Eine Sommergeschichte
Hallo Ihr Lieben. Es gibt ja so viele Tiere. Nicht alle werden geliebt
. Mir ist gerade eingefallen, dass ich einen slam-Text habe, in dem ganz besondere Tiere eine zentrale Rolle spielen.
Viel Vergnügen damit
Erleuchtung
Sie sitzt in ihrem Garten. Was macht sie nur? Sie ist im Einklang mit der Natur. Schlägt Wurzeln an ihrem Lieblingsplatz, im Kopf kein einziger Satz, nur Wahrnehmen und Staunen. Die Königskerzen scheinen ihr zuzuraunen mit ihren goldenen Blüten. „Wir werden Dich sicher behüten“ singen Stimmen, unsichtbar. Das Leben ist einfach wunderbar.
Erfüllt von allumfassender Liebe, überwunden die niederen Triebe, bald erleuchtet, ist sie verbunden mit allem, was da kreucht und fleuchtet, was wächst und gedeiht. Es ist die schönste Sommerzeit.
Der Weg dahin war lang, es gab Zweifel, dann und wann. Heute muss sie sich eingestehn: "Ja, ich kann Wesen sehn mit meinen Gaben, und hör sie vieles sagen, woran ich wachse wie eine Pflanze, Schicht um Schicht, um voller Liebe zu strahlen wie das Sonnenlicht."
Also fühlt sie sich fast erleuchtet, verbunden mit allem, was da kreucht und fleuchtet, mit all den Kräutern, Blüten, Bäumen, befindet sie sich in einem Zustand zwischen Wachen und Träumen.
Da summt der Garten: „Eine Nacht lang sollst Du warten bis zum Morgengrauen. Eine Nacht lang sollst Du Dich trauen, in Liebe verbunden sein, nicht nur bei Sonnenschein, sondern auch in Dunkelheit!"
"Kleinigkeit!", denkt sie, "ich bin doch verbunden, ja, warum nicht auch in den Nachtstunden das Einssein zelebrieren, es ist Sommer, ich werd nicht frieren. Ich mach mir nen Kräutertee und trink nen schönen Wein. Und allein bin ich sowieso nicht. Mit meinem inneren Licht bin ich verbunden, zu allen Stunden, bei Tag und bei Nacht."
Am Abend sitzt sie im Garten, schlafsackbewehrt, hat schon ein Glas Wein geleert, genüßlich Beeren gegessen und ist ganz versessen darauf, dass die Nacht einbricht. Schon verfärbt sich das Sonnenlicht zum Abendrot. Alles im Lot, die Königskerzen leuchten magisch auf, sie ist gut drauf. Schenkt sich nochmals Wein ein.
Der Wein macht sie schläfrig, sie schlummert kurz ein. Wacht wieder auf, fühlt sich seltsam, allein. "Schon komisch, hier in der Nacht zu sitzen. Vielleicht sollt ich mehr vom Wein stibitzen."
Aber nein, sie ist nicht allein. Sie greift zum Glas im Gras. "Was ist das?" Nachtblind nimmt sie in Augenschein, was da so weich und feucht mit Schleim am Weinglashals klebt. Eine Nacktschnecke, die offensichtlich lebt. Und über den Glasrand beugt sich eine weitere, heitere. "Uaarg...."
Angewidert schnippt sie die Schnecken von dannen, kann sich jedoch nicht entspannen. Die Augen gewöhnen sich an die Dunkelheit, und Grauen macht sich in ihr breit. "Mein Schlafsack! Meine Hülle! Und darauf diese Fülle … schneckenschleimiger Invasion. Ist das die spirituelle Vision, die Prüfung meiner Liebesmacht? Eklige Viecher in der Nacht?"
"Also gut. Die beste List ist, dass ich mich in allumfassender Liebe verbinde, ja, ich schinde mich, bin eins mit der Nacktschnecke, recke meine Fühler gen Himmel. Ich habe einen Pimmel und eine Scheide zugleich, bin Zwitter im Weichtierreich, bin klebrig, kühl, weich ... krieche, krieche, fresse! Fresse junges Grün auf. Und lege Eier zuhauf. Gehörlos rieche ich die Welt."
"Nein – so hab ich mir das nicht vorgestellt."
Doch es wird immer schlimmer. Da sind Geräusche. Padong. "Ein Alptraum!" Nein, nur Fallobst vom Apfelbaum. Sie aber wittert überall Gestalten. Die nächtliche Wildnis, kaum auszuhalten. Keine Spur mehr von Liebe und Vertrauen. "Wie soll ich hier ausharren bis zum Morgengrauen?"
Und dann, ein Scharren, ein Schnaufen, und schmatzend kommt ein Igel gelaufen, der genüsslich Schnecken verzehrt.
"Nein! Ich bin von allen Seiten bedroht. Im Garten lauert der Tod. Die Königskerzen. Wie Schwert an Schwert. Ist es das wert? Von wegen verbunden, von wegen beschützt. Ich weiß nicht was mir das hier nützt!
Noch Stunden bis morgen.
Ich hab eigentlich andere Sorgen. Was ist mit mir, was soll ich hier? Ich geh jetzt, will meine Ruh."
Bald schließt sie den Garten hinter sich zu.
Endlich daheim ist es so fein, so trocken und sicher, ein Dach überm Kopf, den Schopf in warmen Kissen. Das will sie nicht mehr missen.
Schließlich lacht sie sacht in sich hinein: Sie ist nicht verbunden mit allem, was da kreucht und fleuchtet. Sie ist noch lange nicht erleuchtet. Das stetig langsam Ruhige, diese Schneckenschleimstrategie, ist nicht ihre Energie.
Der Zustand von allumfassender Liebe darf noch auf sie warten.
Bis dahin genießt sie lieber bei Tag ihren Garten.