Nach langer Zeit möchte ich auch mal wieder an unserem Geschichtenspiel teilnehmen. Dafür greife ich zurück auf ein Manuskript, das etwa fünfzehn Jahre alt ist, damals von mir eher spaßeshalber (als Übung) geschrieben wurde. Natürlich hab ich es ein wenig aktualisiert und den ersten Teil mit den derzeitigen acht Wörtern versehen.
Außerdem stelle ich es als eine Art Serie ein, also alle zwei oder vier Wochen einen weiteren Teil.
Wie bei diesem Spiel üblich, lege ich keinen besonderen Wert auf literarische Qualität, sondern möchte den Spaß an der Sache im Vordergrund stehen lassen.
Viel Freude beim Lesen! Und hier nun der erste Teil, sozusagen die Eröffnung.
(Der Antaghar)
Panoptikum
(Ein modernes Märchen)
Es goss in Strömen. Der Regen war so heftig, dass einem angst und bange werden konnte. Doch die junge Frau auf dem geilen gelb-roten Mountainbike empfand diesen sommerlichen Platzregen als willkommene Erfrischung.
Als er jedoch gar nicht mehr aufhören wollte und immer kräftiger wurde, suchte sie nach einer Möglichkeit, sich unterzustellen. Und sie war heilfroh, plötzlich mitten im Wald dieses Haus zu entdecken, vermutlich für Waldarbeiter gedacht, die ebenfalls von derartigen Regenfällen überrascht werden.
Ein wenig seltsam fand die junge Frau es schon, ausgerechnet hier im tiefsten Wald dieses zwar alte und verwitterte, aber durchaus stabile Steinhaus zu finden. Klar, es gibt in jedem Wald Hütten aus Holz, doch an solchen kleinen, steinernen Häuschen war sie bisher auf ihren Touren noch selten vorbei gekommen. Und wenn ihre Erinnerung sie nicht täuschte, war sie bereits häufig genau diesen Weg entlang geprescht - doch dieses hier, das beinahe wie ein Hexenhäuschen wirkte, war ihr noch nicht aufgefallen. Und sie hätte es mit Sicherheit bemerkt, weil es direkt am Scheitelpunkt einer Kurve stand und aus irgendwelchen Gründen ungemein einladend aussah.
Doch machte sie sich keine allzu große Gedanken darüber, zumal es immer kälter wurde und sie in ihrem klatschnassen Outfit zu frieren begann, kaum hatte sie sich untergestellt. Die überdachte Veranda bot zwar Schutz vor den herabstürzenden Wassermassen, konnte aber die knapp und nur für eine kurze sommerlich Ausfahrt bekleidete und bemerkenswert hübsche Mountainbikerin nicht vor der aufkommenden Kälte schützen.
Mit der Zeit wurde es immer ungemütlicher. Sie fror inzwischen erbärmlich. Außerdem ödete es sie furchtbar an, hier einfach nur dumm rumzustehen und zu warten. Also tat sie das, was wohl jeder in ihrer Lage getan hätte: Sie versuchte, die Tür des Hauses zu öffnen. Und tatsächlich war jemand so freundlich gewesen und hatte abzuschließen vergessen.
Es war nicht einfach, es knarrte und quietschte, doch mit Kraft und etwas Geduld ließ sich die Tür öffnen. Vorsichtig trat die junge Frau ein und freute sich darüber, dass es hier keineswegs dunkel und zu ihrer Verblüffung auch noch wohlig warm war. Ein geradezu fundamentaler Unterschied zu der Kälte, in der sie eben noch gezittert hatte. Erst auf den zweiten Blick, nachdem sie mühevoll die Tür hinter sich zugeschoben hatte und sich umwandte, erkannte sie verblüff den überaus sonderbaren Grund für die unverhoffte Wärme: Sie stand im Freien. Die Sonne schien prächtig und die Vögel zwitscherten fröhlich.
Das fand sie nun zwar einerseits erfreulich, andererseits aber auch ziemlich befremdlich. Was war hier los? Ihr Herz begann heftig zu klopfen, doch sie bewahrte dennoch ihre Ruhe und atmete erstmal tief durch. Schließlich drehte sie sich wieder um und wollte die Tür öffnen, um sicherheitshalber das Haus wieder verlassen zu können, denn ihr war sofort klar, dass da etwas nicht stimmen konnte. Hatte sie womöglich übertrieben mit dem Fahren und war in ihrer Begeisterung zu überschwänglich unterwegs gewesen? Oder hatte die Sonne, die noch vor dem plötzlichen Regen heiß vom Himmel geknallt hatte, ihr das Hirn zu sehr gebraten? Und so wollte sie dann doch lieber wieder so rasch wie möglich raus hier. Vielleicht hatte der Regen draußen inzwischen ja schon aufgehört?
Aber jetzt stockte ihr vor Schreck der Atem. Das war eine alte Blockhütte, vor der sie stand. Und die erschien ihr auch noch ziemlich wackelig, billig und wenig vertrauenerweckend. Mit einem Mal fühlte sie sich wie ein Lukas auf einem verrückten Jahrmarkt, der just in diesem Augenblick gehauen wurde. Das war ein völlig anderes Haus als das, was sie eben betreten hatte, wenn man es denn überhaupt Haus nennen konnte. Und sie war nicht in dem Haus, sondern davor. Und zu allem Übel war die Tür verschlossen und nicht mal einen winzigen Spalt zu öffnen.
"Shit!", knurrte die junge Frau.
Noch einmal atmete sie mehrmals tief ein und aus und bemühte sich, trotz der verwirrenden Umstände entspannt zu bleiben oder sich zumindest einzureden, sie sei entspannt und die Ruhe selbst und alles sei in bester Ordnung. Schließlich galt sie als cool und war alles andere als blond. Als sie erneut versuche, die Tür zu öffnen, wurde ihr bewusst, dass da ganz entschieden etwas faul war.
Sie konnte also weder das Haus verlassen, das sie glaubte, gerade eben betreten zu haben, noch in die schäbige Blockhütte direkt vor ihrer Nase eintreten. Also drehte sie sich ein weiteres Mal um, diesmal langsam und vorsichtig und in der kindlichen Hoffnung, nun vielleicht doch etwas anderes zu erblicken und erleichtert festzustellen, dass sie einfach nur einer Halluzination erlegen war. Doch sie stand immer noch nicht in dem kleinen Steinhaus mitten im Wald, und hinter ihr war immer noch diese beschissene Blockhütte. Auch die blöde Sonne schien immer noch, als wolle sie Weltmeisterin im Strahlen werden, und die bescheuerten Vögel zwitscherten um die Wette. Und statt eines Waldes lagen vor ihr sanfte und geradezu unverschämt bunte Wiesen, so weit sie blicken konnte. Ein Idyll, wie es im Buche steht.
"Was soll der Scheiß?", zischte sie und war kurz davor, total auszurasten. "Das muss ausgerechnet mir passieren, und das auch noch gerade jetzt!"
Dazu muss man wissen, dass am nächsten Tag die erste große Tournee dieser neuen Band starten sollte, mit welcher sie, Silly Slutgirl, zur Zeit in sämtlichen Charts vordere Plätze belegte und eine ungemein rasante Karriere vor sich hatte. "Panoptikum" hieß der Song übrigens, und er erzählte in ziemlich rockigen Rhythmen von einer jungen Frau, die sich einerseits unbedingt total frei fühlen wollte, andererseits jedoch gerade voll in eine Abhängigkeit von einem Mann schlidderte. Welch ein Widerspruch, hatte Silly schon oft gedacht. Und solch einen Text ließ das Management ausgerechnet von einer Gruppe namens Girlspower performen! Aber die Musik dazu war hammergeil und ging direkt in Bauch und Beine. Und ihr konnte es ja sowieso egal sein, solange der Song ständig in den Medien präsent war, überall leidenschaftlich diskutiert wurde - und sie als Leadsängerin von Tag zu Tag reicher und berühmter wurde ...
Gehetzt und genervt blickte sie sich um. Irgendeinen Ausweg aus dieser beschissenen Situation musste es doch geben! Dummerweise stand ihr Mountainbike auch noch hinter dieser verrückten Tür.
Also betrachtete sie erstmal erbost die Holzhütte von allen Seiten und bedachte dabei vor allem die Tür mit einem wütenden Blick, was dieser allerdings ziemlich gleichgültig zu sein schien. Auch auf einen kräftigen Tritt reagierte die Tür völlig gleichgültig. Und sonst gab es an der Hütte offenbar nichts zu entdecken, das der jungen Frau hätte helfen können.
Auf einmal hielt sie inne, ihre Miene erhellte sich, und sie grinste. "Boah, bin ich blöd!", rief sie und schlug sich gegen die Stirn. "Da hätte ich eigentlich gleich drauf kommen müssen." Klare Sache, dachte sie, 'Versteckte Kamera' oder so, jetzt hab ich euch erwischt. Und so laut wie möglich rief sie dann: "Hey, ihr könnt jetzt alle rauskommen! Ich hab euch entdeckt! Und wenn ihr euch nicht sofort zeigt, gibt's was mit der Knute!" Richtig stolz war sie auf den kreativen und originellen Einfall, diesen Typen von irgendeinem Sender Prügel anzudrohen. Da merkte man doch sofort, was für eine begnadete Künstlerin sie war. Und selbstverständlich passte das großartig zu ihrem Image als Silly Slutgirl. Meinem Management, so dachte sie, wird das sicher Freude bereiten, wenn die Sendung dann im Fernsehen läuft. Mit einem zufriedenen Schmunzeln verschränkte die Arme, nahm eine selbstbewusst, dekorativ und sexy wirkende Pose ein - das hatte sie lange genug intensiv trainiert - und wartete darauf, dass die Typen vom Fernsehen sich nun endlich zeigten und sie alle gemeinsam über die gelungene Verarsche lachen konnten.
Doch es kam anders. Keine Kameras, keine Fernsehtypen, kein Lachen - sondern ein äußerst seltsames Geräusch hinter ihr. Silly Slutgirl, der kommende Popstar einer neuen Generation, wandte sich verdattert um und sah erstmal gar nichts. Als sie den Blick ein wenig senkte, entdeckte sie eine wundersame Gestalt, die geruhsam, doch mit einer keineswegs freundlich wirkenden Miene auf sie zukam. Ein Liliputaner? Ein Zwerg? Ein Hobbit? Okay, aber mit drei Augen?
Fassungslos hörte sie noch, wie diese Gestalt in einer höchst eigenartigen Tonlage brummte: "Scheiße, das darf doch nicht wahr sein. Schon wieder eine! Ob diese Volltrottel von der anderen Seite unsere schöne Welt nach und nach auf diese Weise kapern wollen? Muss wohl mal dringend mit Rumpel reden." Dass die knarzende Stimme irgendwie aus weiter Ferne und doch aus allernächster Nähe zu kommen schien, war in Verbindung mit dem Aussehen dieses Wesens offenbar zu viel für die junge Frau ...
Während sie zu wanken begann, sich gerade noch an der wackeligen Wand der Hütte stützen konnte, um nicht auf der Stelle umzufallen, sank sie langsam zu Boden und verlor das Bewusstsein.
(
Zitat von ZZ Top: "... to be continued ...")
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