatten um 1860 deutsche Badeorte einen guten Ruf: In der Sommerzeit, wenn es in den Großstädten heiß wurde, begab man sich aus Berlin, London oder Paris nach Baden-Baden, Homburg oder Ems, trank morgens Heilwasser und abends Champagner, flanierte mit wohlhabenden Standesgenossen über die Promenade, machte Geschäfte und unterhielt sich im Kurtheater. In Ems gab es komfortable Unterkünfte und Versammlungsorte wie das Kurhaus mit seinem Marmorsaal, der heute für Hochzeiten und Betriebsfeste angeboten wird. In dem prachtvoll dekorierten, zweistöckigen Saal konnten ein Orchester die Gäste von der Empore unterhalten ‒ oder man baute im Parterre eine kleine Bühne auf für wenige Sänger und ein kleines Ensemble.
*******sima Frau
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Manuskriptauszug Struck-Schloen (12)
Jacques Offenbach erkannte sofort die Vorteile der Sommerfrische an der Lahn und kam von 1858 bis zum Krieg zwischen Preußen und Frankreich fast jeden Sommer hin.

Hier traf er alte Bekannte aus Paris und konnte seinen drei Leidenschaften frönen: den Zigarren, den Frauen und dem Glücksspiel. Viel ist spekuliert worden über die Affären von Offenbach, der die Frauen verehrte und ihnen in seinen Werken stets die überlegene Rolle gegenüber den groben Haudraufs und narzisstischen Machtmännern gab. Gesichert ist wohl, dass er zu Zulma Bouffar eine längere Beziehung hatte ‒ einer Vollblutschauspielerin aus Südfrankreich, die in Wandertruppen begonnen hatte und in Offenbach-Stücken wie "Pariser Leben" oder der "Reise zum Mond" zum Star wurde.

Mit Offenbachs neuer Bekanntschaft wurde 1863 in Ems die elsässische Komödie "Lieschen und Fritzchen" erstmals aufgeführt. In einer Wette hatte der Komponist damit geprotzt, in nur acht Tagen einen Einakter zu Papier bringen zu können; das Libretto hatte ein Kurgast zufällig im Gepäck. Pünktlich nach einer Woche konnte man im Marmorsaal das fertige Stück erleben ‒ darunter folgendes Duett mit den epochalen Zeilen: „Ich bin Elsässerin, und ich Elsässer. Wenn eine Elsässerin einen Elsässer trifft, dann bleiben sie Elsässerin und Elsässer.“ Ein Schelm, wer dabei einen gewissen Hochmut der Pariser gegenüber der östlichen Provinz verspürt ‒ die nebenbei zehn Jahre später schon in deutscher Hand sein wird.



Einmal Elsässer, immer Elsässer ‒ oder eben Elsässerin. Anne Sophie von Otter und Laurent Naouri sangen in einer Aufnahme von 2002 das Duett aus Jacques Offenbachs komischem Einakter Lieschen und Fritzchen, einer, wie es im Titel heißt, „conversation alsacienne“.

Offenbach hat das Stück 1863 im Kurort Ems komponiert und aufgeführt ‒ wie so viele Stücke. Aber Offenbach kam an die Lahn nicht nur für die Kunst oder um seine Gicht zu kurieren. Ein anderes Laster, das in Frankreich verboten war, zog ihn magisch nach Deutschland: das Glücksspiel. „Erinnern Sie sich an Offenbach in Ems?“, schrieb später ein Zeitgenosse. „Als begeisterter Kartenspieler war er regelmäßig schon am Tag nach seiner Ankunft blank bis auf die Knochen. Am Abend der ersten Aufführung aber verklärten sich Jacques’ Gesichtszüge mit einer plötzlichen Gewissheit. Er hielt sich am Kassenschalter des Theaters auf. Und wenn etwa eine russische Familie 14 Gulden für sieben Plätze hingeblättert hatte, griff sich Offenbach das Geld, um es am Roulettetisch zu verlieren. Das Orchester hatte die Ouvertüre noch nicht beendet, da hatte das Doppelnull-Spiel schon die gesamte Einnahme geschluckt!“

Noch heute befindet sich die Roulette-Trommel, an der Offenbach sein Geld verlor, im kleinen Museum von Bad Ems. Erstaunlicherweise finden sich in Offenbachs Werk nur wenige Karten- oder sonstige Spiele. Die berühmteste Szene war für seine letzte Oper Hoffmanns Erzählungen vorgesehen; da aber der so genannte Venedig-Akt bei der Uraufführung nach Offenbachs Tod gestrichen wurde, ist man bis heute auf Vermutungen angewiesen, welche Form er haben sollte. In jedem Fall befindet man sich in einem venezianischen Luxusbordell, das mit allen Annehmlichkeiten von den leichten Damen bis hin zum Spielsaal ausgestattet ist. Und während der Dichter Hoffmann gegen seinen Kontrahenten Schlemihl um die Kurtisane Giulietta spielt, denkt die nur an Hoffmanns Seele, die sie einem sinisteren Zuhälter verkaufen will ‒ für einen unschätzbar wertvollen Diamanten. Das Geld regiert die Welt und die Liebe ‒ und es bringt hier ein Spiel auf Leben und Tod in Gang, in dem es viele Verlierer und wenige Gewinner gibt.



„Viens tenter ta chance“ sing der Chor in der Kartenspielszene aus dem Venedig-Akt von Jacques Offenbachs Oper Hoffmanns Erzählungen ‒ frei übersetzt: Du hast keine Chance, aber nutze sie! Und nach diesem Prinzip taumelt Hoffmannvon einer Frau und verpassten Lebenschance zur nächsten. Der Tenor Neil Shicoff war Hoffmann, Jessye Norman die Kurtisane Giulietta in dieser Aufnahme mit den Kräften der Brüsseler Oper, dirigiert von Sylvain Cambreling.
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