Ich hatte befürchtet, dass ich mich wie eine Raubtierdompteuse aufführen müsste. Aufgrund meiner Erfahrung sah ich es ihnen an der Nasenspitze an, dass es heute sehr nervenaufreibend zugehen würde. Wie sie mich schon bei ihrer Ankunft musterten!
Es juckte mir direkt zu Beginn in den Fingern, meine Peitsche zu schwingen oder noch besser harsch den Rohrstock zu benutzen um eine gewisse Ordnung herzustellen bzw. klarzumachen, wer hier das Sagen hatte. Die Kerlchen, die ich vor mir hatte, hatten es in sich. Großkotzig, undiszipliniert, vorlaut und dazu noch erschreckend unwissend zur heutigen Thematik. Ihre Lippen bewegten sich unentwegt, entweder nuckelten sie ständig an etwas unerlaubtem herum, gackerten wie ein Haufen Hühner auf dem Mist oder sie schlugen ihre Zähne in unschuldiges Fleisch, was nun hier und jetzt zu gegebenen Anlass absolut unmöglich war. Mein Kamm schwoll bereits. Und für so was musste ich auch noch eine Steuererklärung abgeben!
Aber na wartet nur, ihr Bürschchen, ihr würdet mich noch kennenlernen und am Ende vor meiner Kunst niederknien!
Aufrecht stehend straffte ich mich und fühlte mich von dominanter Macht durchflossen. Sie durchdrang mich vollkommen und füllte jede Zelle in mir. Das Dunkle, welches ich ausstrahlte, und auch die geheimnisvollen Dinge in meiner Tasche faszinierten sie und weckten ihre Neugierde.
Das Spiel begann, sie wussten es nur noch nicht.
Ungeduldig waren sie, scharrten mit den Hufen wie ungestüme Hengste. Doch erst ließ ich eine bestimmte Stellung einnehmen, in der sie annähernd reglos verharren mussten während ich ihnen die Regeln für die Dauer unseres Beisammenseins erklärte. Bereit sollten sie sein - für mich und das, was wir heute vorhatten. Es dauerte. Ich hatte ja Zeit, es ging ja von ihrer ab. Noch war meine Stimme in ihrem bestimmten Ton freundlich.
Sie fragten sich: Wie weit würde ich mit ihnen gehen? Was würde sie unter meiner Führung erwarten? Ich spürte ihre Vorbehalte, musste ihr Vertrauen gewinnen und sie gnadenlos fesseln. Zuckerbrot.
Zunächst lockte ich sie wie eine scharfe Animierdame mit der Aussicht auf mehr, viel mehr.
Weiches und warmes zu streicheln, nacktes und feuchtes zu berühren – noch nie erlebtes im wahrsten Sinne des Wortes zu begreifen. Ich legte los, breitete mich vor ihnen aus, erhob meine Stimme und legte mich unter Einsatz meines Körpers richtig ins Zeug. Ich kitzelte das, was ich von ihnen begehrte, mit der nötigen Strenge sowie einer Prise Augenzwinkern aus ihnen heraus, molk sie regelrecht. Doch das Echo war zu meiner Beunruhigung eher bescheiden.
Ihr Feixen schien Ausdruck einer nicht vorhandenen Standfestigkeit und Beschlagenheit zum Thema zu sein. Da hatten sich weitaus Jüngere schon besser geschlagen.
Zeit für die Peitsche und die hochgeschlossene ultrastrenge Äbtissin herauszukehren.
Schluss mit lustig! Es war mir heilige Pflicht, ihnen mein gestecktes Pensum lustvoll einzutrichtern, sie so zu fordern, dass sie es nicht mehr vergessen würden. Und ich griff auf ein ungewöhnliches Mittel zurück. Einbläuen per gregorianischen Choral – das war sowohl neu als auch ausgefallen und wirkte. Es erstaunte sie so sehr, dass wir tatsächlich mit meinem Programm vorankamen.
„Sie singen aber schön, dürfen wir jetzt endlich das Pony streicheln?“
„Gleich! Erst möchte ich noch wissen, warum wir im Hühnerstall ultraviolettes Licht haben. Eine Idee? Wer weiß es?“
Bitte! Einer muss es wissen, sonst werde ich wahnsinnig!
„Igitt! Die Ziege hat mich mit ihrer Zunge vollgeschlabbert! Bäh!“
„Ich will die Schafwolle aus Ihrer Tasche nicht anfassen, die stinkt!“
„Wie heißt die Mama vom Kälbchen? Na kommt schon – das wisst ihr bestimmt!“
Verzweiflung – eigentlich bin ich in meiner Rolle sowohl Entertainerin als auch Motivationstrainerin und soll die Inhalte meiner Führung locker-flockig und zugleich spannend „verkaufen“, dabei nett sein, stets lächeln und auch noch für Disziplin sorgen während die Lehrer ihren wohlverdienten Kaffee trinken gehen und ich deren Versäumnisse im Unterricht ausbaden muss.
O! My! God! Die Kids müssen in ihrem Alter doch wissen, dass die Antwort "Kuh" lautet! Vermitteln eigentlich die Eltern noch genug heutzutage? Zwischen ihren Jobs und ihrem Egoismus?
Und mit dieser Bande muss ich nachher noch klöppeln. Nicht nur alte Tierrassen, sondern auch noch alte Handwerkskunst vermitteln. Womit hab ich das verdient?
„Wer möchte zum Abschluss noch ein Gummibärchen?“
Alle Finger gehen hoch – der Zusammenhang zwischen gemahlenen Schweinekochen, Schwarten (mit großem Entsetzen und Igitt zuvor) und dem beliebten Süßkram ist weniger krass als gedacht, jedenfalls für Achtjährige. Die machen mich noch kirre! Mein Kopf hämmert.
„Ich mag dich. Du bist nett und du weißt so viel“, lobt mich einer der Knirpse und die anderen fallen zustimmend mit ein.
Das vertrauliche „Du“ zum Schluss hin verzeihe ich ihnen. Wenn das eine oder andere bei ihnen hängengeblieben ist, wäre das wunderbar. Ihre kleinen Gesichter leuchten und strahlen vor Begeisterung, die neuesten Nachrichten auf ihren Handys sind gerade ziemlich uninteressant. Ihr unmögliches Benehmen von zu Beginn ist vergangen. Der Umgang mit Tieren erzieht. Und ich habe vielleicht in ihnen ein kleines Feuer entzündet. Lernen macht Spaß, vor allem wenn man gar nicht merkt, dass man lernt. Sie dürften Tiere streicheln und füttern, die sie gnadenlos überzeichnet bestenfalls aus einer Zeichentrickserie im TV kennen, vermutlich noch nicht mal aus einem Buch. Armes Deutschland!
Ich lächle, ihre Freude ist meine Belohnung. Ähnlichkeiten mit meiner Freizeitbeschäftigung sind nicht zufällig.