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Gesellschaftliche Entwicklungen und das Schreiben

Gesellschaftliche Entwicklungen und das Schreiben
Moin.
Ich poste hier einmal zwei Links, die ich für interessant halte. Nicht, um eine politische Diskussion vom Zaun zu brechen, sondern um die Frage vielleicht zu diskutieren, inwieweit das für Autoren von Bedeutung sein könnte.
Ich sehe hier zwei gegensätzliche Entwicklungen. Auf der einen Seite beklagte sich neulich eine Autorin, dass Krimis und Thriller immer "detailbrutraler" werden. Dass, wer in diesem Genre einen Bestseller landen will, möglichst genau schildern muss, wie mit welchem Werkzeug Körperteile abgetrennt werden. Auf der anderen Seite, in den geposteten Links, sehe ich eine gewollte Überempfindlichkeit, Diskussionsunfähigkeit und ja, auch gewollte Lebensuntauglichkeit der jungen Generation. Wie passt das zusammen, dass auf der einen Seite Brutalität in Fiktion immer aggressiver und menschenverachtender dargestellt wird und im realen Leben bei der heutigen Jugend der Anblick eines Skelettes im Biologieunterricht bereits ein genehmigtes Trauma auslösen darf?
Und welche Folgen hat das auf die Literatur?
Es sind eine Menge Fragen, die mich in diesem Zusammenhang bewegen. Allerdings würde das wohl den Rahmen des Threads sprengen. Leider.

http://www.achgut.com/artikel/invasion_der_memmen

https://www.heise.de/tp/feat … Game-of-Thrones-3596552.html
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****fan
2.336 Beiträge
Keine Verallgemeinerungen bitte...
Hallo CChristjan, ich denke, du vermischst hier einiges miteinander. DIE "Generation Schneeflocke" gibt es ebenso wenig wie es früher DIE "68-er" gab, es sind immer nur wenige aus dieser Altersgruppe. Und viele junge Menschen heute sind seelisch und physisch robust und halten eine Menge aus. Ausnahmen hat es immer gegeben und wird es immer geben.

Das Zweite, jeder Autor, auch wenn er Phantasy oder Sci Fi schreibt, lebt in einer realen Welt, die auch sein Schreiben beeinflusst. Von daher ist die gesellschaftliche Entwicklung natürlich auch an der Entstehung von Texten mit beteiligt, weil sie Genres und Themen mit vorgibt.

Nur, so halte ich es, für jedes Genre gibt es auch Interessenten und wer gut schreibt, findet seine Leser. Wenn er dann noch gesellschaftliche Themen geschickt mit verpackt... um so besser!

der yogafan
*****ine Mann
912 Beiträge
Als jemand, der beruflich in der akademischen Lehre beschäftigt ist, kann ich bestimmte Beobachtungen aus erster Hand bestätigen, dazu gehört auch das von CC angesprochene Phänomen der Überempfindlichkeit und emotionaler Dünnhäutigkeit, die sich in Intoleranz gegenüber bestimmten Reizthemen und reflexhafter Verurteilung handelt, bis zu hochgradig emotionaler Reaktion und schnappatmungshafter Blitzempörung, nach dem Motto: "Es darf nicht sein, was nicht sein darf."

Gerade das in den Artikeln angesprochene Phänomen des "Hate Speech"-Konzepts und dessen inquisitionshafte Verfolgung sind ein sichtbares Symptom dieser Erscheinung. Und interessanterweise wurden die Wurzeln für genau diese undemokratische und antipluralistische Verfahrensweise bereits bei den 68ern gelegt, die es sehr wohl als politische Strömung gegeben hat und immer noch gibt.

Dass bei all dieser aktiven Ausblendung von allem und jedem, was im eigenen emotionalen Gleichgewicht als störend empfunden wird, natürlich möglichst blutige und detailreiche Darstellungen von Sex und Gewalt Konjunktur haben, überrascht aus psychologischer Hinsicht nicht. Der seichte Nervenkitzel zwischen zwei Buchdeckeln bleibt stets kontrollierbar - am Ende einer Lesestunde legt man ihn, den schwülen Horror, wohlig schaudernd, auf den Couchtisch, man wird dadurch seiner Herr. Das befriedigt, etwa wie das Ergötzen der alten Römer am blutigen Spektakel in der Arena.
Unwohlsein verspürt die Generation Schneeflocke lediglich gegenüber unkontrolliert auf sie eindringendem Horror. Dem begegnet man dann mit aus Angst gespeister Aggression.

Dass auch in diesen Zeiten der unbequeme Autor noch Konjunktur zu haben vermag, dafür mag das Beispiel des Michel Houllebecq herhalten. Dann aber, wenn man die Schneeflocken mit Realem oder real Unbequemem konfrontiert, hat man allerdings besser ein bequemes Finanzpolster für einen guten Anwalt. "Hate Speech" und orwell'sches "Gedankenverbrechen" liegen nämlich sehr nahe beeinander, und aus der unreflektierten Blitzempörung der Schneeflocken speist sich ein faschistoides Klima.

Wenn das bist jetzt noch eine Minderheitserscheinung sein sollte, so kann man nur hoffen, dass das auch so bleibt.
Klasse!
Dem habe habe ich nichts hinzuzufügen.
**********henke Mann
9.666 Beiträge
Die Generation...
... Schneeflocke ist wohl in der Lage, bei einem Verkehrsunfall das Handy zu zücken - nicht um Hilfe zu rufen, sondern um zu fotografieren. Sollen Sie helfen, reagieren sie traumatisiert angesichtst des Blutes und der Wunden. Medial gefiltert vertragen sie viel mehr als das, was ungebremst durch ihre Nüstern in ihr limbisches System schlägt.

Darin sehe ich eine Gefahr und eine Chance:
Die Gefahr ist, dass die Schneeflocken Entscheider werden und meinen, das reale Kriege sowas sind wie die Special Effects aus "Game of Thrones" und die leichtfertig einen Krieg vom Zaun brechen.

Die Chance: In diesen Kriegen müssen dann auch Schneeflocken ins Feld ziehen - sie werden weglaufen, wenn sie das erste Mal schmutziges Wasser trinken müssen oder wenn sie kalten Gulasch löffeln müssen.
Profilbild
****fan
2.336 Beiträge
Die Generation Schneeflocke...
... ist aber auch eine Folge der gesellschaftlichen Entwicklung. Immer mehr medial, immer intensiver wird visuell aufgenommen und das in den social networks Gesehene als das real life angenommen.

Nach 09/11 berichtete ein Radiojournalist, sein Sohn habe vor dem TV gesessen und die Bilder das New Yorkes Anschlages als "geilen Thriller, voll geil" betrachtet. Der Vater, der Journalist, wurde verständnislos angesehen, als er sagte, dieser Anschlag sei real passiert und es handele sich hier nicht um eine Film!

So schön mehr als 60 Jahre Frieden in Mitteleuropa sind, die Generation Schneeflocke ist auch ein Resultat dieses Faktes, und das soll auch so bleiben, ich möchte keinen Krieg real erleben

Was die Gesellschaft braucht, ist eher das Bewusstsein, nicht nur bei den Jüngeren, dass wir alle Menschen sind und dass Menschlichkeit auch Hilfe in Notsituationen bedeutet, dass es bedeutet, Blut und Leid zu ertragen, um Leben zu retten...

Und vielleicht brauchen wir weniger brutale Thriller im TV, sondern mehr Filme aus dem realen Leben. Wie wäre es statt der Pölizeiserien und Reality Soaps im Privat TV am Nachmittag mit dem Leben einer allein erziehenden Mutter oder einer Mehr-Kind-Familie. Nur das bringt ja nicht so hohe Einschaltquoten....
******nyx Frau
1.322 Beiträge
Political / Social Correctness bei Hypersensitivität
Danke!

Ein virulentes Thema sprichst Du an, https://www.joyclub.de/my/2300647.cchristjan.html, in den Aspekten „Generation Schneeflocke” und den „Hate Speeches” bzw. ihrer Verschärfung in strafrelevanten „Hate Crimes” und Du, Bedouine, benennst in Messerschärfe die Dimensionen.

Erlaubt mir bitte, noch einmal auf den Grundimpuls und -gedanken zurückzukommen und Tamara Wernli, unter anderem Kolumnistin der Basler Zeitung, zu zitieren, die ihren Artikel

„Invasion der Memmen”

am 12. Januar 2017 publizierte
http://www.tamarawernli.ch/blog.php,
denn es lohnt sich meiner Ansicht nach:

Warnung: Dieser Text enthält möglicherweise verstörende Ansichten.

Im Handarbeitsunterricht flog mir als etwa vierzehnjährige einmal ein Wollknäuel um die Ohren. Präzise geworfen von der Lehrerin, der mein ständiges Getuschel mit der Tischnachbarin auf den Geist ging. Ich war kurz perplex, widmete mich dann aber artig meinem Kreuzstich.

Wäre ich heute Schülerin, wäre ich wahrscheinlich traumatisiert von dem Ereignis, würde flugs den Schulpsychologen aufsuchen und zur seelischen Genesung zwei Wochen zuhause bleiben. Eine Übertreibung? Nicht wirklich. Für die Generation Schneeflocke ist tatsächlich alles ganz unerträglich. Generation Schneeflocke ist die Bezeichnung für junge Menschen, die emotional sehr verletzlich sind, wenig belastbar und abweichende Meinungen als persönliche Herabwürdigung empfinden. Sie sehen es als ihr Grundrecht, von allen potentiell unangenehmen Dingen im Leben geschützt zu werden.

Hochschulen sind Förderer dieser "Ich bin das Zentrum des Universums"-Haltung.
...
Die psychische Verfassung von Schneeflocken gerät auch ins Wanken, wenn jemand eine Ansicht vertritt, die ihrer eigenen Weltanschauung widerspricht.
...

Drei Aspekte möchte ich gerne laut denken und in jedem der drei rutsche ich tiefer, als die beiden Artikel es dankenswerterweise ins Feld führen. Das beschriebene Phänomen einer Hyperempfindsam- und -empfindlichkeit mit einhergehender Intoleranz als Resultat einer Verarbeitungsschwäche bis -störung von differenten Ansichten, zeigt eine tiefgreifende und generationsunabhängige, gesellschaftliche Entwicklung.

Stichworte sind Intoleranz, Abgrenzung, Distanzverlust, Weltfremdheit und Selbstbezüglichkeit.

Verstärkt durch die Globalisierung spielt einerseits die Wertediffusion eine Rolle.

Abgrenzungsstrategien, politische, kulturelle, soziale und allgemein psychologische sind die Folge. Der Aspekt der Intoleranz, der aus der Ablehnung oder wenigstens dem „Von-sich-Weisen” des Anderen, Fremden resultiert. Ohne jetzt noch weiter auszuholen, was an dieser Stelle sicher zu weitgehend wäre ... Es geht um das amerikanische Konzept der „Political Correctness”, die sich seit mindestens zwei Dekaden verbreitet wie ein Virus und in ihren jeweiligen blütentreibenden Auswirkungen den anglophilen Raum nur eben zuerst erreicht.

Wie der verlinkte Artikel von Peter Mühlbauer im Online-Magazin Telepolis
vom 16. Januar 2017 deutlich macht:

„Unfreundlichkeit” reicht für Anzeige

Nach Verschärfungen der Richtlinien zu "Hate Crimes", die (die britische Innenministerin) Rudd selbst befürwortete, ermitteln Polizisten in Großbritannien inzwischen sogar dann, wenn eine Anzeige lediglich auf der subjektiven Wahrnehmung des Anzeigeerstatters beruht und objektiv keine Diskriminierung oder Beleidigung erkennbar ist.

Der zweite Aspekt ist die Unabhängigkeit von einer Generationszuweisung für mich. An den Jungen merkt man sozialpsychologische, gesellschaftliche Veränderungen nur besonders gut und schnell. Dazu kommt, dass an Hochschulen, Schulen, überhaupt an allen Bildungsinsitutionen die Konzentration der Verhaltensbeobachter besonders hoch ist, die beobachtete Gruppe so homogen und die gesellschaftspolitischen Steuerinstrumente wiederum besonders schnell und gut ablesbar sind.

Die „Generation Schneeflocke”, die Jungen, ist mitnichten alleine. Die „Entscheider”, Planer und Hintergrundleger der Strukturen sind Altachtundsechziger ... wie wir so in etwa. Die politischen Entscheider (Gestaltgeber) sind wir, die heute 55 bis 70-jährigen. Die in der Dialektik und im Diskurs, fast der Zwangstoleranz sozialisierten, die sich sukzessive auf den Weg der sensitiven Ichbezüglichkeit gemacht haben. Ein weites Feld ... verzeiht, so in Kürze nur als Einwurf und Impuls brauchbar.

Der dritte Aspekt sind Entgrenzung und Distanz, vor allem in Bezug auf Erfahrung. Aufgewachsen im Frieden, nicht viel Leid am eigenen Leib erlebt, medial in jedem Krisengebiet zuhause, aber eben „nah und doch so fremd und fern” die Unbill des heterogenen Lebens. Rückt uns ein individuell empfundenes Leid, Missliebiges, Unverständliches, Fremdes zu nahe, wird es mal kompliziert und unangenehm, reagieren wir über und wie die Mimosen.

Wieso fallen mir jetzt nebenbei auch die Regeln in sozialen Netzwerken (auch der JOY ,-) ein? Keine Politik, keine Religion, keine Kritik, nichts Schwerverdauliches, Disparates ...

Ein.geworfen werden darf, natürlich. Wattebäusche ,-).


Das schneeflockige *huhn* | Nyx.xe
*****ine Mann
912 Beiträge
@**ga: Ich kann mich erinnern, dass du weiter vorne noch der Generation Schneeflocke die blanke Existenz per se abgesprochen hast, und jetzt findest du Gründe und Ursachen für ihr Verhalten? Das nennt man wohl eine rethorische Gefechtskehrtwende...
Und dann möchtest du gerne per Regulierung des Fernsehprogramms die Gesellschaft umerziehen, damit das Böse außen vor bleibt? Man könnte den Eindruck gewinnen, du wärst selber eine Schneeflocke. Oder ein 68er...

@***ma: Donnerwetter, da hast du aber nochmal weit ausgeholt. Chapeau! Insbesondere eine Ausführung zur Sozialisierung in der Dialektik bzw. im Zwangsdiskurs finde ich sehr treffend. Da stinkt die Schneeflocke vom Kopf her, wenn es wieder zum gesellschaftlich akzeptablen Standard werden kann und darf, dass die Freiheit der Meinung nur noch für die populäre und bequeme Meinung gelten darf.
Profilbild
****fan
2.336 Beiträge
@Bedouine
Sorry, ich muss widersprechen. Weder habe ich der Generation Schneeflocke die Existenzberechtigung abgesprochen noch will ich das Fernsehprogramm ändern.
Ich habe nur darauf hingewiesen, dass die Generation Schneeflocke nicht die gesamte Altersgruppe umfasst und es durchaus auch noch junge Erwachsene gibt, die andere Verhaltensweisen zeigen, denken, fühlen und leben....
Und das TV Programm am Nachmittag fördert die Denkweise und daraus resultierende Verhaltensweise der Generation Schneeflocke, und nicht nur dieser, schon dadurch, dass eben das reale Leben gefiltert wird auf Polizeieinsätze, Verdachtsfälle und Notärzte im Einsatz, gespickt mit Shopping-Sendungen,die die Welt als kunterbuntes Kaufhaus darstellen (ist leicht ironisch-sarkastisch gemeint).

Als Angstberater erlebe ich aber die andere Seite, mit Klienten, die mit diesen Sendungen gar nichts anfangen können und deren Leben ganz anders abläuft. Mit Klienten, die die Empathielosigkeit ihrer Umwelt deutlich wahrnehmen, die sich allein gelassen fühlen und die doch innerlich so viel emotionale Wärme ausstrahlen, die sich oft im Nirvana verliert, weil sie keinen Empfänger findet.

Auch darüber lohnt es sich mal nachzudenken.

@***ma.... deine Analyse ist wie immer brilliant *g*

der yogafan
Erziehung
Ich hatte die Absicht, hier auch noch einen Schwenk auf das deutsche, ins Weichei-Chaos abdriftenden Bildungssystem zu machen. Mit der Frage, wie solche Menschen denn ihre Kinder ziehen. Doch @******ace hat mir das abgenommen. Ich zitiere:

Sie fordern, prügeln, sind gewalttätig, stehlen, erpressen und stören auf dem Pausenhof jeden, der in ihrer Nähe ist. Und wenn man aufbegehrt gegen sie, bezieht man Prügel. Heutzutage laufen die Kinder weinend und zeternd zu ihren Eltern und dann geschieht etwas ganz erstaunliches. Moderne Eltern stampfen auf jeden Fall erst einmal in die Schule und brechen einen Krieg vom Zaun. Das geht von der einfachen Drohung der Anzeige einer Aufsichtspflichtverletzung bis hin zum Entzug der Fördermittel oder gar einer Entlassung des Rektorates. Je nachdem, aus welcher Schicht das betreffende Elternteil ist, das dort gerade aufschlägt. Und genauso ernst wird das genommen von Seiten der Lehrerschaft. Sind die Eltern einfacher Struktur, wird der Vorfall scheinheilig ernstgenommen und ausgesessen. Kommt Frau Reich oder sogar Freu Neureich, gibt es eine kostenlose Betroffenheitsmiene inklusive Änderungsankündigung gratis, aber in beiden Fällen passiert nicht viel. Kommt jemand mit Einfluss wie zum Beispiel der Leiter des örtlichen Bauamtes, ein Studienrat, Polizist oder Arzt, dann wird es ernst. Dann muss man handeln. Das kommt aber nie vor, weil Kinder aus diesen Familien gehen nicht auf Schulen, in denen geprügelt wird. Diese Eltern recherchieren sehr sorgfältig, welche Schule das Privileg haben soll, sich ihrer Brut anzunehmen.

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