Der kleine Mensch
Der kleine MenschEs war einmal ein kleiner Mensch, der mit beiden Beinen fest im Leben stand. Aufgeschlossen, nicht gerade dumm und anderen Menschen gegenüber immer freundlich gesinnt. Im Grunde führte der kleine Mensch ein ziemlich normales Leben, aber es gab eine Sache, die beschäftigte ihn schon von klein auf.
Der Vater des kleinen Menschen hatte immer zu ihm gesagt. „Das kannst du nicht! Das schaffst du nicht! Das wird sowieso nichts mit dir!“ Diese Worte trafen den kleinen Menschen hart. Immer wieder kämpfte er um Liebe und Zuneigung. Er hatte sich vorgenommen es seinem Vater, und wenn er schon dabei war auch gleich dem Rest der Welt zu zeigen, was in ihm steckte. Er steckte sich immer wieder große und kleine Ziele und verfolgte sie hartnäckig. Bekam er einen Rückschlag, stand er wieder auf und machte einfach weiter. Nur keine Schwäche zeigen! Der kleine Mensch konnte ganz schön zäh sein, wenn es ihm um etwas ging, er konnte immer wieder irgendwie genug Energie aufbringen, seine Sache fortzuführen. So kam es dann auch, das er irgendwie alles schaffte.
Manches nur mit Ach und Krach, aber egal, Hauptsache er hatte es „Ihnen“ mal wieder gezeigt. Der kleine Mensch war sich dieser Sache natürlich nicht von Anfang an bewusst. Auf daraus resultierende Zuneigung konnte er natürlich lange warten, er machte trotzdem immer weiter. Natürlich brachte es ihm auch, besonders beruflich, Erfolg und Anerkennung, aber Wärme und Geborgenheit kamen nie dabei heraus. Der kleine Mensch litt oft sehr darunter, aber er zeigte es nicht, nie.
Er hatte auch Freunde, aber denen wollte er immer nur helfen, ihnen beistehen und für sie da sein, eigene Probleme verbarg er so gut es ging. Er fand es viel besser an den Defiziten der anderen zu arbeiten, statt an den eigenen. Auch das war dem kleinen Menschen natürlich nicht klar. Es fühlte sich gut an, anderen Wärme und Halt zu geben, das war ihm das wichtigste.
Der kleine Mensch hatte aber auch einen ganz besonderen Freund. Es war ein sehr stiller Freund, er sprach praktisch nie. Aber gerade das war es, was der kleine Mensch so sehr an ihm schätzte. Ihm konnte er all seine Sorgen erzählen. Er konnte stundenlang zuhören. Der kleine Mensch konnte ihm bedingungslos vertrauen, es war ein wortloses Verstehen, Streicheleinheiten zur richtigen Zeit, Wärme und Zuneigung. Einfach füreinander da sein, ohne Erwartungen erfüllen zu müssen. Das war es was der kleinen Mensche so mochte und brauchte.
Eines Tages geschah aber dann das Unfassbare. Der stille Freund des kleinen Menschen hatte sich entschieden, auf die andere Seite zu gehen. Er hatte beschlossen ein Stern zu werden.
Für den kleinen Menschen brach eine Welt zusammen. Er fühlte plötzlich nur noch Einsamkeit, Kälte und Leere. Da seine anderen Freunde es gar nicht gewohnt waren, dass der kleine Mensch seine Schwächen zeigte, konnten sie überhaupt nichts damit anfangen. Sie sagten solche Dinge wie: „Also, wenn du das nicht schaffst, wer dann?“ oder „Das wird schon wieder!“ Dann ließen sie den kleinen Menschen stehen und kümmerten sich wieder um ihre Angelegenheiten. Sie hatten ja alle sehr viel mit sich Selbst zu tun. Der kleine Mensch verstand das auch irgendwie, fühlte sich aber trotzdem sehr alleine gelassen. Andere Freunde gaben sich die größte Mühe, konnten den kleinen Menschen aber einfach nicht in seiner Traurigkeit und Einsamkeit erreichen.
Der kleine Mensch sehnte sich Tag für Tag, nach der Wärme die ihm sein bester Freund gegeben hatte. Er erledigte jeden Tag seine Pflichten, wie immer, funktionierte wie ein Uhrwerk, aber wenn er dann nach Hause kam, brach wieder alles in ihm zusammen. Er versuchte seinem Freund nahe zu sein und ging immer wieder zu ihm. Er hatte ein schönes Plätzchen im Wald gefunden, dort konnte er ihn irgendwie noch ein bisschen spüren. Immer, wenn der kleine Mensch, dort alleine im Wald saß merkte er, das er überhaupt keine Lust mehr hatte zurück zu kehren in die äußere Welt. Er hatte irgendwie den Halt verloren und wollte viel lieber nach drüben, er wusste genau das es dort anders sein würde, wärmer und wohliger. Er fühlte sich in der Stille sehr wohl und verspürte einen tiefen inneren Frieden während er am Himmel seinen Stern suchte. Der kleine Mensch verbrachte viele Stunden dort in „seinem“ Wald und kehrte doch immer wieder zurück. Er wollte es keinem Unbekannten zumuten, seine Flucht zu entdecken, einem Bekannten schon gar nicht.
So begann der kleine Mensch langsam wieder, sich in der äußeren Welt ein bisschen zurecht zu finden. Er fühlte sich aber immer irgendwie gezwungen, weiter zu machen. Der kleine Mensch hatte natürlich auch schöne Tage, aber sehr oft sehnte er sich einfach nur danach, endlich drüben anzukommen, das Gefühl der Wärme und Geborgenheit endlich wieder zu haben. Er suchte im Innen wie im Außen, aber er fand nichts vergleichbares.
Das der stille Freund des kleinen Menschen ein Stern wurde, ist jetzt schon ein paar Jahre her. Der kleine Mensch ist weiter damit beschäftigt es allen zu zeigen, die Probleme seiner Freunde zu lösen, er versucht sogar immer wieder Spaß zu haben, er funktioniert einfach, meistens einwandfrei, aber jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit fährt er unter einer noch nicht in Betrieb genommenen Brücke hindurch, und fast jeden Tag fragt er sich, ob nicht heute ein guter Tag wäre um hoch zu fahren und dann endlich drüben anzukommen.
Nachsatz: Diese Geschichte ist schon etwas älter. Der kleine Mensch, fährt immer noch täglich unter der Brücke durch, aber sie ist längst in Betrieb genommen ...