Endlich
Endlich„Endlich“… lechzte Michael, als ich nach seiner soundsovielten Einladung Ja sagte. Ich wusste im Grunde vorher, dass es nicht passen würde. Er holte mich ab und wir gingen ins „Running Sushi“.
Er liess kein gemütliches Schweigen zu.
Ich sah es förmlich rattern in seinem Kopf nach Interessantem, was er erzählen könnte. Fotosafari, Beförderung zum nächsthöheren Handlanger des Chefs, sein golden Retriever hätte eine seltene Krankheit, wäre aber bei Professor Wichtig in Behandlung. Natürlich bezeichnete er seinen neuen Z3 nicht als Schlampenschleuder, wie ich es insgeheim tat. Sportlich wäre er momentan voll auf der Höhe und neulich im P1 (kotz) hätte der Bär gesteppt. Zwei Promis, von denen ich nie gehört hatte, wären auch da gewesen (er lächelte souverän und nestelte an seinem superflachen Handy). Gerade hätte er Manuela, seiner Ex, großzügig die Ledersofas überlassen, ja, sie auch noch auf eigene Kosten hingefahren.
Um nicht laut aufzuschreien, zog ich schnell das Plexitürchen auf, hinter dem kleine Tellerchen mit Leckereien auf dem Laufband vorbeizuckelten und griff mir die Scampis in Knoblauchöl. TK, aber recht schmackhaft zubereitet.
Die Teller stapelten sich nach und nach vor uns. Seine Unterhaltungsbemühungen waren inzwischen bei Tante Käthe angelangt, die wahrlich ein schweres Schicksal hatte. „Und was ist mit Dir? Wie bist Du denn so drauf?“
Verschluck. „Wie ich drauf bin? Soll ich Dir von meiner Tante Käthe erzählen? Schweigen ist mir oft lieber als oberflächliches Gewäsch. Aber wie Du willst: Ich habe eine Hand voll Freunde/Freundinnen, die sich um mich kümmern und ich mich um sie. Uns kann untereinander nichts peinlich sein. Wir praktizieren wahres Menschsein. Das ist Liebe unter Freunden. Ganz entspannt.
Ich liebe Intensität. Und ich mag beim Sex gerne mal eins auf den Arsch. Ich will einen Mann, keine Maus. Einen, der mich am Arm packt und mit mir Tango tanzt. Egal wo wir sind. Beruf? Hab ich. In Deiner Welt macht er nicht viel her, aber er macht mir relativ viel Spaß und er bezahlt die Miete und die Mieder. Ich mag Katzen. Was willst Du noch wissen?“
Dieses dämliche Glotzen mit offenem Mund war mir dann doch zu viel. Ich schnippte einen Geldschein auf den Tisch, reichte ihm meine Hand - seine fühlte sich an wie eine kalte, gekochte Zuccini - stand auf und ging.
Nieselregen. Genau was ich brauchte. Er zauberte einen Glitzerschleier auf den roten Samt meines Kleides. Kühlte mein Gesicht und mein Gemüt. Laufen. Alleine sein. Aber ich wollte noch nicht nach hause.
Der gewaltige Kristall-Lüster im Schwabinger Wassermann glitzerte mir einladend durch das Fenster zu. Unter dem Stimmengewirr hörte ich Ray Charles´ Rainy night in Georgia immer klarer heraus.
Den einzigen freien Platz an der Bar reservierte ich mir durch einen Blick. Marc, mein Lieblingsbarkeeper, zwinkerte mir zu. „Myers Rum?“ Es war eine rhetorische Frage.
Er schenkte zwei ein. Den Einen stellte er lächelnd in meine Reichweite und ich verfolgte den Weg des Anderen. Die Hand, die ihn ergriff, war sehr männlich, aber auch feingliedrig. Seine Erscheinung war lässig: Schwarzes Jackett, graues Shirt. Wirre, lange, von Silbergrau durchzogene Locken umspielten ein eigenwilliges Gesicht. Die Lippen sehr sinnlich. „Schräg und traurig“ schoss es mir durch den Kopf. Tom Waits auf deutsch. Als ich in seine Augen blickte, wusste ich, dass er mich beobachtet hatte. Ich fühlte mich ertappt.
Aber ich war zu entspannt, um zu erröten. Langsam hob ich das Glas. Er tat es mir gleich. Es war eine klitzekleine Geste. Kein plumpes Zuprosten. Nein. Wir sahen uns an, während wir tranken. Ein Blick, der an Oberflächlichkeiten vorbei ging. Ich sah nur diese Augen. Und ich sah weiter hinein. Auch er erfasste mich bis in meine Seele mit diesem einen Blick. It could be sweet. Dieser Moment sprengte unser Zeitgefühl. Eine Sekunde? Minute? Stunde? Unser Innerstes verselbstständigte sich und trat in einen Reigen. Mir war, als erlebte ich längst vergangene Momente mit ihm erneut. Das Deja vuete auf Hochtouren. Wir waren uns auf geheimnisvolle Art vertraut. Ich war auf unerklärliche Weise verbunden mit diesem Fremden. Aus seinem Innersten brüllte es: Ich will Dich! Und ich schrie stumm zurück.
Und prompt klang aus den Lautsprechern „Ich will Dich!“ Plötzlich stand er neben mir und nahm meine Hand, sein Mund nur Millimeter von meinem entfernt. Was folgte war der Tanz. Als wäre es das Natürlichste der Welt. Ich fühlte mich sofort geborgen in seinen Berührungen, in dieser Umarmung und im gemeinsamen Ausleben des Moments. Es war Sex. Verlangen. Vertrautheit. Führung. Liebe. Sein Blick. Unsere Bewegungen. Mein Bein, das sich langsam um seines schlang. Die Atmosphäre war explosiv. Es war ein Wechselspiel von Dominanz und Hingabe. Er steuerte mich. Meine Lust. Genau dahin, wo ich schon immer sein wollte. Wenn sich meine Lider schlossen, um mich völlig hinzugeben, drehte er mich. Wild. Seine Augen funkelten scheinbar zornig. Er stampfte mit einem Fuß auf. Ich versuchte, meine Sinne zu ordnen. Tanzen. Nur tanzen. Mein Gesicht tat einen Ruck zur Seite. Kinn nach oben, den Blick gesenkt, versuchte ich, nichts zu sehen. Seine Hand umfasste meinen Kopf und drehte ihn langsam seinem Gesicht zu. Feuer. Feuer tanzten zwischen unseren Blicken. Seine Mine wurde sanft und er lächelte tief in mich hinein: Ich will Dich. Augenblitzen. Er zog mich eng an seinen Körper. Pupille vs. Pupille. Heißer Atem. Vibrierende Luft. Zwei Körper wurden zu Einem. Von dem Moment an war alles wie ein Traum. Wir spürten uns. Wir erfühlten unsere Gedanken und unsere Sinne. Wir waren eins. Seine Einsamkeit umklammerte die Meine, Lust rieb sich an Lust. Zwei Seelen erkannten sich wieder. Es waren keine Worte nötig. Nur fühlen. Nur zulassen. Dieser Tanz war Begierde, Wiedererkennen, Fallenlassen und Aufgefangenwerden.
Als der letzte Ton verklungen war, standen wir still. Eng umschlungen. Meine Hand in seiner geborgen. Er küsste mich. Ich erwiderte diesen Kuss als wäre er der Erste und auch Letzte in meinem Leben. Von diesem Kuss hatte ich lange geträumt. Oder hatte ich mich an ihn erinnert?
Hand in Hand gingen wir.
Seit dieser Nacht sind wir vereint. Tango. Endlich.
Subkulturkatze August 2006