Gödeke Michels Teil 16 – Begegnung
Am nächsten Tag verließen sie Göteborg. Lars Reesenspund und Käpt`n Walhorn hatten eine neue Mannschaft angeheuert, die überwiegend aus Schweden bestand und auch drei Hamburger Seeleuten, die zurück in ihre Heimatstadt wollten. Der Holk des Walfängers kam nur schwerfällig in Fahrt, denn es wehte nur ein laues Lüftchen, deshalb beschloss Walhorn, das Skagerrak im hohen Bogen zu umfahren. Einerseits, um nicht von plötzlich aufkommendem Wind zu nah ans Horn gedrückt zu werden, andererseits auch um etwaigen dänischen Patrouillen aus dem Weg zu gehen. Sicher ist sicher, hatte er verkündet.Gödeke war immer wieder aufs Neue erstaunt, wie sehr sich die beiden Meere auch von der Wasserfarbe her unterschieden. Zeigte die Ostsee, die sichtbar mehr Süßwasser mit sich führte als die Nordsee, durch das Einmünden einer Vielzahl von Flüssen, eine grünlich graue Färbung, stand dem gegenüber das bläuliche graue Wasser der Nordsee. Diesen Unterschied konnte man aber nur sehr kurz wahrnehmen. Eben dann, wenn man über den Treffpunkt von Ost- und Nordsee hinüber fuhr und darauf achtete. Als er erstmalig vor vielen Jahren das Skagerrak umfuhr, war ihm sehr unwohl gewesen, hatte er sich doch vorgestellt, dass die beiden Meere bei ihrem Aufeinandertreffen heftig miteinander ringen würden. Doch dem war nicht so. Die Strömungsverhältnisse passten sich fast unmerkbar an. Einzig die Wellen veränderten sich. Sind sie in der Ostsee eher klein und hibbelig, sieht das in der Nordsee nach einer Weile ganz anders aus. Die Wellen sind höher, aber auch mit gefährlich engen Wellentälern. Bei Sturm besteht hier immer die Gefahr, dass ein Schiff über zwei Wellenkämme reitet und in der Mitte zu brechen droht. Ein Teil des Rumpfes sich also in der Luft befindet. Genau hierfür war es gut, dass weder Holks noch Koggen einen Kiel besaßen.
Erstmalig konnte Jana an Oberdeck die Reise genießen. Es war trocken und ein wenig kam sogar die Sonne hervor.
„An Steuerbordseite befindet sich Norwegen“, erklärte Gödeke und erfreute sich an Janas blondem Haar, das im Wind flatterte. Sie trug einen dicken, dunkelblauen Seemannspulli mit Rollkragen und eine derbe Jacke über dem Kleid. Dazu eine Wollstrumpfhose und feste seetaugliche Stiefel. Eine Mütze oder Regenschutz benötigte sie heute nicht. Gödeke trug, so wie die letzten Tage auch, seine dicke, gefütterte, dunkle Kapuzenjacke. Jana blickte hinaus aufs Meer, während Gödeke immer auch ein waches Auge auf die Arbeit der Männer hatte. Bei diesem Lüftchen musste geguckt werden, dass die Segel optimal gesetzt sind. Sie kamen nur langsam voran.
„Schiiiiiiiiiiiiiff backbord voraus!“ rief Walhorn am zweiten Tag plötzlich und zeigte in eine bestimmte Richtung. Gödeke zog die Augenbrauen zusammen. Es wäre äußerst ungünstig, wenn sie jetzt Vitalienbrüdern begegnen würden. Oder einem anderen Kaperfahrer. Womöglich noch einem Engländer. Seine Mission musste unter allen Umständen geheim bleiben. Klar, die Möglichkeit bestand natürlich, denn sie näherten sich Helgoland. Die kleine Insel vor der Elbmündung mochte vielleicht noch 20 Seemeilen entfernt liegen. Er hatte zwar befohlen, so nah wie möglich in Küstennähe zu steuern, doch nun war es zu spät. Gödeke, Walhorn, Lars und Jana standen nah beieinander und hielten sich die Hände vor Augen. Die Sonne blendete.
„Woher kommt der?“, fragte Jana.
„Weet ik noch nich“, nuschelte Käpt`n Walhorn, dann aber: „Oh Schiete … Seht, die schwarze Flagge! Eure, Gödeke!“
„Verdammt, verdammt!“, knurrte Michels und griff sich ans Kinn. Angestrengt dachte er nach.
„Was machen wir nun?“ Janas Stimme klang ängstlich. „Gödeke? Tu doch was!“
In diesen Situationen hasste er es, wenn Frauen an Bord waren. Ihre Hysterie konnte gefährlich werden und nervte. Jetzt hieß es einen kühlen Kopf bewahren.
„Kurs beibehalten, Käpt`n!“, wies er an. „Auf keinen Fall beidrehen. Auch wenn sie näher kommen. Sollen sie ruhig. Lars …! Die Positionslampe. Schnell! Walhorn: Schickt die Mannschaft unter Deck. Rasch! Und dann dippt die Flagge zum Gruß. Aber nicht einmal, sondern zweimal, kurz hintereinander! Macht! Keine Fragen jetzt. Einfach machen. Und Ihr, Jana: Schweigt!“
Klare Anweisungen sind das, was Männer brauchen, was sie beruhigt, und was sie handeln lässt. Dazu sind sie ausgebildet worden. Und anscheinend galt das auch für Frauen, denn Jana presste sich erschrocken die Hand auf den Mund, starrte nach Backbord. Walhorn war gespannt, was Michels vorhat. Mit ein paar laut gebrüllten Befehlen schickte er die Mannschaft von Oberdeck nach unten und begab sich rasch an die Flaggenleine und dippte zweimal kurz die Hanseflagge. Aufgeregt behielt er das andere, rasch näher kommende, Schiff im Auge. Sie antworteten, dippten ebenfalls zweimal kurz die schwarze Piratenflagge mit dem Totenschädel und den darunter gekreuzten Knochen, und dann … noch zweimal lang.
„Guuuut!“, rief Michels, der das Signal ebenfalls gesehen hatte. „Da drüben haben wir einen guten Signäler an Bord, sehr gut. Hat sich die Mühe doch gelohnt.“
Als Lars ihm die Positionslampe anreichte, lächelte Gödeke bereits schon wieder, wenn auch grimmig. Er sah sich nach allen Seiten um, ob auch wirklich alle Mann das Deck verlassen hatten. „Dann wolln wir mal“, stieß er hervor. Denn Lars hatte ihm auch ein flaches Holz gereicht, ein Brettchen. Das hielt er nun mehrmals und in Abständen zweimal kurz vor die Laterne. Zu Walhorns Überraschung antworteten die Piraten ebenfalls mit einem Lichtsignal.
Lang – Kurz – Kurz – Lang – Kurz.
„Sie wollen wissen, wer wir sind“, übersetzte Gödeke. „Das würde ich an ihrer Stelle auch wissen wollen. He he! Jetzt zählts! Aufgepasst!“
Wieder hielt er das Brettchen vor die helle Laterne und Walhorn sah, dass Michels: Kurz – Lang – Kurz – Kurz signalisierte.
„Was bedeutet das?“, keuchte er und Michels antwortete: „Das ist der Buchstabe ‚L‘ , steht für Likedeeler. Diesen Geheimcode kennen nur die Hauptmänner unseres Bundes. Und einer von denen fährt da drüben.“
„Wer?
„Weet ik nich! Warten wirs ab, mal gucken, was er antwortet. Da! Kurz – Kurz – Kurz – Lang! Das ‚V‘ für Vitalienbruder. Jawoll, ja! Seht! Sie drehen bei! Kurs halten, Walhorn, Kuuuuuurs halten.“
Rasch schlossen sie achtaus auf, schon konnten sie die Männer auf dem anderen Schiff erkennen und Gödeke Michels zog sich rasch die Kapuze über. Ein besonders hoch gewachsener Mann stach ihnen sofort ins Auge.
„Störtebeker!“, keuchte Lars.
„Ja …!“, sagte Gödeke leise, „… das ist Klaus.“ Und nun tat er doch etwas. Er hob den linken Arm an und führte ihn hoch über den Kopf und formte ein ‚C‘. Und Störtebeker antworte. Er hob beide Arme an und formte sie über den Kopf zusammen zu einem ‚O‘. Kurz nur, dann ließ er die Arme sinken. Gödeke seinen Arm ebenso, nahm aber wahr, wie Störtebeker interessiert auf die gewaltige Bugharpune sah.
„Was war das denn?“, wollte Jana wissen und Gödeke erklärte leise, dass dies der absolut persönliche Geheimerkennungscode zwischen ihm und Störtebeker sei, den nur sie beide kennen, sonst kein anderer Mensch auf dieser Welt.
„Wahnsinn!“, keuchte Jana, „wenn Ihr wüsstet, wie sehr mich das plötzlich erregt. Die beiden gefährlichsten Kaperfahrer und Freibeuter aller Zeiten! Rrrrrrrrrrrrrrrrrr!“
„He he! Mein kleines, heißes Luder! So gefallt Ihr mir!“ Mit festem und beherztem Griff packte er ihr an die rechte Arschbacke und drückte kräftig zu. Jana kreischte laut und lustvoll auf.
Ein paar Stunden später meinte Käpt`n Walhorn: „Jetzt ist es nicht mehr weit und wir erreichen Neuwerk, die Insel O. Normalerweise steigt dort ein Lotse an Bord, um die Schiffe sicher die Elbe hoch nach Hamburg zu geleiten. Machen wir das auch, Gödeke?“
„Ja!“, nickte der, „das machen wir auch. Sicher ist sicher. Wenn der Blanke Hans noch was übrig gelassen hat von dem Inselchen. Denn dem Plankton im Wasser und all dem Treibgut nach zu urteilen, hat hier erst vor kurzem noch ein gewaltiger Sturm getobt.“
© Walhorn Februar 2018