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Alltagsminiaturen

Me 2
*********ld63 Frau
8.551 Beiträge
Im Drogeriemarkt
Im Drogeriemarkt an der Kasse um zehn Uhr vomittags. Ich bin in Eile, stehe ganz hinten in der Schlange vor der Kasse.

Vor mir eine schmale Gestalt, ganz in Schwarz gekleidet: schwarzer Trenchcoat, schwarze Jeans, sehr gepflegt. Der Rücken sehr aufrecht, die grauen Haare streng nach hinten gekämmt. Ich muß zweimal hinschauen: der lange, akkurat geflochenene Zopf wird unten von einer kleinen Spange zusammengehalten.

Ich betrachte entzückt dieses Kunstwerk, das ihm bis zum Rücken hinunter reicht. Vor allem die Spange hat es mir angetan: leuchtend blau mit kleinen Punkten. Königsblau denke ich, genau wie seine Haltung. So eine Haarspange habe ich zuletzt an meiner kleinen Schwester gesehen, als sie eingeschult wurde. Das muß Lichtjahre her sein.

Der Mann in Schwarz zieht einen kleinen Koffer hinter sich her. Wir nähern uns langsamen Schrittes der Kasse. Ich zögere, meinen Einkauf aufs Band zu legen: einen Doppelpack Toilettenpapier, den ich schamhaft halb hinter meinen Beinen verstecke.

Nun ist er an der Reihe. Er stellt ein einzelnes 0,2 Liter Fläschchen Rotwein auf das Kassenband.
Die junge blondierte Kassiererin nennt den Preis, und glotzt ihn unverhohlen an.
Als er fragt, ob sie wisse, wie er zum Bahnhof komme, schüttelt sie irritiert den Kopf.
Er dreht sich zu mir, und jetzt sehe ich: Der Mann ist eine Frau.

Ihre Augen funkeln hellblau in einem Netz aus Fältchen, das ihr schmales Gesicht auf einzigartige Weise modelliert. Ein paar widerspenstige Haarsträhnen haben sich gelöst und fallen in das gebräunte Gesicht. Ich kann nicht anders, als sie anzustarren.

Die Grübchen um den Mund vertiefen sich, während sie mir zuwendet und ihre Frage wiederholt.
Ich erwidere ihr Lächeln, und erkläre den Weg zum Bahnhof.
„Es ist nicht weit. Sie gehen die Straße gerade aus, dann nach links und folgen einfach der Mauer des Stadtgartens bis zum Ende.“
„Ja, ich werde es bestimmt wiedererkennen,“ sagt sie und hebt dankend die Hand.

Im Gehen verstaut sie den Reiseproviant in ihrer Jackentasche. Ihr Gang ist aufrecht und leichtfüßig, der graue Zopf wippt bei jedem Schritt über ihren Rücken. Als würde er mir zuwinken.
Ich schaue ihr hinterher, bis sie aus meinem Blickfeld verschwunden ist.

Zuhause angekommen, lächle ich immer noch. So schön kann also das Älterwerden sein.
*******tia Mann
5.162 Beiträge
Hat was magisches, Into...
**********Engel Frau
25.859 Beiträge
Gruppen-Mod 
Da lächle ich doch gleich mit. Sehr schön!
******ier Frau
38.648 Beiträge
Ich habe eure Alltagsminiaturen sehr gern gelesen, vielen Dank, liebe Into und Indi für das Lesevergnügen. *top2*
********tenx Mann
331 Beiträge
ein Tropfen blaue Tinte
Mit einer unvorsichtigen Handbewegung, die an Beiläufigkeit nicht zu überbieten ist, löst sich ein Tropfen blauer Tinte von der Feder meines Füllhalters. Den habe ich eben frisch befüllt. Vor mir liegt ein blütenweißes Blatt Papier. Doch in seiner Eigenwilligkeit fällt dieser Tropfen in ein mit klarem Wasser befülltes Glas.

Ich beobachte, wie dieser Tropfen blauer Tinte seine ersten Spuren durchs Wasser zieht. Vom ersten Moment an zieht diese kräftige blaue Tönung, dieses königliche blau, dessen Leuchten mich an Klarheit und den Horizont überm Meeresstrand erinnert, wie ein seltsames Gewand durch die klare Flüssigkeit. Die Auflösung der sich bildenden Formen ist unmittelbar und unaufhaltsam. Sie verlieren sich an den Rändern zu Schlieren, die sich zunächst noch hart abzeichnen, dann stetig weicher werden. Dynamisch ziehen sie durch die klare Flüssigkeit, bis sie sich bald nicht mehr von ihr abzeichnen und eins mit ihr werden.

Verloren ist dieser Tropfen für den ersten Strich, das erste Wort dieses Briefes. Aufgelöst und verschwunden im Nichts. Was kann ein Tropfen Tinte bewirken? Wäre er mehr als nur eine blaue Spur auf Papier gewesen. Hätte er einen Sinn, eine Bedeutung, eine Wirkung gehabt? Sich in seiner Art unterschieden von all den Banalitäten, die man in E-Mails oder Mobiltelefonen schreibt? Jenen sekundenschnell versendeten und gelesenen Botschaften, die dann in einem Bruchteil eines Augenblicks mit einem Klick gelöscht werden können? Deren Inhalt meist so unwichtig ist, dass er meist zigfach als CC einer großen Zahl von Empfängern aufgenötigt wird. Was unterscheidet ihn davon, nur weil er von Hand geführt einen blauen Strich auf Papier hinterlässt?

Ich denke darüber nach. Der Empfänger dieses Briefes wird sich wahrlich damit befassen müssen. Er wird dieses Stück Papier anfassen, es mit seinen Händen begreifen, bevor sein Geist den Inhalt begreifen wird. Er wird keine Distanz wie zu einem Bildschirm haben. Er wird das selbe Stück Papier in Händen halten wie ich, der Verfasser. An meiner Handschrift wird er meine Emotionen erkennen, meine Verfassung in der ich den Brief schreibe. Das benötigt keine kleinen gelben Eomtions-Gesichter, um dem Inhalt Wahrhaftigkeit und Gefühl zu verleihen. Keine Return Taste, kein Einfügen eines erst nachfolgend gewonnen Gedankens ist mehr möglich. Der Brief wird eine Momentaufnahme meiner Gedanken sein, die direkt aus meinem Geist entsprungen ihren Weg über meine Hand auf das Papier finden wird. Als blaue Linien auf weißem Papier.

Ich betrachte wieder das Wasserglas. Der Tropfen hat sich vollends aufgelöst. Nichts zeugt mehr von seiner Existenz. Was kann man mit einem Tropfen Tinte anstellen? Verträge, Urteile unterschreiben, eine Liebe oder einen Krieg erklären, oder auch beenden. Vielleicht auch ganz banal einen Einkaufzettel schreiben. Oder eben einen Brief.

Möglich, daß dieser Brief dem Empfänger nichts bedeuten wird, Vielleicht wird er aber auch aufbewahrt. In einem Karton, oder einer Schublade, dann in zufälligen Momenten wird er wieder hervorgeholt, angefasst und gelesen. Vielleicht verschwindet er auch für lange Zeit in einer Kiste verpackt, auf einem Dachboden. Dort wird er die Zeiten überdauernd irgendwann einmal von einem mir völlig Unbekannten gefunden, um Zeugnis von meinen Gedanken abzulegen.

Nun beginne ich zu schreiben.
******s23 Frau
12.725 Beiträge
Alte Briefe
haben eine ganz eigene Faszination, wenn man sie nach Jahren nochmal liest und sich zurückerinnert zu diesem Moment ....
Sehr schöne Gedanken eingefangen in einem Tropfen Tinte.
*g*
2020_08_28: ich war shoppen. ; )
********elle Frau
3.310 Beiträge
Themenersteller 
Das war eine sehr berührende Beschreibung eines kleinen Momentes. Eine wahrhafte Miniatur. : )

Die Gedanken dahinter aber sind alles andere als winzig. Von Hand geschriebene Briefe haben in dieser Zeit tatsächlich eine große Bedeutung erlangt. Sie sind eine Rarität geworden.

Die Überlegung, was man mit diesem Tropfen Tinte alles anstellen könnte, eröffnet eine Vielfalt von Möglichkeiten, von denen mir nun etliche durch den Kopf gehen.

Danke dafür!
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Ja, das ist genau das, was ich mir unter "Alltagsminiaturen" vorstelle: ein winziger, fast nebensächlicher Augenblick - fein beobachtet und voller Tiefsinn erzählt. Danke!

(Der Antaghar)
********tenx Mann
331 Beiträge
ich...
...möchte mich bei allen für das wirklich aussergewöhnliche Feedback auf meinen Text bedanken. Viele haben mir geschrieben, mein Text habe sie veranlasst ihre Kartons hervorzukramen und ihre alten Briefe wieder in die Hand zu nehmen, oder gar jetzt unbedingt selbst einen Brief schreiben zu wollen. Das hat mich sehr bewegt. Ich hätte wahrlich nicht gedacht, daß mein Text andere zum Tun bewegen kann. Sicher keine weltbewegende Sache, doch weiß ich aus eigener Erfahrung, dass ein handgeschriebener Brief für Empfänger und Verfasser die Welt bedeuten kann.
******s23 Frau
12.725 Beiträge
Der Mann mit der Kettensäge
Tina und Lisa, zwei schon sehr erwachsene Teenager, durften heute eine sturmfreie Bude genießen, denn Tinas Mama war nicht zu Hause. Eigentlich hätte sie bei Opa schlafen sollen, doch das hatte sie entrüstet abgelehnt, schließlich war sie schon 13 und somit groß genug, mal ein paar Stunden alleine zu bleiben, hatte sie ihrer Mutter mitgeteilt. Sie hatte ihre Schulfreundin Lisa dazu eingeladen.

Nach dem Schulkonzert, bei dem die beiden mitspielten, radelten sie zu Tina, um Lisas Sachen dort zu lassen, und fuhren dann weiter zu einer Klassenkameradin. Gegen 21.30h, es war ja noch hell, trudelten sie wieder bei Tina ein. Mama war schon fort, und die Garage stand auf. Es musste nicht jeder wissen, dass sie weg war, fand Tina, und kippte das Tor zu. Ein ganz leichtes Unbehagen beschlich sie.

"Lass uns was schönes kochen!" sagte sie zu Lisa.
Gesagt - getan, die zwei plünderten den Kühl- und Vorratsschrank und legten los. Es wurde etwas, dass mit Fantasie als "chinesische Nudeln" durchging. Hauptsache es schmeckte, wen stört schon die Optik.

Tina kratzte die Reste zu einem Haufen im Topf zusammen, steckte den Löffel hinein und stellte alles in den Kühlschrank. Mama würde sicher Hunger haben, wenn sie am nächsten Vormittag zurück war. Dann schrieb sie einen Zettel dazu:

"Hi Mama, wenn wir noch am Schlafen sind, musst du nicht aufräumen, weil wir das später noch machen werden. PS: wir waren am Abend zu müde zum Aufräumen. Im Kühlschrank sind noch Nudeln mit Soße für dich übrig!!! *herz* " (Originaltext)

In der Hoffnung, dass Mama vielleicht über das Chaos in der Küche und das benutzte Geschirr im Wohnzimmer hinwegsehen würde, drapierte Tina den Zettel mitten auf dem Tisch.

Dann schauten sich die Mädchen noch eine Folge The 100 auf DVD an. Inzwischen war es draußen stockfinster geworden, und beiden wurde es etwas mulmig, so ganz alleine. Vorsichtshalber zogen sie noch alle Rollläden hinunter, und suchten die alten Gehhilfen von Tina aus der Ecke heraus. Man konnte ja nie wissen.....
Lisa empfahl noch, den Schlüssel von innen ins Schloss zu stecken, dann machten sie sich bettfertig.

"Wo soll ich denn schlafen?" fragte Lisa irritiert, als sie in Tinas Zimmer gingen. Betreten schaute ihre Freundin sie an. "Oh, wir haben die Luftmatratze vergessen.." fiel Tina auf. Sie hatte keine Lust, diese jetzt noch zu suchen und aufzupumpen. Kurzerhand zogen sie die Matratze aus Mamas Bett, und legten sie in Tinas Zimmer. Die Lampen in den Zimmern ließen sie an, das würde eventuelle Einbrecher sicher abschrecken, überlegten sie. Dann lagen die beiden endlich unter ihrer Decke und Lisa knipste das Licht aus.

Es war so finster und unheimlich, dass an Schlaf gar nicht zu denken war. Das leiseste Geräusch ließ die Mädchen zusammenzucken. "Das sind nur die beiden Katzen", versuchte Tina sich und ihre Freundin zu beruhigen. Es war sicher besser, wenn sie noch die Zimmertür verbarrikadierten. Also schob Lisa direkt noch den randvollen Wäschekorb innen vor die Tür. Geschafft. Trotzdem wollte der Schlaf nicht kommen, die beiden gruselten sich. Tina überlegte sogar, ob sie nicht doch vielleicht zum Opa gehen sollten, aber es war schon zu spät.

Plötzlich hörten sie Geräusche... waren da nicht Schritte? Den Mädchen dröhnte der Herzschlag in den Ohren. Die Türklinke bewegte sich in Zeitlupe nach unten. Schockstarre! Unfähig vor Angst etwas zu tun, starrten sie wie gebannt auf die Zimmertür. Zentimeterweise öffnete sich die Tür, der schwere Wäschekorb schabte ächzend über den Teppich, eine Hand wurde im Türspalt sichtbar.

Lisa zog sich die Decke über den Kopf, in der Hoffnung, nicht gesehen zu werden. Tina dagegen brach in lautstarkes, hysterisches Schluchzen aus, als die Tür mit einem letzten Kraftakt ganz aufging.
"Was ist denn hier los, und warum schlaft ihr noch nicht?", fassungslos und völlig irritiert stand Tinas Mama in der Tür, die kurz entschlossen nach dem Konzertbesuch lieber heimgefahren war, statt im Auto zu schlafen.

@****ris


Anmerkung: Namen der Kids geändert

Was hat das aller mit dem Titel zu tun?
Das war die Bemerkung meiner Tochter, nachdem sich die erwachsenen Kinder beruhigt hatten. Sie hatte gemeint, ein Einbrecher mit Kettensäge käme ins Zimmer. Soviel zum Thema "erwachsen sein" *floet*

Herrlich !!!

*blumenschenk* Ev
Profilbild
****fan
2.336 Beiträge
Einfach klasse...
... und mitten aus dem Leben, habe schon beim Lesen Schmunzeln müssen und am Ende schallend gelacht.
Danke dafür.

LG Yogafan
**********Engel Frau
25.859 Beiträge
Gruppen-Mod 
*lol* Göttlich!
Das Leben schreibt doch noch immer die besten Geschichten!
**********henke Mann
9.666 Beiträge
Der erste lebende Deutsche
Ich bin Wahlbeobachter. Nein, ich beobachte keine Wale, ich beobachte Wahlen, also die Dinger mit denen Menschen in demokratischen Staaten einmal in vier Jahren diejenigen bestimmen, die die nächsten vier Jahre über sie bestimmen. Da die Wahlen hierzulande immer sauber und korrekt verlaufen - von gewissen Ausnahmen in Altenheimen in Bayern abgesehen - finden meine Wahlbeobachtungen woanders statt. Ich war schon in Kirgisien, Armenien, Weißrussland, Kasachstan. Am schönsten war es in Weißrussland. Bevor ich dazu komme zu erzählen, warum es so schön war, erzähl ich, wie es überhaupt ist.
Eine Wahlbeobachtung beginnt damit, dass sich circa 200 Westeuropäer und Amerikaner in einem Land einfinden, in dem vorher selten bis nie Wahlen stattgefunden haben. Nach einem Briefing, in dem auch der letzte Zeitungs- und Atlasanalphabet alles über das gastgebende Land erfährt, werden die Wahlbeobachter paarweise einzelnen Sektoren zugewiesen. Die Wahlbeobachterpaare sollen aus Menschen unterschiedlichen Geschlechts und aus verschiedenen Ländern sein. Manchmal gibt es Ausnahmen von dieser Regel aber sie sind für unsere Geschichte nicht interessant.
In Weißrussland war meine Beobachtungspartnerin eine junge, attraktive Mitarbeiterin des lettischen Außenministeriums. Sie hätte ohne weiteres als Model durchgehen können, die anderen Wahlbeobachter schauten neidvoll zu mir herüber, insbesondere, wenn sie mit einer stellvertretenden englischen Gemeinderatschefin gesegnet waren. Ich konnte mein Glück auch nicht fassen, stellte aber sehr schnell fest, dass Maja einen festen Freund hatte und dieses auch erst seit kurzem. Demzufolge war sie treu, also eigentlich treuer als treu. Trotzdem flirtete ich, was der Flirtführer hergab und anscheinend zu ihrer Freude.
Nachdem uns ein Bus in die hintersten Ecke Weißrusslands verfrachtet hatte, in eine Ecke nahe an der Ukraine, nicht weit von Tschernobyl, fanden wir uns in einem Ort wieder, der direkt einen Film über den Frieden vor dem 22. Juni 1941 entsprungen schien.
Eine breite befestigte Straße mit gewaltigen Sommerwegen links und rechts und einer Tribüne, die schon für die Parade zum 8. Mai aufgebaut war, bildeten das Zentrum dieser Kreisstadt, in der laut Karte 20.000 Einwohner wohnen sollten. Obwohl wir in den folgenden Tagen die Stadt von Nord nach Süd und von Ost nach West durchmaßen, fanden wir kaum 100 Häuser, vermutlich zählten die Randgemeinden mit.
Am Samstag vor der Wahl fuhren wir die Wahllokale ab, deren Kontrolle uns durch die Langzeitwahlbeobachter nahe gelegt worden war und machten uns einen Plan, wie wir am Wahltag unseren Weg am günstigsten wählen wollten.
Hier muss man wissen, dass die Wahlbeobachter im letzten Wahllokal die Auszählung beobachten müssen, um danach die Abgabe der Wahlurne am vorgeschriebenen Sammelpunkt zu dokumentieren. Ein Wahllokal mit vielen Wählern und einer unprofessionellen Zählmannschaft kann einem mächtig die Nacht versauen. Als "Senior" schlug ich Maja vor, ein Wahllokal auszusuchen, dass wenige Wähler hatte und nahe an der Kreisstadt - dem Sammelpunkt- lag. Die anderen Wahllokale wählten wir so, dass wir zu den Mahlzeiten immer in solchen Wahllokalen zu Besuch waren, in denen schon am Vortag mächtige Vorbereitungen zu sehen waren.
Der Wahlsonntag war angebrochen, Maja und ich standen ein wenig zitternd vor dem Wahllokal, indem wir die Eröffnung beobachten wollten und warteten auf den Wahlvorstand. Pünktlich 58 min vor der Öffnung der Wahllokale erschienen der Schuldirektor, die Stellvertretende Direktorin, die Schulsekretärin, die Kolchosvorsitzende und ein Alibiarbeiter, begrüßten uns mit der größten weißrussischen Herzlichkeit, die sich noch steigerte, als sie erfuhren, dass ihre Kontrolleure aus zwei ehemaligen Sowjetrepubliken stammten-aus Lettland und aus der DDR. Der Vorsitzende zeigte uns umständlich das unversehrte Siegel des unversehrten Panzerschrankes im unversehrten Wahllokal, vereidigte seine Mannschaft, zählte die Stimmzettel und verglich sie mit der Liste, unterschrieb und ließ gegenzeichnen und holte die Wodkaflasche raus. Gemeinsam stießen wir auf eine erfolgreiche Wahl an, egal wie ein jeder das interpretieren wollte.
Als schlauer Senior-Wahlbeobachter hatte ich unsere Strecke so geplant, dass wir immer ungefähr 30 min beobachteten und 30 min Fahrtstrecke zum nächsten Wahllokal hatten. Gegen Mittag erreichten wir ein schmuckes Dorf. Das Wahllokal war im Kulturhaus und im Gegensatz zu den anderen Wahllokalen in zugigen Turnhallen und am Wochenende nicht geheizten Schulen stand fast in seiner Mitte ein großer russischer Ofen, gut geheizt in diesen noch kühlen Märztagen. Auf der Bühne probte der Heimatverein in bunten Gewändern einen Tanz, sie sangen jauchzend schwermütige Lieder. Die Wahlen waren eigentlich Nebensache, zumal der Dorfladen am Wochenende ausnahmsweise geöffnet war und die Leute eigentlich eher zum einkaufen als zum wählen kamen. Nun, immerhin war so die Wahlbeteiligung schon mittags beachtlich und Maja und ich folgten gern der Einladung in den Nebenraum zu Pelmeni und Soljanka. Wieder stießen wir an, ich brachte einen Toast aus: auf die Völkerverständigung und auf das friedliche Zusammenleben der Menschen in aller Welt. Die Vorsitzende erläuterte die Eigenheiten dieses Wahlbezirks und nötigte uns immer wieder, doch von den leckeren Speisen zu kosten, die immer wieder aus einem Nebenzimmer hereingetragen wurden. Schließlich gelang es uns doch, unter Aufbietung aller Diplomatie und nach drei weiteren Toasts, aufzubrechen. Beschwingt liefen wir zum Lada unseres Chauffeurs, als ein lächelnder, mit Orden behängter schon sehr betrunkener älterer Herr unseren Weg kreuzte. Die Vorsitzende stellte uns einander vor - wir waren Matthias und Maja aus Deutschland und Lettland und er war ein ehemaliger Partisan und Ortsheld. Breit lächelte er uns an, zahlreiche Goldzähne blitzten und er lallte etwas oder sprach einfach belorussisch. Das Gesicht der Vorsitzenden fror ein, sie wurde merkwürdig einsilbig. Maja schluckte und ich versuchte, mit meinem Schulrussisch den Worten des Alten Sinn zu geben. Er hatte irgendwas mit "Deutsch" und "erster " gesagt. Die Stimmung war im Eimer, einsilbig verabschiedeten wir uns. Im Auto fragte ich die Dolmetscherin, sie druckste rum, erklärte aber schnell dem Fahrer, was sich abgespielt hatte. Auch er wurde einsilbig, und schließlich sagte Maja, die in der Schule noch Russisch gelernt hatte und nach der lettischen Unabhängigkeit ein deutsches Gymnasium besucht hatte: "Er hat gesagt, du bist der erste lebende Deutsche, den ich sehe!"
2020_08_28: ich war shoppen. ; )
********elle Frau
3.310 Beiträge
Themenersteller 
Linie 25
Es ist ein schöner Tag, die Sonne scheint.

Ich stehe an der Haltestelle und genieße das Wetter, während ich auf meinen Bus warte.

Um mich herum warten noch weitere Leute. Um diese Uhrzeit sind es meist ältere Menschen.
Jeder steht ein bisschen für sich, schweigend. Man nickt einander zu, aber ansonsten ist es ruhig; fast so, als würden sich alle darauf einstellen, nach dem Besuch in der Stadt nun wieder in ihre stillen Zimmer und Wohnungen zu kommen.

Eine jüngere Frau steht ein wenig abseits. Sie spricht ziemlich genervt in ihr Handy. Worum es geht, bekomme ich nicht mit. Ich blende so etwas lieber aus.

Wir müssen nicht lange warten, denn in der Ferienzeit sind die Busse meist pünktlich. Weniger Verkehr auf den Straßen, weniger Fahrgäste, die den Zeitplan aufhalten können.

Ich steige schnell ein und ergattere den Sitz direkt hinter dem Busfahrer. Ich sitze gerne da, denn da sind Bänke installiert, die ungerne zu zweit besetzt werden und es ist nicht weit zum Ein- und Ausstieg.

Die junge Frau steigt ein, reicht dem Fahrer ihr Fahrgeld und unterhält sich in der Zeit weiter mit ihrem Gesprächspartner am anderen Ende der Handyleitung. Offenbar hat der Fahrer einen Teil des Gesprächs mitbekommen; es ging wohl um das kleine Chaos, das zur Zeit durch einige Ersatzhaltestellen herrscht.

In unserer Stadt wird gerade an vielen Ecken und Enden gebaut. Das betrifft dann natürlich auch die Buslinien.

Der Busfahrer macht eine Bemerkung über das, was er von dem Gespräch mitbekommen hat. Er erklärt mit einer wunderbar heiteren und gelassenen Freundlichkeit, wo die Ersatzhaltestellen zu finden sind. Die beiden scherzen ein wenig, dann setzt sich die Frau hin und der Busfahrer kann losfahren.

An einer Abzweigung fragt er auf einmal laut: „Wo muss ich denn jetzt langfahren? Links oder rechts?“

Alle lachen, er auch. Dann folgen wild durcheinander Stimmen, die sich aber alle einig sind: „Wir“ müssen rechts ab. Links herum geht es nicht, weil da die Straßen gesperrt sind.

Nun reden die ganzen alten Leutchen durcheinander. Sie scherzen, und man merkt richtig, wie sie aufleben.

„Wenn er so brav tut, was wir sagen, kann er mich ja auch bis vor die Haustür bringen“, tönt eine zittrige Stimme. Ein Mann ruft dazwischen: Wir könnten auch eine Stadtrundfahrt machen!“

Ein Wort gibt das andere, und jeder Kommentar wird mit einer weiteren Lachsalve quittiert. Der Fahrer brummt gutmütig vor sich hin. Man merkt, dass er seine Freude an den alten Leutchen hat, die ihn so sanft auf die Schippe nehmen.

Böse meint nicht einer seine Bemerkung.

Wenn jemand aussteigt, tut er das heute vorne. Alle verabschieden sich vom Fahrer, scherzen noch einmal mit ihm und winken uns, die wir weiterfahren, nach.

Nach einiger Zeit ist der Umweg geschafft und der Bus fährt wieder seine übliche Route.

„Na, jetzt fahren wir wieder die gewohnte Strecke“, stellt jemand fest. Es klingt genauso resigniert wie das folgende Schweigen.

Irgendwie hat das Ende des Umwegs einen Zauber von der Fahrt genommen, als müsse nun, wo doch die Linie wieder richtig fährt, auch das Leben wieder in den alten Bahnen weiterlaufen.

„Gäbe es doch nur mehr solche Umwege“, sinniere ich so vor mich hin.
*****002 Paar
1.330 Beiträge
genau das ist es! du hast das so treffend beschrieben.
in dem Moment , wenn wir alle WIR sind, teilen wir alles. Probleme , Freude , Lösungen.
und das stimmt mich optimistisch!
Danke dafür!
**********Engel Frau
25.859 Beiträge
Gruppen-Mod 
Herrlich!
Was für eine wunderschöne Miniatur!
Ein guter Anfang für das Wochenende

Ev *spitze*
2020_08_28: ich war shoppen. ; )
********elle Frau
3.310 Beiträge
Themenersteller 
Als dieses Schweigen einsetzte, wurde ich ein bisschen nachdenklich. ich bin ja so ziemlich romantisch verstiegen, und ich hätte mir irgendwie gewünscht, dass die alten Leutchen nicht wieder geschwiegen hätten, als der Bus wieder auf der "normalen" Strecke fuhr.

Aber schön war es trotzdem. ich lächle jetzt immer noch, wenn ich daran denke.

: )
*********nd_69 Frau
7.517 Beiträge
Der Teufel
Samstag Nachmittag.

Ich will das schöne Wetter auskosten und fahre durch die Landschaft, da taucht es auf: Schloss Weißenstein, ein fränkisches Barockschloss auf dem Land; verschlafen und trotzdem (oder gerade deshalb) ein Juwel. Diese Bauten sind in der Regel fröhlich, lebenslustig und weltoffen im besten Sinne: offen für die Welt, inklusive Cafe, Schlossgarten, Schlossladen, Schlossführung, Schlosskirche... was der internationale Tourist halt so erwartet.

Ich lasse mich von den Hinweisschildern leiten und sehe direkt am Schloss Parkplätze, die allesamt besetzt sind. Schon wundere ich mich ein wenig, aber ich war lange nicht hier. Ich fahre um die Ecke und auf dem nebenliegenden Parkplatz werde ich von Schlaglöchern begrüßt. Die Laune lasse ich mir davon nicht verderben, auch wenn die Stoßdämpfer ordentlich geächzt haben. Nach dem Aussteigen stelle ich fest, dass für die Uhrzeit (15:30) sehr viele gut angezogene Menschen unterwegs sind, aber auch Familien mit Kindern auf Entdeckungstour, Touristen - und ich. Aber hauptsächlich die schicken Menschen strömen zum Schloss. Noch wundere ich mich, da höre ich schon Blechbläser im Schlosshof. Links geht es in den Barockgarten, doch ich folge den Klängen und sehe eine gut gekleidete Menschenmenge im Hof stehen, die offensichtlich auf den Einlass zu einem Konzert wartet. Alle lauschen erwartungsvoll dem Ständchen und beklatschen es fröhlich, als es vorüber ist. Allein diese Menschen wären eine eigene Geschichte wert, ich würde am liebsten von allen wissen, wer sie sind und wie sie geworden sind, was sie sind. Aber derartige Gedankenspiele bleiben oft auch besser solche.

Weil ich schon einmal hier bin, besuche ich den "Souvenirshop". Hier kann man auch Karten für das Konzert, die Gartenmesse, die zufälligerweise auch heute stattfindet, und die Schlossbesichtigung kaufen. Kaum bin ich im Raum, ertönt ein Schreckensruf und ein lauter Knall. Ein kleines Mädchen, etwa fünf Jahre alt, hat etwas umgeworfen. Sie wird von den Eltern zurechtgewiesen, sie solle nichts mehr anfassen und besser aufpassen. Eltern und Kind sind selbst am meisten erschrocken. Gekleidet sind sie alle in Freizeitlook, der Vater trägt Wanderschuhe und einen Rucksack. Das Kind ist sehr ruhig geworden, der Vater hat gerötete Wangen und vor Schreck geweitete Augen. Er hat das Kind an die Hand genommen und geht in Richtung Kasse. Ein Schaden ist offensichtlich nicht passiert.

Ich wende mich den angebotenen Waren zu und höre eine herrische Frauenstimme. Sie gehört der Angestellten, die heute Dienst hat. "Du gehst sofort hier nach vorne und fasst NICHTS mehr an!", schreit sie das Kind und damit auch die Eltern an und treibt sie vom Regal weg. Bereits auf dem Weg zur Kasse, ruft sie ihnen hinterher: "Hoffentlich hat dein Vater eine gute Haftpflichtversicherung!"

Als ich weiter durch den Laden schaue - es sind wirklich nette und brauchbare Kleinigkeiten vorhanden - und mich schon fast für ein Schreibset entschieden habe, merke ich, dass an der Kasse wieder Trubel entsteht. "Du bist ein richtiger Teufel!", keift die Bedienung. Das kleine Mädchen fragt leise: "Wer?" "Natürlich du! Du bist ein richtiger Teufel!", ruft sie ihr nochmals in bösartigem Tonfall zu. Die Kleine schaut zu Boden und wird ganz still. Ihr Vater zahlt noch und die beiden verlassen mit hängenden Schultern den Laden.

Ich lege das Schreibset zurück und überlege, ob ich der Dame sage, welchen Schaden sie mit dieser Art anrichtet - beim Kind und bei der Kundschaft. Als ich an der Kasse bin, kommen zwei Erwachsene herein, die offensichtlich zum Schloss gehören: Sie im Landhauslook, er im Anzug. Die Kassenfurie wird plötzlich zu einer charmanten Frau, die bei dem Paar sichtlich buckelt. Einen Blick für die Kundschaft hat sie nicht mehr.

Ich gehe hinaus aus dem unterkühlten Laden in den sonnigen, warmen Schlosshof und will den Park betreten. Doch er hat eine Drehtür, die sich nur gegen Zahlung eines Euro öffnet. Ich mag nicht einmal mehr diesen Euro investieren - zumal die meisten anderen Parks kostenlos zu betreten sind - und gehe zurück zum Auto.

Noch lange überlege ich mir, was wohl eine Fünfjährige fühlt, die als Teufel bezeichnet wird, weil sie aus Versehen etwas heruntergeworfen hat.
******s23 Frau
12.725 Beiträge
Da kann man ja nur wütend werden..... Warum zum Henker haben die Eltern nichts gesagt und diese Frau in ihre Schranken verwiesen *fiesgrins* Herrje es kann jeden etwas herunterfallen, nicht nur Kindern. Das gibt niemandem das Recht verbal zu entgleisen und ein Kind so anzublaffen!
*********nd_69 Frau
7.517 Beiträge
Sie hat den Vater ja sofort als mit"schuldig" hingestellt und mit dem Verweis auf seine Haftpflichtversicherung erstmal mundtot gemacht.

Wenn tatsächlich etwas kaputt gegangen wäre, hätten alleine die Formalitäten länger gedauert als die Sekunden, in denen gezahlt wurde.

Mich hat das Ganze eher traurig als wütend gemacht.
2020_08_28: ich war shoppen. ; )
********elle Frau
3.310 Beiträge
Themenersteller 
Dennoch hätte ich mir den Ton verbeten, den diese Frau an den Tag legte. Allein in dem Moment, in dem sie mein Kind anherrscht und quasi aus dem Laden treibt, hätte ich der Dame bereits ein paar Takte gesagt. Spätestens dann, wenn sie mein Kind als Teufel bezeichnet, hätte ich den Geschäftsführer verlangt und deutlich klar gemacht, was ich von so einem Service halte. Und zwar in Gegenwart meines Kindes, damit dieses weiß, dass ich es schütze, und damit es weiß, dass man sich nicht alles gefallen lassen muss; selbst dann nicht, wenn man einen Fehler gemacht hat.

Schade für den Vater, weil er diese Situation verpasste. Schlimm für das Kind, dass er sie verpasste.
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Ich fürchte, ich hätte mich da auch als Unbeteiligter eingemischt und der Dame freundlich, aber auch sehr bestimmt mal die Meinung gesagt. Es ist ja verständlich, dass sie sich nicht gerade freut, wenn ein Kind aus Versehen etwas runter wirft. Doch so muss sie ja nun wirklich nicht reagieren.

Doch typisch für solche Menschen - und entsprechend gut beschrieben. Auch ihr Buckeln gegenüber den neuen Kunden ist gut gezeichnet.

(Der Antaghar)
15.000 Kilometer
Diese Geschichte habe ich geschrieben, nur wenige Stunden nach einer Reise von 15.000 Kilometern und nur wenige Minuten nach dem hier geschilderten Ereignis. Ich habe sie nicht "schön gemacht", weil ich denke, dass sie genau so "roh", wie sie ist, hier passen könnte:

Alles wollte ich in diesem unserem Traumurlaub tun, nur eines ganz gewiss nicht - am Laptop sitzen und schreiben. Vier weiße Pfoten und zwei braune Knopfaugen sind daran schuld, dass ich es doch tun muss.

Zehn Monate hatten wir für diesen Traumurlaub, den wir uns nicht leisten konnten, alles vom Munde abgespart, die billigsten Flieger und Umwege eingeplant, nur, um uns ein wirklich gutes Hotel leisten zu können. Der letzte Flug von Kuala Lumpur nach Bali war billiger als die Unterbringungskosten für Jack, unser vierbeiniges Kind mit den großen Schlappohren, in der Tierpension. Keinen Tag haben wir in den letzten fünf Jahren ohne ihn verbracht, und wenn meine Frau die Seele unserer Familie ist, so ist er das Herz.
Jetlag, achtundvierzig Stunden unterwegs, neunzig Prozent Luftfeuchte und trotz Nacht 26 Grad - trotzdem gab es nur eines nach dem Essen: hinunter an den Strand.

Unser Hotel ist riesig, nicht hoch, aber sehr ausgedehnt, nachts um dreiundzwanzig Uhr nicht mehr sehr gut beleuchtet und der Strand ist zehn Minuten entfernt. Wir orientierten uns am Rauschen der Brandung und marschierten einfach los. Irgendwie fanden wir den richtigen Weg und dieses Gefühl an meinen nackten Füßen, als die Wasser des Indischen Ozeans zum ersten Mal im Leben meine nackten Füße umspülten, werde ich wohl nie vergessen.

Arm in Arm gingen wir am Ufer entlang, ohne Ziel, bis wir fühlten, dass es Zeit war, umzukehren. Doch wohin?
Einige Lichter hinter Palmen sahen wir, doch welche davon gehörten zu unserem Hotel? Straßen oder beleuchtete Wege sahen wir nicht und wir wussten auch nicht mehr, wie wir eigentlich zum Strand gekommen waren. Wir setzen uns stumm ans Wasser und überlegten. Angst hatten wir nicht wirklich, aber es ist schon ein seltsames Gefühl, fünfzehntausend Kilometer entfernt von zu Hause, am Ufer eines fremden Ozeans zu sitzen und den Weg zurück nicht zu kennen.

Plötzlich sagte Lena leise: „Ich vermisse Jack.“ Das tat ich auch, irgendwie waren wir ohne ihn nicht ganz. Sicher hätte auch er uns nicht zum Hotel zurückgeführt, oder vielleicht doch, darum ging es nicht. Wir waren nicht ganz ohne ihn.

Ich musste nicht antworten, denn Lena weiß immer, was ich fühle. Ich stand nur auf, nahm sie bei der Hand und wie Hänsel und Gretel durch den finsteren Wald gingen wir in die Dunkelheit in Richtung der fernen Lichter.

Die erste Laterne, die wir erreichten, markierte den Eingang zu einem Hotelresort. Nur war es leider nicht unseres. Wir gingen unter den Palmen, die das Areal abschirmten, entlang in die Richtung, in der wir unser Hotel vermuteten. Plötzlich krallte Lena so heftig ihre Fingernägel in meinen Arm, dass ich stehenblieb. Ein dunkler Schatten, nicht allzu groß, versperrte uns den Weg. Langsam näherten wir uns ihm, nur um festzustellen, dass es sich um einen kleinen weißen Hund einer undefinierbaren Rasse handelte.

Wir atmeten ein wenig auf, doch nicht zu sehr, denn wir sind ausdrücklich vor dem Kontakt mit streunenden Hunden hier gewarnt worden, und er wich keinen Schritt zur Seite, während wir auf ihn zuschritten. Erst, als wir uns bis auf Armeslänge genähert hatten, sprang er ein paar Meter davon, blieb wieder stehen und drehte den Kopf zu uns.

Die nächsten zehn Minuten wiederholte sich dieses Spiel einige Male, bis wir an einer Wegegabelung einen anderen Weg einschlugen und den Hund aus den Augen verloren. Doch nach wenigen Schritten tauchte er plötzlich wieder auf - vor uns! Diesmal wedelte er mit dem Schwanz, als wollte er uns etwas mitteilen.

Wir blieben stehen, sahen uns an und ich weiß nicht mehr, wer von uns beiden es aussprach: „Er führt uns.“
Der Rest ist schnell erzählt. Ohne das wir darüber reden mussten, folgten wir dem Hund durch einen riesigen, verwinkelten Park, durch die Anlagen des Hotels bis zu einem Fahrstuhl. Er führte direkt zu unserem Zimmer.

Es ist Unsinn zu glauben, unser Hund hätte über 15.000 Kilometer gespürt, dass wir seine Hilfe brauchten und uns einen „Stellvertreter“ geschickt. Das ist einfach nur Spinnerei. Doch warum sitzen meine Frau und ich dann jetzt mit Tränen in den Augen auf der Terrasse unserer Suite unter einem fremden Himmel und haben doch das Gefühl, nicht alleine zu sein?
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