Sieben
Die sieben Samurai, die niemals welche waren und im Herzen trotzdem welche sind© 1-2/2017 by TRB
Im fünfzehnten Jahrhundert, als sich die bis dorthin diffuse und von Landstrich zu Landstrich unterschiedliche Anschauensweise verschiedener charakterlicher Tugenden zu festen Begriffen zu formen begann, trafen sich auf einer geheimen Lichtung sieben Krieger. Sieben Krieger aus sieben Landstrichen mit sieben geheimen Namen. Sie waren Ronin. Samurai ohne Herren und frei in ihren Gedanken, aber ehrlos im Sinne des Tenno. Doch unverzagt war ihr Herz und willfährig der Geist. Ihnen folgten 47 Getreue, die Giri genannt wurden.
„Männer“, eröffnete der Krieger in dunkelrotem Harnisch, dessen wuchtiges Pferd ebenfalls dunkelrot besetzt war, „die Zeiten werden grimmig. Ein neuer Shogun schickt sich an, die Region Edo zu knechten. Ein Shogun, der den Menschen vormacht, er wäre einer der Ihren. Einer, der sich das Wohlwollen der Samurai gesichert hat. Er flucht, er schimpft, ist unredlich, er säuft und ist willkürlich gegen jeden, der sich nicht vor ihm im Staub wälzt. Der Shogun ist kein Mann von Ehre. Jedoch sind seine Samurai viel an Zahl und ehrenwert in den Ansichten. Und natürlich sind sie ihm ergeben und loyal.“
„Wer bist du?“, fragte der Krieger in glänzendem Schwarz auf einem nachtschwarzen Rappen.
„Ich bin die Wahrhaftigkeit.“, antwortete der Krieger in Dunkelrot, der auf seinem Helm eine goldene Feder hatte, das Symbol für die Wahrhaftigkeit.
„Und was begehrst du von uns, Wahrhafter?“, fragte der Krieger in Schwarz mit dem silbernen Tiger auf der Rüstung und auf seiner Fahne.
„Du bist der Mut, nicht wahr? Ich hörte von dir.“
„Ja, der Mut bin ich. Doch, Wahrhafter, sag mir warum du uns riefest?“
„Es gilt, Schaden abzuwenden von Volk, von den Kasten, vom Land. Menschen bösen Willens schicken sich an, die Grundfesten unseres Lebens umzugestalten. Denn es ist nicht der Shogun aus Edo allein. Oben im Norden tut es ihm schon einer nach. Er belügt das Volk, er…“
„Und woher weißt du das, Wahrhaftiger? Warst du dabei?“ Ein Krieger in schimmerndem, dunklem Grün. Seine Rüstung war prachtvoll und doch sah man ihr die vielen Kämpfe an. Verschlissen war sie, geprüft in vielen Scharmützeln. Auch sein Pferd war stolz, aber man sah dem Grauen sein Alter bereits an. Eine alte Rüstung, ein altes Pferd und doch, der Krieger dort drinnen stand nicht minder stolz und gerade wie sein Pferd. Sein Symbol auf dem Helm war der lorbeergerandete Kreis. Der Krieger hieß Ehre. Seine Giri hießen Tapferkeit, Opferbereitschaft und Duldsamkeit. Alt geworden waren sie, ihre Macht und ihr Wille jedoch waren ungebrochen.
„Er muss nicht dabei gewesen sein, Meister Ehre. Es reicht, wenn er beobachtet. Wenn es regnet, denkst du, der Regen wäre nur wahrhaftig, wenn du in der Wolke stecktest? Manchmal reicht es, die Auswirkungen zu sehen.“
„Die Höflichkeit hat Recht“, sprach die Güte. Beide Krieger kamen in erdfarbenen Rüstungen daher. Die Höflichkeit in hellem Beige mit schwarz abgesetzten Rändern an der schuppigen Panzerung. Als Einziger trug er kein Schwert, sondern eine schlichte Lanze, eine Naginata. Das Symbol auf der Fahne und auf Helm und Panzer war ein stilisierter, schwarzer Lotos auf weißem Grund. Die Güte kam in dunklem, fast schwarzem Braun daher. Auch seine Rüstung war ziemlich alt. Deutlich sah man ihr an, dass sie im Laufe der Jahre gelitten hatte. Ihr Symbol auf Helm und Fahne waren wie Hände, zu einem Kelch geformt.
Hinter den sieben Kriegern auf den Pferden betraten die Soldaten der sieben Ronin die Lichtung. Ihre Namen waren Redlichkeit, Einfühlsamkeit, Selbstbeherrschung, Loyalität, Tapferkeit, Ehrlichkeit, Gewissen, Furchtlosigkeit, Zielstrebigkeit, Ritterlichkeit, Gerechtigkeit, Menschlichkeit, Wahrheit, Reinheit, Pflichtbewusstsein, Achtung, Heimatliebe, Bescheidenheit, Kaltblütigkeit, Ausdauer, Geduld, Schlagfertigkeit, Ausgeglichenheit, Achtsamkeit, Opferbereitschaft, Barmherzigkeit, Hilfsbereitschaft, Wehrhaftigkeit, Sorgfalt, Verlässlichkeit, Anstand, Bildung, Balance, Beständigkeit, Klarheit, Keuschheit, Genügsamkeit, Reinlichkeit, Duldsamkeit, Respekt, Aufmerksamkeit, Demut, Fleiß, Härte, Gelassenheit, Kraft, Harmonie.
Zwei der Ronin schwiegen beharrlich.
„Und Ihr, Gerechtigkeit und Treue, habt ihr nichts zu sagen?“, fragte die Wahrhaftigkeit. Die Insignien der Gerechtigkeit, eine stilisierte Waage, schien aufzuleuchten im Mondenlicht und das Symbol der Treue, zwei ineinander verschlungene Ringe, leuchteten scheinbar gleichzeitig auf.
„Es gibt nichts, was wir zu kommentieren hätten.“, sprach die Treue.
„Also, was werden wir tun?“, fragte der Mut.
Ein kleines Mädchen betrat die Lichtung durch die grimmigen, verwirrten Krieger hindurch. Unerschrocken stellte sie sich zwischen die sieben Krieger und sah sie aus großen Augen an.
„Ihr, die Grimmigen, ihr Unerschrockenen, ihr Krieger. Ihr seid, was ihr seid, aber euch, meine Herren mit den Schwertern, den Messern, den Lanzen, den Bogen… wertlos seid ihr ohne das Element, das alles zusammen hält.“
„Kind, verschwinde!“, zürnte die Gerechtigkeit, „das ist eine Angelegenheit von Kriegern!“
„Lasst sie sprechen“,sagte die Ehre eindringlich und kalt und ließ keinen Zweifel daran, dass er das Kind ernst zu nehmen gedachte.
„Also sprich“, sagte die Wahrhaftigkeit, „was fehlt uns?“
„Ihr habt alle Tugenden von allem Guten auf euch. Aber all das ist nichts wert ohne die Liebe. Schwört eure Loyalität der Liebe und der Planet ist gerettet.“
Stille umsäumte die Lichtung im Wald. Lange Zeit fiel weder ein Wort, noch gab es ein Geräusch. Der Mut mit seinem weißen Tiger auf dem Wappen stieg von seinem Schlachtross. Er kniete vor dem Kind nieder, entbot die Fahne und neigte sein Haupt. Alle anderen sechs Ronin taten es ihm nach und knieten vor dem weisen Kind und alle 47 Giri knieten nieder und schworen Loyalität auf die Liebe.
„Wahrhaftig, ihr seid nun Krieger mit einem Herrn. Nun seid ihr Samurai, euer Herr ist die Liebe. Zieht hinaus und bringt Frieden in die Welt.“