Jealous of the Rain
"Misfit", kommt mir in den Sinn, ich bin so was von "misfit", inmitten all dieser demonstrativen Pracht, in diesem parkähnlichen, riesigen Garten mit eigenem Seezugang, Bootshaus, alten Bäumen, dezent verteilten Pavillons, mit Häppchen, Drinks, einer Wahrsagerin und einem DJ, der angeblich ein Star in Tokio ist. Was immer er ist, er ist jedenfalls nicht "misfit", wie ich.
Das Kontrastprogramm, der Gegenentwurf, im Zentrum, der Herrscher über all das, der Sonnenkönig, der es selbst in diesem verpissten Sommer geschafft hat, einen regenfreien, warmen Abend herbeizuhexen, indem er den Gewittern, die sich in Sichtweite und gut hörbar austoben, schlicht gebietet, Distanz zu halten, schlicht verbietet, mehr als Naturschauspiel zu sein, untersagt, sein Fest zu stören.
An seiner Seite, wie um seinen Glanz noch zu verstärken, in Szene zu setzen, SIE. Sie schaut zu mir rüber, löst sich mit einem Satz, der viel Gelächter auslöst (auf meine Kosten?), aus der Gruppe und bewegt sich auf mich zu.
"Sie müssen Silent sein. Ich habe schon... (Pause)... viel von Ihnen gehört."
Wenig an mir funktioniert nach Plan und wie es soll, aber die Amygdala liefert nach einer Zehntelsekunde das Ergebnis ihres Scans: Brünett, Bob, Sommersprossen, winzige Zahnlücke, grüne Augen, marineblaues Strickkleid. Eine Göttin.
"Nur Gutes, hoffe ich?"
"Nichts, was langweilig wäre,... sagen wir es so."
Die Audienz ist beendet, aber sie meint es gut mit mir, ein Lächeln aus der Distanz hier, ein Blick in meine Richtung da, wie eine Rückversicherung, dass ein exotisches Tier noch nicht aus ihrem Herrschaftsgebiet geflüchtet ist. Der Abend nimmt seinen Lauf...
Das Personal beginnt abzuräumen, illuminiert von Blitzen und begleitet von Donner, SIE mit einer Zigarette am Rand des Rasen-Rechtecks, was als Tanzfläche dient. Ein oder zwei einsame Tänzer.
Ich wende mich dem DJ zu. "Hör zu, Koi-Boy, es gibt wie immer im Leben exakt zwei Möglichkeiten. Ich hole mein Samurai-Schwert aus dem Kofferraum und zeige dir ein paar Dinge, die Du in Tokio garantiert noch nie gesehen hast. Exklusiv, einmalig, einschneidend. Oder Du steckst diesen Hunni ein und spielst was ich Dir sage." Keine Geierschildkröte hätte härter und schneller zupacken können.
Das Stück beginnt, sanft. Ich bewege mich auf Sie zu, sie blickt auf,... Amüsiert. Ich mache eine einladende Geste, ein Quasimodo des Tanzes.... schwebe eine Sekunde zwischen völliger Lächerlichkeit und was auch immer... Dann geben ihre Augen eine Art okay, sie kommt mir entgegen, wir beginnen uns zu bewegen, sie stilsicher, ich ein Trampeltier, bis wir eine Art von modus vivendi gefunden haben... Das Gewitter kommt näher, Wind bringt die Bäume zum Rauschen... Ich, eine Hand an ihrer Hüfte, die zweite Hand mit ihrer verschlungen, erst fast Kopf an Kopf, dann legt sie ihren an meine Schulter, nie roch etwas besser, nie war etwas zarter...
Und ich flüstere, parallel zum Lied:
I'm jealous of the rain
That falls upon your skin
It's closer than my hands have been
I'm jealous of the rain
Ich kann nicht anders, ich muss sie küssen, ganz, ganz, ganz, ganz zart, unsere Lippen berühren sich in völliger slow motion und ich werde das Gefühl nie vergessen können,... dann scheint sie zu erwachen, ich schaue in die Augen eines exotischen Tieres, das nicht nur an Flucht denkt, sondern auch flieht.
Wird Sie dort sein, wohin ich mich zurück ziehen würde? Ich taste mich im Bootshaus durch die verwinkelten Räume. Am Ende, direkt auf den See hinaus, eine kinoleinwandgrosse Glasfront.
Sie steht mit dem Rücken zu mir. Das blaue Strickkleid abgestreift am Boden, die Göttin nackt, noch schöner.
Tausende, dicke, pralle, eifersüchtige Regentropfen zerplatzen wütend auf Glas.
Sie dreht sich nicht um. Spricht über mein Spiegelbild in der Scheibe zu mir. "Du hast dir Zeit gelassen, Silent."