Freitag Nacht
Dumpf hallt der Bass in dem düsteren Gewölbe wieder, bringt Wände und Boden zum beben. Der Geruch von Parfum und Alkohol hängt in der Luft, wie der dicke Kunstnebel, der, durchzogen von den zuckenden Blitzen der Discolichter, der gesamten Szenerie etwas unwirkliches gibt. Schon vom ersten Ton an haben die Besucher ihre Gesichter, ihre Identität, ihre Einzigartigkeit verloren. Hier sind sie nur noch eine Masse an sich rhythmisch aneinander drängenden Körpern, die sich wie ein einziges Wesen zum Klang der ohrenbetäubenden Musik bewegt.
Und sie ist ebenfalls ein Teil davon. Getragen vom Bass, der unter ihren Füßen vibriert, durch ihre Venen kriecht und ihrem Herzen einen schnelleren Schlag vorgibt. Das Dröhnen übertönt alle Gedanken, löscht den Alltag aus und trägt sie fort. Hier ist sie nur ein Part von etwas Großem, nur ein Stück unter vielen. Sie bewegt sich mit der wogenden Gruppe, tanzt, breitete die Arme aus, will sich verlieren.
Im Rausch der Musik driftet die Menge auseinander und gibt mit einem mal den Blick auf den Rand der Tanzfläche frei. Gerade will sie die Hände heben, sich drehen und noch höher fliegen, doch dann erstarrt sie mitten in der Bewegung.
Dort steht ein Mann.
Einer, den sie noch nie gesehen hat. Das flackernde Licht taucht ihn abwechselnd in Licht und Schatten, zeichnet seine Züge zuerst weich und dann hart. Er ist allein. Ohne Freunde, ohne Begleiter, ohne Frau, lehnt er an der groben Bruchsteinwand. Seine Körperhaltung müsste eigentlich entspannt wirken, doch stattdessen strahlte er eine seltsame Form von hungriger Erwartung aus, die durch den ganzen Raum zu spüren ist.
Und er sieht sie an.
Langsam lässt sie die Hände sinken. Plötzlich ist sie kein Teil des Ganzen mehr, kein Stück unter vielen. Plötzlich fällt sie as der Gruppe heraus und ist wieder nur sie. Eine Frau, deren lange Beine vom langsam aufsteigenden Nebel umspielt werden, deren Brust sich atemlos unter dem weichen Stoff des Kleides hebt und der ein paar einzelne Haarsträhnen auf den schweißfeuchten Schultern kleben. Nichts besonderes, nichts seltenes in solchen Nächten und doch blickte dieser Unbekannte - wie lange schon? - zu ihr herüber.
Und nur zu ihr.
Durchdringend, schweigend. Kein Lächeln, keine anzügliche Geste, nicht einmal ein Blinzeln. Nur ein Blick. Aus dunklen Augen, in denen sich ein Feuer zu entzünden scheint.
Ihr Herz stolpert einen Moment, während unerwartete Hitze in ihren Adern zu prickeln beginnt. Sie schaut zurück. Einen Moment lang, der in keiner zeitlichen Einheit zu fassen ist und sich ausdehnt, verbinden sie nur ihre Augen. In ihren liegt eine Frage, in seinen ein Befehl. Dann schlagen die Wellen der Menge wieder vor ihr zusammen, unterbrechen urplötzlich den Blickkontakt. Sie schiebt die tanzenden Leiber zur Seite, um ihn wieder zu finden, doch als sie zu der Stelle sieht, an der er eben noch gestanden hat, ist diese leer. Er ist verschwunden. Einfach fort.