Kopfplatzwunde
Liebe Freunde, an dieser Geschichte interessiert mich folgendes:1. Habe ich "Show, don't tell" durchgehalten?
2. Sind Charakterzüge einzelner Figuren erkennbar?
3. Ist die Aufteilung gelungen, oder ist der Schluss ein bisschen abrupt.
4. Was ist Euch sonst noch aufgefallen? :-)
Beim Frühstück – wieder einmal hatte ich anstatt des ewigen Baguette ein paar Croissants gekauft – fragte Brice mit Verschwörermiene, ob wir Lust auf einen Ausflug haben. Der letzte Ausflug ging nach Giverny, Brice zeigte uns das Sommerhaus von Claude Monet mit dem berühmten Seerosenteich und wir picknickten am Wegesrand neben einer Rinderherde Buletten und Kartoffelsalat. Heute hatte ich keine Zeit gehabt, etwas vorzubereiten, also packten wir Tarama und Rillettes und zwei Messer und eine Flasche Rosé von vorgestern in den Henkelkorb und stiegen in Aurélias Käfer. Ihre „Cocchinelle“ war ein Schatz – zwar schaute hinter jedem Chrom Rost hervor, aber er fuhr und fuhr und fuhr.
Bald hatten wir die Pariser Ringautobahn hinter uns gelassen und Brice erklärte – dabei die Hände immer mal wieder vom Lenkrad nehmend, wo es heute hingehen sollte. Immer wieder redete er von einer „Abbaye“, und da ich kurz vorher die „Musketiere“ auf Franszösisch gelesen hatte, war ich im Bilde – wir fuhren zu einem Kloster.
Aber zuerst weitete sich die Autobahn plötzlich zu einer rollfeldbreiten Fläche, in deren Mitte Schranken und kleine Wächterhäuschen waren. Maut! Brice hielt an einem Häusschen – ich reichte meine Kreditkarte durch, bekam das Unterschriftszettelchen und nachdem ich unterschrieben hatte, ging alles retour. Das war unser Deal: wir durften bei Aurélia und Brice wohnen, aber wenn es was zu bezahlen gab, dann war ich ja der mit dem Stipendium.
Eigentlich liegt die Normandie in Paris vor der Tür, nach zwei Stunden waren wir in Rouen und kauften nur zwei Baguette in einer Supermarktbäckerei, denn Brice wollte schnell weiter.
Die Normandie erinnerte mich an meine Heimat Mecklenburg – hinter Rouen ging es hügelauf, hügelab, an Koppeln und kleinen Wäldchen vorbei ans Meer. In Fécamp parkt Brice das Auto an der Seepromenade und wir laufen zum Meer. Es ist noch maikalt und wir setzen uns an den Strand zwischen große Feuersteinknollen und essen unser mitgebrachtes.
Brice versucht, von einem Feuerstein mit einem anderen Feuerstein etwas abzuschlagen. Es funkt und riecht brenzlig, aber kein Splitter lässt sich abspalten. Brice schlägt stärker zu und trifft seinen Daumen. Er sagt nichts, aber sein Gesicht ist weiß.
Stumm gehen wir zum Auto zurück und Brice lässt Aurélia ans Steuer, nachdem er mich gefragt hat – ich bin seit fünf Jahren nicht gefahren und mein letztes Auto war ein Trabant. Wir fahren, weil Brice immer blasser wird, zu einem Schulfreund von Aurélia, der mit seiner Frau eine Landarztpraxis in Vattetot betreibt. Pierre schaut sich Brice’ Finger an, desinfiziert und verbindet ihn und dann sitzen wir plötzlich am Kaffeetisch mit dem Landarzt, seiner Frau Andrea, fünf Kindern, Hundewelpen und drei Katzen.
Nach zwei Stunden sind wir dann endlich am Ziel der Wünsche von Brice. Wir stehen vor dem „Palais Bénédictine“ in Fécamp. Die letzte Führung durch die Destillerie ist vor einer halben Stunde losgegangen, nur noch der kleine Laden am Tor hat offen. Brice kauft eine Flasche des edlen Gesöffs – er erklärt die Zusammensetzung, aber ich kann zu dem Zeitpunkt noch nicht das gesamte französische Gewürzregal. Ich verstehe nur „miel“ und schon ist „Bénédictine“ für mich gestorben – ich mag keinen Honig, auch dann nicht, wenn er sich in einem edlen französischen Likör verbirgt.
Der Tag ist noch lang, und Brice, dem es jetzt wieder besser geht, schlägt vor der Rückfahrt einen Abstecher an die Alabasterküste vor. Als wir ankommen, sehen wir von Westen die Nacht aus dem Meer steigen. Die Alabasterküste birgt ein paar natürliche und künstliche Höhlen, die für den Atlantikwall in den Kalkstein gehauen wurden. Auf der Landseite sind die Höhlen licht, zum Wasser hin werden sie niedriger, ich ziehe den Kopf ein und sehe besteimmt aus wie eine Schildkröte, als ich an der Meerseite hinter dem wackligen Geländer versuche, nach England zuschauen. Ich sehe nichts, und abgesehen von der Höhe über dem Wasser ist es hier wie an der Ostsee, also kehre ich um.
Die Höhle ist eng, und ich verdecke mit meinem Körper das spärliche Abendlicht, das von der Meerseite scheint. Ich höre noch, wie meine Freundin ruft: „Pass auf, die Decke ist niedrig!“ als ich plötzlich kleine weiße Sterne sehe. Ich taumle ins Frei, als ich die Hand von der schmerzenden Stelle nehme, platscht eine Pfütze hellroten Blutes auf die Steine. Ich suche mein Stofftaschentuch und drücke es mir auf den Kopf. Meine Freundin und Aurélia führen mich zur Seite und fragen, die eine auf deutsch, die andere auf französisch: „Ist alles okay?“
Das Blut läuft nicht mehr, aber mein Schädel brummt.
„Da oben sind ganz viele Kapillargefäße, das blutet immer so stark.“ erklärt meine Freundin. Sie tuschelt etwas mit Aurélia und dann verfrachten sie mich in den Wagen. Minuten später sind wir wieder bei Pierre und Andrea. Ich werde auf einen Hocker gesetzt, und meine Freundin erklärt mir freudestrahlend, dass sie jetzt an meiner Kopfplatzwunde nähen üben wird.
Ich frage: „Bekomme ich eine Lokalanästhesie?“
Sie schaut ein bisschen gemein: „Nein, denn durch das Anästhetikum würde die Stelle schwellen und dann wächst das schief zusammen und Du bekommst eine große Narbe. Außerdem sind die Schmerzen von den Stichen verglichen mit Deinem Brummschädel nichts!“
Gut, ich bin also ein Indianer, und wirklich, es ist sogar ein klein bisschen ein süßer Schmerz, der mich durchfährt, als M., nicht ungeschickt für ein erstes Mal, mir die Haut auf dem Kopf zusammennäht. Die Naht hielt 14 Jahre.