GÖTTIN UND GEFÜHL
Prolog
Der Tag neigte sich dem Ende entgegen und die Nacht nahm sein letztes Licht mit auf ihre Reise.
Nahm es und ließ es zunehmend kälter herab scheinen.
Es war Vollmond - und schon spät am Abend.
Er stand am Fenster und schaute gedankenverloren hinaus.
Hinaus über die Stadt - allerdings ohne etwas wahrzunehmen.
Sein Zimmer lag, hoch über den Dächern, in einem fremden Hotel, in einer fremden Stadt, weitab von zu Hause, in einem fremden Land.
"Zu Hause!" Er blickte über die Dächer der Stadt.
"Wo war sein zu Hause, sein Heim?"
Resigniert wiegte er seinen Kopf in Richtung der Stadt unter ihm.
"Vor allem, was war das? Zu Hause!"
Er schob die trüben Gedanken beiseite weil er wusste, dass die Antworten auf diese Fragen schmerzhaft sein würden.
Das was er tat, war früher seine Berufung gewesen.
Heute jedoch, war es nur noch ein Job wie jeder andere.
Der aufregende Zauber war längst verflogen und der Kreis in dem er sich nun bewegte, zog sich unbarmherzig immer enger um ihn.
Es war sein Metier, ständig unterwegs zu sein.
Seine Aufgaben trieben ihn unablässig vorwärts, doch von der anfänglichen Begeisterung war schon längst nicht mehr viel zu spüren.
Geschäfte und Verhandlungen, Gespräche, Erfolge und Misserfolge wechselten sich dabei miteinander ab. Ab und an ein geschäftliches Essen brachte vielleicht einen Hauch von Wohlbehagen in seinen Alltag. Doch es war eben nur ein Hauch, der schnell wieder verwehte.
Seine Gesprächspartner waren dabei durchaus stets kultivierte Menschen, aber eben immer auch auf ihren eigenen Vorteil bedacht.
Selbst bei dieser vermeintlichen Gemütlichkeit musste er stets wachsam bleiben.
So war der Job! So war sein Leben!
Es war ausgefüllt mit Arbeit und Reisen und wieder Arbeit.
Seit Jahren!
Und dann gab es da noch diese ruhigen Momente.
Augenblicke wie diesen!
Vor allem jene Stunde des Abends, während dieser das Licht der Dunkelheit wich und die Nacht herein brach.
Dann wurde ihm seine Einsamkeit umso schmerzlicher bewusst.
Er stand am Fenster, hoch über den Dächern der Stadt, und blickte wehmütig dem Streifen letzten Tageslichts nach.
Doch all sein Seufzen half nichts!
Das Licht verschwand unweigerlich hinter dem Horizont und mit der Dunkelheit kroch ihm die Kühle seiner Einsamkeit allmählich bis über den Nacken hinauf.
Er war allein!
Überall und Nirgends zu Hause!
Überall geachtet aber nirgendwo geliebt.
Jetzt, fernab jeglicher Tätigkeit, jeglicher Geschäfte, spürte er die Einsamkeit fast körperlich.
Er dachte unweigerlich an das Alter und die kommenden Jahre.
Obwohl die Fenster geschlossen waren fröstelte ihm bei dem Gedanken an seine künftigen Zeiten.
Aus der Kühle in seinem Nacken wurde Kälte!
Einmal mehr erkannte er die verhängnisvolle Spirale, in deren Mitte er gnadenlos gefangen war.
Jeden verdammten Abend wurde sie von der unsichtbaren Hand des Schicksals ein Stück weiter gedreht und er hatte keinen blassen Schimmer, wie er diesem Gefängnis entfliehen konnte.
Die Furcht kroch nun mit Gewalt in ihm hoch und begann, von seinem Denken Besitz zu ergreifen.
Er kannte dieses fast panische Gefühl nur zu gut!
Diese beginnende Angst!
Noch hatte er die Kraft, dieser zu widerstehen … aber wie lange noch!?
Er atmete schwer und hielt den Blick starr nach außen gerichtet, ohne dort wirklich etwas zu sehen.
Doch dann begann die Ratio in seinem Hirn wieder die Oberhand zu gewinnen.
„Irgendwann würde er etwas dagegen tun müssen und sein Leben völlig neu beginnen!“
Er lächelte zaghaft in das Dunkel der Nacht. „… oder wenigstens ein klein wenig daran ändern ...“