Beim Stöbern auf ihrem Profil fand sie ihn wieder, den Kommentar zu einem ihrer Fotos, das sie mit ihrem ersten Eisbecher des Jahres zeigte. Das Lied „Gelato al limon“ von Paolo Conte. Gleich mal draufgetippt, noch mal hören. Während sie die Augen schloss, jeden Ton hörte, die wunderbar raue und tiefe Stimme genoss, kamen ihr die gleichen Gedanken wie damals in den Kopf. Ihr Traum …
Sie sitzen zu Hause im Garten, in der Strauchhöhle, die sie sich in die verwilderte Ecke geschnitten haben, und essen Eis. Sommer, Sonne, Hitze, so gut wie nichts an.
Diesmal gibt es aber Zitroneneis, frisch und doch ganz schön sauer. Er hat es zum Probieren mitgebracht. Mal was Neues, hat er gemeint, nicht dieses süße, schwere Schokoladeneis, das sie immer mit Eierlikör genießen. Als Beigabe zum Eis gibt es Limoncello, wie passend.
Beide liegen halb in ihren Gartensesseln, Rückenlehne nach hinten gestellt, Beine hoch, Eisbecher in der einen Hand, nahe an ihren Mündern, langstieliger Eislöffel in der anderen Hand, und versuchen, das Eis möglichst ohne Kleckern mit dem flachen Löffel vom Becher in den Mund zu befördern. Klappt nicht immer. Die Tropfen werden aber sofort mit den Fingern weggewischt und aufgeleckt.
Aber der letzte Löffel … Sie ist voller Gier, alles muss rauf auf ihn. Ein großer Brocken Zitroneneis, er schwimmt im Zitronenlikör. Kurz bevor der Löffel in ihrem Mund ankommt … platsch … landet alles auf ihr, unter ihrem linken Schlüsselbein. Der Mann kann das „Platsch“ förmlich hören und schaut auf.
Da liegt der kleine, kalte Berg auf ihrer Haut, kommt ins Rutschen, ganz langsam. Und wird aufgehalten von ihrem Brustansatz. Für eine Weile sieht es so aus, als ob das Eis sich nicht entscheiden kann, welchen Weg es nehmen möchte. Links zur Achselhöhle, um dort ganz einfach zu verschwinden? Oder rechts zwischen ihre beiden heißen Berge, um es vielleicht noch bis zum Bauchnabelteich zu schaffen? Fast ist der Beobachter geneigt, Wetten abzuschließen, wie frivol der Eishappen wohl sein wird.
Sie bewegt sich nicht, hält ganz still, ist genauso neugierig … ja, nach rechts! Sie lächelt. Da zieht der Miniberg seine dünne Spur nach unten, wird immer kleiner und winziger, bis er kaum mehr zu erahnen ist. Nur der glänzende Streifen ist noch zu sehen.
Der Mann steht auf, kniet sich vor ihrem Stuhl nieder, lächelt sie an. „Wir wollen mal das leckere Eis nicht verschwenden,“ sagt er, beugt sich über sie und leckt den Streifen von geschmolzenem Zitroneneis ab, sehr gründlich.
Ob dieser letzte Löffel Eis es bis in den Bauchnabel geschafft hat, wissen wir nicht. Aber die gierige Zunge ist noch viel weiter hinunter gegangen. Sehr langsam, sehr genüsslich für beide …
Gut, dass diese Strauchhöhle im Garten für die Nachbarn so uneinsehbar ist. So muss sie nur aufpassen, lautlos zu bleiben. Diese Aufgabe hat sie nur noch mehr gekickt …
Ihr Traum von „Gelato al limon“. Gute vier Minuten lang ist dieses Lied von Paolo Conte. Vier Minuten Gänsehaut nicht nur durch seine Stimme, sondern auch durch diesen Traum …