Ein total verwurmter Tag
„Mensch Nora, so können Sie diesen Brief doch nicht versenden!“, sagt der Chef beim vorbeigehen vorwurfsvoll und lässt ihr Antwortschreiben auf eine Kundenreklamation auf ihren Schreibtisch flattern. Verwundert greift sie nach dem Wisch und liest ihn aufmerksam durch. Erst beim dritten durchlesen sieht sie, dass sie nach der Grussformel einen Punkt gesetzt hat. „Arschloch!“, murmelt sie genervt, zerknüllt das Schreiben, pfeffert es in den Papierkorb und druckt eine korrigierte Version aus.Den ganzen Tag schon ist der Wurm drin.
Angefangen hatte es heute Morgen, als sie den Bus verpasst hatte. Nein stimmt ja gar nicht. Zuerst war das Honigglas leer, als sie sich zum Frühstück ein Brot streichen wollte. Dann schnitt sie sich in den Finger beim Schneiden eines Apfels für das Birchermüsli, das sie sich anstelle des Honigbrotes machen wollte. Beim Abräumen des Frühstücktisches rutschte ihr das Orangensaftglas mit einem Rest Orangensaft aus der Hand. Mit dem pochenden Finger hatte sie das Glas nicht richtig gehalten. Der ganze Küchenboden voller Scherben und alles nass und klebrig vom Saft.
„Verdammte Scheisse!“, schrie sie durch die Küche und macht sich auf nach einem Lappen zu suchen.
Tja dann war das mit dem Bus. Dabei wollte sie heute früher als sonst im Büro sein, weil ein neuer Mitarbeiter anfangen sollte. Sie hatte ihn beim Vorstellungsgespräch getroffen, er war einfach süss...hmm.
Ihr Büro wollte sie unbedingt aufräumen, das machte einen sehr schlechten Eindruck, wenn er auf der Begrüssungsrunde bei ihr herein schauen würde.
Kaum war sie dann aber im Büro, drückte ihr der Chef eine Packen Dossiers in die Hand und sagte nur so zwischen Tür und Angel: „Ganz dringend Nora, sollte alles bis am Mittag erledigt sein.“
Mit Aufräumen war also nichts. Ok, würde dieser gutaussehende Neue gleich mit dem wahren ICH Bekanntschaft schliessen müssen.
Dann hätte sie am liebsten die Tastatur an die Wand geschmissen. Mit ihrem Fingerverband erwischte sie immer zwei Tasten gleichzeitig. Einen Teil der Briefe und Mails musste mit dem „System Adler“ getippt werden, was unwahrscheinlich viel Zeit beanspruchte. Dann kam sie kurz vor 11 Uhr von der Toilette zurück und ihre Büronachbarin wusste nichts besseres zu tun als ihr mit einem hinreissenden Lächeln auf den Lippen und verträumten Augen unter die Nase zu reiben, das der Neue gerade hier war und einfach blenden aussehen würde. Die Mittagspause lies sie aus. Da sie mit der Arbeit noch nicht durch war, dafür bohrte andauernd ein nagendes Gefühl in ihrem Magen, dass ihr mitteilte, dass sie weder gefrühstückt noch zu Mittag gegessen hatte. Der Nachmittag sah nicht besser aus, sie hatte mehrere Anrufe von Kunden, alle mit einer sehr schlechten Laune. Dann jetzt der Chef mit diesem doofen Tippfehler.
Zum Glück ist jetzt Feierabend. Auf dem Nachhauseweg geht Nora noch schnell bei der Zoohandlung vorbei. Sie braucht noch Mehlwürmer für ihre Terrarienbewohner. Der Kunststoffbecher mit den weissen Tierchen in der Hand geht sie zur Kasse da stupst sie jemand an der Schulter und sagt: „Sie sind doch Nora, ich wollte mich noch vorstel...!“ Freudig überrascht dreht sie sich schwungvoll um, drückt wohl zu fest auf den Becher und vor ihr steht ein ........wurmübersäter Neuer.