Isabella (23)
Gedankenverloren saß Isabella mit den anderen auf Thorsteyns mondbeschienener Terrasse und spielte an ihrem neuen Seepferdchen-Ring. Was für eine schöne Idee von Gödeke, ihre dreiste Fälschung so zu legalisieren! Wer hätte gedacht, dass der Hauptmann der Likedeeler eine so romantische Ader besaß? Und dass er dem Tierchen dann auch noch einen goldenen Schwanz verpasst hatte, zeugte von einem Humor, der ihr sehr gefiel. Immerhin kursierte in gewissen Kreisen der Hamburger Damenwelt ja das Gerücht, dass der Pirat selbst auch über ein solches Edelmetall-schimmerndes Körperteil verfüge…Lächelnd sah sie ihn von der Seite an. „Was?!“, fragte er leicht irritiert. „Jana und ich haben uns überlegt, dass wir heute Nacht die Zimmer tauschen könnten“, raunte sie ihm so leise zu, dass Thorsteyn es nicht hören konnte. „Deine angebliche Ehefrau möchte sich von unserem Käpt’n gern etwas über Schiffsbau erklären lassen. Du weißt schon: Kielschweine und dergleichen.“ „Ach nee!“ Gödeke grinste reichlich piratisch. „Und Du, Isabella? Warum bist Du mit dem Wechselspiel einverstanden?“ „Ich muss dringend etwas mit Dir besprechen. Ich hätte da vielleicht einen neuen Plan.“
Noch war es nur eine vage Idee. Doch Isabella spürte bereits, wie sich die Mosaiksteinchen in ihrem Kopf zu ordnen begannen. Es war eine von Thorsteyns Informationen gewesen, die sie darauf gebracht hatte. Keine der wichtigen, die sie ihm während des Verhörs entlockt hatten. Eher ein beiläufig dahingeworfenes Häppchen. Doch Isabella hatte im Laufe ihrer Karriere gelernt, dass sich daraus mitunter die schmackhaftesten Gerichte zaubern ließen. Allerdings duldete die Sache keinen Aufschub. Wenn sie handeln wollten, dann musste es heute Nacht sein!
Sobald sie mit Gödeke allein war, kam sie also gleich zur Sache: „Hast Du gehört, was Thorsteyn vorhin gesagt hat? Über diesen reichen Kaufherren Petersen, der kürzlich bei einem Schiffsunglück das Zeitliche gesegnet hat und dessen Testament morgen im Gildehaus der Hanse verlesen werden soll?“ Gödeke runzelte die Stirn. Er hatte Thorsteyns Ausführungen über dieses Thema keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Was konnte an einem ihm unbekannten, hochbetagten und noch dazu toten Pfeffersack so interessant sein? „Er hatte keine Familie“, erinnerte ihn Isabella mit einem feinen Lächeln. „Frau und Söhne dahingerafft von der Pest, sehr tragisch…“ Und dann erläuterte sie Gödeke Michels ihren Plan.
Der Likedeeler hatte ja im Laufe seines Lebens selbst so manches tolldreiste Schurkenstück über die Bühne gebracht. Aber das hier… Boshafte Vorfreude und auch ein Funken Bewunderung glommen in seinen Augen auf, als er begeistert zustimmte. „Du denkst wirklich wie ein Pirat!“, sagte er anerkennend. Isabella grinste und schwieg dazu. Sie wusste ein ernstgemeintes Kompliment durchaus zu würdigen.
So kam es, dass kaum zwei Stunden später zwei schattenhafte Gestalten die Villa des Gewürzhändlers verließen. In unauffällige, dunkle Umhänge gehüllt, die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen, eilten sie über das Kopfsteinpflaster. Sobald sie die schweren Schritte eines Nachtwächters hörten, drückten sie sich in einen Torbogen und verschmolzen mit den Schatten. Heimlich und huschend wie die Ratten der Stadt erreichten sie so ihr Ziel.
Das Gildehaus der Hansekaufleute war ein repräsentatives Gebäude, das sogar über einen Turm verfügte – eine Demonstration von in Stein gegossener Macht. Zu dieser nächtlichen Stunde lag es verwaist und dunkel da. Isabella sah sich vorsichtig um und eilte dann mit wehendem Umhang auf die schwere Holztür zu. Wieder einmal wurde ihr klar, wie nützlich ihre längst verflossene Affäre mit dem König der Diebe gewesen war: Schon hatte sie ein zierliches Metallwerkzeug ins Türschloss gesteckt und versuchte, den Mechanismus zu erspüren und die richtige Drehung zu finden. Zack! Im Handumdrehen sprang das Schloss auf. Isabella strahlte. Seine einbrecherkönigliche Majestät wäre stolz auf sie gewesen! Und auch der heutige Vogelfreie an ihrer Seite grinste anerkennend. Gemeinsam huschten sie in die Dunkelheit des Gebäudes und schlossen die Tür.
Isabella zündete eine Kerze an und schirmte den Lichtschein mit der Hand ab. So geisterten sie unbemerkt durchs Halbdunkel und spähten der Hanse ins Herz. Das Gildehaus verfügte über prunkvolle Säle, in denen die Kaufleute und ihre Gäste zu Banketten und Festen zusammenkamen. Es gab Räume für Besprechungen und Verhandlungen, Büros und eine Bibliothek. Und hoch oben im Turm stießen sie schließlich auf ein großes Archiv, in dem Urkunden und andere wichtige Dokumente aufbewahrt wurden. Isabella hätte gar kein Licht gebraucht, der leicht staubige Geruch nach Papier und Tinte war verräterisch genug: Hier waren sie richtig!
Mit fliegenden Fingern durchsuchte sie Schubladen, Regale und Papierstapel. Irgendwo musste das Testament dieses dreimal verfluchten Kaufmanns doch sein… „Ha!“ Triumphierend hielt sie einen schweren, versiegelten Bogen hoch, der mit dem Namen Petersen gekennzeichnet war. Kurzerhand brach sie das Siegel und las. „Das ist es!“, wandte sie sich zufrieden an Gödeke. „Kriegst Du den Schrank dort drüben auf? Ich glaube, darin haben sie das Siegel der Hanse eingeschlossen.“ „Du bist nicht die einzige Person auf der Welt, die schon mal ein Schloss geknackt hat“, gab der Freibeuter leicht beleidigt zurück. Doch er machte sich mit Feuereifer ans Werk.
Isabella kopierte derweil den Teil des Testaments, der sich mit den für sie uninteressanten Bestandteilen des Petersen’schen Erbes befasste. Dann fügte sie noch eine kurze, aber entscheidende Passage hinzu. Günstigerweise war der Notar, der das ursprüngliche Testament beglaubigt hatte, mitsamt dem Kaufmann Petersen und dessen Kogge auf den Grund der Nordsee gesunken. So würde niemand bemerken, dass ein Teil dieses Dokuments nicht echt war.
Wenn es morgen offiziell verlesen wurde, dann würde alle Welt erfahren, dass der alte Petersen doch noch Angehörige gehabt hatte. Allerdings weit weg. In Norwegen. In seinem angeblichen Testament gab sich der Verblichene als reuiger Sünder: Es tue ihm sehr leid, dass er Zeit seines Lebens auf seine dortige Verwandtschaft herabgesehen und sie als „bucklige Bande von Fischfressern“ tituliert habe. Als Zeichen seiner Umkehr hinterlasse er seinem Vetter, dem ehrenwerten Kaufmann Gunnar Michelson aus Bergen, ein parkähnliches Anwesen an der Elbe mitsamt herrschaftlicher Villa, Nebengebäuden und Schiffsanleger…
„Genial, Isabella!“, strahlte Gödeke und reichte ihr das Hanse-Siegel, damit sie die Fälschung perfekt machen konnte. „Ich werde Hausherr eines Anwesens an der Elbe! Und ich weiß auch schon, was ich damit machen werde. Oder was wir damit machen werden…“ Er sah sie an. Sein Gesichtsausdruck war im Kerzengeflacker schwer zu deuten. Wie flüchtige Schatten schienen Emotionen und Gedanken über seine Züge zu geistern. „Warte einen Moment!“, sagt er dann und verschwand.
Isabella siegelte sorgfältig das gefälschte Dokument und legte es an seinen Platz. Das Original riss sie in undefinierbare kleine Fetzen und warf sie aus dem Fenster. Sofort begann der Wind damit zu spielen und trug sie in alle Himmelsrichtungen davon. Blass schimmerten sie im Mondlicht wie Gespenster-Gedanken. Vielleicht waren es ja ihre eigenen. Viel mehr Substanz schienen die im Moment auch nicht zu haben. Wie sollte es weitergehen, nachdem sie die Seiten gewechselt hatte? Sie hatte noch keine Ahnung. Doch Gödekes Andeutung eben… Meinte er damit, dass es für sie in der Talisker-Bande eine Zukunft gab? Wie auch immer die aussehen mochte?
Die Stimme des Likedeelers riss sie aus ihren Grübeleien. „So, meine Liebe“, sagte er und knallte grinsend eine Flasche und zwei Becher auf den Tisch des Archivs. „Jetzt wollen wir anstoßen. Und weil wir der Hanse diesen edlen Tropfen geklaut haben, wird er uns nochmal so gut schmecken!“ Er hatte im Weinkeller des Gildehauses gestöbert und es sich nicht nehmen lassen, eine der wertvollsten Flaschen zu entwenden. Sorgfältig entkorkte er den Wein und schenkte ihnen ein. „Auf die Zukunft!“, sagte er dann, als habe er Isabellas Gedanken gelesen. Sie lächelte. „Auf die Zukunft!“
Diesmal war kein Auf-Ex-Trinken gefordert. Also genoss Isabella den Wein und lehnte sich in die Fensterbrüstung. Was für einen Blick man von hier oben hatte! Weit über die mondbeschienenen Dächer hinweg… „Beeindruckend, nicht wahr?“, sagte Gödeke leise und trat hinter sie. „Ich hatte immer eine Schwäche für diese Stadt. Und ich möchte, dass Du sie mit allen Sinnen genießt!“
Damit drehte er sie zu sich um und nahm ihr den Becher ab. Hart war sein Griff um ihr Handgelenk, von trügerischer Sanftheit seine Stimme. Isabella lehnte sich gegen den großen Kartentisch, um den sich die Kaufleute oft zur Planung von Handelsrouten versammelten. „Schnür Dein Kleid auf“, befahl der Pirat leise. „Zeig mir Deine Titten!“ Sie folgte seinen Anweisungen auf den Buchstaben genau. Doch es war kein Gehorsam in ihrem Blick. Sondern die pure Provokation. Schweigend sahen sie sich einen Moment lang an. Gödeke tauchte seinen Zeigefinger in seinen Weinbecher und zog eine feuchte, rote Spur um Isabellas hart geschwollene Nippel. Sie biss sich auf die Unterlippe. Die Sekunden schlichen atemlos dahin. Der Mond malte lange Schatten in den Raum.
Sie fielen quer über den großen Kartentisch. Erst nur die Schatten. Dann zwei Körper, verschlungen in wilder Gier. Lippen pressten sich aufeinander, als wollten sie sich gegenseitig den Atem nehmen. Hände zerrten an Haaren und Kleidungsstücken. Zähne verbissen sich in warmer Haut. Isabellas Körper bäumte sich auf. Gödeke versuchte sie zu bändigen, trieb sie aber nur weiter hinein in die lustvolle Raserei. Und schoss selbst mit vollen Segeln hinterher.
Noch war er nicht einmal in sie eingedrungen. Sie wälzten sich nur gemeinsam auf dem Tisch, rieben ihre erhitzten Körper aneinander und katapultierten sich in neue Dimensionen der Geilheit. Stapelweise wischten sie wichtige Dokumente aus den Federn der Hanse-Schreiber von der Platte. Knochentrockene Traktate tränkten sich mit feuchter Wollust und flatterten in alle Ecken des Raumes. Die beiden Einbrecher würden nachher ein Fenster offenlassen müssen, um das Chaos dem Wind in die Schuhe schieben zu können…
„Wir treiben es im Herzen der Hanse!“, knurrte Gödeke erregt. „Und die verfluchten Pfeffersäcke werden keine Ahnung davon haben, wenn sie sich das nächste Mal hier versammeln…“ Damit sprang er auf die Füße, zerrte Isabella vom Tisch und drängte sie zum geöffneten Fenster. Mit nackten Brüsten und gerafften Röcken lehnte sie sich über die Brüstung. Sie stellte die Beine auseinander, streckte Gödeke den Hintern entgegen… Piratenbeute…
Er konnte nicht anders, musste sie nehmen… Jetzt! Seine kräftige Hand klatschte auf ihren Arsch. Wie geil dieses Stöhnen… Vor allem, wenn es in erregtes Winseln umkippte! Freibeuter-Gelüste verbissen sich in Spioninnen-Erregung. „Luder!" Gödekes Hände krallten sich in Isabellas Hüften. Sie warf den Kopf in den Nacken. Kein Zurück mehr… Hart stieß er in ihre zuckende, nasse Meerestiefe. Schneller…
„Sieh hin, Isabella!“, keuchte er, während er sie über die Klippe trieb. „Sieh hinaus auf die Stadt! Sie ist Dein! Unser! Eines Tages werden wir hier die heimlichen Herrscher sein…“ Seine Hand legte sich auf ihren Mund. Und nur das verhinderte, dass Isabella ihre Lust gefährlich laut in den Hamburger Nachthimmel schrie…
Der Morgen dämmerte schon, als die beiden Abenteurer trunken vor Übermut in Thorsteyns Villa zurückkehrten. Den Rest der Talisker-Bande hatte die Sorge über ihr Verschwinden bereits aus dem Bett getrieben. „Wo wart Ihr denn, beim Klabautermann?“, wollte Käpt’n Walhorn wissen. „Was habt Ihr gemacht?“ „Das, was wir am allerbesten können“, gab Gödeke grinsend zurück. „Das, was wir genießen, wie kaum etwas sonst“, schnurrte Isabella. „Und das, was wir auch in Zukunft so oft wie möglich machen werden“, schloss der Hauptmann der Likedeeler. „Wir haben die Hanse gefickt!“
© Kea2012, April 2018