Manuskriptauszug Pasz (2)
Eine „Träumerei am Meeresufer“für Orchester und Cello solo:
Im Dezember 1869 sind Jacques Offenbach und ganz Frankreich von solch einer Idylle meilenweit entfernt, nur noch wenige Monate sind es bis zum großen Krieg gegen Deutschland, oder gegen das, was sich damals Deutschland nennt: der Norddeutsche Bund und einige süddeutsche Staaten. Die Führung jedenfalls hat Preußen, so viel ist sicher, und Preußen bedeutet zu diesem Zeitpunkt Otto von Bismarck. Zwei Staaten mit großem Ehrgeiz, beide strotzend vor Selbstbewusstsein. Aber vor allem Frankreich hat enorme wirtschaftliche Probleme und einen Kaiser, der mit allem heillos überfordert scheint.
" Napoleon schwankt dauernd zwischen Demokratie und Autokratie“, rüffelt ein Zeitgenosse, „zwischen Fortschritt und Reaktion. Er schwankt zwischen den Traditionen eines kaiserlichen Regimes und einem populären Sozialismus und kommt nicht zurecht mit den Widerständen der Gesellschaft.“
Die Franzosen wollen endlich Erfolge sehen bei ihrem Kaiser. Innenpolitisch geht einiges schief, also hole ich mir meine Erfolge eben in der Außenpolitik - denkt sich Napoleon. Aber auch hier produziert er ein Desaster nach dem anderen, verstrickt sich in unheilige Allianzen und spielt mit Muskeln, die er gar nicht hat. So wird ein Krieg Ende der 1860er Jahre immer wahrscheinlicher, Krieg mit dem neuen, mächtigen Nachbarn jenseits des Rheins.
Und wieder liefert Jacques Offenbach dazu die passende Blaupause: „Les Brigands“, „Die Banditen“, diese Opera bouffe legt den Finger in die Wunden der Zeit: ein Fürst mitten unter schmierigen Höflingen, eine Staatsmacht, die zu dumm ist, für Ordnung zu sorgen, echte und vermeintliche Räuber und zuletzt bleibt alles beim Alten. Die Mächte wanken, machen dabei eine traurige Gestalt und verprassen ein Vermögen, das sie gar nicht haben.
„Les Brigands“ oder auf Deutsch „Die Banditen“ bzw. "Die Räuber" nennt Jacques Offenbach seinen neuesten Geniestreich kurz vor dem Krieg, hier war das eine Szene aus dem 1.Akt in einer Inszenierung des Staatstheaters Braunschweig.
Diese Opera bouffe ist nicht nur der Soundtrack zum neuen militärischen Abenteuer, das Frankreich 1870 bevorsteht. Jacques Offenbach zündelt auch mal wieder mit kleinen Sticheleien in Richtung Herrscherpaar. Seine „Banditen“ spielen in Spanien, und daher stammt auch Eugenie, die Gattin des Kaisers. Lange Zeit gilt sie als die schönste Frau Europas, bis, ja bis eine gewisse Elisabeth von Österreich ihr den Rang streitig macht.
Als Eugenie mit 23 Jahren Louis Napoleon zum ersten Mal begegnet - da ist er noch Präsident und noch nicht Kaiser - macht sie enormen Eindruck auf ihn. George Sand beschreibt sie als „mittelgroß, wunderbar proportioniert und mit Händen und Füßen so klein, wie bei einem 10jährigen Kind. Ihr Kopf, der sich sehr stolz über einem leuchtendweißen Hals erhebt, wird von einer Masse gewellten Haares gekrönt. Ihre Züge sind wie gemeißelt und haben die Vollkommenheit einer griechischen Statue“. Aber Eugenie ist nicht nur schön und auch ziemlich klug, sie ist vor allem ehrgeizig und eine begnadete Strategin. So lässt sie den erfolgsverwöhnten Verführer erst mal gekonnt abblitzen. Napoleon ist darüber so verdutzt, dass er gar nicht anders kann als sie zu begehren. Zuletzt mündet das Ganze tatsächlich vor dem Traualtar und von Stund‘ an hat Frankreich zwei Herrscher, ihn und sie. Eugenie will nicht nur bestimmen, was man in Frankreich anzuziehen hat, sie will mitregieren, und je schwächer Napoleon wird, desto mehr wachsen ihre Gelüste auf die Macht. Dabei steht sie nicht gerade für den Fortschritt, weder politisch noch gesellschaftlich. Eugenie liebt das Rokoko, erscheint auf Kostümbällen mit Reifrock und gepuderter Perücke, und verehrt vor allem die einst enthauptete Marie-Antoinette.
Über so Jemanden kann sich ein Jacques Offenbach nur lustig machen. Aber die Kaiserin rächt sich: als Offenbach nach dem verlorenen Krieg bei den Franzosen in Ungnade fällt, entzieht auch Eugenie ihm die Honneurs und streicht ihn von der Liste der Anwärter auf die Ehrenlegion, dabei wäre Offenbach eigentlich dran gewesen.
Überhaupt schätzt sie den Komponisten nicht besonders, seine Stücke sind ihr einfach zu frivol und zu frech. Die prüde Spanierin kann damit nichts anfangen. Und Offenbach macht sich auch keine Mühe, ihr zu gefallen. Im Gegensatz zu seinem Kollegen Giuseppe Verdi. Der erweist ihrer Majestät die Ehre und widmet ihr die Ballettmusik seiner Oper „Don Carlos“. Bei der Uraufführung 1867 in Paris sitzt Eugenie in der Kaiserloge und strahlt in ihrer ganzen Schönheit. Sie hat Glück, das österreichische Kaiserpaar ist auch eingeladen, aber Elisabeth ist schwanger, Franz Joseph kommt allein. Also Vorhang auf für Eugenie. Prächtig ausstaffiert ist sie, Frisur, Kleidung, Schmuck, alles von großer Raffinesse. Doch vor allem ein Schmuckstück zieht alle Blicke auf sich,es ruht auf ihrem Dekolleté, „La Peregrina“, die bis heute berühmteste Perle der Welt, geformt wie ein Tropfen und so groß wie ein Taubenei.
„La Peregrina“ nennt Giuseppe Verdi auch die rund 15minütige Ballettmusik in seiner Oper, als Hommage an die Gattin von Napoleon dem Dritten und an die Grande opera, die große französische Oper.
Um die größte und schönste Perle der Welt geht es in der Ballettmusik „La Peregrina“ aus der Oper „Don Carlos“ von Giuseppe Verdi, in der SWR2 Musikstunde mit dem Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai unter Roberto Abbado.
1867 ist die Uraufführung von „Don Carlos“ bei der Weltausstellung in Paris, drei Jahre später befindet sich Paris im Ausnahmezustand, denn die Deutschen rücken immer mehr auf die Stadt zu.
Derweil sitzt Jacques Offenbach an zwei neuen Bühnenstücken. Doch er spürt die angeheizte Stimmung. Je öfter die Deutschen eine Schlacht gewinnen, desto häufiger wird Offenbach angegriffen. Er sei ein Spion Bismarcks, heißt es in der Presse, oder noch besser sein Statthalter. „Monsieur Offenbach“, lästert Le Figaro „dessen widerwärtige und dummdreiste Musik uns aufs Ärgste zugesetzt hat, hat mit seinem unverschämt dummen Gelächter die Kunst vertrieben zugunsten des obszönen Irrsinns seiner Operetten.“ Aber auch die Deutschen fallen über Offenbach her, beschuldigen und beschimpfen ihn als Kollaborateur mit dem Feind.
Nach der verlorenen Schlacht von Sedan am 2. September 1870 geht dann alles ganz schnell: Der Kaiser dankt ab, Eugenie flieht nach England, am 9. September gibt es einen, heute würden sagen wir kompletten kulturellen Lockdown. Alle Theater und Konzerthäuser werden geschlossen, alle Musik– und Theaterzeitschriften eingestellt, am 19. September beginnt die Belagerung von Paris und Jacques Offenbach flieht über Bordeaux ins spanische San Sebastian.
Gianluigi Trovesi: La Voix
(Bitte Soundtrack Nr. 7 abspielen. Allerdings ist die CD, die sich ausschließlich mit der Musik Offenbachs auseinandersetzt, auch insgesamt sehr empfehlenswert!)
https://music.apple.com/de/album/la-voix/1443782010?i=1443782625
„La Voix“ nennt der Jazz-Saxofonist Gianluigi Trovesi seine Auseinandersetzung mit der Oper Hoffmanns Erzählungen von Jacques Offenbach, zusammen mit dem Akkordeonisten Gianni Coscia. Traumhafte Emotionen und Nostalgiegefühle verbindet Trovesi mit der Musik von Jacques Offenbach, jedenfalls ergründet er die meditativen und sogar melancholischen Momente des Komponisten, die man sonst nicht so kennt.
Anfang 1871, als die Deutschen in Versailles ihren Triumph feiern, ist Jacques Offenbach gar nicht zum Lachen zumute. Er sitzt im fernen Spanien, leidet an der Gicht und der ganzen schrecklichen Situation.
Paris ist belagert, dann verwüstet und die Deutschen führen sich auf, als sei alle Kultur aus ihnen entwichen. „Ich hoffe“, so schreibt Offenbach, „dass Wilhelm Krupp und sein schrecklicher Bismarck für all das bezahlen werden. Ach, was für entsetzliche Menschen sind diese Preußen, und ich bin aufs tiefste betrübt bei dem Gedanken, dass ich an den Ufern des Rheins geboren bin, und mich irgendwelche Bande an diese Menschen knüpfen. Ach, mein armes Frankreich, wie dankbar bin ich ihm, dass es mich unter seine Kinder aufgenommen hat.“
Und wo steht er selbst, Jacques Offenbach? Als Sohn eines jüdischen Kantors im preußischen Köln geboren, dann erfolgreich in Paris, der Hauptstadt des 19. Jahrhunderts, und jetzt geschmäht als Ausländer.
Nicht nur die Person Jacques Offenbach wird angegriffen, als Preuße, als Deutscher, sondern mit ihm gleich das gesamte Genre Operette. Frankreich wurde besiegt, so die Meinung der Pariser Intellektuellen, weil der Staat, weil die Regierung versagt haben. Und warum haben sie versagt? Weil sie durchdrungen sind von Korruption und Skeptizismus. Und daran, so unkt man in Paris, hat die Operette ihren Anteil, mit ihrer Dekadenz, ihrem Materialismus und ihrer sozialen Ungleichheit“.
Als Jacques Offenbach im Sommer 1871 nach Paris zurückkehrt, ist er entsetzt über die Verachtung, die ihm entgegenschlägt. Erst als die ersten Theater in Paris zwischen allem Schutt und den Ruinen wieder zögerlich öffnen, normalisiert sich die Stimmung. Offenbach liefert auch gleich zwei neue Bühnenwerke, „Le roi carotte“ und „Fantasio“.
Aber auch jetzt setzt es Hiebe von den Kritikern: „Überall Offenbach“, steht da, „Offenbach hat sich vervielfältigt und fällt nun über uns her. Und im letzten Bild der Oper besingt er auch noch den Frieden. Nicht jeder hat das Recht, solche sehr sensiblen Themen öffentlich anzusprechen. „Offenbach“, so schließt der Artikel, „soll Platz machen für andere und Platz für die unsrigen.“
Jacques Offenbach: „Fantasio“, Duett Fantasio-Elsbeth
Eine wundervolle Szene, Fantasio und Elsbeth singen zusammen, ohne sich zu sehen, und verlieben sich ineinander nur über ihre Stimmen. Das Duett aus dem 1. Akt der Opera bouffe „Fantasio“ war das mit Sarah Connolly und Brenda Rae, am Klavier begleitet von Nicholas Bosworth.
Nach dem deutsch-französischen Krieg wird Jacques Offenbach noch neun Jahre lang leben. Die chauvinistischen Schmähungen hören bald wieder auf, aber der Geschmack der Pariser hat sich verändert, die großen Erfolge von einst wird er nicht mehr feiern. Sein persönlicher Triumph aber ist, dass er seine Aktualität bis heute hält. Deutsche, jüdische, französische Musik? Die Kunst des Jacques Offenbach steht über oder jenseits solcher Klassifizierungen, gerade mit seiner letzten Oper, „Hoffmanns Erzählungen“, einer genialen Mischung aus deutschem Tiefsinn und französischer Leichtigkeit, aus Geist und Esprit. Weil er sich der Macht, der gesellschaftlichen und politischen Macht seiner Zeit widersetzt, bleibt er ungebrochen aktuell und modern, und hält auch uns auch heute noch immer den Spiegel vor.