Adrian träumt
Es war kühl geworden. Die Hitze der letzten Tage und Nächte hing zwar noch wie eine Glocke über der Stadt, doch der Regen hatte die roten Ziegel der Stadthäuser schon merklich abkühlen lassen. Durchs geöffnete Schlafzimmerfenster wagte sich neugierig eine kühle Brise und blähte Adrians Vorhang, Es war als ob zur Geisterstunde die Wesen der Nacht nach ihren Kindern schauten. Ob sie auch ruhig und friedlich in ihren Betten lägen und der baldige Morgen sie ausgeruht und erfrischt vorfände.
Adrian jedoch schlief tief und fest, wenn auch etwas unruhig.
Mal waren die Hände über, mal unter der Decke. Dann wieder wackelten Zehen am unteren Ende oder schlüpften halblaute Worte aus dem Mund des jungen Mannes. Hätte der Wind Ohren gehabt, so hätte er bestimmt gelächelt ob der Inbrunst und Sehnsucht, die aus ihnen sprach.
So jedoch zog er sich immer wieder zurück, ließ die Haut des Menschenkindes nur für Sekundenbruchteile frösteln, so dass tausend kleine Häarchen auf ebenso vielen Poren sich stellten und kurz darauf fast schon wieder kleine Schweißperlen sie benetzten.
Ob es die restliche Sommerhitze oder der Inhalt des so intensiven Traumes war, lässt sich schwerlich mit Bestimmtheit sagen.
Jedoch hätte auch der Traum jeden von uns den unruhigen Schlaf und ein nasses Laken bescheren können.
Adrian war es darin, als ob er ein Insekt wäre, dass immerfort um eine Tänzerin herumflog. Temperamentvolle Klänge, fordernde Leidenschaft ließen sie im Wechsel aufstampfen , sich in ihrem roten Kleide drehen, die Hände unablässig in Bewegung, Kastagnetten klapperten, als gälte es das Leben.
Es war Lill, die junge Dame, der er vor wenigen Tagen die verlorene Habe von der Straße gelesen hatte. Sie hatte den Ausdruck, die Leidenschaft in all ihren Bewegungen, die ihm dort schon so beeindruckt hatte. Obwohl sie ihn für ihre eigene Hast und Unaufmerksamkeit gescholten hatte, musste er seither immer wieder an sie denken.
Nun träumte er schon von ihr.
Angenehm war es, fliegen zu können, nur etwas gefährlich, denn immer wieder musste er ihren schnellen Armen und Händen ausweichen. Der Blick war wohl eher der eines Raubvogels, so scharf waren die Details. Sie schienen geradezu in ihn hinein zu wachsen.
Obwohl ihn seine zarten Flügel auch in die Nähe des Ausschnitts und sogar einmal unter das wirbelnde Kleid trugen, das rote Licht dort unten ließ nicht nur seine Augen scharf erscheinen, zog es ihn jedoch immer wieder in die Nähe ihrer Augen. Sie waren so klar und lebendig, so tief, dass er fast versucht war in sie hinein zu fliegen, um herauszufinden, was hinter der schreienden Trauer des einen oder dem frechen Blitzen des anderen Auges wartete.
Von einem Moment zum anderen, war es ihm, als wäre er aus der Fliege heraus gefallen, die nun ihrerseits um ihn herum surrte und bedeutungsvoll brummte. War es nicht jene, die der Pirol vor wenigen Tagen im Schnabel hatte?
""Ssssssssssuch sssssssssie für disssssssssss. Sssssoll issssss? Ssssssofort?"
Es wunderte ihn gar nicht, dass er sie verstand. Schliesssssslich war er ja gerade selbssst Insssekt gewesen. Lächelnd und aufgeregt nickte er.
Wie damals, als ihn seinen Mutter gerade gefragt hatte, ob er sich zu seinem Geburtstag über ein neues Fahrrad freuen würde. "Was für eine Frage," dachte er damals... oder heute? Erfreut stellte er fest, dass sich die Fliege schon auf den Weg gemacht hatte. Sie flog in Richtung der Flamencoklänge, die ihm noch immer verheißungsvoll in den Ohren klangen und verschwand in einem leuchtend roten Nebel.
Der Knall, der ihn plötzlich aus dem Traum riss, war der Fensterflügel, den der mittlerweile stark blasende Gewitterwind zugeschlagen hatte.
Blitze und Donner, die nun folgten schienen ihm gespenstische Bestätigung seines Traumes, der ihm den ganzen Morgen noch lebendig vor Augen stand.
Ob die Fliege sie fand? Auch wenn er wusste, dass es nur ein Traum gewesen war, hoffte er es inständig.