Die Seidenfrau
Wahrscheinlich habt ihr mitbekommen, dass ich zurzeit alle meine Erzählungen gründlich überarbeite. Die folgende Novelle hatte ich unter dem Namen „Die zweite Chance“ bereits einmal veröffentlicht, jedoch fehlte ein wirklich passender Schluss. Nach unglaublichen zwei Jahren denke ich, einen gefunden zu haben und dazu habe ich am Ende zwei Fragen. Das ist auch der Grund, warum ich sie hier, wenn auch in überarbeiteter From, noch einmal einstelle. Es ist für die KG-Gruppe ein ziemlich langer Text, eben eine komplette Novelle und somit nur etwas für diejenigen von Euch, die sich für eine halbe Stunde „entführen“ lassen wollen.Viel Spaß wünsche ich Euch und würde mich freuen, wenn ihr die beiden kleinen Fragen am Ende beantworten würdet.
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Jede Zeit hat ihre Rōnin - herrenlose Krieger ohne Moral, Ehre und Besitz, die ihre Dienste an den Meistbietenden verschacherten. Auf sie wird zurückgegriffen, wenn der Job für die regulären Truppen zu dreckig, das Risiko zu hoch und die Bedingungen zu mies sind.
Die Schlachten um das Jahr Zweitausend wurden zwar nicht mehr mit Schwertern, sondern mit Daten geführt, doch dreckige Jobs, miese Bedingungen und hohe Risiken gab es noch immer irgendwo und so gab es auch noch uns Rōnin. Allerdings trugen wir keine Schwerter mehr, sondern Laptops und man nannte uns „Freelancer“.
Irgendwo war immer die Kacke am Dampfen, musste ein Tarifvertrag umgangen werden oder brauchte man jemanden, dem man, wenn ein Projekt an die Wand gefahren wurde, zwischen die Beine treten konnte.
In IT-Abteilungen ging immer etwas schief und da kamen dann Leute wie ich ins Spiel. Wenn die Kohle stimmte, hatte ich keine Probleme damit, achtzig Stunden in der Woche zu knüppeln, nur vierzig davon aufzuschreiben und meinen Nachtschlaf auf einem Bürostuhl zu verbringen, um jeden Programmabbruch checken zu können. Wenn sich nach dem Aufwachen nach vier Stunden Schlaf der erste Schmerz gelegt hatte, blieben noch neunzehn Stunden des Tages für Adrenalinschübe vor Hochleistungsrechnern, dreißig Minuten für einen Whisky abends in der Hotelbar und, manchmal, wenn es gut lief, auch noch einmal „rauf, rein, raus, runter“. Es war ein Leben wie auf Droge, mit verhängten Spiegeln, die jeden tieferen Blick in das eigene Ich verhinderten und ich fand es geil.
Allerdings hatte ich ein paar schlechte Monate hinter mir, war ein paar Mal zu oft der Sündenbock gewesen und nicht nur mein Ruf, sondern auch mein Konto hatten ziemlich gelitten. Deswegen hatte ich einen Job im Osten angenommen, was ich sonst tunlichst vermeide. Die Bezahlung ist hier, verglichen mit Frankfurt oder München, einfach nur lausig und die Leute sind viel zu geradeaus. Doch ich brauchte den Auftrag dringend, was die morgigen Preisverhandlungen mit dem Chef-IT, einem Dr. Weinhold, nicht gerade einfacher machen würden.
Ich hatte in Schwerin im InterCityHotel eingecheckt. Es lag direkt am malerischen Hauptbahnhof, war modern und der Service war, wie bei den meisten Hotels in meiner ehemaligen Heimatstadt, hervorragend.
Vom Fenster meines Hotelzimmers blickte ich auf den Bahnhofsvorplatz. Der Herbst hatte Einzug gehalten, färbte die Blätter bunt und der Abendregen ließ die Pflastersteine im Licht der Straßenlaternen glänzen. Menschen strömten aus der Bahnhofshalle, spannten Schirme auf, schlugen die Kapuzen ihrer Jacken hoch und riefen nach Taxis. Sie kamen von der Arbeit und freuten sich auf den Abend mit ihrer Familie. Sie hatten es gut. Ich drehte den Kopf und schaute auf den Zierbrunnen im Zentrum des Grunthalplatzes. „Rettung aus Seenot“ heißt die Skulptur darauf und Hugo Berwald hatte sie 1910 geschaffen.
Wer wird dich retten, Hartwig Renner? Aus dem Nichts war der Gedanke aufgetaucht und ich sah in der Fensterscheibe fast so etwas wie Wehmut in den Augen meines Spiegelbildes.
Seit fünf Jahren reiste ich durch Deutschland und half Computern, mit den Menschen zurechtzukommen, mein Zuhause sah mich nur an den Wochenenden und niemand wartete dort auf mich. Die Menschen verbrachten die Abende bei ihren Lieben, ich in Deutschlands Hotels und mein Leben schwamm davon wie ein Korken in den Wellen des Ozeans. Regentropfen rannen über mein Gesicht im Spiegel und ich drehte mich zurück ins Zimmer.
Mit Schwermut überlebte man in meinem Beruf so lange wie ein Fisch in der Wüste. Ich wusste ein Mittel gegen Gefühlsduselei. Wo andere Menschen Tabletten benötigten, bevorzugte ich einen Laptop. Der ließ sich zwar nicht so einfach schlucken wie eine Pille, dafür gab es ihn aber ohne Rezept. Eine Angel mit meinem Foto als Köder nebst einem auf die Bedürfnisse einsamer Frauen zugeschnittenen Profil fischte immer in diversen Kontaktbösen herum und ich schaute nach, ob etwas Hübsches angebissen hatte, das ich vielleicht noch heute Abend in mein Hotelbett zerren konnte.
Die Hoffnung zerschlug sich zwar nach einem Blick in meine Postfächer, doch zumindest hatte sich jemand mein Profil angesehen. Bei meinem Gegenbesuch erblickte ich das Foto einer Frau mit blauen Augen und blonden, halblangen Haaren über einer hohen, faltenlosen Stirn. Die Designerbrille sah nach intellektueller Spinnerin aus und die Klunker an den Ohrringen nach einem Bankkonto, das die Farbe Rot nicht kannte. Schade, dass ihre Augen so verkniffen wirkten und sie die Lippen aufeinander presste. Eine Frau, die sich in einer Kontaktbörse mit einem Foto präsentierte, sollte ein Lächeln zeigen.
Ich las, wonach sie suchte und wusste, was die zusammengepressten Lippen verbargen - die Haare auf den Zähnen. Sie wollte keinen Mann, sondern einen Sklaven. Auf Lebenszeit und mit Ring. Ich war sicher, dass sie ihm den durch die Nase ziehen würde. Ohne Betäubung und jeden Tag aufs Neue.
Wo andere Damen die Anforderungen an ihren temporären Sexualpartner auf fünf Zeilen oder weniger - manche beschränkten sich auf die simple Forderung „männlich“ - zusammenquetschten, nahm sie zweiunddreißig Zeilen in Anspruch. Sie schrieb neunundzwanzig Bedingungen vor, die ich erfüllen musste, um mit ihr Verbindung aufnehmen zu dürfen und dreimal ließ sie durchblicken, dass ich offen für Ungewöhnliches zu sein hatte. Im Vergleich zu ihrem Profil lud der Prüfungsparcours der Navy Seals zu einem Sonntagsspaziergang mit Blümchenpflücken ein. Bei dieser Eisprinzessin gab es nichts weiter zu pflücken als lebenslange Sklaverei. Sie war der Typ Frau, der auch nackt noch vollkommen zugeknöpft war und dem es nicht reichte, das Licht auszumachen, sondern der es nur in einem Schwarzen Loch trieb, am liebsten Lichtjahre von jeder bewohnbaren Gegend der Milchstraße entfernt.
Ich übersetzte mir ihr Männerbild und wusste danach, dass ich ein bierbäuchiger, im Stehen pinkelnder Macho war, der alles vögelte, was irgendwo ein Loch hat und nicht bei drei auf dem Kaktus sitzt. Ich fühlte mich verletzt. Einen Bierbauch hatte ich nicht.
Was für eine blöde, wahrscheinlich verdammt intelligente Kuh!
Es gibt Tage, da habe ich auch vom Leben die Schnauze voll, aber ich muss das nicht in Worte gießen und jedem vom anderen Geschlecht, der mir über den Weg läuft, an die Rübe knallen. Mein Kopf meinte zwar, es ginge mich nichts an, wie sie über Männer dachte, aber mein Bauch setzte sich durch und wenn ich schon zu einer entrechteten Minderheit gehörte, sollte meine Stimme nicht ungehört verhallen.
Ich wickelte eine rote Schleife um meine Wut, steckte sie in einen elektronischen Umschlag und schickte sie ihr. „Deine Spielgefährten tun mir leid. Eine Nacht mit dir ist bestimmt ein unvergessliches Erlebnis. Trägst du dann Lack und Leder oder eine Rüstung?“
Was auch immer mich an ihrem Profil so wütend gemacht haben mochte, jetzt ging es mir besser und ich grinste. Sie würde nicht antworten.
Eine Stunde später klopfte eine Clubmail von ihr.
„Ich trage lieber Seide auf meiner nackten Haut. Warum schaust du es dir nicht mal an?“
Mir verging das Grinsen. Fünfzehn Worte, ein Fragezeichen, keine Anrede, kein Nachsatz und eine Telefonnummer. Erwartet hatte ich Schweigen. Bekommen hatte ich eine Provokation.
Noch einmal las ich mir das Profil der Eisprinzessin durch, Wort für Wort, Satz für Satz. Diese Frau wirkte so entspannt wie Juri Gagarin zehn Sekunden vor seinem Start zur ersten Erdumkreisung - Ruhepuls bei 180.
Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil, und nach dieser Antwort durfte ich ihr nicht das letzte Wort lassen. In der Mail war eine Handynummer und das hieß, sie wollte eine kurze Antwort. Die sollte sie bekommen. „InterCityHotel Schwerin, 21:00. Ruf zehn Minuten vorher an. Ich erkenne dich an Businessoutfit mit engem Rock und Bluse. Schwarze Nylons mit Naht und High Heels sind ein Muss.“
Der Boss in diesem Spiel war ich. Von Wismar bis Schwerin benötigte die Eisprinzessin mit dem Auto dreißig Minuten. Anziehen und zurecht machen für ein Date schafft eine Frau nicht in einer halben Stunde, schon gar nicht, wenn sie meine ziemlich überzogenen Vorgaben ernst nahm. Sie würden mir den Grund liefern, sie sitzen zu lassen, wenn sie wider Erwarten doch auftauchte. Doch wahrscheinlich wusste sie nicht einmal, dass es so etwas wie Nylonstrümpfe mit Naht gab, geschweige denn, dass sie sie im Kleiderschrank hatte.
Sie hatte mir eine Entschuldigung erspart und ich machte es mir auf dem Hotelbett zusammen mit einem Sixpack gemütlich. In vierzig Minuten wurde die Championsleague angestoßen. Für die Eisprinzessin hatte der Schiedsrichter soeben das Spiel abgepfiffen. Das Ergebnis hieß 1:0 für mich und eine Verlängerung stand nicht zur Debatte.
Pünktlich viertel vor neun gab Signore Colina die Begegnung in Barcelona frei, Schweinsteiger führte den Ball auf dem Fuß und ich ein Bier zum Mund. Mein Handy auf dem Schreibtisch schüttelte sich und ich zog die Stirn kraus. Um diese Zeit schicken sich nur Frauen Nachrichten, echte Kerle sitzen vor dem Fernseher.
„Du hast zehn Minuten. Geputzte Schuhe und Zähne, Anzug und Schlips sind ein Muss. Auf Nylons bei dir kann ich verzichten. Und nein, du musst nicht vorher anrufen. Schieb deinen hoffentlich knackigen Arsch einfach in die Bar!“
Zehn Minuten. Eine davon verbrauchte ich mit Atmen durch den offenen Mund und dem Versuch, meinen Blutdruck unter Kontrolle zu bringen. Was bildete sich diese blaustrümpfige, männerfressende und einen Sklaven suchende Xanthippe ein? Neun Minuten verblieben. Neun Minuten, das herauszufinden und mir zu überlegen, wie ich aus der Geschichte heraus kam, ohne mein Gesicht zu verlieren.
Zähneputzen, kalte Dusche, Anzug an, Kontrollblick auf die Schuhe - makelloses Schwarz.
Noch eine Minute. Im Tiefflug eine Etage nach unten, Vollbremsung auf der letzten Stufe. Jetzt die Hand in die Hosentasche und mit einem entspannten Lächeln im Gesicht lässig um die Ecke. Niemand musste sehen, dass mein Puls im roten Bereich hämmerte, und in meinem Kopf ein Rührlöffel in den Turbomodus geschaltet hatte. Hätte ich ein Messer oder gleich die Pistole mitnehmen sollen?
*
Eine gut besuchte Hotelbar sah anders aus. Vier Männer lümmelten im Dämmerlicht auf dreibeinigen Edelstahlhockern am Tresen, zwischen ihnen saßen zwei Frauen und keine von ihnen trug einen Rock. Im Hintergrund turtelte ein Pärchen auf einer Ledercouch und mehr Weiblichkeit ließ sich nicht blicken.
Die Eisprinzessin hatte mich verarscht. Sie saß wahrscheinlich zu Hause in ihrem kratzigen Pyjama aus unbehandelter, garantiert natürlicher Baumwolle und schnitzte eine neue Kerbe mit meinem Nicknamen aus dem Forum in ihren Baseballschläger. Oder sie las ein Buch über Schachstrategien für Fortgeschrittene. Mich hatte sie „matt in vier Zügen“ geschlagen. Das war der „Schäferzug“ und so legte man Anfänger aufs Kreuz. Eigentlich war das meine Absicht mit ihr gewesen, nur hatte ich mir das „aufs Kreuz legen“ etwas anders vorgestellt.
Ich nahm mir den Hocker in der hintersten Ecke, schnauzte den Barkeeper vorbeugend an, damit er in meinen Single Malt nicht wieder wie gestern Eis panschte und versuchte mich in den Griff zu bekommen.
Wie ging es weiter? Sie musste überprüfen, ob ich auf ihre SMS hereingefallen war und sie es geschafft hatte, mich zum Affen zu machen. Dazu musste sie selbst eine schicken oder sie war die ganz Coole und rief hier in der Bar an.
Der Barkeeper störte mich bei meinem wütenden Brüten über eine mögliche Antwort. Ich fragte ihn, ob er den Whisky zu Fuß von Loch Ness geholt hatte und er zog beleidigt ab. Ich grinste hämisch, geteiltes Leid ist halbes Leid und ich war nicht mehr alleine sauer.
Auf dem Bildschirm über mir senste Schweinsteiger einem spanischen Spieler die Beine weg und ich überlegte, ob wenigstens die Bayern heute einlochen würden. Mein Whisky schmeckte wie Abwaschwasser und ich winkte dem Barkeeper, um ihm noch eine zu verpassen, da verstummte auf einen Schlag das leise Summen der Gespräche neben mir. Die Männer hörten auf, den Damen neben sich die Ohren voll zu labern und sogar Junior auf der Ledercouch nahm die Finger aus seiner Freundin.
Erstaunt wendete ich mich zur Tür, aber da drehte kein rosa Elefant mit grünen Punkten seinen Rüssel, sondern eine schlanke Frau mit weißer Bluse und einem wadenlangen, braunen Seidenrock, ihren Kopf. Sie schaute sich um, als erwartete sie, dass ihr jemand einen roten Teppich ausrollte. Vielleicht war sie es auch nur nicht gewohnt, dass Männer in ihrer Gegenwart zu Salzsäulen erstarrten. Bei mir erstarrte auch etwas, aber das war nur sinnlose Blutverschwendung im Unterleib. Frauen wie sie waren der Siegespokal in einer Liga, für deren Spiele ich mir nie die Eintrittskarte würde leisten können.
Ein Lächeln, für das ein Bischof ein Loch ins Kirchenfenster getreten hätte, verschönte ihr Gesicht und sie setzte sich in Bewegung. Wie ein General schritt sie das Spalier der sprachlosen Männer und geifernden Weiber ab, eine lodernde Fackel auf zwei endlos langen Beinen mit Locken in der Farbe eines Reisigfeuers, die im Takt ihrer Füßchen auf den schmalen Schultern wippten.
Sie bewegte dabei ihre roten Lackpumps in meine Richtung, und jedes Mal, wenn die Absätze den Boden berührten, hätte ich ihn an genau der Stelle küssen mögen. Nach zehn ihrer Schritte mit schwerelos schwingenden Hüften war ich verliebt in sie, für immer und ewig. Ich würde ihr Sklave sein und mir freiwillig einen Ring durch die Nase ziehen.
Vor mir blieb sie stehen, streckte mir eine schmale Hand mit auffallend langen Fingern entgegen, legte den Kopf ein wenig schräg, schaute mir in die Augen und zusammen mit dem Duft von pfefferminzgeputzten Zähnen verwandelte eine Stimme, irgendwo zwischen Zarah Leander und Joe Cocker nach seinem zehnten Whisky, meine Kniekehlen in Gelee. „Na, überrascht?“
Nein, natürlich nicht. Mir hüpfen in jeder Hotelbar die überirdischen Schönheiten auf den Schoß. Reine Routine. Ich war nur ein bisschen steif, so ungefähr wie ein hypnotisierter Tanzbär mit Arthrose im Endstadium und Wortfindungsstörungen.
Sie schien es gewohnt zu sein, dass ihre Anwesenheit Männer die Stimmbänder blockierte, und fuhr fort: „Bitte entschuldige, aber Nervosität schlägt mir immer so auf die Blase und ich will ja nicht, wenn es am Schönsten ist, auf die Toilette müssen. Nett, dass du den Platz neben dir für mich frei gehalten hast.“
Die Bedeutung dieses Satzes war nicht dazu angetan, meine Kommunikationsfähigkeit wieder herzustellen und so rutschte ich nur, meinen Arm ausfahrend, vom Barhocker. Ihre grünen Hochleistungsstrahler unter den langen Wimpern brutzelten mich dabei und nach fünf Sekunden war ich gut durch, mindestens medium. Bitte wenden.
Hatte ich mich über die Hitze beschwert? Sie verzog kirschrot geschminkte Lippen zu einem schnippischen Lächeln, das nach vierzig Jahre intensivem Training aussah und es war gut, dass ich mich an der Bar abstützen konnte. Ich nahm ihr den Mantel ab, sie drapierte sich auf ihrem Hocker und griff wie selbstverständlich nach der Cocktailkarte.
Mein gesunder Menschenverstand schien kurzzeitig wieder etwas durchblutet worden zu sein und meldete sich. Sie gehörte doch nicht etwa zu den Frauen, die sich in solche Kontaktbörsen einschlichen, um Geld zu kassieren? Dann würde sie eine böse Überraschung erleben, denn für solche Frauen war mir meine Kohle einfach zu schade. Ich war mir dafür zu schade. Wenn es wirklich mal brannte, hatte ich immer noch zwei gesunde Hände. Die gleichen, mit denen ich für die Kohle auch schuftete und sie deswegen nicht leichtfertig zur Beseitigung von Hormonstaus aus dem Fenster schmiss. Doch wenn sie zu der Fraktion „Hausfrau möchte Taschengeld“ gehört hätte, dann hätte sie nicht so ein krankes Profil ins Netz gestellt, sondern eines, das auf Männerfang ausgelegt war.
Es war schon eine verkehrte Welt an diesem Abend. Wenn ich mir die Frauenprofile in den Kontaktbörsen angesehen hatte, waren es die Fotos und die Einsamkeit meiner Hotelnächte gewesen, die die Frauen schön und begehrenswert gemacht hatten. Ein Treffen hatte dann meistens die Erkenntnis gebracht, dass die Fotos zehn Jahre alt oder mit Photoshop retuschiert worden waren und „begehrenswert“ nur eine Frage des verfügbaren Alkohols war.
Diesmal lief es andersherum. Hielt dieser Abend etwa noch mehr Überraschungen für mich parat, als eine geänderte Haarfarbe und eine vergessene Brille?
Meine Nachbarin hatte die richtige Sitzposition gefunden, den Oberkörper halb zu mir gedreht und die schmalen Knie nur Zentimeter von mir entfernt. Als müsste sie sich überwinden, holte sie tief Luft und schaute mir von der Seite ins Gesicht. „Also ich bin Ela. Meine Schwester hat sich so wahnsinnig über deine Clubmail geärgert, dass sie mich gleich anrufen und mir erzählen musste, was es doch für testosterongesteuerte, notgeile Männer gibt, die nicht mal lesen, was für einen Typ Mann sie sucht. Naja, und da habe ich mir mal dein Profil angesehen und mir gedacht, dass es sich vielleicht lohnen könnte, dich näher kennenzulernen. Ich habe ihr gesagt, was sie dir antworten soll. Was machen wir jetzt daraus?“
Und der Mond ist aus grünem Käse. Der Satz hatte geklungen, als hätte sie ihn aufgeschrieben und dann auswendig gelernt. Oder sie hatte ihn schon ein Dutzend Mal anderen Männern aufgesagt. Die ersten Worte aus diesem Mund mit den schwellenden Lippen, die Angelina Jolie hätten vor Neid erblassen lassen, waren eine Lüge. Unglaublich.
Ich zuckte statt einer Antwort nur die Schultern. Mein Sprachzentrum litt immer noch unter Blutmangel und so reichte es gerade zu einem „Wie wäre es mit übers Knie legen?“
Sie neigte kokett den Kopf zur Schulter und leckte sich über die Lippen. „Wirklich? Vielleicht mag ich das ja ...“
Es hatte schüchtern klingen sollen und sie log schon wieder. „Die Schüchternheit spielst du nur“, dachte ich. „Vielleicht magst du das ja wirklich, aber dann wird der Abend eine Enttäuschung für dich werden. Ich schlage keine Frauen, weder im Ernst noch im Spaß und schon gar nicht, um mich oder dich auf Touren zu bringen.“
Hatte ich laut gedacht oder hatte sich etwas in meinem Gesicht oder in meiner Haltung verändert?
Sie rückte ein Stück ab von mir. „Habe ich da ein Tabu getroffen?“
„Nein, ich denke nur darüber nach, was für eine Frau hier neben mir sitzt.“
„Ach, das ich eine Frau bin, ist dir also schon aufgefallen?“
Ich lehnte mich etwas zurück und schmiss wieder den Blick an, mit dem Männer Frauen ausziehen. „Alles dran, vermutlich auch alles drin und wirklich sexy verpackt.“ Ich nickte anerkennend. „Ich habe aber auch schon Männer gesehen, die so aufreizend angezogen waren.“
„Und hat es Spaß gemacht?“
Ich verstand nicht. „Was?“
„Na, mit den Männern?“
Hätte sie die Frage mit einem Lächeln gestellt, wäre alles gut gewesen, aber sie blickte ernst. Was sollte das jetzt? Es gab ungeschriebene Regeln für solche Dates und eine davon besagte, dass weder die Vergangenheit noch eine mögliche Zukunft erwähnt wurden. Ärger stieg in mir auf, und dass mir bei der Erinnerung an dieses Abenteuer die Röte ins Gesicht schoss, verstärkte ihn noch. „Bist du hier, um mich über vergangene Liebesabenteuer auszufragen?“
Die Schärfe in meiner Stimme quittierte sie mit einem Kopfschütteln und der Ausdruck in ihrem Gesicht wechselte zu Nachdenklichkeit. „Nein, natürlich nicht. Aber vielleicht möchte ich wissen, mit welcher Art Mann ich mein Liebesabenteuer haben werde?“
„Und weißt du es jetzt?“
Jetzt lächelte sie, übergangslos, als hätte sie dafür nur einen Schalter umlegen müssen. „Natürlich. Du lädst deinen Frust darüber, dass du jeden Morgen alleine aufwachst, auf Frauen ab, die dir nichts getan haben, lässt es dir von Männern besorgen und kannst keine Frauen schlagen. Ich glaube, du bist ein Weichei. Vor allem dir selbst gegenüber.“
Ich krampfte die Hand um das Whiskyglas, aber der Barkeeper befand sich außer Wurfweite.
Ela fasste mit einer ringlosen Hand nach meinem Arm. „Reg dich nicht auf. Ich bin ein neugieriges kleines Mädchen, dass gerne Männer ärgert. Ist dir das noch nicht aufgefallen?“
Nein, es war mir noch nicht aufgefallen. Ich hatte sie für ein großes Mädchen gehalten, das wusste, was es wollte und so, wie sie ausgesehen und die Bar betreten hatte, war das Sex gewesen. Und zwar mit mir.
Mittlerweile war ich mir da nicht mehr sicher und etwas von dieser Unsicherheit sah sie wohl in meinem Blick. Der Druck ihrer Hand auf meinem Arm wurde fester. „Komm, der Platz auf der Couch ist gerade frei geworden. Da ist es nicht so hell und wir können in Ruhe noch ein bisschen reden, bevor wir auf dein Zimmer gehen. Oder hast du keine Lust mehr?“
Was war denn das für eine Frage? Die beiden straffen Rundungen unter der glänzenden Seide ihres Rocks versprachen den Himmel und so folgte ich ihr brav zur Couch. Zwei Minuten und nur wenige Sätze hatte sie gebraucht, um mich dreimal auf den Rücken zu legen und für mich stand fest, dass ich mit ihr das Gleiche tun würde. Schließlich haben wir Gleichberchtigung.
Ich mochte es, wenn Frauen nicht nur ihren Körper benutzten, sondern, sofern vorhanden, auch ihr Gehirn. Sex ohne Intelligenz war nichts weiter als Rammeln und ich war kein Karnickel. Ich mochte es nur nicht, wenn Ela ihren Grips benutzte, um mich aufzuspießen. Das war meine Sache und dafür hatte die Natur mir auch das passende Körperteil gegeben. Warum nur beschlich mich das Gefühl, dass es heute eher eine untergeordnete Rolle spielen würde?
Kaum saßen wir, verwandelte sich die Frau mit der spitzen Zunge in eine samtig schnurrende Katze mit eingezogenen Krallen. Sie plauderte mit einer Leichtigkeit und Weltgewandtheit, die mir nur Platz ließen für gelegentliches Nicken oder Kopfneigen und nach einer halben Stunde kam ich mir vor wie der Wackeldackel in meinem ersten Trabbi.
Sie arbeitete in einer Bank und kannte sich recht gut in der Informatik aus. So, wie sie auftrat und redete, tippte ich auf Vertrieb, ohne sie jedoch danach zu fragen, denn das verboten die Regeln. Aber es war mein Stichwort, und ich erzählte ihr, dass ich in den letzten vier Jahren keinen Urlaub mehr gemacht hatte, weil ich ständig durch die Welt jetten musste, um sie zu retten. Jedes dieser Jahre hatte mehr als dreihundert Projektarbeitstage gehabt, so gefragt waren meine Fähigkeiten gewesen und ich genoss ihre Bewunderung dafür. Dass ich morgen einen Vertrag in der IT-Abteilung einer hiesigen Bank abschließen würde, der mir pro Monat mehr als fünfzehntausend Euro einbringen würde, schien sie ziemlich zu beeindrucken.
Sie riss die eben noch halbgeschlossenen Augen weit auf und starrte mich an, als sei ich ein Fabeltier. Dann hauchte sie: „Sag das noch einmal. Welche Bank?“
Ich wiederholte es, sie schüttelte mit gerunzelter Stirn den Kopf, als könnte sie es nicht glauben und mir wurde warm im Bauch. Endlich hatte ich ihre Bewunderung und damit konnte es dann doch ein schöner Abend werden.
Nach einem ziemlich langen Moment des Nachdenkens, worüber auch immer, erhob sie sich. „Ich verschwinde mal kurz für kleine Mädchen. Fang nicht ohne mich an, ja?“
Sie verschwand und nicht nur ich schaute ihr hinterher, als sie durch die Bar Richtung Toiletten tippelte.
Diese Frau war einfach unglaublich! Wenn sie tatsächlich im Verkauf arbeitete, verdiente sie sich ihr Brot auf die harte Tour und vielleicht war ja die Art und Weise, wie sie mit mir umsprang, nur Selbstschutz in einer Männerwelt, in der die Schwachen untergingen und die, die schwach schienen, von jedem als Prügelknaben benutzt wurden. Frauen, die nach oben wollten, demonstrierten Stärke, indem sie sich wie Männer kleideten, redeten wie ihre Konkurrenten und meistens noch härter und brutaler waren als diese. Die Kunst, einen Mann mit Witz und Weiblichkeit zu dominieren und ihn mit einem simplen, aber wohl überlegten Übereinanderschlagen der Beine zu einem sabbernden Tölpel zu machen, war mit Marlene Dietrich gestorben.
Dass eine Frau, die wie eine Prinzessin behandelt werden wollte, sich auch als solche benehmen, kleiden und reden sollte, rafften sie nicht. Weiblichkeit betrachteten die meisten einflussreichen Frauen heute eher als Makel denn als Waffe. Erotik bedeutete für sie, im passenden oder auch unpassenden Moment mit Arsch und Titten zu wackeln - sofern der Schönheitschirurg gute Arbeit geleistet hatte und, wenn es so weit war, an der richtigen Stelle zu stöhnen. Oder auch nicht. Von der Kunst subtiler Verführung verstand die moderne Frau von heute in etwa so viel wie ein Schwein vom Stabhochsprung. Es war eine Scheißwelt, auch für Männer, die nichts weiter als genau das sein wollten.
Ela kehrte mit einem Lächeln im Gesicht zurück, setzte sich neben mich und schlug dabei ihre Beine so geschickt ungeschickt übereinander, dass ihr Rock den Blick auf leicht gebräunte Oberschenkel über dem spitzenlosen Rand von Strümpfen mit Haltern freigab. Die Welt färbte sich endgültig Rosa und mein gesunder Menschenverstand nahm ein Vollbad in Testosteron. Ich begann Sätze, sprach sie aber nur selten zu Ende und wusste doch, dass sie verstand. Es lag kein Gewitter in der Luft und trotzdem knisterte etwas. Vielleicht war es die elektrostatische Reibung, die entstand, wenn sich ihre bestrumpften Beine streiften. Oder mich berührten. Rein zufällig.
Dann kam der Moment, in dem sie mir so nahe rückte, dass ich mich nicht mehr bewegen konnte, ohne meine Finger irgendwo in ihrer Wäsche zu haben. Sie kitzelte mit ihrer Zungenspitze zart mein Ohrläppchen: „Bist du ein Fetischist?“
Ich schnurrte mit halbgeschlossenen Augen. „Ja sicher und du bist mein Fetisch.“
Mit einem Ruck zog sie den Stöpsel aus meiner Testosteronbadewanne. „Ich meine die Frage ernst. Macht dich etwas anderes als eine Frau scharf?“
Was sollte das denn jetzt? Ich zog mich ein wenig aus ihren Armen zurück. „Wieso fragst du mich das?“
„In deiner Mail wolltest du unbedingt, dass ich schwarze Nylons mit Naht anziehe.“
„Und du hast gleich auch noch rote Lackpumps und einen Rock angezogen, der zumindest um den Po so eng wie eine zweite Haut sitzt. Würde mich nicht wundern, wenn in deiner Handtasche auch noch eine Peitsche und ein paar Handschellen steckten.“
„Nein. Ein Dildo und Kondome, aber das wirst du ja bald sehen. Also, warum?“ Sie lächelte, doch ihre Augen blieben kalt dabei.
„Hör mal, das kannst du doch nicht ernst nehmen. Ich habe dir das nur geschrieben, um dich zu ärgern.“ Ich fand, es war eine gute Antwort. Sie nicht.
„Meiner Schwester, nicht mir! Warum wirst du rot und sprichst, als würdest du einen Vortrag halten?“
Das Lächeln um ihre Lippen verschwand und ich verstand nichts mehr. Eben noch war die Welt rosarot gewesen und einen Moment später stellte sie mich wieder mit dem Rücken an die Wand. Außerdem log sie schon wieder, denn ich war mir mittlerweile sicher, dass es ihr Foto gewesen war, das ich gesehen hatte und nicht das ihrer Schwester. Was spielte sie für ein Spiel? „Was soll das jetzt, Ela? Du bist eine wunderbare Frau und ich genieße es, mich mit dir zu unterhalten und dich neben mir zu fühlen. Warum auf einmal dieser Wechsel? Habe ich etwas Verkehrtes getan oder gesagt?“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, hast du nicht. Aber du schaust immer wieder auf meine Beine, berührst meine Knie mit der Hand und ich frage mich, ob es meine Beine oder das schwarze Nylon darüber ist, was dich das machen lässt.“
Das war eindeutig krank. Mit was für die Typen hatte sie denn rumgemacht, dass eine simple Berührung ihrer Knie sie so aufregte? Das gehörte doch zum Spiel! Ich starrte sie verblüfft an und es konnte sein, dass ich etwas lauter wurde. „Wie krumm denkst du denn? Wenn es das wäre, dann könnte ich ja gleich einer Gummipuppe schwarze Strümpfe anziehen und die ficken. Dann muss ich nicht so einen Aufwand treiben!“
Die Augen des Barkeepers mutierten zur Größe von Autoscheinwerfern und für einen Moment schien es, als wollte Ela aufbrausen, aber dann legte sie den Kopf schräg, schaute mich von unten an, ließ ihre Zunge zwischen den Lippen spielen, lächelte und schnurrte: „Ich mag es, wenn du schmutzige Worte sagst.“
Ich war stinksauer. Erst Höllenfeuer, dann die Kälte von Heliumschnee und jetzt schaufelte sie wieder Kohlen in den Ofen. So härtete man Stahl oder machte einen Mann zum Affen. Vielleicht hatte sie ja eine Banane in der Tasche für mich mitgebracht. „Ela, ich verstehe dich nicht. Aber muss ich ja nicht, Hauptsache, dir macht es Spaß. Ich hatte mir unser Gespräch anders vorgestellt.“
„Oh, ich weiß, wie du es dir vorgestellt hast. So etwa?“ Sie kuschelte sich in meinen Arm und schaute mir mit einem schmachtenden Blick in die Augen.
Sie verarschte mich. Sie hielt mich am ausgestreckten Arm über einen tobenden Vulkanschlund und sah lächelnd zu, wie ich gar gekocht wurde. Ich grummelte. „Ja, schon besser, aber noch ausbaufähig.“
Sie schmiegte sich noch enger an mich und ihre Haare streichelten mein Kinn. Frühlingswiese dachte ich nur. So muss eine Frühlingswiese duften, wenn morgens die Sonne aufging, und war schon wieder unterwegs in Richtung Wolke Sieben.
„Ich möchte es trotzdem wissen“, flüsterte sie.
Wenn sie es denn unbedingt wollte? So in meinen Arm gekuschelt, mit leiser Stimme würde auch eine Diskussion über Fetisch aufregend sein. „Nein, ich habe keinen Fetisch. Ich mag es nur, wenn eine Frau sich schön macht. Ihr Frauen habt so viele Waffen und ich frage mich immer, warum die meisten von euch sie nicht benutzen. Manche kommen zu einem Date in Jeans und Turnschuhen und wundern sich, wenn der Mann dann ein Gesicht zieht. Es gab Zeiten und es gibt Länder, da würden Frauen so nicht einmal den Müll rausbringen. Manchmal frage ich mich, ob die Frauen heutzutage es sich selbst nicht mehr wert sind, sich schön zu machen.“
„Du bist ein sexistischer Dinosaurier, weißt du das?“
Klar war ich das. Na und? Wozu waren Frauen denn sonst da, wenn nicht, um schön zu sein? Sie waren das Licht in der Welt eines Mannes. Frauen waren weich, sanft und vor allem schön, Männer waren hart und stur. Das bedeutete nicht, dass Frauen dümmer oder schwächer als Männer waren, sie waren nur anders. Intelligenz und innere Stärke sind Kopfsache und haben nichts mit den Geschlechtsorganen zu tun. Außerdem machen Frauen erst Männer zu dem, was sie sind.
Sie knabberte wieder an meinem Ohr: „Erde an Hartwig ...“
„Entschuldige, ich war in Gedanken. Also, ich mache mich doch auch schön, pflege mich, ziehe mich gut an. Das bin ich mir und dem, dem ich begegne, einfach schuldig. Ich zeige dir, dass du mir wichtig bist.“
„Nein, deswegen tust du es nicht, sondern weil du selbst dir dann besser gefällst und den meisten Frauen auch. Und weil dir Frauen in sexy Klamotten viel lieber sind, versuchst du das als Lebensphilosophie zu verkaufen. Du kannst dich ja gerne anlügen, aber versuch das nicht bei mir.“
Treffer und versenkt. Ich hielt lieber den Mund. Beim Lügen konnte ich ihr nicht das Wasser reichen.
Sie fuhr mir mit der Hand durchs Haar. „Du bist hundert Jahre zu spät geboren, mein Lieber. Ich sagte doch, du bist ein Dinosaurier. Naja, wenn du auch einen so langen Schwanz hast, soll mir das recht sein. Fetisch?“
Ich schnappte nach Luft. Was hatte sie da gerade gesagt?
Sie kicherte und kuschelte sich wieder an meine Schulter. „Hallo, was ist mit Fetisch?“
„Äh, ja, also ... Ich mag Nylon an Frauenbeinen, es macht sie noch schöner, als sie ohnehin schon sind. Aber ich kann auch ganz gut ohne und das ist der Punkt. Ein Fetischist braucht genau das Objekt, das ihn scharfmacht, also seinen Fetisch. Damit wird der Partner nur noch zur Nebensache. Ohne seinen Fetisch kann er nicht zur Erfüllung kommen und der Partner wird austauschbar. Ich komme ja jetzt fast schon, nur weil du in meinem Arm liegst.“
Sie schlug wieder die Beine übereinander. „Oder du kommst, weil du ständig auf meine schwarzbestrumpften Beine schaust.“
Ich wurde steif und holte Luft, aber sie lachte laut los. „Entschuldige, es war ein Scherz. Aber im Ernst, wie denkst du über solche Leute?“
Ich zuckte die Schultern. „Das ist nicht meine Baustelle. Ich stelle es mir schwierig vor, da eine Partnerschaft aufzubauen. Wer will schon gerne eine Ersatzbefriedigung für einen sexkranken Menschen sein?“
Die Falte erschien wieder auf ihrer Stirn. „Siehst du das so? Als krank und schmutzig?“
Ich schüttelte den Kopf. „Schmutzig habe ich nicht gesagt. Das ist weit von meinem Denken entfernt und ich weiß nichts darüber. Ich vermute, jemand, der einen Fetisch hat, sucht ihn sich nicht selbst. Das ist irgendwie eine Fehlprogrammierung von der Natur und er muss jetzt sehen, wie er damit zurechtkommt. Außerdem ist es ausschließlich seine Sache, niemand hat das Recht, da moralisierend den Zeigefinger zu heben, auch wenn es genug Dummköpfe und Moralapostel gibt, die es tun. Es gibt Schlimmeres auf dieser Welt als Menschen, die einen Fetisch haben.“
„Das hört sich schon besser an. Hast du auch einmal daran gedacht, wie viel enttäuschte Hoffnungen solche Leute erleben müssen? Sex ist doch sowieso ein Tabuthema, erst recht, wenn es nicht die Stellung Mama und Papa in tiefster Dunkelheit ist.“
Ich nickte, mehr nicht. Es war nicht meine Welt und würde es auch nie werden.
Sie strich mir mit dem rotlackierten Nagel eines Zeigefingers über meinen Handrücken auf ihrem Knie. „Könntest du mit so einem Menschen leben?“
Ich dachte einen Moment nach. Könnte ich? Mit jemandem leben, der sich an Dingen, an toten Objekten aufgeilt? Ich versuchte mir eine Frau vorzustellen, die nur mit mir schlief, wenn ich etwas Bestimmtes anzogen. Lack? Leder? Oder irgendetwas, was ich mir nicht einmal vorstellen konnte, Windeln vielleicht?
So ein Quatsch. Wenn ich mit einer Frau zusammen war, hatte sie zu kommen, weil ich es war, der es ihr besorgte. Wenn nicht, würde sie spätestens nach der ersten Nacht in der Mülltonne meiner Erinnerung landen. Das Leben war hinreichend kompliziert und ich musste mir nicht auch noch eine Frau anlachen, mit der es im Bett nicht funktionierte. Also definitiv nein, doch so brutal wollte ich das Ela nicht sagen. Vielleicht hatte sie so einen Fall unter ihren Freunden und ich hätte sie gekränkt, wenn ich dafür kein Verständnis gezeigt hätte. Lügen wollte ich aber auch nicht und so antwortete ich: „Lass uns von dem Thema wegkommen, ja? Ich habe jedenfalls keinen Fetisch außer dir.“
Ich lachte sie an, für einen Moment zog etwas wie Enttäuschung über ihr Gesicht und sie schaute mir in die Augen, als suchte sie etwas in mir. Wollte sie etwa weiter diskutieren? Machte sie das an?
Doch das dauerte nur einen Augenblick, dann kehrte ihr Lächeln zurück. Wie eine aufzüngelnde Flamme erhob sie sich, strich ihren Rock glatt, griff nach meiner Hand und sagte: „Lass uns auf dein Zimmer gehen. Vielleicht gibt es ja etwas, das du besser kannst als reden.“
Ich stand auf, sie ließ meine Hand wieder los und ich fand es in Ordnung so. Wir waren schließlich kein verliebtes Pärchen. Schweigend gingen wir die wenigen Schritte bis zum Fahrstuhl. Links daneben war der Treppenaufgang. Ich sagte: „Es ist nur eine Etage.“
Vielleicht konnte sie in meinen Kopf schauen, vielleicht spielte sie gerne und nicht nur mit Worten - sie wendete sich zur Treppe und nahm jede Stufe davon wie ein Mannequin auf dem Laufsteg. Jeder ihrer Schritte spannte den Seidenrock über ihrem Po, straffte die Muskeln in ihren Waden über den schlanken Fußgelenken und die Nähte ihrer Strümpfe darüber befeuerten eine Landepiste, die auch ein Jumbojet nicht würde verfehlen können.
Vierzehn Stufen und zwanzig Schritte später schnappte ich nach Luft. Jeder, der schon einmal hinter einer schönen Frau im Rock oder in engen Jeans und mit High Heels eine Treppe hinaufgestiegen ist, kennt das und nur Eunuchen können dabei cool bleiben. Das elektronische Schloss in der Zimmertür akzeptierte die Karte in meiner zitternden Hand erst im zweiten Versuch, denn ich hatte nur noch eines im Kopf - wie ein Tier über Ela herzufallen, sie zu packen, auf das Bett zu werfen, ihr den Rock hoch zu zerren und das mit ihr zu tun, was auch sie wollte.
Aber weil es so einfach war, taten es auch nur Tiere. Ein Orgasmus dauert nur Sekunden und einmal an der Endstation, führt kein Weg mehr zurück. Jeder Genuss, jedes Glück sind nur noch Erinnerung und so bleibt nur, der Zeit ein Schnippchen zu schlagen und jede Sekunde zu dehnen bis in die Unendlichkeit.
Ela lehnte im Flur mit dem Rücken an der Wand und hatte ihre Arme vor der Brust verschränkt. Gekonnt ließ sie das Licht eines Neonspots auf dem seidigen Schwarz ihres lasziv angewinkelten und an der Wand abgestützten Beins spielen und lächelte mich unter halbgesenkten Wimpern an, wie es nur Frauen in solchen Momenten können.
Ich griff nach ihren Handgelenken, drückte Zentimeter für Zentimeter ihre Arme auseinander, bis es nicht mehr weiter ging und sie wie an der Wand gekreuzigt vor mir stand. Nur Zentimeter trennten mich noch von ihrem halbgeöffneten Mund mit den verführerisch feucht glänzenden Lippen - aber das wäre zu einfach gewesen.
Sie wehrte sich nicht und atmete heftig, ich schob mein Knie zwischen ihre Beine, mein Oberschenkel tastete nach ihrer Lust, aus Sanftheit wurde Druck und ihre Arme zuckten. Zischend atmete sie ein - war ich zu ungestüm? Egal!
Das Testosteron ließ mich kochen und ich packte fester zu, fesselte ihre zarten Gelenke mit meinen Händen und die Härte, die sie jetzt zwischen ihren Beinen spüren musste, war nicht mehr nur mein Oberschenkel. Ich bewegte ihn, erst langsam, fast zärtlich, dann fester, heftiger und jetzt musste es ihr weh tun.
Sie kam mir entgegen, presste mein Bein zwischen ihren Schenkeln fest und da war endlich ihr Stöhnen. Mein Mund fand ihren. Fest, hart, besitzergreifend. Gierig suchte meine Zunge, fand, und es war wie ein elektrischer Schlag. Speichel lief aus ihrem Mundwinkel, sie presste ihre Brüste gegen mich und ich hätte gemordet für die Berührung dieses Fleischs, für den Moment, in dem ihre Brustwarzen unter meinen Fingern hart wurden - und es war der Moment, es nicht zu tun.
Ich ließ sie los und trat zurück. Enttäuschung schoss ihr ins Gesicht und sie öffnete den Mund, doch ich packte sie wie eine Katze im Genick und drehte sie zur Wand. Sie würde erst das Bett erreichen, wenn ihr die Knie so zitterten, dass sie unter ihr nachgaben.
Eng schmiegte sich die glänzende Seide um ihre Hüften und die beiden Wölbungen darunter schrien mir zu: „Fass mich an!“
Noch immer zu früh. Ich tastete nach ihren Ohrläppchen, ihrem Hals, ließ meine Hände tiefer wandern und Schauer rieselten über ihre Haut. Ich spürte die Wirbel ihres Rückgrats - oder die Verschnürungen eines Korsetts? Wenn ich ihr den Stoff vom Leib fetzte, würde ich es wissen.
„Mach weiter“, flüsterte sie mit rauer Stimme.
Keine Zärtlichkeit mehr, ich packte mit einer Hand ihre Brust, die andere griff ihr zwischen die Schenkel, drückte sie mit Gewalt gegen meinen Unterleib und mein Glied. Ein Gedanke schoss mir ein - mochte sie es vielleicht auch da, wo die Sonne nie hinscheint?
Ich packte ihr Haar, beugte ihren Kopf nach hinten und knurrte: „Wehe du bewegst dich!“
Meine anderen Hand wusste, was sie finden wollte und glitt über die Innenseite ihrer Beine nach oben bis unter den Rock. Die Muskeln ihrer Schenkel zuckten. Viel Zucken und viel Schenkel. Ich mochte dieses Fleisch und ich mochte, wie sie es verpackt hatte.
Meine Hand nahe dem Zentrum ihrer Lust. Sie zitterte. Stöhnende Enttäuschung von ihr, als meine Hände wieder abwärts wanderten, wieder aufwärts, wieder abwärts ...
Dann knickte sie in den Knien ein, um meiner wieder nach oben wandernden Hand mit ihrer Lust zu begegnen. Regelverstoß!
Ich ließ sie los, sie spannte die Muskeln, als wollte sie sich umdrehen und sofort presste ich mich wieder an sie, meine Hand hart in ihrem Nacken: „Ich hatte gesagt, du sollst dich nicht bewegen!“
Sie öffnete den Mund, meine Hand verschloss ihn. „Du bewegst dich, wenn ich es sage und du redest, wenn ich es sage!“
Schock? Empörung? Angst? Gut so. Ich wollte ihre Lust. Ich wollte sie, bis ihr die Luft wegblieb. Kein Streicheln mehr, Zupacken, Kneten - ihr Stöhnen mit jedem Atemzug, dann zuckte sie wieder.
Strafe! Wie eine Peitsche meine Frage: „Was willst du jetzt?“
Sie fuhr wie eine Tigerin herum, packte mit einer Hand meinen Nacken und presste ihren Mund auf Meinen. Mit der anderen griff sie mir zwischen die Beine, fand mein Glied und sie wusste genau, was sie da zu tun hatte.
Dann wurde sie plötzlich steif. Ihre Hand kam wieder zwischen meinen Beinen hervor, stemmte sich gegen meine Brust, in ihren Augen veränderte sich etwas und sie rief: „Halt!“
Ich zuckte zusammen. Was hatte ich falsch gemacht? Aber bevor ich fragen konnte, legte sie mir einen duftenden Finger auf die Lippen und flüsterte: „Ich will es nicht so. Ich will es genießen, jede Sekunde mit dir ausleben. Bitte, ja?“
Wie ein begossener Pudel stand ich da und wusste nicht, was ich tun sollte. Ohne mich anzusehen, nahm Ela meine Hand, zog mich zum Bett und ich folgte ihr wie ein Roboter, dessen Programmierung jemand gelöscht hatte.
*
Ich saß auf der Bettkante und wusste nicht, was ich tun sollte. Oder was ich tun durfte? Welche der vielen Seiten, die sie mir bis jetzt gezeigt hatte, war die wirklich Ela? Oder kannte ich die eigentliche Frau dahinter noch gar nicht?
Königlich war sie durch das Spalier der Gäste geschritten, um sich mir danach kokett und forsch auf dem Barhocker zu präsentieren. Auf der Ledercouch hatte sie sich verspielt und kuschelig präsentiert, aber auch ernsthaft und nachdenklich. Da war aber noch etwas und das konnte ich nicht einordnen. „Verbohrt“ traf es nicht direkt, aber irgendwie war der Moment, in dem sie mich mit ihren Fragen in die Ecke getrieben hatte, immer noch präsent in meinem Hinterkopf. Danach dieses Spiel im Flur, voller Lust und Erregung - und dann die eiskalte Notbremse eben, die ich an dieser Stelle niemals erwartet hätte. Wer war diese Frau, die mit jedem Wort log und was wollte sie von mir?
Ela war um das Bett herumgegangen und hatte das Licht im Flur gelöscht. Jetzt knipste sie die Nachttischlampe an, nahm mein Gesicht in beide Hände und küsste mich zart und lange auf den Mund. Welche Ela lerne ich jetzt kennen, dachte ich und genoss die Berührung ihrer weichen Lippen mit geschlossenen Augen.
Sie richtete sich auf und begann, sich auszuziehen. Eine Frau, die einen Striptease hinlegt, lächelt dabei, bewegt sich kokett hin und her und spielt mit ihrem Opfer. Doch nicht Ela. Knopf für Knopf öffnete sie die Bluse, und der Ernst in ihrem Gesicht schien zu sagen: „Ich tue es nur für dich.“
Mit einem leisen Rascheln glitt die Seidenbluse an ihren Armen nach unten, dann war der Rock an der Reihe. Das Geräusch, mit dem sie den Reißverschluss hinter ihrem Rücken öffnete, klang unnatürlich laut in der Stille meiner atemlosen Erwartung und gebannt folgte mein Blick seinem Weg über ihr nach vorn gestelltes Knie bis zum Erdboden.
Der konzentrierte Ausdruck in ihrem Gesicht gab ihrer Entkleidung etwas ungeheuer Erregendes und ich wollte nichts anderes mehr als diese Frau an meinem Körper spüren, sie mit Zärtlichkeiten ersticken und ihr den Ernst aus dem Gesicht küssen.
Sie half mir nicht beim Ausziehen. Erst, als ich meinen Slip nach unten zog, legte sie den Kopf ein wenig schräg, befeuchtete mit der Zunge ihre Lippen und sagte: „Also doch kein Dinosaurier.“
Sie stieß mich in ihrer Unterwäsche aufs Bett, Strumpfhalter und Strümpfe, sogar ihre roten Lackpumps hatte sie noch an. Der BH und die Miederhose glänzten im Licht der Nachttischlampe, als wären sie aus Silber. Sie setzte sich auf mich und flüsterte mir ins Ohr: „Aber für einen Hengst würde es reichen.“
Ich fragte: „Willst du dich nicht ganz ausziehen?“
„Muss ich?“
„Du musst gar nichts. Ich dachte nur, es wäre angenehmer für dich.“
Statt einer Antwort zeigte sie mir mit ihren Händen, ihrem Mund und ihrer Zunge, was sie unter „angenehm“ verstand und wieder erinnerte ich mich an den Vulkanschlund, über dem ich gar gekocht wurde. Ich begann mir gerade ein wenig Sorgen zu machen, wie lange ich das noch aushalten konnte, da rutschte sie wieder nach oben, gab mir einen Kuss auf den Mund und legte sich neben mich.
Zeit für die Revanche. Die Haken ihrer Miederhose hatte sie selbst geöffnet und um ihre Beine zu spreizen, musste ich mich nicht anstrengen. Der Moschusduft zwischen ihren Schenkeln benebelte meine Sinne, sie begann zu stöhnen, presste ihre Unterleib gegen mein Gesicht, ihre Beine umschlangen meinen Nacken und ihre Hände verkrallten sich in meinen Haaren. Doch ich wollte es mit ihr gemeinsam, wollte es mit dem tun, was aus einem Mann einen Mann macht.
Ich befreite mich aus ihrer Umklammerung, legte mich seitlich neben sie mit einem Knie zwischen ihren Schenkeln und fragte: „Na, ist dir nicht warm geworden?“
Sie schaute mich an und hatte wieder die Falte auf der Stirn. „Stört es dich, dass ich mich nicht ganz ausziehe?“
„Ich finde es nur ungewöhnlich.“
Die Falte wurde tiefer. “Wie meinst du das?“
Ich küsste sie zärtlich in die Halsbeuge. „Hey, es ist nicht böse gemeint. Wenn wir vorhin weitergemacht hätten, wärst du nicht einmal dazu gekommen, dir den Rock auszuziehen. Ich hätte dir nur die Miederhose heruntergerissen und dich in deinen Klamotten gefickt. Jetzt, hier im Bett ist es ungewohnt. Aber ganz ehrlich - es sieht irre aus.“
„Irre wie krank?“ Immer noch dieser seltsame Gesichtsausdruck.
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, sehr sexy.“
Sie nahm meine Hände und drückte sie auf ihre unter dem BH verborgenen Brüste. Ich packte zu, mir war nicht nach Streicheleinheiten und sie nahm meine Hände wieder weg. „Tss, der Dinosaurier darf später brüllen. Ganz sacht. Fühlen, tasten!“
Wenn sie es so wollte, konnte ich mich auch zusammenreißen und sanft strich ich mit der Hand über ihren BH.
„Na, wie fühlt sich das an?“
„Wieso fragst du mich? Ich dachte, es wären deine Brüste und du musst mir sagen, wie sich das anfühlt.“
Wieder so etwas wie Enttäuschung in ihrem Gesicht. Ich würde diese Frau wohl nie verstehen. Na gut, ihr BH und wahrscheinlich auch die Miederhose waren aus reiner Seide, nichts weiter, keine Verstärkungen, keine Polsterung und es war fast schon erregend, nur den Stoff zu berühren. Aber wer interessierte sich für Stoff, wenn er nackte Frauenhaut haben konnte, die so wunderbar zart war die Elas?
Sie griff nach ihrer Handtasche und ich wurde verlegen. „Ich weiß, ich habe noch etwas vergessen.“
„Nein, ich glaube nicht, dass du das vergessen hast. Wenn du so ein Mann wärst, würde ich jetzt nicht hier sein und mit dir schlafen wollen. Ich denke eher, du hättest gleich angefangen, unter dem Kopfkissen zu suchen oder nach deinem Sakko zu angeln. Und wenn du das Kondom dann gefunden hast, bekommst du die Verpackung nicht auf, weil deine Finger nass sind und deine Nägel kurz. Du scheinst nicht viel Erfahrung mit solchen Situationen zu haben, oder?“
„Also hör mal ...“
Ihre zärtliche Hand auf meinem Mund stoppte meine Antwort. Dann brauchte sie beide Hände, um sich im Innern des Universums aller Frauen zu orientieren. Sie wurde fündig und es kamen Kondome, ein glänzendes Tuch und ein Dildo zum Vorschein.
„Hey, ich habe zwar keinen Dinosaurierschwanz, aber mein Selbstbewusstsein sagt mir, dass du den Dildo nicht brauchen wirst.“
„Vielleicht ist der Dildo ja für Dich?“ Ela prustete laut und kam wieder zu mir.
„Wie bitte?“ Sprachlos und knallrot war ich froh, dass die Leuchte auf dem Tischchen nur wenig Helligkeit spendete. „Was willst du eigentlich mit dem Tuch? Wenn du eine Unterlage brauchst - wir haben Hotelhandtücher.“
Urplötzlich wurde sie wieder ernst, schaute erst auf das Seidentuch und dann mich wieder an. Es war der gleiche Blick, mit dem sie mich angesehen hatte, als wir uns kennenlernten. Als suchte sie etwas, als wollte sie etwas finden in mir. Nur einen winzigen Augenblick, dann drückte sich mich nieder und schwang sich auf mich.
Ich hasste es, wenn eine Frau das tat, schließlich war ich kein Pascha, der es sich von einer Haremsdame besorgen lassen musste. Ich wollte sie vor mir hertreiben, ihr Stöhnen hören, ihre Muskelkontraktionen spüren und mich als Sieger fühlen, wenn es ihr endlich kam - und mir natürlich auch. Es ist eine Kunst, so etwas gleichzeitig hinzubekommen und ich hielt mich für einen Meister darin.
Doch was ich wollte, schien sie nicht zu interessieren. Sie begann sich auf mir zu bewegen, ich wollte mich ihr angleichen, aber sie schüttelte nur den Kopf, klammerte mich mit ihren Schenkeln fest und bewegte weiter ihren Unterleib. Sie blickte mir ins Gesicht dabei und wieder bekam ich das Gefühl, das sie mich prüfte, dass sie etwas wissen wollte und sich nicht traute, mich zu fragen.
Es wäre sowieso zu spät gewesen für Antworten. Ich wollte jetzt keine fragenden Blicke und kein Suchen nach Antworten auf ungestellte Fragen. Sie passte sich mit ihren Bewegungen dem Stöhnen an, das sie aus mir heraus presste. Dann wurde sie schneller, heftiger, wilder und mein Blick wurde zu schwach, sie zu halten. Mit geschlossenen Augen lag ich unter ihr, von ihren Schenkeln und Händen gefesselt, fühlte jeden Zentimeter ihrer Haut und musste zulassen, dass sie sich selbst als Instrument für meine Lust benutzte. Der Schmerz, als sie die Nägel ihrer Hände in meinen Rücken grub, wurde zu Lust, genau wie die Bisse ihrer Zähne in meine Brust. Sie ritt wie eine Furie auf mir, als kämpfte sie um etwas, als wäre es ihr immer noch nicht genug.
Dann bog sich mein Körper unter ihr in einem unmöglichen Winkel, etwas in mir wollte sie abwerfen, doch sie presste mich mit ihren Schenkeln wie in einem Schraubstock zusammen - und hielt still! Ich schnappte nach Luft, trauerte etwas hinterher, das hätte eine Explosion sein können, da begann sie wieder von vorn. Noch heftiger wurden ihre Bewegungen, ich begann zu schreien, sie ließ sich nach vorn fallen, presste mir eine Hand auf den Mund, ich brüllte erstickend und blind mit der letzten Luft die Explosion in die Welt und das Zimmer um mich herum versank im Dunkeln.
Sofort rutschte sie von mir herunter, ich blieb mit geschlossenen Augen liegen, schnappte nach Luft und versuchte zu verstehen, warum sich statt Entspannung so etwas wie Enttäuschung, ja sogar Zorn in mir breitmachte. Ich hätte mich jetzt gerne an Ela gekuschelt, doch urplötzlich war eine unsichtbare Mauer zwischen uns. Und Kälte.
Sie keuchte leise neben mir. Hatte sie sich weh getan auf mir? Hatte ich ihr weh getan? An die letzten Minuten hatte ich nur noch eine bruchstückhafte Erinnerung. Ich öffnete meine Augen, doch sie hatte das Licht gelöscht und so tastete ich nach ihr. Ihr ganzer Körper zuckte und ich wollte mich an sie schmiegen und sie beruhigen. „Lass mich“, fauchte sie, schüttelte meine Hand ab und keuchte weiter.
Ich tastete nach dem Lichtschalter und sie stöhnte: „Nicht!“
Was passierte hier gerade? Sie keuchte, als würde sie noch auf mir sitzen. Ich musste es wissen! Leise streckte ich wieder die Hand nach dem Lichtschalter aus, drehte meinen Kopf in Richtung des Stöhnens neben mir, drückte den Knopf, das Licht ging an und Ela stieß einen spitzen Schrei aus.
Sie lag auf dem Rücken und ihre langen, schwarzen Haare bildeten ein wirres Knäuel auf dem weißen Kopfkissen. Sie hatte die Beine angestellt, die Halter ihrer Strümpfe waren bis zum Zerreißen gespannt, die Absätze ihrer roten Schuhe gruben sich in das Laken, eine Hand hatte sie sich auf den Mund gepresst und mit der anderen tat sie etwas zwischen ihren weit gespreizten, vor Schweiß glänzenden Schenkeln.
Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, aber dann kochte rasende Wut in mir hoch. Sie hatte mich nicht nur mit Worten verarscht! Mit ihrem „Halt“ vorhin hatte sie sich die Kontrolle zurückgeholt und dann mit mir gespielt. Was war ich für sie gewesen? Ein Versuchsrammler? Sie hatte mir ihren Orgasmus verweigert, mich aussehen lassen wie einen Versager und verpasste mir nun die Höchststrafe - sie besorgte es sich vor meinen Augen selbst! Ich musste zweimal ansetzen, bevor ich etwas sagen konnte und dann brachte ich nur ein Wort hervor: „Raus!“
Röte schoss ihr ins Gesicht, sie sprang auf, wankte einen Moment und hielt die Decke wie einen Schutz vor ihren Körper. Eine Sekunde schaute sie mich noch an und alles, was ich in ihren Augen las, war Hass. Sie griff nach dem Dildo, warf ihn in ihre Handtasche und schlüpfte in Rock und Bluse.
Nur Sekunden später stand sie im Flur und starrte mich wortlos an. Es gibt eine Stille, die ist wie ein Schrei und ihr dunkler Rauch drang mit Elas Blick bis in die letzte Ecke meines Hotelzimmers. Mit immer noch halb erigiertem, feuchtem Glied saß ich auf der Bettkante und in meinem Kopf tobte ein wildes Chaos. Mein Herz hämmerte und ich wusste nicht, was ich tun sollte. Da stand die Frau, die mich die letzten Stunden mit ihren Widersprüchen zwischen Himmel und Hölle hin und her gejagt hatte, bis ich nichts anderes mehr gewollt hatte als sie. Sie war ein Rätsel auf zwei Beinen, verführerisch, widersprüchlich, charmant, kratzbürstig, sexy - und krank?
Ja, es konnte nichts anderes sein. Sie musste krank sein. So benahm sich keine normale Frau. Ich stand auf, aber sie streckte mir einen Arm entgegen, mit der Handfläche zu mir, und obwohl wir drei Meter auseinanderstanden, war es, als wäre ich gegen eine Mauer gerannt.
„Komm mir nicht näher und fass mich nicht an. Fass mich nie wieder an! Dein Gehirn sitzt zwanzig Zentimeter unter dem Bauchnabel, wie bei allen Kerlen. Du kannst nicht weiter denken als bis zu dem Moment, wo du eine Frau flachgelegt hast. Du verstehst keine Andeutungen und dich interessiert nur, was eine Frau zwischen den Beinen und nicht was sie im Kopf hat.“
Sie straffte sich, drehte sich um und mit erhobenem Kopf und dem gleichen Gang, mit dem sie vor ein paar Stunden durch die Bar zu mir gekommen war, verließ sie mich. Es dauerte Minuten, bis ich aufstand und zum Fenster ging. Ein Kleinwagen auf dem Hotelparkplatz setzte den Blinker, parkte aus und bog in die Wismarsche Straße ein. War sie es?
Irgendetwas heute Abend war fürchterlich schief gelaufen und ich verstand nicht, was. Ich ging zum Schreibtisch, klappte meinen Laptop auf und schaute mir das Profil der Eisprinzessin an. Erst jetzt fiel mir auf, dass sie es erst vor zwei Tagen hochgeladen hatte und das erklärte Einiges. Jetzt, wo ich sie kannte, sah ich, dass es tatsächlich ihr Bild war. Vielleicht hatte sie eine Perücke getragen, als das Foto gemacht worden war und ich wusste nun, dass die verkniffenen Lippen tatsächlich die Haare auf ihren Zähnen verbargen. Alle ihre Wünsche liefen auf einen Mann hinaus, dessen Toleranzgrenzen weiter als gewöhnlich waren und der damit umgehen konnte, wenn eine Frau „anders“ war. Bis eben hatte ich mir nicht vorstellen können, was sie damit gemeint haben könnte. Jetzt wusste ich es - sie hätte nicht „anders“, sondern „krank“ schreiben sollen.
Sie hatte mir einen Haufen Puzzlesteine vor die Füße gekippt und vielleicht gehofft, dass ich sie zusammensetzen würde. Da hatte sie falsch gedacht und mit ein bisschen Grips hätte sie es schon vorhin kapiert, als ich ihr durch die Blume gesagt hatte, dass so etwas nicht meine Baustelle ist.
Ich dachte an das Gespräch in der Bar, wie oft sie von eloquent nach kratzbürstig gewechselt hatte und mir ständig das Gefühl gegeben hatte, dass nichts davon die richtige Ela war, genau wie hier in meinem Hotelzimmer. War das Schizophrenie? Erfahren würde ich es wohl nie und eigentlich interessierte es mich auch nicht. Nicht mehr. Wir leben alle in unserer ganz privaten Hölle und für die Probleme, die sie hatte, gab es mit Sicherheit Ärzte. Und wenn nicht, fand sie ja vielleicht irgendwann einen Idioten, der mit ihr zurechtkam, schließlich gab es für jeden Topf den passenden Deckel.
Ich klappte den Laptop zu und ging ins Bett. Ende der Geschichte. Ich hatte eine wirklich aufregende Frau erlebt, einen Superorgasmus gehabt und das Danach vertrieb ich aus meiner Erinnerung.
Ich war ein Mann.
*
Regen, der an die Fensterscheiben trommelte, riss mich aus dem Schlaf. Der neue Tag begrüßte mich mit trostlosem Grau und ich erwachte mit verklebten Augenlidern und Kopfschmerzen. Ela war mir im Traum in einer Rüstung erschienen, die mein Schwert nicht hatte durchdringen können und kopfschüttelnd stieg ich auf ihrer Seite aus dem Doppelbett. Fast wäre ich über ihre Decke, die sie achtlos hatte zu Boden gleiten lassen, gestolpert. Ich hob sie auf, legte sie aufs Bett und das Tuch, das sie am Abend zuvor auf dem Nachtschrank platziert hatte, fiel heraus. Ich konnte nicht anders, ich nahm es und strich mir damit über die Wange.
Zweimal in meinem Leben hatte ich so etwas gefühlt, das erste Mal an meinem sechzehnten Geburtstag. Ich hatte mich als Jugendlicher ein wenig an der Malerei versucht und meine Eltern hatten mir eine Ausrüstung für Seidenmalerei geschenkt. Dafür wird Habotai-Seide verwendet, sie ist unglaublich glatt und allein die Berührung dieses Materials ist wie ein gehauchter Kuss.
Das zweite Mal hatte ich es in dieser Nacht gefühlt, als Ela meine Hände auf ihren BH gedrückt hatte. Das Tuch trug noch immer ihren Duft, den gleichen, der auch zwischen ihren Beinen meine Nase betört und mich fast dazu gebracht hatte, meine Beherrschung zu verlieren.
Was machte er an diesem Tuch? Und dann, wie auf einem Foto, sah ich wieder den Moment, als ich das Licht angeknipst hatte. Ela hatte auf dem Rücken gelegen, mit gespreizten Beinen, und erst in der Erinnerung daran sah ich das Tuch in ihrer Hand dazwischen. Ein Satz stieg aus meiner Erinnerung auf, ein Satz, den ich nicht wichtig genommen hatte: „Könntest du mit so einem Menschen leben?“
Ich warf das Tuch achtlos aufs Bett und ging Duschen, doch auch hier ließ mich die Frage nicht los. Ela trug Unterwäsche aus reiner Seide, sogar beim Sex und hatte gewollt, dass ich es mochte. Sie hatte mich befriedigt, und als ich fertig gewesen war, hatte sie es sich selbst gemacht, wahrscheinlich mit diesem Seidentuch, aber sich nicht getraut, es mir zu sagen oder es mir zu zeigen.
Ich stellte das Wasser ab, und erinnerte mich beim Abtrocknen an meine Antwort. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie das funktionieren sollte.“ Das konnte ich mir immer noch nicht, schon gar nicht mit einer Frau, die so oft gehofft und deren Hoffnungen wahrscheinlich so oft enttäuscht worden waren, dass sie nur noch Angst hatte und um sich biss wie ein in die Enge getriebenes Raubtier. Aber sie war so stark. So stark, dass sie es immer wieder versucht hatte. Zuletzt mit mir und ich hatte mich nun auch in die Liste ihrer Enttäuschungen eingetragen.
Das waren die nüchternen Fakten, die ich gestern nicht zusammenbekommen hatte, weil viel zu viele Hormone im Spiel gewesen waren. Sie hätte Besseres verdient gehabt, als ein solches Ende und meinen Rauswurf. Ich hätte Besseres verdient gehabt, denn ich hatte nicht ihren Körper gewollt, zum Schluss. Ich hatte etwas anderes gewollt und es nicht bekommen. Sie hatte etwas anderes gewollt und es auch nicht bekommen. Ich klappte den Laptop auf, loggte mich in der Kontaktbörse ein und suchte wieder nach ihrem Profil. Ich wollte eine zweite Chance.
Sie nicht. Sie hatte ihr Profil gelöscht.
Eine Stunde später spazierte ich die Wismarsche Straße hinab in Richtung Marienplatz. Hier hatte ich um zwölf einen Termin bei Dr. Weinhold, bei dem es um meinen Stundensatz gehen würde und danach war dann das übliche Brimborium fällig mit Teamvorstellung, Projekteinweisung und Sicherheitsprozeduren.
Ich hatte gut gefrühstückt, genoss trotz des schlechten Wetters den Spaziergang durch eine der ältesten und für mich schönsten Straßen Schwerins und war froh, endlich wieder arbeiten zu können. So war es immer, das Leben war kompliziert und nur, wenn ich in irgendeinem Projekt schuftete, fühlte ich mich wirklich ganz.
Der vergangene Abend war nur noch ein Schatten in meiner Erinnerung. Ich hatte gelernt, mit so etwas zu leben. Menschen waren schwierig, unberechenbar und meistens nachtragend. Darum liebte ich Computer, wenn sie zickig wurden, verpasste ich ihnen ein neues Programm und alles war wieder gut.
Am Eingang zum Rechenzentrum der Bank erwartete mich ein Mann in einem dreiteiligen Anzug, mit der Statur eines Sumoringers und einem vermutlich nichtssagenden Lächeln hinter einem pechschwarzen Vollbart. Er stellte sich mir als der Projektleiter für das neue Obligo-Verfahren vor, an dessen Entwicklung ich mitarbeiten sollte. Sein Name hatte unter der Mail gestanden, mit der ich eingeladen worden war. Vor einem Jahr war ich in Kiel an einem ähnlichen Projekt beteiligt gewesen und wahrscheinlich hatte er von da meine Referenzen bekommen.
Er kümmerte sich darum, dass ich ohne Probleme die zwei Personalschleusen überwinden konnte, die nacheinander den Eingang zum Rechenzentrum, der in jeder Bank ein Hochsicherheitstrakt war, passieren konnte. Außer einem „Moin!“ hatte er noch nicht ein Wort gesprochen und das wunderte mich nicht. Freelancer wie ich waren nirgendwo beliebt. Wir drangen in die Struktur bestehender Teams ein und waren überall Fremdkörper. Dazu kassierten wir das Doppelte oder Dreifache eines Angestelltengehalts und das weckte immer Neid. Dass wir dafür bis zum Umfallen schufteten, mehr als zwei Drittel des Geldes Kosten und Risikoabdeckung waren und wir nicht irgendjemanden bei einem Problem um Hilfe bitten konnten, sahen sie dann eher weniger.
Es sah so aus, als würde ich auch hier in den nächsten Monaten mein Mittagessen alleine einnehmen.
Wir erreichten ein kleines, gemütliches Konferenzzimmer mit Ausblick auf das Treiben auf dem Marienplatz, einem länglichen Tisch mit acht Stühlen und einer mannshohen Yuccapalme in einer Ecke. Ein junger Mann mit Glatze und schwarzer Nerd-Brille wartete auf uns. Er erhob sich, stellte sich vor und reichte mir die Hand. Der Projektleiter setzte sich so, dass zwischen ihm und dem Nerd ein Stuhl frei blieb, wies mir den Platz gegenüber, mit der Tür im Rücken zu, und damit war schon einmal klar, wie die Rollenverteilung in den nächsten Minuten sein würde - ich gegen die Bank, denn es ging ums Geld.
Der Ausdruck in ihren Gesichtern war weder freundlich noch abweisend, lud aber auch nicht gerade zu einem Smalltalk ein und ich fragte mich, warum.
„Ich war mit Dr. Weinhold verabredet. Wir wollten meinen Stundensatz klären,“ eröffnete ich. In solchen Situationen war es immer gut, selbst die Initiative zu ergreifen.
Hinter mir antwortete eine Frau: „Das werden wir auch tun.“
Die beiden Männer sprangen von ihren Stühlen auf, als hätte ein Admiral die Brücke seines Schiffs betreten, nur bei mir dauerte es einen Moment, bis die Erkenntnis einschlug. Mit zitternden Kniekehlen drückte ich mich aus dem Bürostuhl und drehte mich langsam um.
„Hallo Herr Renner, ich bin Dr. Weinhold“, sagte Ela, streckte mir die Hand entgegen und wie in Trance griff ich danach. Meine Gedanken rasten, ohne etwas anderes ...