Der ominöse sogewünschte Breitbandreifen
Als Rossi von seiner Yamaha M1 absteigt, denkt er, dass er nächstes Jahr in Le Mans dank der neuen Breitbandreifen von Michelin gewinnen wird. Natürlich nur, falls Briggestone nicht mit einem besseren Material nachzieht. Genau das hate er 2006 in Brünn auch schon gedacht, als er Pedrosa den Podestplatz ganz oben lassen musste.
Er muss grinsen. Denn als er mit elf Jahren sein erstes Kart Rennen gewann, hatte Onkel Carlo vorher seine Reifen heimlich drei Tage vorher in Lebertran eingelegt, weil das einen Besseren Grip geben sollte. Papa Graziano hatte dies zum Glück noch am Morgen vor dem Rennen gemerkt und ihm ein Quartett neue spendiert. Onkel Carlo weiß bis heute nichts davon und schwört immern noch auf in Lebertran eingelegte Reifen. Je mehr Chianti desto Lebertran!
"Valentino, Pivello - Il Dottore hatte früher auche gewonne mitte dem Medizine von die Fische Wale! Dessehalbe hatte meine Ragazzo auche so eine fulminante Starte."
Feixend schlug er ihm damals schon so fest auf die Schulter, dass man Valentino bandagieren musste und ihm später selbst sein Sturz in Valencia weniger Schmerzen verursachte.
Allerdings ließ ihn Angelina, die süße Schwester eines Kart-Kollegen, die Schmerzen noch am selben Abend vergessen. Der Kuss hinter den Boxen und ihr bezauberndes Lächeln spornten ihn so an, dass er die ganze Saison Bestzeiten fahren wollte und konnte. Nach jedem Sieg ein zarter Kuss und jeder Teenager wird zum Siegertypen. Doch wäre er auch ohne Schub junger Animierdamen jederzeit Vollgas gefahren. Das Rennenfahren gab ihm schon immer mehr als jede Erotik. Es ist seine Erotik! Rennen sind für ihn lustfördernd auf jeder Ebene. Bis heute. Nur seine Linda gab ihm annähernd das Hochgefühl. Hätte er das schon gewusst, als sie noch bei ihm in Tavullia war, könnte sie noch heute seine ...
Valentino schluckt. Linda und Marco waren und sind die einzigen Menschen, die ihn zum Weinen bringen können.
Wer weiß, vielleicht hätte es Angelina auch können. Doch dieses Äbtissin von Emilia Lollobrigida, Lindas Mutter hatte sie damals nach dem letzten Rennen der Saison in den Toiletten erwischt.
"Du Ferkel, nimm sofort die Finger aus meiner Tochter!" Mamma Lollo hatte trotz ihrer immensen Oberweite eine Fistelstimme, die schon in unteren Bereichen klang wie eine gequälte Geigenseite kurz vorm Reißen. Sie überschlug sich förmlich und Valentino hatte das einzige Mal in seinem Leben richtig Angst. Nicht um sich oder Angelina, die sich schon an ihrer Mutter vorbeigedrückt und in Sicherheit gebracht hatte. Sondern um die schon halb herunterhängenden Deckenplatten des Raumes, die bedrohlich zu vibrieren begannen. In der nächsten Saison durfte Angelina dann nicht mehr mit zu den Rennen kommen. Die Stimme ihrer Mutter wurde durch Antonios Bariton ersetzt, dessen gregorianische Gesänge in den Santärräumen des Boxentraktes von Moskitos bis Ratten alles Kleingetier vertrieben. Antonio war nun sein Techniker und sorgte dafür, dass er erst am Vortag des Rennens mit dem Vater ankommen musste und dafür, dass die Reifen ordnungsgemäß in Lebertran eingelegt wurden.
Nun lächelt Valentino wieder. Der gute Onkel Carlo! Sie hatten ihm erzählt, dass sie die Wikung des Wunderbades noch verstärkt hatten, indem sie die Reifen gleichzeitig mit untraviolettem Licht bestrahlten. Außerdem wäre das synthetische Lebertran um ein Vielfaches besser und gleichzeitig billiger, als das tierische vom vietnamesischen Gnu, das sie bis vor kurzem verwendeten. Onkel Carlos Hühnerbrust sprengt es bei solchen Rückmeldungen fast die Knöpfe vom Anzug und alle anderen im Raum werden fast kirre beim Versuch nicht lauthals loszulachen. Zum Glück hat der Onkel noch mehr Angst vor Flugzeugen und Helikopter wie er, weshalb der Gute seit den regionalen Kartrennen keinen Rennstall mehr von innen gesehen hat. So kann er in seiner kindlichen Naivität noch heute glauben, dass er einen wesentlichen Anteil an seines Neffen Erfolg hat.
Nach dem Flop mit Ducati hatte der liebe Onkel ihm rührend Mut zugesprochen und vermutet, dass die Schurken von Ducati sicherlich noch das billige Gnutran verwenden täten. Er hätte gehört, der alte Ducati wäre so furchtbar knauserig. Aber sie würden das Ding schon klöppeln und der zehnte Weltmeistertitel wäre jetzt bei Yamaha ja schon fast in trockenen Kissen.
Manchmal war es in Carlos Nähe fast schwerer die Containance zu wahren, als bei aufdringlichen Reportern oder Beamten vom Finanzamt. Wobei letztere nichts dafür konnten, dass der windige Onkel Bruno meinte, die Hälfte seiner Einkünfte bei der jährlichen Steuererklärung nicht angeben zu müssen. Zuerst hatte Valentino sich gewundert, dass seine Siegprämien seltsam sprunghaft angestiegen waren und später, dass Carabinieri sein Haus durchsuchten. Die zehn Millionen Strafe juckten ihn dagegen gar nicht. Geld hatte ihn nie wirklich interessiert, solange er nur Rennen fahren durfte. Das ist heute noch so und wird sich auch nie ändern!
So. Jetzt noch zum Treppchen und Dani und Maverik gratulieren. Dann aber ab nach Hause.
Morgen früh bekommt er den goldenen Kondensstreifen von den Jungs der Kartbahn verliehen. Darauf freut er sich genauso wie auf den Kranz bei einem Grand-Prix-Sieg!