# Schattenwelt
Heute Abend bin ich bei Dir eingeladen. *Du möchtest dich mal wieder mit mir treffen*, hast Du geschrieben. Es ist eine Weile her seit wir uns das letzte Mal sahen, und ich war sehr froh, von Dir zu hören.
Es ginge Dir gut schriebst Du. Das freut mich total und ich freue mich auch wirklich sehr auf Dich.
Ich parke auf der Straße vor Deiner Wohnung, schaue hoch zu Deinem Wohnzimmerfenster im zweiten Stock. Die Jalousien sind auf, die Gardinen offen. Aber es ist kein Licht zu sehen. Bist Du zu Hause? Es sieht so dunkel aus bei Dir.
Ich zücke das Handy und schreibe Dir: "*Bist Du da? Ich stehe schon vor dem Haus.*". Ich warte. Es beginnt leicht zu nieseln. Ungemütlich hier draußen denke ich.
*Bing*... eine Nachricht: "*Ja, bin da. Komm hoch, die Tür ist auf.*"
Ich gehe zum Haus. Die Haustür lässt sich aufschieben. Ich nehme die Treppe zur zweiten Etage. Deine Wohnungtür ist nur angelehnt. Ich drücke sie einen Spalt auf, trete langsam ein. Es ist dunkel in der ganzen Wohnung. Nichts zu sehen, außer ein wenig Licht von den Straßenlaternen, welches durch die aufgezogenen Fenster scheint.
Eine Schattenwelt denke ich in mich hinein. Es erinnert mich stark an mein altes Kinderzimmer. Auch da gab es eine Straßenlaterne direkt vor dem Fenster und ich habe jede Nacht zwischen den Schatten verbracht. Wenn ich nicht schlafen konnte habe ich stundenlang an die Decke gestarrt und die Schatten beobachtet. Ich fand das toll. Gemütlich. Hell und Dunkel. Ich fühle mich spontan wohl in dieser Athmosphäre.
"*Hallo ... Wo bist Du?*" flüstere ich. *Warum flüsere ich?*, denke ich. Vermutlich weil es so leise und dunkel ist?. "*Hier bin ich*" flüsterst Du aus dem Wohnzimmer zurück.
Ich trete ein, schaue mich um. Na ja, ich versuche es. Es ist wirklich sehr finster, und meine Augen sind noch an das Licht im Treppenhaus gewöhnt, was automatisch anging. Aber langsam erkenne ich schemenhaft Umrisse. "*Ich bin hier auf dem Sofa. Setz Dich, aber bitte lass das Licht aus, es ist gerade so schön gemütlich im Dunkeln.*".
Es ist sehr warm in Deiner Wohnung. Ich ziehe meinen Hoodie aus. T-Shirt reicht. Dann taste ich nach der Couch und mache es mir bequem. Es herrscht Stille. Es ist nichts zu hören. Wenn ich mich anstrenge, kann ich Dich atmen hören.
Ja, Du lebst denke ich um schmunzel in mich hinein.
"*Was machst Du?*" will ich wissen.
"*Nichts*", erwiderst Du, "*ich sitze hier einfach nur und genieße die Stille. Es ist so herrlich. Ruhe. Das war heute wieder ein anstrengender Tag im Büro und nun bin ich dankbar für die Stille. Mal nicht 10 Leute reden hören in einem endlosen Meeting. Ich habs echt gehabt. Wenn es Dich nicht stört, leiste mir einfach nur Gesellschaft. Schön, dass Du da bist!*".
Ich atme aus.
Recht hat sie denke ich. Es ist wirlich sehr schön gerade. Langsam gewöhnen sich meine Augen an die Dunkelheit. durch das große Fenster kommt Licht von draußen herein. Die Bäume im Vorgarten werfen ihre Schatten an die Wand hinter dem Sofa. Ein Eck-Sofa. Du sitzt mir schräg gegenüber, so 3 Meter von mir. Weit genug, sodass Du im Schatten verschwindest und ich beim besten Willen nichts sehen kann.
"*Kannst Du mich sehen?*" willst Du wissen. "*Nein, nicht wirklich*" antworte ich. "*Du mich?*" - "*Ja.*" sagst Du, "*Ich sehe dich gut. Die Laterne wirft Licht auf Dich.*".
Eine ganze Weile sitzen wir so da. Wir reden nicht. Wir genießen die Stille. Wir schauen dem Schattenspiel der Bäume an der Zimmerdecke zu.
"*Ich bin eben nach Hause gekommen und unter die Dusche gehüpft.*" erzählst Du leise. "*Ich wollte mich eigenlich nur kurz hier hersetzen und mich dann fertig machen, bevor Du kommst. Das hab ich aber nicht mehr geschafft. Ich sitze hier immer noch mit meinen Handtüchern. Eins um die Haare und in einem bin ich eingemümmelt. Entschultige. Ich hatte einfach keine Kraft mehr und das Sofa hat mich nicht mehr losgelassen. So sitze ich hier bestimmt schon seit einer Stunde und bin eben nur schnell auf, um die Tür zu öffnen. Wenn es Dich nicht stört, bleibe ich hier einfach so sitzen.*".
*"Stören" ist wohl das falsche Wort*, denke ich bei mir. Die Vorstellung, das Du da frisch aus der Dusche nur mit einem Handtuch bedeckt sitzt, die ist nicht gerade *störend*. "*Nein, passt schon, mach Die keinen Stress, alles gut. Du kannst da so sitzenbleiben, so lange Du willst. Wegen mir brauchst Du nie wieder aufstehen.*". Ich spüre Dich schmunzeln. "*OK*" sagst Du.
Wieder herrscht Stille. Wieder eine gefühlte Ewigkeit. Ich wage es nicht, Dich zu stören. Du scheinst die Ruhe zu brauchen. Ich gönne sie Dir. Die ganze Szenerie hat was entschleunigendes. Mein Tag war auch nicht gerade einfach und ein wenig Ruhe tut auch mir gut. Ich sacke weiter in das Sofa, nehme mir ein Kissen. Ich bin so frei, ziehe die Schuhe aus und schlage meine Füsse übereinander. Ich mache die Augen zu. Nein, ich schlafe nicht ein oder so. Ich genieße einfach nur dieses Nichts, was sich da um mich herum breit gemacht hat.
Minuten vergehen. Eine völlig zeitlose Szenerie in diesem Raum. Angenehme Geborgenheit. Alle Sorgen ganz weit weg. Herrlich.
So kann es noch Stunden weiter gehen denke ich.
Ich will nie wieder weg hier.
"*Ich finde das aufregend*" sagst Du plötzlich.
"*Was denn?*" will ich wissen.
"*Du kannst mich nicht sehen und ich bin hier nur mit einem Handtuch bedeckt. Das finde ich aufregend. Dann diese Stille. Die Dunkelheit. Alles irgendwie. Ich mag das gerade sehr.*".
Mein Herz fängt an zu rasen. Ich bin nicht sicher, wohin das hier gerade führt, aber ich spüre wie in meinem Körper eine enorme Anspannung aufkommt. Ich schlucke. Du scheinst es zu hören, flüsterst weiter:
"*Ich will Dich nicht in Verlegenheit bringen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob das gerade eine so gute Idee ist, Dir das so offen zu sagen. Aber ich finde die ganze Athmosphäre hier gerade wahnsinnig erotisch. Es tut mir leid, wenn ich da zu direkt oder zu offen bin. Ich hatte nur das Bedürfnis, Dir das zu sagen.*"
Stille.
Ganz leise, geradezu schüchtern fährst Du fort: "*Um ehrlich zu sein: Ich finde es auch aufregend, Dir das zu erzählen. Ich bin mir nicht sicher, was Du denkst, bin unsicher, aber das macht mich gerade an. Mein Ganzer Körper kribbelt. Ich genieße das Gefühl, mich hier gerade selber in Verlegenheit zu bringen. Ich weiß auch nicht, ist irgendwie mega spannend.*"
Ich weiß nicht recht, was ich sagen soll. Was erwartest Du von mir? Was soll ich machen? Oder auch lassen? Ich will deine Stimmung nicht durch eine ungeschickte Aktion kaputt machen. Also bleibe ich einfach still sitzen und hauche "*Es ist OK, genieße das Gefühl. Ich habe gerade Schmetterlinge im Bauch und das ist ein tolles Gefühl. Erzähl weiter.*"
"*Ich bin jetzt mal sehr mutig: ... Wenn alleine wäre, dann würde ich mir wohl nun den Finger geben, ich bin gerade extrem in Stimmung. Und ich kann nicht glauben, dass ich das gerade laut ausgesprochen habe.*".
Stille. Lange Stille.
Du sitzt in Deiner Ecke der Couch.
Was ist da gerade passiert? Wieso habe ich das bloß gesagt denkst Du Dir. Jetzt ist es Dir peinlich und Dich überkommt ein extremes Schamgefühl. *Wir sind ja kein Paar oder sowas, wie kann ich mich da bloß so reinsteigern gerade?*. Und dennoch: Du magst dieses Gefühl. Deine Nerven liegen völlig blank.
Wenn es nicht so dunkel wäre, man könnte sehen wie rot ich bin denkst Du Dir.
Was er nun wohl von mir denkt, was wohl in seinem Kopf vorgeht?
Ich breche die Stille: "*Soll ich lieber gehen?*" frage ich zaghaft. Ich meine es eigentlich eher höflich. Natürlich will ich nicht gehen. Diese aufgeheizte Stimmung, das ist ein tolles Gefühl. Ich will bleiben!
Ruhe.
Dir tut alles weh. Jede Faser Deines Körpers ist angespannt. Deine Lust ist nicht mehr auszuhalten, ebenso wie Deine Angst vor dem was Du am liebsten jetzt machen würdest. Du brauchst ganz dringend Entspannung. Du bist hin und her gerissen. Es zerreist Dich förmlich.
Oh scheiße denkst Du, und fasst all Deinen Mut zusammen.
Viel schlimmer kann es sowieso nicht mehr kommen.
Ängstlich sagst Du: "*Würdest Du bei mir bleiben? Ich fände es schön, wenn Du mir Gesellschaft leistest.*"
Mein Herz pocht, ich kann kaum mehr atmen.
"*Ich bin bei Dir. Aber ich kann Dich nicht sehen.*" sage ich.
"*Das brauchst Du auch nicht.*" sagst Du. "*Hör nur zu.*"