„Ich bin sehr jung auf eine sehr alte Welt gekommen.“
Und zwar am 17. Mai 1866 in Honfleur, im nordfranzösischen Département Calvados. Erik Alfred Leslie Satie. Ältestes von vier Kindern eines Franzosen und einer Schottin. Mit 13 beginnt er ein Musikstudium am Pariser Conservatoire, das er bald wieder abbricht. Was davon bleibt, sind Klavierstücke wie der „Unappetitliche Choral“ – „Choral inapétissant“ –, den Satie 1914 „den Verschrumpelten und Verblödeten“ widmet.
„Jeder wird Ihnen sagen, ich sei kein Musiker. Das stimmt. Schon zu Beginn meiner Laufbahn habe ich mich zu den Phonometrographen gezählt. Es macht mir mehr Spaß, einen Ton zu messen, als ihn zu hören.“
In den 1890er-Jahren schlägt sich Satie als Pianist im Chat noir und anderen Cabarets des Montmartre durch, komponiert Chansons und merkwürdig archaische, neo-griechische oder neo-gotische Klavierstücke, denen er Titel wie „Ogives“, „Gymnopédies“ oder „Gnossiennes“ gibt.
Skurril-unverständliche Texte zu Klavierwerken
Andere Klavierwerke tragen Titel wie „Vertrocknete Embryonen“ (Embryons desséchés), „Wahrhaft schlaffe Präludien für einen Hund“ (Véritables Préludes flasques (pour un chien) oder „Melodien zum Davonlaufen“ (Airs à faire fuir). Vielen von ihnen sind kleine, skurril-unverständliche Texte und Vortragsanweisungen beigegeben:
„Ziemlich blau. Dreimal genau hinsehen. Nicht zu gierig. Ohne mit der Wimper zu zucken. Zum Lutschen. Wie eine Nachtigall mit Zahnschmerzen.“
Der dezidiert anti-romantische Minimalismus dieser Musik fasziniert und inspiriert Kollegen wie Claude Debussy oder Maurice Ravel ebenso wie später John Cage. Cage ist es auch, der 1963 die fast 19-stündige Uraufführung von Saties Vexations ("Quälereien") realisieren wird: eine 13 Zählzeiten lange Melodie, die 840 Mal wiederholt werden soll.
Ebenso merkwürdig sind Saties Schriften – etwa die „Mémoires d’un amnésique“: „Memoiren eines Mannes, der sein Gedächtnis verloren hat“.
„Ich schlafe nur mit einem Auge. Jede volle Stunde nimmt mir mein Diener die Temperatur und tauscht sie gegen eine andere aus.“
Cocteau, Picasso und das Ballett
1915 lernt Satie den Dichter Jean Cocteau kennen, mit dem er – in Kostümen und Bühnenbildern von Pablo Picasso – das kubistisch-futuristische Skandal-Ballett „Parade“ schreibt, in dem Fahrradklingeln, eine Schreibmaschine und Pistolenschüsse die musique concrète vorwegnehmen.
Bis zuletzt lebt Satie – zeitweise mit der Malerin Suzanne Valadon liiert – in äußerster Armut in dem Pariser Vorort Arcueil, wo er am 1. Juli 1925 stirbt. Wer oder was dieser Erik Satie war, dem man im immer gleichen grauen Anzug, mit Spitzbart und Kneifer, allenthalben im Paris des Fin de siècle begegnete: ein Verrückter? Ein ironischer Spötter? Ein Dadaist vor seiner Zeit? Ein hellsichtiger Avantgardist? Wahrscheinlich nichts von dem und alles zugleich.
„Wenn die Musik den Tauben – und seien sie stumm – nicht gefällt, so ist das noch lange kein Grund, sie abzulehnen. Ich ziehe mich in aller Bescheidenheit zurück.“
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