Schüttel das Bier, oder Fazit einer eigentümlichen Woche
es brennt mir auf der Seele. Ich muss es loswerden: Ich habe mich dem Thema nicht verweigert. Ich kam nur nicht dazu, mich damit zu beschäftigen. Warum konnte es keine Goethe-Woche sein? Da hätte ich aus dem Stand alles parat gehabt.
Die Welt ist ein Sardellensalat.
Man isst ihn früh, man isst ihn spat.
Jowoll. Ganz große deutsche Dichtung. Dazu ein Gläschen Würzburger Stein und es wäre geritzt gewesen. Aber Shakespeare? Dessen Helden sind vor lauter Tod und Teufel wohl nicht zum essen gekommen. Und ich kam nicht zum Grübeln, um mir Eselsbrücken zu bauen. Montag und Dienstag räumte ich also den Kühlschrank leer und produzierte Tagtägliches. Mittwoch war ich den ganzen Tag aushäusig, und ich erklärte eben diesen Tag zum "Tag der Sünde" und gönnte mir den großen Gyrosteller mit allem außer Cola (Quartalsgelüste). Auf dem Heimweg kaufte ich ein, schnippelte abends noch rasch Hähnchenbrust und schmiss sie in eine Paprika-Öl-usw.-Marinade.
Der Plan: Donnerstag früh eilen wir, das Gemüse zu schnetzeln, stellen alles zurecht, eilen zu Kunde 1, eilen heim, werfen alles in die Pfanne, essen und eilen weiter zu anderen Geschäften. Es kam aber, man ahnt es schon, anders. Das Telefon bimmelte im Kurztakt, ich eilte zu Kunde 1, ohne auch nur das Gemüse angeschaut zu haben. Und aß Mittags Rührei und Buttertoast.
Das wiederum rief mein besorgtes Cousinchen auf den Plan, das anfragte, ob das nicht eher ein Essen für den Abend wäre. Was an und für sich richtig war, aber für mehr war auch keine Zeit. Ich marschierte also zum Bus und fuhr leidlich gesättigt in die Stadt, wo die holdselige Zahnfee mit ihrem Besteck bereitstand, mich um einen Backenzahn zu erleichtern. Das alles ging glatt ab, der Zahn wurde feierlich aus dem Raum getragen, aber dann kam der Punkt, den ich nicht bedacht und sie im Vorfeld nicht erörtert hatte. Es war nicht der erste Zahn, den sie mir raubte, das war auf der anderen Seite und seitdem tue ich mehr oder weniger erfolgreich so, als ob ich noch alle Zähne im Mund habe (wie ich es mal in einem kopflosen Offenhosenträger-Profil formuliert fand). Sie nennt das immer höchst rücksichtsvoll "ihre Spange", aber nennen wir es mit Cousinchens Worten beim Namen, es ist eine Teilprothese. Und deren Befestigung ist, nein war der besagte Wackelkandidat, dem gekündigt worden war. Nicht nur, dass diese Spange nun nicht mehr im Mund hält, sie wurde insgesamt einbehalten, um den Neuen daran anzubauen. Und so stand ich da mit meinem Talent und der Anordnung, Milchprodukte zu meiden wie der Teufel das Weihwasser und ansonsten den Kaffee zu reduzieren und mich nicht zu echauffieren, so dass es nicht mit angekurbeltem Kreislauf zu Nachblutungen kommen konnte.
Damit hätten wir jetzt auch das ständige Porridgelöffeln der letzten Tage begründet, allerdings mit Haferdrink und ohne Leinsamen. Wir wollen ja keine Winzlingskrümel in der Wunde?! Geschmacklich ist die Sache okay, nur leider macht Haferdrink mit Haferflocken keinen Brei, also war es eher Haferflockensuppe, die ich mal über Banane, mal über Aprikose, mal über eine Mischung aus beidem kippte, der Abwechslung halber. Und ich verstand, warum Menschen in Seniorenbetreuungseinrichtungen so oft übers Essen mosern. Das Auge isst mit, und da ich die euren nicht beleidigen wollte, habe ich euch den Anblick erspart.
Insgesamt besserte ich mich tagtäglich, überstand sämtliche Kunden, und lutschte abends statt Porridge tapfer Weißbrot mit Bratenaufschnitt. Heute morgen fühlte ich mich fit genug, um ein wenig zu turnen und siehe da, alles war schick, um meine Schwester zu zitieren. Wohlgemut eilte ich zur Arbeit und wieder zurück. Auf der Rückfahrt machte sich erhebliches Magenknurren breit und mir wurden mehrere Dinge klar.
1. Ich möchte endlich mal wieder was mit Substanz im Magen. Dringend.
2. Die Hähnchenbrust sollte echt mal weg.
3. Die Dinge sollen lutschbar und milchfrei sein.
4. Ich sollte mal langsam über das Wochenmotto nachdenken, bevor ich nächste Woche dann überhaupt nicht mitmache
5. Es ist Sonntag, ich muss das alles mit dem bewerkstelligen, was da ist.
Also los. Da geht was. Wenn ich die Hähnchenbrust nur ganz leicht anbrate und ansonsten gar köchele, müsste das zarte Fleisch eigentlich von allein in wohlschmeckende Fasern zerfallen. Und wenn ich das Gemüse nur klein genug schnipple, kann ich es mit den Schneidezähnen zweimal zerbeißen und dann eben so runterschlucken. Dazu Soße für das erleichterte Schlucken und eine Sättigungsbeilage. Also Kartoffelbrei.
Ich höre schon Bruderherzens Veto. Kartoffeln und Shakespeare? Klar, geht problemlos. Wir sind nur durch den Schulunterricht versaut und haben den ollen Fritz als Hauptimporteur in Erinnerung. Was so nicht stimmt, er hat den flächenhaften Anbau durchgesetzt, als die Getreidefäule jahrelang für Missernten sorgten. Und wenn wir in den 1580er Jahren Kartoffeln schon in popeligen Adelsgärten des Weserberglands finden, sind sie am englischen Hof natürlich auch längst bekannt. Und eine begehrte Delikatesse. Okay, die hatten weder Haferdrink noch Kochsahne auf Sojabasis, aber das übersehen wir mal im Sinne der Wundheilung großzügig. Und da ein kleiner Stich Butter keine Sünde ist, ist der geschmackliche Unterschied am Ende unbedeutend. Allenfalls die Konsitzenz ist ein wenig fester.
Also Kartoffeln schälen und aufsetzen. Fenchel ist zu hart, aber Zuckerschoten gehen. Erbsen sind eine uralte Kulturpflanze, und wer kann sich ein englisches Sonntagsessen ohne Erbsen vorstellen. Okay, das sind Kullererbsen, aber wer will schon kleinlich sein? Dazu eine Lauchzwiebel und eine andere amerikanische Delikatesse: Tomate. Mist, jetzt könnte ich echt Bruderherz und sein Harakiri-Samuraimesser brauchen, aber ich krieg euch klein, kleiner, ganz klein.
Pfanne aufgestellt, Hähnchenbrust samt Marinade rein und sanft anbraten, Gemüse dazu, durchschwenken. Jetzt kommt die große Portion Honig dazu, denn ich habe einen Plan. Leider kein englisches Bier, aber wenn ich an die göttliche Honignote echten Porters denke, kommt eben Honig ins Essen. Jetzt greifen wir zur Flasche. Zwei Dinge unterscheiden Bruderherz und mich grundlegend. 1. Ich tue Milch in den Kaffee. 2. Er trinkt kein Bier. Ich schon. Schwarzbier. Malzig, süffig und schwupps schüttel ich das Bier in die Pfanne. Bier ist eine dermaßen englische Sache, dass ich den ollen William sicher nicht damit vergrätze. Nun sind deutsche Schwarzbiere etwas bitter, was an dem Hopfen liegt, den sie nehmen, um den hiesigen Pils-gewöhnten Kunden zu erreichen. Eine schaumige Angelegenheit sprudelt in meiner Pfanne, aber für das geschmackliche Gleichgewicht ist wenig weiteres nötig. Etwas Zimt eleminiert den bitteren Unterton, dann getrocknete Nanaminze (Minzsoße gab es damals auch schon) und für den Bums ein wenig Chilipulver. Nun beherzt einreduzieren, anrichten und fertig.
Was soll ich sagen? Es war köstlich und butterzart. Und den Rest vom Bier habe ich beim Schreiben weggesüppelt. Ist schließlich Sonntag und Feierabend. Und Dienstag ist schon übermorgen. Ich werden überleben.
Sylvie
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