Voller Erwartung
Wie ein eingesperrter Tiger läufst du durch die Wohnung. Wie ein Tiger, der nicht weiß, wohin mit seiner Energie. Du läufst, von dem Fenster in der Wohnstube durch die Wohnstube, durch den Flur, zum Fenster in der Küche. Du bist eine Runde durchs Haus gelaufen. Acht Meter, links rum, durch eine Tür, vier Meter, nochmal links rum, dann drei Meter, durch noch eine Tür, fünf Meter in einem Bogen um den Küchentisch. Eigentlich kennst du dich in deiner Wohnung aus, aber beim Gehen um den Tisch reißt du fast den Kletter-Hocker um, der halb unterm Tisch steht. Es poltert, aber du gibst nichts drauf, du lässt ihn so schräg stehen. Du willst zum Fenster. Du willst sehen, ob sein Auto endlich kommt. Du willst sehen, ob sein Auto vor deinem Haus anhält.
Kein Auto. Doch, ein Auto, aber nicht seins …
Also, wieder wie ein eingesperrter Tiger zurück zum Wohnzimmerfenster. Den Bogen um den Küchentisch schaffst du dieses Mal, ohne mit dem Hocker zu kollidieren. Durch die Tür, durch den Flur mit einer Rechtsbiege, durch die andere Tür mit der nächsten Rechtsbiege, hin zum Fenster. Du schaust raus, aber recht vorsichtig. Er muss dich ja nicht sehen, wie du am Fenster auf ihn lauerst. Diese Blöße möchtest du dir nicht geben. Ja, du wartest sehnsüchtig auf ihn, aber du möchtest doch ganz cool ausschauen, wenn du ihn empfängst.
Und wieder wie ein eingesperrter Tiger zurück in die Küche. Wieder am Fenster.
Ja, das Autogeräusch kennst du …
Ja, zurück in den Flur, drei Meter, dann aber nicht rechts rum, sondern links rum durch die Tür in die Veranda, sechs Stufen die Treppe runter. Vor der Haustür bleibst du stehen, holst tief Luft und sammelst dich. Du schaffst es, auf das Klingeln zu warten. Als es klingelt - endlich - reißt du nicht gleich die Tür auf. Nein, jetzt bist du so gelassen, dir noch einmal deine wirre, aufgeregte Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen. Du setzt ein liebes Lächeln auf und öffnest …
„Guten Tag. Ein Paket für Sie.“