Das Luther-Thema
Um nebenbei auch mal ein Wort darüber zu verlieren. Oder auch zwei oder mehr.Ich kannte den Typen gar nicht. Ich war eben "evangelisch-lutherisch" (mit der Betonung auf dem "e" in "lutherisch". Mann, könnte ich kotzen wenn ich heute noch Nachrichtensprecher höre, die das "u" betonen). Also, ich war unreflektiert unkatholisch, aber unbewusst.
Dass es noch eine zweite Religion in unserem Land gab wurde mir erst klar, als ich nach Bayern auswanderte. Ja, ich war naiv. Aber Ende 2015, als die Lehr-Bestimmungen in unserem Land dramatisch aufgelockert wurden (ja, immer noch in Bayern, ja, und ich war immer noch naiv), lernte ich eine dritte Religion kennen, näher, als ich die anderen beiden (evangelisch-lutherisch und katholisch) kannte: Den Islam.
Ich habe Flüchtlinge unterrichtet, vorwiegend Syrer, aber auch Afghanen und Iraker. Fast alle Moslems. Viele von denen haben mich etwas über Luther gelehrt, monatelang.
Auf dem Boden des heutigen Deutschland sind vor etwa fünfhundert Jahren abertausende Menschen gestorben, weil sie ein bisschen verschieden über "Gott und die Welt" dachten. Davor sind abertausende Menschen gestorben, obwohl sie gleich über "Gott und die Welt" dachten.
Aber immerhin hat dieser Luther und all jene, die ihm folgten, die Macht der Kirche zerschlagen. Hat den Eingriff in das Privatleben ein für allemal ausgemerzt, uns die Freiheit gebracht, über unser Leben selbst bestimmten zu dürfen.
Nach allem, was man weiß, war der Kerl ein religiöser Eiferer, aber er hat maßgeblich dazu beigetragen, dass ich heute eine Rune am Hals tragen kann, ohne verbrannt zu werden. Und meine Kinder nur deshalb getauft werden, um keine falsche Sensucht nach Zugehörigkeit zu entwickeln.
Seinetwegen herrscht heute in unserer Kultur die Freiheit, diesen Text zu schreiben. Alle Götter sind ein Gott, und alle Göttinnen sind eine Göttin, und die Göttlichkeit wohnt in mir selbst und in allem, was je geschaffen wurde.
Weil es diesen Luther gab, und wegen all der Kriege, die seinetwegen geführt wurden, und wegen all der Menschen, die in seinem Namen und im Namen der Gegner seiner Ideen starben (und bitte: Gesegnet seien sie alle und mögen sie in der anderen Welt ihren Frieden und ihre Erfülllung gefunden haben und mögen sie mit sinnvolleren Ideen wieder hier inkarniert sein oder ihren eigenen Weg fortgesetzt haben, in welche Richtung auch immer), rufe ich die freie Welt, in die ich geboren wurde auf: Lasst nie wieder zu, dass die Vertreter irgendwelcher Religionen euch malträtieren, euren Alltag bestimmen oder in euer Leben eingreifen.
Ich bete und bringe meinen Dienst an den Göttern und Göttinnen, Tag für Tag. Wann ich mag. Und ich brauche zum Himmel den Mittler nicht.
Lasst uns nie wieder in das Grauen fallen, in dem uns fremdbestimmte Priester erklären, wie wir denken und leben sollen. Das habe ich meinen Syrern, Afghanen und Irakern auch gesagt. Ich habe ihnen erklärt, dass es in unserem Land vor vielen Jahrhunderten einen Mann namens Luther gegeben hat, und der hat für unsere Freiheit gekämpft (auch wenn das so nicht ganz wahr ist).
Ich habe ihnen gesagt, das tausende und abertausende Menschen dafür gestorben sind, dass uns kein Priester zu sagen hat, wir wir leben sollen. Und dass wir hier, in unserem Land, Angst davor haben, dass eine so geartete, altertümliche Religion wieder Macht erlangen könnte. Und all die Opfer der Vergangenheit umsonst gewesen sein könnten.
Ich kannte diesen Luther vorher nicht. Erst, nachdem ich über ihn berichtet hatte, wurde mir klar, was er getan hatte, obwohl ich "evangelisch-lutherisch" (mit Betonung auf dem "e" in "lutherisch") getauft und erzogen worden war.
Und obwohl ich mich heute, im Erwachen meiner Kraft, von den immer noch vorhanden Doktrin und Dogmen der christlichen Kirchen abgewandt habe, verneige ich mich vor einem der wenigen Helden, die die deutsche Geschichte kennt: Dr. Martin Luther. Der übrigens auch Urheber der einheimischen Schriftsprache ist, ein Umstand, der für Menschen, die der Schriftsprache frönen, nicht unwichtig ist.
Ach, für den Beginn einer Art Emanzpation der Frauen scheint er auch etwas getan zu haben.
Heute gedenken wir ihm bundesweit, einmalig, mit einem Feiertag.