Im Drogeriemarkt
Im Drogeriemarkt an der Kasse um zehn Uhr vomittags. Ich bin in Eile, stehe ganz hinten in der Schlange vor der Kasse. Vor mir eine schmale Gestalt, ganz in Schwarz gekleidet: schwarzer Trenchcoat, schwarze Jeans, sehr gepflegt. Der Rücken sehr aufrecht, die grauen Haare streng nach hinten gekämmt. Ich muß zweimal hinschauen: der lange, akkurat geflochenene Zopf wird unten von einer kleinen Spange zusammengehalten.
Ich betrachte entzückt dieses Kunstwerk, das ihm bis zum Rücken hinunter reicht. Vor allem die Spange hat es mir angetan: leuchtend blau mit kleinen Punkten. Königsblau denke ich, genau wie seine Haltung. So eine Haarspange habe ich zuletzt an meiner kleinen Schwester gesehen, als sie eingeschult wurde. Das muß Lichtjahre her sein.
Der Mann in Schwarz zieht einen kleinen Koffer hinter sich her. Wir nähern uns langsamen Schrittes der Kasse. Ich zögere, meinen Einkauf aufs Band zu legen: einen Doppelpack Toilettenpapier, den ich schamhaft halb hinter meinen Beinen verstecke.
Nun ist er an der Reihe. Er stellt ein einzelnes 0,2 Liter Fläschchen Rotwein auf das Kassenband.
Die junge blondierte Kassiererin nennt den Preis, und glotzt ihn unverhohlen an.
Als er fragt, ob sie wisse, wie er zum Bahnhof komme, schüttelt sie irritiert den Kopf.
Er dreht sich zu mir, und jetzt sehe ich: Der Mann ist eine Frau.
Ihre Augen funkeln hellblau in einem Netz aus Fältchen, das ihr schmales Gesicht auf einzigartige Weise modelliert. Ein paar widerspenstige Haarsträhnen haben sich gelöst und fallen in das gebräunte Gesicht. Ich kann nicht anders, als sie anzustarren.
Die Grübchen um den Mund vertiefen sich, während sie mir zuwendet und ihre Frage wiederholt.
Ich erwidere ihr Lächeln, und erkläre den Weg zum Bahnhof.
„Es ist nicht weit. Sie gehen die Straße gerade aus, dann nach links und folgen einfach der Mauer des Stadtgartens bis zum Ende.“
„Ja, ich werde es bestimmt wiedererkennen,“ sagt sie und hebt dankend die Hand.
Im Gehen verstaut sie den Reiseproviant in ihrer Jackentasche. Ihr Gang ist aufrecht und leichtfüßig, der graue Zopf wippt bei jedem Schritt über ihren Rücken. Als würde er mir zuwinken.
Ich schaue ihr hinterher, bis sie aus meinem Blickfeld verschwunden ist.
Zuhause angekommen, lächle ich immer noch. So schön kann also das Älterwerden sein.