Und weiter gehts!
„Rehab“ von Amy Winehouse tönte aus den in den Türverkleidungen versenkten Lautsprechern. „Hee, woher kennst Du das? Ich hätte ehrlich gesagt, so was wie My way von Sinatra erwartet.“
„Im Himmel ist doch nicht automatisch hinterm Mond, Süße! Wir kriegen durchaus mit, was sich so tut in der Musikbranche. MTV gibt’s oben auch!
Frankie war ein witziger Typ, konnte auch sehr gut singen, aber letztendlich hat er sich auch als Idiot geoutet. Du glaubst nicht, in welche Schwierigkeiten er mich gebracht hat.
Seit langem will er mich wieder angraben, aber ich hab dort oben ganz andere Typen, mit denen ich meine Zeit verbringe. Oh nein. Ich darf ja nicht darüber sprechen! Verrate mich bitte nicht, ok? Aber, mit Dir in die Twilight-Lounge zu gehen, ist meines Wissens nach nicht verboten. Da kannst Du sie alle treffen, ohne dass ich ein Wort über sie verliere!“ Wie ein Kind klatschte sie sich in die Hände und drückte mir ein Küsschen auf die Wange.
Der Wagen hielt und unser Chauffeur öffnete die Tür für uns. Staunend betrachtete ich das Haus, über dessen riesige, orangefarbene Plexiglaseingangstüre sich scheinbar lebendige Leuchtstoffröhren in Königsblau immer wieder zu anderen Worten verformten. Eben noch las ich „Twilight-Lounge“, aber schon schlängelten sich die blauen Glasröhren zu einem „Maximum Joy, Christine“, um sich abermals zu verformen und „Only tonight – Christines Angels“ über der Tür zu lesen war.
Der Türsteher lächelte uns an, als seien wir die Ehrengäste des Abends und die beiden Türflügel schwangen wie von selbst auf. Wir betraten einen riesigen Raum mit glänzendem Parkettboden. Um die Tanzfläche herum waren Tische mit Clubsesseln gruppiert und ich machte eine lange Bar auf der gegenüberliegenden Seite aus. Aber es war keine einzige Menschenseele zu sehen! Statt dessen flitzten bunte Lichter wild herum und an der Bar hüpften sie in großer Zahl auf und ab. Auf der Tanzfläche nahm ich ein Meer aus diesen Lichtern wahr. Sie umschlungen sich, hüpften aufeinander zu und drehten wilde Kreise zu Car wash von Rose Royce.
„Marilyn, wo sind denn die Leute? Nicht mal ein Barkeeper ist da!“
„Na, Du musst sie Dir herbeiwünschen, Dummerchen!“
„Wie herbeiwünschen? Und wen? Einfach irgendjemanden?“ „Nein. Der Wohnsitz muss auf alle Fälle, sagen wir, ein anderer als die Erde sein.“
„Toooote?“ entfuhr es mir ungläubig.
„Das Wort hören wir zwar gar nicht gerne, aber ja, Menschen, die den alten Körper auf der Erde gelassen haben, toben sich hier jeden Samstag aus. Am Montag geht nämlich wieder das Wolkenschieben los. Aber das kann Dir Kirschrot besser erklären. Dass Du als einzige mit Deinem Originalkörper ausgestattete hier sein darfst, verdankst Du nur dieser Lücke in der Himmelsordnung. Ich schätze, morgen werden sie den Text entsprechend ändern. Vielleicht brummen sie mir auch ne Extraschicht dafür auf, aber das ist mir egal. Jetzt lass uns Party machen! Heute ist heute und morgen ist, wenn ich mein Morgenhosianna gesungen habe! Wen willst Du sehen? Los, sag schon!“
„Elvis!“ „Puuuuhhhhh. Ok. Nervt uns zwar immer, dass Menschen bei Seancen immer wieder nach ihm brüllen und dass sie ihn angeblich in Wäschereien in Ohio, in Kartoffelchips oder in verschwitzten T-Shirts sehen, aber gut, wie Du willst.“
Ein Lichtlein fing richtiggehend das Glühen an, wurde größer und mit einem lustigen Plopp-Geräusch stand Elvis vor mir. Mein Mund klappte auf und ich war unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen.
„Hi Marilyn, wer ist Deine Freundin?“ „Elvis, ich stelle Dir Christine später vor, ja? Sie ist gerade beschäftigt. Sie lädt Leute ein.“
Er schenkte mir ein bezauberndes Lächeln, flüsterte „ Vergiss Louis und Hilde nicht!“ und schlenderte zur Bar. „Darf ich wirklich jeden einladen der…äh…na ja, nicht mehr auf der Erde wohnt? Auch Nicht-Promis?“ „Klar, jeden den Du vermisst. Aber manche haben hier Hausverbot. Denk also nicht an Jack the Ripper, Nero, Hitler, Caligula oder ähnliche Party-Pooper!“
Ich dachte an meine Mama und schon stand sie vor mir. Sie war etwa dreissig Jahre alt und sah einfach entzückend aus. Keine Spur ihrer Krankheit und keine grauen Haare waren zu sehen. Sie hüpfte mir um den Hals und küsste mich schmatzend auf die Wangen. „Meine Kleine. So schön, Dich endlich mal wieder in den Arm nehmen zu können!“ Bevor ich etwas erwidern konnte, schnappte Elvis sie und sie legten eine sehr heisse Sohle aufs Parkett.
Ich sah mich um und bemerkte, dass der Saal sich schon sehr gefüllt hatte. Unbemerkt flitzten Gedanken an geliebte Verstorbene durch meine geistige Gästeliste und Lichtlein für Lichtlein wurde verwandelt in Personen, die ich gerne um mich hätte.
Jimi Hendrix diskutierte an der Bar mit Tante Marianne. Janis und mein Opa prosteten Romy Schneider zu und riefen zum Pantomimespiel auf. Meine Freundin Marion aus der vierten Klasse, die einen tödlichen Unfall hatte, führte Robert Johnson Flic-Flacs vor. Die Tanzfläche war mittlerweile proppenvoll. Ich erkannte Menschen, die ich aus der Ferne bewundert, persönlich gekannt oder von Herzen geliebt hatte.
"Was ist mit Jesus, Norma?" "Der ist schwer in Ordnung. Aber er geht auf keine Partys!"
Ein Tablett mit Champagnergläsern schwebte vorbei und Marilyn schnappte sie. „Cin-Cin, meine Süße! Eine richtig flotte Party stellst Du auf die Beine!“
Ich wirbelte im Kreis, lachte laut und rief „Paaartyyyyy! Ich liebe Euch und hab Euch nie vergessssseeeeeen!“
„Kleines. Alles ist gut. Du hast nur einen schlimmen Traum gehabt.“ flüsterte mir Maurice ins Ohr, während er meine verschwitzte Stirn streichelte.
„Nein. Ein schööööner Traum!“ murmelte ich, während ich wieder einschlief.