Der Falke
Es brummte und dröhnte, ein Vibrieren lief durch die Steine, das letztendlich auch jede Faser des Körpers erfasste und von den Fußspitzen bis zum Haaransatz spürbar war. Kleinste Staub- und Sandpartikel rieselten auf Marik herab. Minutenlang dauerte es, bis auch die letzte Spalte geschlossen, jede Fuge luftdicht abgeriegelt war. Marik stand still wie eine der Statuen, die an der hinteren Wand im schwachen Licht der Fackel erkennbar waren. Eine unheimliche Stille bereite sich aus, die wie das Luft anhalten des Universums auf ihn wirkte. Er keuchte, und sein Atmen kam ihm so laut vor wie das Rauschen des Wasserfalls, an dem er sich mit Neri so oft getroffen hatte. War das wirklich erst vor wenigen Tagen gewesen, als er mit ihr in den Strahlen der Sonne unter azurblauem Himmel gelacht hatte?Er bemerkte, wie seine Augen sich mit dem Saft der Traurigkeit füllten und ließ es geschehen, denn hier konnte es niemand sehen. Neri, seine Liebste mit den lachenden, sanft braunen Augen, deren Haar in der Sonne glänzte wie das Gefieder der schwarzen Vögel. Sie wusste nicht wo er war und warum. Er hatte sich nicht verabschieden dürfen, von niemandem, nicht mal von seinen Eltern. Das war der Preis dieser zweifelhaften Ehre, derer er sich nicht hatte entziehen können, denn Amun selbst war es, der ihn beim letzten Tempelfest gerufen hatte.
Drei Tage würden die Fackeln den Raum erleuchten. Drei Tage, in denen er Speis und Trank mit dem Gottkönig teilen durfte, und der danach seine Reise in das Land der Binsen antreten würde. Pharao war ein guter und weiser Herrscher auf Erden gewesen, so dass er das "Gericht der Maat" nicht fürchten musste. Sein Herz war ganz sicher nicht schwerer als die Feder der Göttin der Gerechtigkeit.
Marik nahm sich einen der Krüge, die mit feinstem Wein gefüllt waren, und entsiegelte ihn. Mit einem kräftigen Schluck spülte er Sand und Staub die Kehle hinunter. Eines blieb noch zu tun. Ein letzter Stein musste noch eingedrückt werden, um diesen Raum an seinen endgültigen Ort, tief unter der Pyramide, zu bringen. Die Priester hatten ihm versichert, dass auch sein eigener Körper hier mit Pharao erhalten bleiben würde, auch ohne die sonst üblichen Einbalsamierungen. Darum war es auch so wichtig, den Raum an seine richtige Position zu bringen.
Marik beschloss die verbliebene Zeit zu nutzen und die leeren Papyrusrollen mit den Hieroglyphen seiner Geschichte zu befüllen. Die Beigaben des Pharao, alles was er an persönlichen Gegenständen besessen hatte, war hierher gebracht und aufgetürmt worden.
*
Drei Tage später, die letzte Fackel schickte ihr Flackern durch die Kammer, um von den Wänden gespenstisch gespiegelt zu werden. Wie Derwische sprangen die Schatten an den Wänden herum. Marik hatte seine Geschichte geschrieben, und eingerollt in einem der leeren Weinkrüge versenkt.
Die staubtrockene Luft machte durstig, und er beschloss, noch einen weiteren Krug zu entsiegeln. Überrascht stellte er fest, dass dieses nicht der Wein war, den er vorher getrunken hatte. Eine eher milchige, leicht glitzernde Flüssigkeit, deren Geschmack er nicht bestimmen konnte und der auf der Zunge kribbelte, durchflutete ihn. Erstaunt bemerkte er das Wohlgefühl, das von seinem müden Körper Besitz ergriff und ihn mit frischem Leben erfüllte. Es war ihm, als würden seine Augen jedes noch so kleine Detail in ungewohnter Schärfe sehen können. Die schweren Gedanken wandelten sich, gleich einer kleinen Wolke, die davon schwebte. Eine unglaubliche Leichtigkeit überkam ihn. Was diese geheimnisvolle Flüssigkeit auch sein mochte, sie tat ihm gut. Er nahm noch einen kräftigen Schluck, stand auf und erfüllte seine Aufgabe. Er drückte den Stein in die Wand und löste damit den letzten Mechanismus aus. Das dumpfe Beben und Grollen, das die Kammer durchzog, störte ihn gar nicht mehr, aber er musste sich setzen, um nicht den Halt zu verlieren, so heftig wackelte der Boden.
Wann das Beben genau aufhörte wusste Marik nicht, aber es war auch gar nicht mehr wichtig, denn er bemerkte etwas ganz anderes. Sein ganzer Körper war im Wandel begriffen, als forme man aus dem zähen schwarzen Schlamm des Nils aus einer Figur eine ganz neue. Alles war so selbstverständlich und klar. Seine Beine schrumpften und bekamen Klauen, aus seinen Armen wuchsen Federn und wurden zu Schwingen. Die Schärfe des Blickes nahm noch einmal zu, der Kopf wurde kleiner, und an Stelle seines Mundes ragte ein kräftiger Schnabel aus seinem Gesicht. Es war nicht nötig sich selber zu sehen, denn er wusste, dass er Horus gleich war. Als prächtiger Falke flatterte er auf den Sarkophag des Herrschers. Dort plusterte er sich auf und nahm seinen Platz am Kopfende ein. Die Gedanken verschwammen, der Falke wurde Bestandteil des Marmors, kalt, glatt glänzend, eine Statue, die mit weit aufgerissenen Augen in Richtung des vormaligen Eingangs starrte.
Er war Marik - Wächter des Pharao. Jetzt, und bis zum Ende der Pyramiden, bis in die Ewigkeit............
Damaris
16/06/16