"Skal jeg kysse henne?" Ana und Maria lachten, während sie versuchten meinen Gesichtsausdruck zu deuten.
Wenn sich meine Gedanken aus meiner Mimik ablesen ließen - was normalerweise immer der Fall war und regelmäßig nachteilige Konsequenzen für mich hatte ("Nein, ich bin NICHT gelangweilt von Dir…wie kommst Du denn…ok…Du hast Recht.") - dann sollten sie zwei Dinge erkennen:
Erstens: "Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon ihr beiden gerade sprecht…aber "kysse" klingt gut!"
Zweitens: "Ich unterhalte mich seit ungefähr einer Stunde angeregt mit der Norwegerin und der Finnin aus meiner Volkswirtschaftsvorlesung. Am Dienstagabend, in der beliebten Studentenkneipe. Maria hat ihre letzte Woche, dann geht’s für sie wieder zurück in die kalte Heimat. Wein und der ein oder andere chupito sind bereits geflossen. Flirtet ihr beiden WIRKLICH mit mir oder bin ich zu betrunken?"
Wir drei hatten uns auf Anhieb gut verstanden - trotz oder vielleicht sogar wegen der anfänglichen Kommunikationsschwierigkeiten, die Erasmusstudenten als Nicht-Muttersprachler nunmal so miteinander haben. Das kollektive Nicht-Verstehen der spanischen Makroökonomie-Vorlesung hatte uns von Anfang an zusammengeschweißt, und so entstand im vergangenen halben Jahr eine lockere Freundschaft mit vielen gemeinsamen Ausflügen. Ich fand beide von Anfang an sehr attraktiv - die Finnin Ana mit ihren beinahe 1,80m als geradezu unglaubwürdig klassische Vertreterin der Nordeuropäischen Schönheit (blond, blauäugig, bestens ausgestattet) und im Gegensatz dazu die kleine Norwegerin Maria mit heller Haut, dunkelen kurzen Haaren und wunderschönen rehbraunen Augen. Aber beide hatten ihre Freunde in der Heimat, und so blieben meine Fantasien mit ihnen in unregelmäßigen Abständen Teil meines abendlichen Kopfkinos.
„Tut mir wirklich Leid, aber ich versuche gerade noch Spanisch zu verstehen…Norwegisch ist dann der nächste Level!“ meinte ich mit nur leicht ironischen Unterton auf Englisch. Mittlerweile war uns als Erasmus in Spanien zumindest Englisch als Basis so vertraut, dass wir es flüssig sprechen und verstehen konnten.
„Was hälst Du davon, wenn Maria Dir und mir in unserer WG noch ein paar Grundlagen der norwegischen Sprache beibringt? Fleißige Schüler können auch noch eine Belohnung abstauben…Ab nächster Woche ist sie nunmal weg - und wir sind beide der Meinung, dass sie nicht gehen kann, ohne dass Du wenigstens einmal bei uns gewesen bist.“
Mein Herz schlug mit einem Mal so schnell, dass ich Angst hatte trotz meiner 22 Jahre an Ort und Stelle tot umzufallen. Und das wäre nun mindestens in zweifacher Hinsicht sehr schade gewesen: so jung zu sterben - und das dann auch noch ohne die Erfahrung erlebt zu haben, die ich gleich machen würde…
Also versuchte ich meine Überraschung und Nervosität mit perfekter Coolness zu überspielen - was aufgrund meiner Mimik sicherlich grandios scheiterte - und antwortete trocken: „Ja, das klingt nach einem wirklich guten Plan. Eigentlich wollte ich eh immer lieber nach Oslo als nach Madrid! “ Beide lachten. „Siehst Du, das hatten wir uns schon gedacht! Aber dann wären wir Drei uns nie begegnet - oder nur mit unseren Freunden im Anhang….Also dann, lass uns zahlen und dann gehen wir schnell zu uns.“
Auf dem Weg zu ihnen tuschelten die beiden unentwegt. Ich hatte das Gefühl, dass sie mich von oben bis unten musterten. Oder war es doch ein chupito zuviel und mein Selbstvertrauen und meine Fantasie gingen mit mir durch?!
Als wir wenig später in ihrem WG-Zimmer auf dem kleinen Sofa saßen - alle mit einem Gin Tonic in der Hand - sagte Maria zu mir: "Ana und ich haben heute beschlossen, dass wir etwas ganz Besonderes miteinander erleben wollen. Du darfst uns dabei zuschauen - und später vielleicht daran teilnehmen - wenn Du erstmal brav wartest. Hast Du mittlerweile eine Idee, was "Skal jeg kysse henne?" bedeuten könnte?" "Ich weiß es nicht, aber…vielleicht zeigst Du es uns beiden mal? Ich lerne schnell…" Sie grinst, sieht Ana kurz tief in die Augen und zieht sie dann zu sich um sie leidenschaftlich zu küssen.
Es passiert. Es passiert wirklich. Ich bin der König der Welt, zumindest für die nächsten Stunden. Auch wenn ich Lust hätte, sofort mit ihnen mitzuspielen, herrscht mein Über-Ich mein Unter-Ich an, das Spektakel noch einen Moment bewusst zu genießen. Die Gitterstäbe, die das Tier in mir noch zurückhalten, schmelzen allerdings dahin wie Butter im August in Madrid. Aber ich schaffe es tatsächlich, meinem Verstand zu gehorchen…zumindest für einen kurzen Moment…