Die Kerze
Die alte Frau schaut aus der Öffnung der Höhle. Draußen spielen Kinder, die aber nicht so aussehen, wie ihre eigenen Kinder, als sie klein waren.
Manche haben keine Arme oder Beine, oder es fehlt ein Auge, und Haare haben sie alle nicht. Gekleidet sind sie mit einem grauen Kittel, der ihre Blöße bedeckt.
Sie blättert in einem zerfledderten Heft, welches auf ihrem Schoß liegt.
Viele Gedanken gehen ihr durch den Kopf, und sie hat Mühe, sich zu orientieren. Viele Daten und Ereignisse bringen sie durcheinander. Das ist auch kein Wunder bei dem, was diese alte Frau in ihrem langen Leben schon alles erlebt hat.
Die vielen Kriege, alle drei Männer verloren, alle Kinder und Enkel tot, kein Zuhause mehr, nur noch diese Höhle.
„Was für ein Datum haben wir? Dezember … Dezember … Dezember? Was war im Dezember? Ich weiß, es muss etwas sehr Wichtiges sein. Aber in diesem alten Kalender steht nichts drin. Nur die Monate, keine Tage. Aber es muss etwas ganz wichtiges gewesen sein, sonst hätte ich es nicht mit Blut unterstrichen. Und die Schrift wird auch immer kleiner.“
In diesem Moment kommt eines der Kinder zu ihr in die Höhle gerollt. Die Kinder hatten draußen eine längliche Rolle gefunden mit komischen Zeichen darauf. Diese Rolle zeigt das Kind der alten Frau und sieht sie fragend an.
Die alte Frau nimmt die Rolle und wischt den Schmutz ab. Nun sieht sie, dass es eine sehr alte Kerze ist mit den Buchstaben: F R I E D E N darauf. Indem sie das Wort liest, fällt es ihr wieder ein, was im Dezember ist, und Tränen laufen ihr herunter:
„Friede auf Erden den Menschen, die eines guten Willens sind.“