Traum
Nachts ist es am schlimmsten. Da kriecht es hoch. Unhörbar. Gut getarnt. Es kriecht auf dich. Langsam. Bedächtig. Hat alle Zeit der Welt. Nichts anderes treibt es als die Gier. Verschlingen will es, denkst du, wenn du zum Denken kommst. Schon ist es unter deiner Bettdecke während du dich noch einmal herumdrehst und im Schlummer vor dich hinmurmelst. Irgendetwas. Traumschönchen. Träum schön. Träumst du schon? Du spürst es nicht, als es deine bloßen, kalten Füße berührt, sanft und sacht darüber züngelt. Eine Weile verharrt es dort, lässt dir Zeit. Zeit, dich zu drehen, zu murmeln, zu träumen. Und kriecht weiter. Harmlos. Warm. Dich einlullend. Du drehst dich herum. Es hört dein leises Seufzen. Und kriecht weiter, nachdem du keine weitere Bewegung vollführst. Schlängelnd sucht es seinen Weg. Durch dein Hosenbein. Nichts fühlst du. Keine Bewegung. Allenfalls beschleicht dich eine leichte Kälte, die dich kurz erschaudern lässt. Schlaf weiter. Sorgenfrei. Im Inneren des Hosenbeins ist es warm, gerade recht für das sich schlängelnde Wesen. Aber es ist nicht das Ziel. Es macht sich lang und kriecht weiter, während du schläfst und träumst. Den Traum der Gerechten. Oder Ungerechten. Auf jeden Fall gerechtfertigt. Denn müde bist du. Müde von des Tages Mühen. Dein Schlaf ist tief und fest. Kein Traum stört dich im Moment. Das nutzt das Tier. Leckt über deine salzige Haut. Spürt dich tief innen auf. Macht sich auf den Weg. Den Weg nach oben. Doch nicht ans Licht. Nicht alles was oben ist, ist auch hell und leuchtend. Sacht kriecht es weiter, überwindet deine Mitte. Macht sich breit mit aller Macht. Denn Macht hat es. Über dich. Du weißt es nicht. Du ahnst es nicht.
Murmelnd drehst du den Kopf zur Seite, legst dich auf den Rücken, die Arme weit ausgebreitet, als würdest du den Schlaf umarmen wollen, der dir so Nahe ist. Und zuckst zusammen. Krümmst dich im Traum, der wiederkommt und immer wieder. Tag für Tag sucht er dich heim. Und Nacht für Nacht. Es schlängelt sich weiter. Züngelt zufrieden über deinen Nabel, kostet dich und deinen Traum. Größer wird es. Und du träumst dich ängstlich voran. Willst erwachen. Krümmst dich und bist doch bewegungslos. Erschlagen wie du bist. Unfähig aufzuwachen. Stumm. Verzweifelt. Atemlos.
Es liegt auf dir in ganzer Pracht. Drückt auf deine Brust. Lähmt dich, hüllt dich ein. Nutzt dich als Bett und Brutstatt. Niemals wird es dich verlassen. Deine Träume werden dunkel. Immer dunkler und schneller zieht dich der Strudel mit. Ein Bannkreis Du kannst nicht erwachen.
Denn du bist wach.
So wach ist dein Verstand.
So leer sind deine Hände.
So leer ist auch dein Herz.
Gebrochen ist dein Spiegelbild
Dein Gegenüber war einmal.
Nun bist du einsam.
Mit der Schlange, die dich niederdrückt.
(c) Herta 9/2014
Wortwiederholungen sind in diesem Text durchaus gewollt. Allerdings würde ich gern wissen, ob das Gefühl, das ich zu beschreiben versuchte, auch erkennbar ist, deshalb in der Schreibwerkstatt.
Vielen Dank.
Herta