Quasi als Entschädigung dafür, (hoffentlich ist es eine
) dass ich meine Geschichte in einem anderen Thread abgebrochen habe, hier etwas ganz anderes. Viel Vergnügen.
Das Herz der Sterne
Ein Märchen für Erwachsene
„Komm“, sagte Malgorzata, nahm seine Hand und zog ihn in ihr Schlafzimmer. Ihr Kuss raubte ihm den Atem, und wie sie langsam Knopf für Knopf ihr langes, rotes Kleid öffnete, bis es seidenraschelnd an ihrem schlanken Körper herabglitt, noch einen Moment auf einem vorgestellten Knie verharrte und dann zu Boden fiel, den Verstand. Atemlos riss Christian sich Hemd, Hose und Unterwäsche vom Körper; blieb mit einem Fuß im Slip hängen, musste sich ihren Schubs gefallen lassen und landete schließlich mit fünfzig Kilogramm lachender Weiblichkeit in seinen Arm auf dem Bett.
Sie ließ ihm keine Zeit zum Atemholen; ergoss sich in sein Universum mit ihrem nackten Körper, nach Moschus und ein wenig Zitrone duftend und Augen, die so grün waren, wie er es niemals zuvor bei einer anderen Frau gesehen hatte. Winzig klein sah er in ihnen sein eigenes Spiegelbild und dann für eine lange Zeit gar nichts mehr.
Eine Reise um die Sonne und viele Lustschreie später kuschelte sie sich an ihn, aus ihrem stoßweisen Atmen wurde ein Hauch, der ihm sanft über die Wange strich und dessen Duft von kandierten Mandeln das Bild des Weihnachtsmarktes in der Mecklenburgstraße in seinen Kopf zauberte. Dort hatte er sie getroffen und es war wie ein Blitzschlag gewesen für ihn. Nur ein paar Stunden war das her und noch immer schüttelte er den Kopf über sich selbst. Er war nicht der Typ für so etwas, niemals war ihm das passiert, in den ganzen fünfzig Jahren seines Lebens nicht.
Ihr Haar kitzelte seine Wange und er drehte den Kopf ein wenig zur Seite. Die ersten Sterne blinkten durch das große Schlafzimmerfenster herein und der Himmel hatte die Farbe von dunkelblauem Samt.
„Schläfst du?“, flüsterte sie.
„Nein.“
Obwohl es eigentlich keinen Grund dafür gab, flüsterte er ebenfalls. Jedes laute Wort hätte die Atmosphäre zerstört, und das, was zwischen ihnen war. Es füllte das Schlafzimmer mit einem Nebel aus Gefühlen und Gerüchen, der Moschusduft ihrer Haut war darunter, ebenso wie die Gewissheit, dass sie nie mehr fortgehen würde. Es waren die Hormone in seinem Blut, die ihn und etwas sehen und fühlen ließen, nur weil er sie sich wünschte und er wusste es. Niemand konnte in die Zukunft schauen, nicht einmal dann, wenn er wissen möchte, ob seine heutigen Wünsche morgen noch immer dieselben sein werden. Und doch – etwas schien ihm hier, mitten in ihrem Schlafzimmer, dass größer war als sie beide, voller Weisheit, uraltem Wissen und Macht. Ihr letzter Lustschrei hatte es gerufen und es wachte über sie.
Er lächelte, weil ihm klar war, dass wieder einmal sein Wunsch der Vater des Gedankens war – Malgorzata war nichts weiter als eine für ihn nahezu überirdisch schöne Frau - und er sich nichts sehnlicher wünschte, als dass sie für immer bei ihm blieb.
Er wandte seinen Kopf noch mehr zur Seite und schaute durch das bis zum Fußboden reichende Fenster auf den Ziegelsee unter ihnen. Das Wasser reflektierte den Lichterschein der nächtlichen Schweriner Innenstadt und malte lustige Kringel aus Licht und Schatten an die Wände des Schlafzimmers.
„Du lächelst. Das ist schön“, sagte sie. Ihr feuerrotes Haar ringelte sich in Locken über die schmalen Schultern hinab, flutete weiter hinab bis zur Hüfte und der Schweiß ließ ihre Haut im Mondlicht glänzen, als wäre sie aus Silber. Unter seinem Blick räkelte sie sich, wie es nur eine Frau kann, die sich ihre Schönheit bewusst ist, richtete sich einwenig auf, öffnete im Sitzen ihren Strumpfhalter, streifte die Strümpfe von ihren Beinen und kuschelte sich wieder an ihn.
„Du bist eine der wenigen Frauen, die ich kenne, die keine Strümpfe brauchen“, murmelte er.
„Dankeschön. Der Hormonerguss macht dich wohl mutig? Aber keine Frau der Welt braucht heute noch Strümpfe. Männer brauchen sie. Ich wollte dir eine Freude machen.“
„Ich habe doch nie …“
Ihre duftende Hand auf seinem Mund stoppte ihn. „Du redest nicht viel. Das macht es leicht, dir genau zuzuhören. In manchen deiner Ansichten bist du ein Dinosaurier. Aber ich mag das an dir. Und noch einiges mehr. Zum Beispiel, dass du nicht so viel fragst, obwohl du allen Grund dafür hättest.“
Natürlich hatte er den, sogar jede Menge. Zum Beispiel, warum sie ihn nicht hatte das machen lassen, was ein Mann mit einer Frau in einer solchen Situation gewöhnlich tut, sondern selbst nicht nur das Heft des Handelns, sondern auch etwas anderes erst in die Hand und dann in den Mund genommen hatte; warum er genau in diesem Moment gespürt hatte, dass für ihn eine Reise durch ein Universum begann, in dem Lust, Vertrauen und die Berührung seiner Seele wichtig waren und nichts sonst und das durch eine Frau, die er erst seit ein paar Stunden kannte.
Langsam und mit Bedacht antwortete er: „Was ich über dich weiß, ist nicht viel. Das Meiste davon stammt von dem, was ich in den letzten Stunden von dir selbst gehört habe. In meinem Leben war immer viel Platz für Zweckdienlichkeit, für Logik und für exakt kalkulierte Pläne, doch nur wenig Zeit für Gefühle. Ich denke, dass es ein Fehler war. Ich will ihn mit dir nicht wiederholen.“
Sie richtete sich ein wenig auf und küsste ihn lange mit geöffneten Augen. „Fein gesagt. Wir werden sehen.“
Den Kuss spürte er auf seinen Lippen, ihren Blick jedoch tief unter der Haut, da, wo selbst er nicht hinzuschauen wagte und er hatte etwas Prüfendes.
Ein Lichtschein huschte durch das Zimmer, vielleicht die Spiegelung eines Autoscheinwerfers auf der anderen Seite des Sees, und etwas zwischen ihren nackten Brüsten reflektierte das Licht.
Sie sagte: „Das ist ein Sternenherz.“
„Ich habe doch nichts gefragt.“ Das Testosteron tobte noch immer durch seine Adern und es machte seine Stimme rau.
„Doch hast du. Ich kann dich hören, auch wenn du nichts sagst. Schon vergessen?“
„Also gibt es doch die sprechende Stille?“
Statt einer Antwort gab sie ihm wieder einen langen Kuss. „Zwischen uns? Vielleicht, auch das werden wir sehen.“
Er streckte den Arm aus, doch sie schlug ihm spielerisch auf die Finger. „Erst musst du ihre Geschichte hören, du neugieriger Teddybär.“
„Warum?“
„Weil ich es so will!“
Das war keine Antwort auf seine Frage und die Schärfe in diesen fünf Worten überraschte ihn. Doch sie kuschelte sich wieder in seinen Arm, schloss die Augen und mit jedem ihrer Worte entfernte sich die Welt vor dem Schlafzimmerfenster immer weiter von ihm.
„Ich stamme aus dem Volk der Yupik, das vor langer Zeit am Kap Deschnjow siedelte und bei dem diese Geschichte schon seit Urzeiten von den Eltern an ihre Kinder weitergegeben wird. Es sind Verwandte der Eskimos und sie kennen viele wunderbare Legenden. In der vom Sternenherz spielt sogar einer meiner Vorfahren eine Rolle. Er hieß Tikaani, war ein junger Jäger, und als er eines Tages auszog, um Wild zu erbeuten, traf er in den verschneiten Wäldern ein wunderschönes junges Mädchen mit roten Haaren und grünen Augen, das sich verirrt hatte. Ihr Name war Ahala und obwohl es bitter kalt war, trug sie nur ein dünnes Kleid aus Robbenfell und lief barfuß durch den Schnee. Sein Herz entbrannte in tiefer Liebe zu ihr und er nahm sie mit sich. Als er in der Nacht mit ihr in sein Dorf zurückkehrte, erleuchtete ein mächtiges Feuer den Himmel über ihnen, wie es auch die ältesten Dorfbewohner noch nie gesehen hatten.“
Ihre ein wenig raue Stimme schien das ganze Schlafzimmer auszufüllen und wieder hatte er das Gefühl, dass sie nicht alleine waren. Er brummte: „Es wird ein Polarlicht gewesen sein. Vielleicht nach einem besonders heftigen Sonnensturm.“
„Psst! Es ist doch eine Legende und da heißen Sonnenstürme immer Himmelsfeuer.“ Mit einem Kuss verschloss sie ihm den Mund, dann fuhr sie fort: “Es ist hart dort in der Kälte der Polarregion und die Yupik lebten nur von dem, was die Natur ihnen gab. Mein Ururgroßvater Tikaani liebte meine Ururgroßmutter Ahala über alles, und jedes Mal, wenn er zum Fischen aufs Meer hinausfuhr, dachte er nur an die Heimkehr zu seiner geliebten Frau und das Kind, das sie unter ihrem Herzen trug. In der Nacht, in der Ahala meine Urgroßmutter Mauja zur Welt brachte, brannte wieder der Himmel über Kap Deschnjow mit der gleichen Heftigkeit wie an dem Tag, als Tikaani Ahala im Wald gefunden hatte. Die Ältesten traten zusammen und beratschlagten, denn es war ein böser Winter, in dem unser Volk großen Hunger litt, die Natur war knauserig gewesen mit ihren Gaben. Darunter hatten nicht nur meine Vorfahren zu leiden, sondern auch die wilden Tiere. Das Himmelsfeuer hielten die Ältesten für ein Zeichen und am nächsten Morgen verboten sie allen, auf das Meer zum Fischfang hinaus zu fahren. Sie sagten, ein Stern sei vom Himmel auf die Erde gefallen, hätte böse Geister ausgespien und diese würden den Verstand der Menschen und der Tiere verwirren.
Wie alle anderen Bewohner des Dorfes auch hatten meine Ururgroßeltern schon vor der Geburt Maujas hungern müssen und das Verbot traf sie hart. Zwei Tage später war Ahala, die schon bei der Geburt ihrer Tochter nur knapp dem Tode entronnen war, so geschwächt, dass sie keine Milch mehr für Mauja hatte. Tikaani war verzweifelt und beschloss, auf Fischfang zu gehen, obwohl er wusste, dass er dafür aus dem Dorf verjagt werden konnte. Er küsste seine Frau zum Abschied und ging über das Eis auf das Meer hinaus, um an einer freien Stelle Fische zu fangen. Viele Stunden musste er laufen, bis er einen geeigneten Platz fand und es wurde später Abend, bis er mit seinem Fang heimkehrte. Er wusste nicht, dass, während er fort gewesen war, eine hungrige Bärin war in das Dorf eingedrungen war, und Ahala getötet hatte, als sie ihre Notdurft verrichtete.
Tikaani wollte ohne seine Frau nicht leben, und da er seine Tochter Mauja bei seinem Volk in Sicherheit wusste, wanderte er wieder auf das gefrorene Meer hinaus. Stunde um Stunde, bis ihn seine Füße nicht mehr tragen wollten. In einer windgeschützten Höhle, die aufragende Eisschollen gebildet hatten, ließ er sich schließlich niedersinken, um zu sterben.
Die Kälte hatte sich bereits zuvor in seinen Körper gefressen, weil sein Herz ihr keinen Widerstand mehr leistete und so dauerte es nicht lange, bis das Fieber und die Erschöpfung ihm die Augen schlossen. In seinem Delirium hörte er, wie Ahala nach ihm rief; so deutlich, als stünde sie neben ihm. Er hörte ihre Schritte im Schnee knirschen, genau wie damals, als er sie das erste Mal gesehen hatte. Barfuß war sie gewesen, hatte nur ein dünnes Robbenfell getragen und trotzdem hatte die Kälte ihr nichts anhaben können. Er weinte, und seine Tränen gefroren auf seiner kalten Haut zu Eiskristallen.
„Warum bist Du hier?“ Es war eine Stimme in der Dunkelheit und es war Ahalas Stimme.
„Ich kann ohne meine Frau nicht leben“, antwortete er in seinem Fiebertraum.
Die Stimme widersprach: „Dein Leben gehört nicht Dir. Es gehört unserer Tochter, und wenn Du es wegwirfst, habe ich den falschen Mann geliebt.“
„Aber ohne Dich ist die Welt so dunkel“, sagte er.
„Dann mache ich sie Dir wieder hell“, sagte die Stimme und er fühlte, dass etwas sich um seinen Hals wand. „Es ist ein Sternenherz. Es wird Dir dein Leben erhellen, und wenn Du dereinst für immer gehen musst, dann wird sie unsere Tochter tragen und nach ihr ihre Tochter. Sie alle werden den Menschen wiedersehen, den sie am meisten lieben, wann immer sie auch von ihm getrennt werden. Genau, wie auch Du mich wiedersehen wirst.“
Tikaani fühlte eine innige Umarmung, er öffnete die Augen und sah sie fortgehen, hinaus aus der Höhle ins silberne Mondlicht, barfuß, nur mit ihrem dünnen Robbenfellkleid bekleidet und hinein in die tödliche Kälte. Er schlief ein, und als er am nächsten Morgen aus seinem Fiebertraum erwachte, ging er nach Hause und wurde seiner Tochter ein guter Vater.“
Christian brummte: „Er hätte entweder erfroren oder total entkräftet sein müssen.“
Malgorzata legte ihm ihre duftende Hand auf den Mund. „Es ist doch nur eine Legende, Du unromantischer Bär. Und sie ist noch nicht zu Ende.“ Sie lachte leise, doch mit einem seltsamen Unterton, dann fuhr sie fort: „Tikaani wurde ein guter Vater und irgendwann Ältester. Aber einmal in jedem Jahr, an dem gleichen Tag, an dem Ahala gestorben war, wanderte er allein übers Eis aufs Meer hinaus, und wenn er am nächsten Morgen zurückkehrte, strahlten seine Augen vor Glück. Als er dann so alt und gebrechlich geworden war, dass ihn seine Beine nicht mehr tragen konnten, wollte er das Sternenherz seiner Tochter Mauja schenken, aber die Kette besaß keinen Verschluss. Nichts und niemand konnte sie von seinem Hals lösen und es war, als sei sie mit ihm verwachsen. Erst als er starb, öffnete sich das Sternenherz von selbst und Mauja konnte es anlegen. Und nach ihr meine Großmutter und von meiner Mutter habe schließlich ich sie bekommen.“
Sie schwieg und auch er sagte lange nichts. Schließlich brummte er: „Komische Legende. Irgendwie gibt es doch bei sowas immer eine Lehre, die man daraus ziehen kann.“
„Vielleicht erkennst Du sie nur nicht?“
„Hm, vielleicht. Lass mich raten. Damals ist irgendwo ein Raumschiff mit Aliens gelandet, daher der Feuersturm am Himmel. Dann ist es wieder abgeflogen und hat Ahala als Beobachterin dagelassen. Und als der Bär sie gefressen hat, hat sie sich einfach wieder reproduziert und ihre Beobachterverbindung zu den Menschen über die Kette an Tikaanis Hals wieder hergestellt.“
Er strich ihr über das Haar und elektrostatische Funken sprühten über seine Hand. „Ich liebe Dich, wenn Du solche verrückten Geschichten erzählst. Kennst du noch mehr?“
Sie rutschte von seiner Schulter und blickte ihm aus nächster Nähe fest in die Augen. „Ich liebe Dich“, wiederholte er und jeder Scherz war aus seiner Stimme verschwunden.
„Ja“, antwortete sie. Mehr nicht und in ihren grünen Augen las er eine Frage, die er nicht verstand. Doch er musste erst sich selbst verstehen. Wieso hatte er das eben gesagt? Er kannte sie erst ein paar Stunden ... Er fragte: „Kann ich sie mir jetzt anschauen?“
„Natürlich, wenn Du sie öffnen kannst?“
„Warum ziehst Du sie nicht über Deinen Kopf?“
„Das geht doch nicht, Du Dummerchen. Dafür ist sie zu eng.“
Grummelnd drehte er sich zur Seite und tastete nach dem Lichtschalter. Sie hatte sich ein wenig aufgerichtet und er betrachte die Kette aufmerksam. Sie bestand aus filigranen Gliedern, sah alt aus und doch gleichzeitig, als wäre sie gestern erst gekauft worden. Ein kleiner, vielleicht daumennagelgroßer, elfenbeinfarbener Stein bildete den Anhänger und in ihm pulsierte ein dunkelrotes Licht. Je länger er hinschaute, umso beruhigender wirkte es. Ihm war, als passte sein Herzschlag sich der Frequenz des Leuchtens an und eine seltsame Leichtigkeit erfasste ihn.
„Sieht aus wie Silber, aber ich habe noch nie Glieder mit so einer ungewöhnlichen Form gesehen.“ Er suchte an ihrem zartem Hals nach einem Verschluss in der Kette, aber er fand ihn nicht. Glied für Glied bildete eine makellose Reihe ohne jedwede Unterbrechung und auch am Sternenherz selbst gab es keine Erhebung oder Einbuchtung, die ein Öffnen zugelassen hatte. Stirnrunzelnd blickte er sie an. „Wo ist der Trick?“
Mit einem Ruck warf sie die Decke von sich und setzte sich auf ihn. Das Mondlicht fiel auf ihre alabasterweiße Haut, wie dunkelrotglühende Lava ringelten sich die Locken über ihre Schulter und in ihren grünen Augen leuchtete etwas, für das er keinen Namen wusste. Nur eines wusste er – sie war die schönste Frau, der er jemals begegnet war.
„Warum ...
„Weil es kein Trick ist.“ Mit einem Kuss verschloss sie ihm den Mund. „Und weil ich Dich liebe.“