Sommerliches Frühkonzert in drei Akten
Die ersten hellen Strahlen fallen durch den schmalen Spalt des nicht ganz geschlossenen Vorhangs.
Die Geräusche des morgendlich dämmernden Tages dringen durch das geöffnete Fenster.
Etwas schlaftrunken und unbeholfen betritt der Gartenrotschwanz die Bühne, schüttelt sich und plustert sein noch müdes Gefieder.
Mit düsterem Blick schaut er ungehalten von rechts nach links, zur Uhr und wieder vom rechten zum linken Bühneneingang.
Resigniert zuckt er die Schultern, richtet sich mit geschwellter Brust auf und eröffnet das Konzert.
Sein Gesang ist schwermütig mit lieblichen und trillernden Anteilen, es ist halt noch früh am Morgen.
Ein plötzliches Rumpeln und Pumpeln ist hinter den Kulissen zu hören. Vollkommen abgehetzt stolpert das Rotkehlchen auf die Bretter, die die Welt bedeuten.
Der Gartenrotschwanz wendet seinen Kopf und denkt bei sich: jeden Tag das Gleiche, immer diese obligatorischen zwanzig Minuten. Vielleicht sollte er heimlich den Wecker des Rotkelchens vorstellen.
Er tritt aus der Mitte einen Schritt beiseite, damit das Rotkelchen neben ihm Aufstellung nehmen kann. Er seufzt, holt tief Luft und beginnt sein Lied von neuem.
Das Rotkelchen begleitet ihn nun - vom schlechten Gewissen geplagt, mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf - mit einem schwermütig absinkenden Gesang: mit Perlstrophe, Triller und Pfiffen. Gemeinsam gestalten sie den ersten Akt.
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Ein schrilles Läuten kündigt das Ende der Pause an. Die Besucher strömen wieder in den Konzertsaal und nehmen - auf den riesigen, bequemen, darinversinkenden und im kuscheligen Ohrensessel mit ausklappbarem Fußteil - Platz.
Der Hauptvorhang öffnet sich, der Gartenrotschwanz und das Rotkehlchen überqueren die Bühne und beziehen auf der rechten Seite, die ihnen vorgegebene Position.
Ein Amsel-Paar, mit seinen auffällig gelben Schnäbeln, hüpft auf die Bühne. Das Männchen, ganz in schwarz gekleidet, trägt einen gelben Augenring. Das Weibchen ist mit einem schwärzlich-braunen Gewand mit gefleckter Kehle bekleidet - da hat sie anscheinend heute Morgen den Kaffee darüber gekleckert.
Sie stimmen einen Gesang mit reinen, flötenden Tönen in musikalischen Strophen an. Nach einer Weile werden sie von den beiden Sängern des ersten Aktes begleitet.
Schnurrend und in niedriger Höhe kommt der Zaunkönig auf die Bühne geflogen.
Vor Erregung steltzt der kleine zimtbraune Vogel mit dem Schwanz.
Für seine winzige Körpergröße hat er ein ungewöhnlich lautes Stimmorgan. Noch etwas verunsichert beginnt er leise sein Lied. Ein dynamischer Gesang - der aus einer Mischung von melodischem Schmettern mit Trillern und einem Endtriller besteht.
Das Kohlmeisen-Quartett gesellt sich drängelnd und schubsend zu den anderen Sängern, als größte Meise Mitteleuropas muss man sich anscheinend so aufführen.
Bei der Anmeldung schienen sie sich wohl auch in der Veranstaltung geirrt zu haben. Das Catering verführte sie zu zänkischem Verhalten.
Nachdem sich die Lage beruhigt hatte, beendeten alle gemeinsam den zweiten Akt.
Die Kohlmeisen tragen dabei ihr großes Stimmenrepertoire vor, indem sie viele andere Meisenarten imitieren. Am häufigsten ist ein „zerretetet“, ein „tit-tetete“, ein „zizizizrrr“ oder ein läutendes „tizi-bäh“ zu hören.
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Die zweite Pause ist beendet. Und das Publikum hat mittlerweile erneut den riesengroßen, weitläufigen Konzertsaal bis auf den letzten Platz gefüllt.
Es ist mucksmäuschenstill, nur von einigen peinlichberührten Räuspern bzw. Hüsteln unterbrochen.
Im Schneckentempo hebt sich der Hauptvorhang, das Ensemble steht in Formation auf der Bühne und stimmt zum einvernehmlichen Gesang an.
Ein wenig desorientiert - ständig an sich herunter blickend und am Gefieder nestelnd - postiert sich der Zilpzalp auf der Vorbühne.
Ein gelblicher Streif verläuft über seinen Augen und er hat sehr dunkle Füße, die ihn vom Fitis unterscheiden.
Zu den Flanken hin hat er das beige Outfit gewählt, für die Oberseite die olivbraune Variante und an der Unterseite ist ein helleres und gelbverwaschenes Etwas zu erkennen - da hat wohl jemand das falsche Programm der Waschmaschine gewählt.
Als er erkannt hatte, dass er an seinem heutigen Aufzug nichts mehr ändern konnte, rang er sich dazu durch, mit seinem Vortrag zu beginnen.
Kleinlaut und mit geknicktem Selbstwertgefühl schmettert er das charakteristische und unverwechselbare „zilp-zalp-zilp-zalp“ in die Runde. Er schlägt in typischer Art und Weise seinen Schwanz nach unten.
Den Chor bildet die hohe Population der Spatzen. Die vermeintlich Vornehmeren unter ihnen bezeichnen sich lieber als Haussperlinge, obwohl sie auch nur zum Proletariat gehören.
Noch dem Rausch der letzten Nacht fröhnend, halten sie johlend und gröhlend Einzug und begeben sich in den hinteren Bühnenbereich.
In einer arhythmischen La-Ola-Welle schunkelnd, stimmen sie ihr allgemein bekanntes typisches „schilp-tschilp“ an. Lallend und krakeelend tschilpen sie - in einer übermächtigen Lautstärke - alle anderen Akteure in Grund und Boden.
Betreten, teils echauffierte Blicke zu den Spatzen werfend, schauen die anderen Orchestermitglieder verlegen zu Boden. Solch ein Verhalten, welch eine Schande.
Vollkommen unbeeindruckt dieser Szenerie trippelt der Buchfink mit ruckartigen Kopfbewegungen auf die Bühne. Ein Verhalten, dass doch noch zu denken aufgibt.
Sein blauer - sonst hornfarbener - Schnabel verblasst. Es ist das Ende der Brutzeit. Nun wird auch sein merkwürdiges Verhalten klar, denn er befindet sich auf der Nahrungssuche. Er selbst ist Körnerfresser, füttert aber seine Jungen mit Insekten.
Abgelenkt durch diese Tätigkeit gelangt sein bekannten Finkenschlag - ein schmetternder Gesang mit einer abfallenden Strophe und einem betonten Schlussteil, der in etwa wie „didüdüdüdüdüduritju“ klingt - nur verschwommen in die Ohren des aufmerksamen Publikums.
Das Orchester bewegt sich voneinander weg, so dass sich in der Mitte ein Spalier vom vorderen zum hinteren Bühnenteil bildet. Das Licht wird gedämpft bis es fast ganz dunkel ist.
Es herrscht Totenstille. Gespannt und erwartungsvoll hält das Publikum den Atem an.
Der Mittelvorhang öffnet sich zentimeterweise und behäbig im Sekundentakt.
Das plötzlich gleißend helle Licht der mit einem lauten „knack“ eingeschalteten Scheinwerfer blendet die weitpupilligen Augen schmerzhaft.
Sekunden, die wie Minuten erscheinen, vergehen. Langsam fährt der Bühnenlift nach oben und wie es sich für ihn geziemt, betritt der Star die Bühne.
Gemächlich schreitet er auf die Brücke und schaut gönnerhaft mit nickendem Kopf in die Runde.
Das Orchester stimmt leise seine Melodie an und der Star präsentiert seinen Part. Sein Gesang wirkt wie ein bauchrednerisches Geplauder, bei dem er viele Gesangselemente anderer Vogelarten imitiert.
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Als sich das versammelte Orchester vor dem Publikum verneigt, fordert dieses lautstark im Chor eine Zugabe.
Ein erstauntes Raunen geht durch das ratlos umherblickende Orchester. Eine Zugabe hatte bisher noch niemand eingefordert. Eine spontane aber sinnvolle Notlösung musste her, und zwar schnell.
Der Buntspecht, ein wahrer Langschläfer, hatte seine Stimme noch nicht erklingen lassen. Schnell wurde nach ihm geschickt.
Erhobenen Hauptes - ja sogar kerzengerade - stolzierte er, stets die vielfältigen Farben seines bunten Gefieder präsentierend - in die Mitte der Bühne.
Sein sonst harter „kicks“-Ruf, wurde von einem balzzeitbedingten, heiseren „rährähräh“ abgelöst.
Aufgeregt und mit einem markanten „gick-gick“ mehrmals aneinandergereiht, setzt er mit seinem Schnabel zu einem temperamentvollen, sehr schnellen kurzen Trommelwirbel auf trockenen Zweigen an.
Ein ungewohntes unrhythmisches Pfeifen „pfüh-pfoh“ unterbrach diesen spontan einsetzenden Wirbel. Das Pfeifen bot die Möglichkeit einer Erklärung für diese unverhoffte Perkussionsdarbietung.
Herr Nachbar tritt seinen täglichen Weg zur Arbeit an. Zuvor ist er allerdings bemüht, seine beiden Stubentiger nach Hause zu locken.
Bei dieser Auswahl an Delikatessen - zumal auf den benachbarten Grundstücken genügend Mäuse ihre unterirdischen Tunnelsysteme angelegt haben - wird er wohl schlechte Karten haben. Frischfleisch ist besser als Dosenfutter.
© majberlin im Juli 2013