AUFGELEGT
Dabei wollte ich unbedingt vor ihr auflegen, um ein letztes Schlupfloch zu strapazieren, die des Opfers. Tja...Seitdem wir uns kannten, hatte sie das erste Mal den Hörer auf die Gabel geschmissen. Alles roch nach Endgültigkeit. Irgendwie war ich erleichtert. Aber halt nur irgendwie. Insgesamt befand ich mich nach ihrem ‚Pass auf dich auf’ in einem Schockzustand. Ratlosigkeit. Es ist doch immer wieder das gleiche Naturschauspiel, das ich mit Frauen erlebe, am Ende der Fahnenstange. Ich sehe die große Welle deutlich auf mich zukommen, noch tausend Seemeilen und mehr entfernt... trotzdem. Jedes Mal erwischt mich die Welle aufs neue, beinahe völlig unvorbereitet. Zumindest fühlt es sich dann so an. Auch diesmal ging mir alles eindeutig einen Tick zu schnell und reibungslos über die Bühne. So wollte ich das keinesfalls. Nicht mal geheult hat sie. Das war’s. Das war der springende Punkt. Lu hatte nicht geheult. Sie ist nur wütend, aber nicht traurig im Sinn von Trauer und Endgültigkeit, bog ich mir meine fühlbar ausweglose Situation zurecht. Auch wenn die Hoffnung bekanntlich immer zuletzt stirbt, ihre Kaltschnäuzigkeit, diese Seite an ihr war mir vollkommen fremd, und ich muss zugeben, dass mich das eher noch mehr verunsicherte, als hoffen ließ.
Wären ihre sonst tautropfengroße Tränen ins Spiel gekommen, dazu noch ihr wohltuendes Flehen - weich wie ein Katzenfell, ich wäre sicherlich von meinem Weg abgekommen, endlich klare Verhältnisse zu schaffen. Aber nicht so. So nicht, meine liebe. Ich wollte mich von Luise wie ein Mann trennen.
Mit nur einer einzigen Aktion, den Hörer auf die Gabel zu knallen, hatte sie beinah alles auf den Kopf gestellt. Meine Trennung von ihr stak doch noch mitten in der Planungsphase... wie konnte sie da nur. Verdammt.
Eigentlich hätte ich Luise mehr als dankbar sein müssen, dass sie mir den schmutzigen Job des sich Trennens abgenommen hatte. Nun gehörte die Opferrolle allein mir. Schnell wurde mir klar, dass ich gar kein Opfer sein wollte. Dann hätte sie auf der Bühne des Lebens den Täter geben müssen, zwangsläufig. Das fand ich blöd. Ich mochte sie doch. Mehr als das. Luise war mir mit der Zeit richtig ans Herz gewachsen; der beste Kumpel den man sich nur wünschen kann. Verzwickte Situation.
Glücklicherweise konnte ich eine drohende schlaflose Nacht abwenden. Dafür brauchte ich mir nur die Gesamtsituation so hinzubiegen, dass es am Ende zwei beinahe gleichberechtigte Opfer gab. Ich fühlte mich unverstanden, Luise auch. So ein Patt ohne Täter, schien mir die allerbeste Voraussetzung, um einmal so richtig dicke Freunde werden zu können.
Wie schon gesagt, wenn sie angefangen hätte zu heulen... gut möglich das ich noch in der selben Nacht mit ihr geschlafen hätte. Mit Mitleid hat das nichts zu tun. Eher mit meinem zweiten Vornamen – Schuld. Ich, Frauen und ihre Tränen... auch eine interessante Baustelle. Eine Frau mit meiner puren Anwesenheit trösten zu können, gab mir schon immer den besonderen Kick. So ne Art Ritterschlag. Man bekommt zwar nicht irgend ein auf Hochglanz poliertes Schwert auf die Schulter gelegt... aber ein versöhnlicher Fick ist manchmal auch nicht ohne. Aber so...
So war’s irgendwie besser, machte ich mir Mut. Ein klarer und sauberer Schnitt. Ich nahm mir fest vor, von nun an keine Spielchen mehr zu spielen. In Zukunft wollte ich klar sagen was ich will, und was nicht. Ab sofort sollte zwischen Mann und Frau Klarheit herrschen. Ja. Ab sofort wollte ich alles ganz anders machen. Neue Runde. Neues Glück.
Wie das halt so ist, mit Trennungen... das dauert.
Leicht war’s nicht, die Zeit nach Lu’s Wutausbruch am Telefon; so typische Baumarktwochen, mit verheißungsvollen Angeboten, zu vermeintlich kleinen Preisen. Zwischen Luise und mir musste einiges geklebt, gebogen, geradegerückt, geschraubt und gekittet werden. Per Mail. Am Telefon. Face to Face. Auf neutralem Boden. Bei mir. Bei ihr. Wir wollten es ja beide, Freunde bleiben. Gute. Unbedingt.
Drei überaus anstrengende Wochen waren das. Reden. Reden. Reden. Dialoge gab’s auch. Verhöre. Einsicht. Einsichten. Gefühlschaos. Versprechungen. Inventur. Schwüre. Offenbarungen. Offenbarungseid. Meiner. Beinahe am Ende jeder Gesprächsrunde gab’s Sex mit der Ex, und zukünftigen besten Freundin, Luise. Der Sex mit ihr war – neben der ins Haus stehenden Freundschaft, der vermeintliche Preisvorteil der Baumarktwochen. Keine leichte Übung, Sex mit der Ex zu haben, die genau genommen keine war, weil... Das mit ihr war ja keine richtige Beziehung, so mit allem drum und dran; mit diesem ‚In guten wie in schlechten Zeiten...’.
Im Prinzip eine prima Sache, wenn’s funktioniert, das mit den schlechten Zeiten. Normalerweise unterschreibt man so etwas nur, wenn man irgendwie unter Drogen steht. Zum Beispiel im Liebeswahn. Lu hatte alles, was eine gute Droge ausmacht. Sie ist attraktiv, großherzig, intelligent, großzügig, rattenscharf. Ihre Kochkünste, die Waschmaschine, ihre Pornovideosammlung, der Premiereanschluss – inklusive aller möglichen Sportkanäle, das zwei Meter mal zwei Meter Bett, und, und, und. Ich weiß gar nicht wo ich mit meiner Aufzählung enden soll. Kochen. Ficken. Mich wohlfühlen. Wobei ich mich beim Kochen mehr aufs essen beschränkte. Beschränken musste. War ja alles schon fertig zubereitet, wenn ich bei ihr eintraf. Sie wollte das unbedingt so. Ich tat ihr den Gefallen, mich aufs Essen und loben des selbigen zu konzentrieren. Luise stellte nur eine einzige Bedingung, Pünktlichkeit. Aufgewärmtes Essen war nicht ihr Ding. Auch nichts aus der Dose. Bei ihr musste immer alles frisch sein. Lu war eine Droge. Die perfekte Droge. Keine Ahnung warum, bei mir wirkte sie nur als Partydroge. Ich konnte mich einfach nicht in sie verlieben. Vielleicht waren wir am Anfang viel zu schnell miteinander in die Kiste gestiegen, keine Ahnung.
In all der Zeit die wir zusammen waren, hatten wir entweder gute oder schlechte Trips. Dazwischen gab’s nichts. Wie so ein guter Trip aussah? Ganz einfach; gut essen und gut ficken. Die schlechten Trips passierten in der Regel am Telefon.
Nach den Baumarktwochen gab’s plötzlich hier und da die ersten Grautöne zwischen uns. Vorher gab’s nur schwarz oder weiß. Entweder - Oder.
Bedauerlicherweise trifft es nicht immer zu, das seit Adam und Eva schlechter Sex besser als gar keiner ist. Nach unseren Auseinandersetzungen ließ es sich meistens nicht vermeiden, mit Luise zu vögeln. Sie brauchte dann stets sehr viel Nähe. Ich eigentlich Abstand. Super Vorraussetzungen, für guten Sex. Ich machte mit, des lieben Friedens willen, und der Freundschaft mit ihr, die als Preis winkte. Je mehr wir miteinander diskutierten und stritten, desto öfter hatten wir Sex. Versöhnungssex. Abartig anstrengend. Was die Grautöne betraf, die gingen eindeutig auf ihr Konto. Von mir aus hätten wir einen sauberen Schnitt machen können. Ich konnte ihr im Bett sowieso nicht das bieten, was sie sich so sehr wünschte, Schläge. Das Grau begann von ihren Wahrheiten abzufärben, die sie mir immer öfter und dicker aufs Brot schmierte.
„Mensch Moritz, überleg doch mal; warum sollen wir ohne Sex auf die große Liebe des Lebens warten? Gar kein Sex macht doch auch keinen Sinn, oder? Wenn ich abends von der Arbeit nach Hause komme, hab ich doch keine Zeit und Lust mehr, mir mal eben beim Pizzaservice an der Ecke einen Lover zu organisieren. Da bleibe ich doch lieber für den Moment beim Altbewährten. Sei ehrlich, Abstriche muss man überall machen.“
„Ich bin also für dich das Altbewährte mit dem Abstrich?“
„So eng darfst du das auch wieder nicht sehen. Dafür geht’s, finde ich.“
„...“
„Hab ich jetzt was falsches gesagt?“
„Du? Nö.“
„Wirklich alles in Ordnung mit dir?“
„Ja.“
„Gut. Dann hätten wir das geklärt. Fein.“
Frauen. Die weibliche Psyche ist eine verdammte Mogelpackung. Disney-Land. Alles Pappmasche. Theaterleinwand. Steinlawinen aus Pappe. Illusionen. Egal was sie einem an die Hand geben, um das Schnittmuster ihrer Seele enträtseln zu können, am Ende wird immer wieder ein Rock draus.
Ohne Lu konnte ich nicht. Mit ihr wollte ich aber auch nicht mehr. Hickhack. Frauen können grausam sein. Frauen sind grausam. Das ich ein Mann sei, den sie sowieso nicht lieben könnte – NIE, das war eine weitere ihrer so genannten Wahrheiten, die keine Sau braucht. Jeder normale Mensch muss sich da fragen, warum ich mich auf diese unsäglichen Diskussionsrunden mit Luise eingelassen hatte. Ich nicht. Ich wusste es. Schon lang. Ganz einfach; schuldig hatte ich mich gefühlt. Weil ich zu feige war, ihr gleich von der Neuen zu erzählen. Dabei gab’s zu diesem Zeitpunkt noch – so gut wie, nichts zu berichten. Und dann bekommt man zu hören, dass man sowieso nicht der Mann wäre, welcher... Mahlzeit.
Recht muss Recht bleiben. Luise hatte Recht. So war sie halt, bzw. ist sie; klar und konsequent in der Verfolgung ihrer Ziele. So wie vorher wurde es nie wieder zwischen uns. Ich konnte ihr nicht verzeihen, dass sie das ausgesprochen hatte, was ich längst wusste. Welcher Mann will schon hören, dass er es nicht ist, den man lieben kann. Warum musste sie das unbedingt so brutal an den Mann bringen? Dabei waren wir uns doch von Anfang an einig, dass es nur eine reine Sexgeschichte sein sollte. Ihre angezettelten Scheingefechte... nölen hasse ich sowieso wie die Pest. Man erfährt nie den wahren Ursprung der Gemeinheiten, die sich ihren Weg nach Außen suchen. Und finden. Banane. Ihre Nörgelei war Punk in Reinkultur. Äußerst selten das Frauen einem die wahren Beweggründe ihrer Unmutsäußerungen mitteilen. Selbst wenn sie es wollten, sie wüssten es schlichtweg nicht. Falls Widererwarten doch, wären sie zu feige es einem ins Gesicht zu sagen. Komischerweise am Ende einer Beziehung nicht. Da kann man über ihre verbale Feuerkraft nur Bauklötze staunen. Gegenoffensive sinnlos. Die werden dann so viele Argumente, Gemeinheiten, Lügen, Halbwahrheiten, Wahrheiten und panzerknackende Dialogkiller gehortet haben, dass man erst gar nicht auf die Idee kommt, der Einkesselung aktiv kämpfend zu entkommen. Einfach reden lassen. In dieser Phase wird es einer Frau ohnehin nicht mehr darum gehen verstanden zu werden. Nicht von dir. Sehr wahrscheinlich darf sich an dieser Aufgabe inzwischen ihr Neuer versuchen. Es gibt nur einen Weg dem Kessel zu entkommen – sich tot stellen. Zum Glück hatte Lu kein Interesse am guten alten Verbrannte Erde Spiel. Das sich unser Beziehungsmodell ‚Sexuelle Affäre’ allmählich aber sicher tot lief, nahmen wir beide hin, wie man den letzten wirklich warmen Sommertag des Jahres hinnimmt. Keiner wird mit Bestimmtheit sagen können, ob’s tatsächlich der Letzte war. Dennoch, der Sommer ist unwiderruflich vorbei.