So, jetzt aber
Wie war noch mal mein persönliches Wochenthema? Ach ja, richtig, die Familienklassiker neu interpretiert.
Um die Ausführungen dieser Woche auch nur halbwegs nachvollziehen zu können, muss man sich einige Grundlagen des Offlands vor 1984 (dem Jahr meiner Auswanderung) vor Augen führen.
1. Wir haben einen Selbstversorgergarten, Gemüse zu kaufen ist eine schwere Sünde
2. Eine vollständige warme Mahlzeit besteht aus viel Kartoffeln, wenig Grünzeug und mehr oder weniger Fleisch
3. In größeren Mengen zugekauft werden Eier (palettenweise) und Einlagerungskartoffeln. Der Bedarf errechnet sich wie folgt: Pro Person und Jahr ein Zentner, dazu gefühlte 10 kg braunes Pulver, das den Kartoffeln das Keimen verleiden soll und sich beim Schälen derselben unter den Fingernägeln festsetzt, da vorheriges Waschen der Kartoffeln selbigen wichtige Stoffe entzieht.
4. Papa ist Fernfahrer. Darum möchte er, dass es zuhause immer "wie immer" schmeckt. Zusammen mit der mehr als überschaubaren Gewürzpalette entsteht so eine puristische Küche, die dem Eigengeschmack der Produkte viel Raum gibt.
5. Butter ist teuer. Man darf sie morgens dünn aufs Brot schmieren, ansonsten haben die Götter die Margarine erfunden. Davon gibt es zwei Sorten: die zum Essen und die zum Kochen und Backen. Öl ist eine unbekannte Erfindung. Beim Metzger wird hingegen regelmäßig Schweineschmalz gekauft, zusammen mit Mettwurst, Blutwurst und Leberwurst. Sahne ist noch teurer, sie kommt also allenfalls sonntags auf den Tisch. In ausreichender Menge vorhanden ist hingegen jederzeit Kondensmilch, ebenso wie Essigessenz.
6. Was auf den Tisch kommt, wird gegessen!
Eingedenk dieser Rahmenparameter und meiner gestern noch immer aushäusigen Zähne dachte ich also intensiv über die warme Mahlzeit des Tages nach. Erschwerend kam noch hinzu, dass ich die letzten marinierten Hähnchenbrustwürfel unbedingt unterbringen musste. Und die sind per se schon mal kein Familienklassiker. Ich kann mich allenfalls an Brathähnchen erinneren, aber nicht an Hähnchenbrust als Nahrungsmittel meiner Kindheit. Gedanklich glich ich die damalige Standardspeisekarte (es gab bestimmte Wochentage für bestimmte Gerichte) mit dem Inhalt meiner Schränke ab. um etwas Beiss- bzw. Lutschbares zu finden.
Dann die Eingebung: es gab ein Nudelgericht. Ja, genau eines und es war ein typisches Freitagsgericht. Aber sei's drum. Nudeln kann ich lutschen. Das geht. Wir alle kennen diese furchtbaren Filmchen von den ersten Italienurlaubern, die sich mit den Spaghetti abquälen. So etwas kommt in einem gesitteten Haushalt natürlich nicht auf den Tisch. Es gab stets Macaroni und zwar mit Tomatensoße und Rührei. Nun höre ich Bruderherz schon insistieren: aber Macaroni zu essen mit den damaligen Tischsitten ist doch noch schwieriger. Stimmt, deswegen wurden sie auch stets vor dem Kochen zweimal durchgebrochen.
Das Originalrezept ist simpel, ich kann es auswendig herbeten, denn es wurde mir eingeimpft, damit ich mir während des Studiums was Gutes kochen kann. Also Macaroni zweimal durchbrechen und im Salzwasser garkochen. Im zweiten Topf Kochmargarine erhitzen bis sie blubbert, Weizenmehl Typ 405 einrühren und aufpassen, dass die Pampe nicht anbrennt, dann Tomatenmark aus der Tube dazu. Kurz mitschmurgeln und wenn es fast schwarz raucht Wasser dazu. Nun kräftig umrühren. Salz, weißer Pfeffer und eine Prise Zucker dazu. Fertig. Nun nur noch die Eier in die Pfanne hauen und mit der "eisernen Hand" hin- und herdrehen, bis ein gelb-weiß gemustertes, äußerlich gebräuntes Etwas entsteht. Noch mal Salz und Pfeffer. Anrichten, fertig. Die Eier können übrigens im Geschmack variieren, da übriggebliebenes Bratfett in der Pfanne blieb und mit etwas Neuzugabe weiterverwendet wurde.
Tatsächlich habe ich das als Kind geliebt, vermutlich weil es mal ohne Kartoffeln war. Also los. Maccaroni habe ich keine, aber ungebrochene Fusilli gehen auch. Ab ins Wasser mit euch und die große Pfanne angestellt. Olivenöl, Butter und rein mit den Geflügelwürfeln, dazu kleingeschnippelte Lauchzwiebel und zwei kleingeschnippelte echte Tomaten. Tomatenmark aus der Tube begleitet mich tatsächlich lebenslang und ist qualitätsmäßig besser als sein Ruf, zumindest wenn man dem "Vorkoster" glauben darf, der sich letzthin damit beschäftigt hat. Also rein damit. Ordentlich mit Honig glasieren und mit Weißweinessig ablöschen. Da ich noch vegane Kochsahne da habe, kommt ein großer Schluck dazu. Nun ist das Zeug dickflüssiger und zäher als echte Sahne. Aber die Wundheilung ist problemlos vorangeschritten, da kann ich zur Buttermilch greifen, um die gewünschte Konsistenz zu bekommen. Salz, Pfeffer, Paprika, Chilipulver, Zimt, getrockete Petersilie und Kerbel dazu. Der Originalität halber brate ich noch ein gestreiftes Rührei in Butter. Die abgegossenen Fusilli einmal mit durch die Pfanne jagen, damit sie sich schön vollschlozen und fertig ist die Kindheitsreminiszenz.
Sylvie, die alles verputzt hat und überm Verdauen das Tippen nicht geschafft hat.