Träumst Du?
Natürlich tust Du das.
Ich tue es ja auch.
Aber ich spreche nicht von einem vorbeihuschenden Tagtraum, der durch einen äußeren Reiz oder die spontane Kreativität deiner Fantasie getriggert wird.
Ich spreche vom echten Träumen, des nachts, auch wenn wahrlich nichts so wenig echt sein kann wie ein Traum, selbst, wenn man sich an ihn erinnern mag. Doch genau so wie ich erinnerst Du Dich eben nur selten daran, was in der Nacht geschah, irgendwo in Deinem Kopf.
Manchmal wachst Du morgens auf, schweißgebadet, und wunderst Dich, was Dich wohl beschäftigt haben mag bis Deine Augen sich öffneten. Oder es hat Dich gerade aus der Handlung herausgerissen, Du warst voll drin und dass du gerade erwacht bist, fühlt sich weniger real an als das, was noch einen Moment zuvor geschah. Vielleicht wechselst Du, was du noch anhast, oder du bist zu müde dazu, orientierungslos.
Wenn du deinen Schlaf fortsetzt, wirst du sicher nicht an eben dieser Stelle weiter träumen, an der du einen unfreiwilligen Halt eingelegt hast. Wenn es kein schöner Traum war, ist das auch recht so. Doch wenn du es genossen hast, und die unfreiwillige Unterbrechung bedauerst, wird dir der Wunsch nach einer nahtlosen Fortsetzung des geträumten mit ziemlicher Sicherheit verwehrt.
Aber nicht bei mir. Vergangene Nacht.
Selten habe ich Träume, an die ich mich lebhaft erinnern kann. Noch seltener sind es Träume, die es Wert sind, sich überhaupt an sie zu erinnern, oder die derart auf etwas fokussiert sind, dass ich hinterher sagen könnte, worum es sich tatsächlich gedreht hat.
Ungeachtet der Szenerie, die recht unscharf in meinem Bewusstsein hängen geblieben ist, ist die Frau, die in meinem Tiefschlaf in Erscheinung trat, umso schärfer umrandet und mir über alle Maßen hinaus noch immer präsent. Aschblondes, kinnlanges, glattes Haar, Sidecut. Grüne Augen, ein Mund, der förmlich zum Küssen einlädt, der Körper eine Sinfonie an an den richtigen Orten platzierten Rundungen. Ich glaube, sogar ihren Geruch wahrgenommen zu haben.
Die Handlung, wenn auch nicht wie vielleicht vermutet sexueller Natur, entbehrt nicht einer gewissen Erotik und einem Knistern, das in der Luft ihrer Wohnung liegt, von der ich nicht weiß, wie ich dorthin gelangt bin, oder was sich bereits abgespielt haben mag. Ich folge ihr in das Bad, wo sie mich berührt und sich ihre Lippen an meine schmiegen zu einem intensiven Kuss.
Ich erwache mit einer spürbaren Erregung, erhöhtem Puls, und einer beschleunigten Atmung, und schon wenige Momente später sehe ich die Szenerie noch vor meinem geistigen Auge. Ich schließe sie und hoffe, es möge an jener Stelle weitergehen, doch mein Wunsch bleibt unerfüllt.
Als ich einige Stunden später durch das Piepsen des Weckers unsanft aus dem Schlaf geholt werde, ist mir dieser Traum immer noch präsent. Diese Frau.
Morgentoilette, Frühstück, der Weg zur Arbeit, alles liegt unter einem Dunst von Erinnerung an sie verborgen. Es nimmt mich mit, macht mich fertig.
Auf der Straße suche ich nach ihr, im Glauben, es sei ein Wink des Schicksals gewesen, und aus meinem Traum wird noch heute Wirklichkeit.
Ich halte an der Erinnerung fest, doch jede erlebte wache Stunde überschreibt nach und nach mein gedankliches Kontingent an Vergangenem, und so muss ich mit Bedauern feststellen, dass die Erinnerung mehr und mehr verblasst, und mein Traum von Frau in immer weitere Ferne rückt, verdrängt von dem, was wir Realität nennen.
Als ich mich am späten Abend ins Bett begebe, rede ich mir ein, heute wieder von ihr träumen zu können. Ich bitte mich selbst, von ihr träumen zu dürfen. Doch wenig überrascht muss ich mir am nächsten Morgen eingestehen, daß ich mich selbst enttäuscht habe. Die Erwartung war zu hoch, obwohl es mein Geist in der Nacht zuvor geschafft hat, mich zu überraschen, und mich tagsüber noch mit der Nacht zu beschäftigen; eigentlich ist es umgekehrt.
Ich bleibe zurück und frage mich: Gibt es Dich da Draußen, Traumfrau? Oder bleibst Du doch ein Traum von Frau?